Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 10.02.1998, Az.: 12 U 80/97
Umfang der Winterstreupflicht eines Grundstückseigentümers; Zumutbarkeit der Überprüfung allgemein schneefreier Flächen an Frosttagen auf verhältnismäßig geringflächige Eisbildung
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 10.02.1998
- Aktenzeichen
- 12 U 80/97
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1998, 31431
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:1998:0210.12U80.97.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Osnabrück - 12.09.1997 - AZ: 2 O 240/97
Rechtsgrundlage
- § 823 Abs. 1 BGB
Fundstelle
- VersR 1999, 1117 (red. Leitsatz)
In dem Rechtsstreit
...
hat der 12. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg
auf die mündliche Verhandlung vom 27. Januar 1998
unter Mitwirkung
der Vorsitzenden Richterin am Oberlandesgericht ... und
der Richter am Oberlandesgericht .. und ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das am 12. September 1997 verkündete Urteil des Einzelrichters der 2. Zivilkammer des Landgerichts Osnabrück wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Wert der Beschwer der Klägerin übersteigt nicht 60.000,- DM.
Streitwert für die Berufungsinstanz und in Abänderung des Beschlusses vom 30.6.1997 auch für die erste Instanz: 56.030,22 DM (41.030,22 DM + 10.000,- DM + 5.000,- DM).
Tatbestand
Die 1964 geborene Klägerin macht Schadensersatzansprüche gegen die Beklagten als Hauseigentümer geltend, weil sie nach einem Sturz auf dem Vorplatz des Hauses W..., ..., am 4.1.1996 gegen 16.00 Uhr eine Patellaluxation links erlitten habe.
Sie hat behauptet: Auf dem Vorplatz hätten sich kleinere Eisflächen (20 cm Durchmesser) befunden, auf dem Weg zu einem im Hause befindlichen Imbiß sei sie darauf ausgerutscht und gestürzt. Bis zum 17.1. sei sie stationär behandelt worden, anschließend durch krankengymnastische Übungen. Eine Belastung des Knies sei nach wie vor nicht möglich, etwaige Dauerfolgen seien noch nicht absehbar. Deshalb seien ein Schmerzensgeld von 10.000,- DM angemessen und eine Feststellungsklage zulässig. In dem Zeitraum bis Ende 1996 habe sie einen Verdienstausfall von 23.998,92 DM aus ihrer Tätigkeit als Flugbegleiterin bei der L... und 12.000,- DM als Modeberaterin für die Firma L... erlitten. Für eine bis Ende Februar 1996 erforderlich gewesene vollschichtige Haushaltshilfe habe sie 4.320,- DM aufgewendet. Wegen weiterer Schadenspositionen wird auf die Klagschrift Bezug genommen.
Die Beklagten haben eine Verletzung ihrer Verkehrssicherungspflicht in Abrede genommen. Nach Schneefällen sei am Neujahrstag der gesamte Vorplatz ordnungsgemäß geräumt worden. Nachfolgend habe es keine Niederschläge mehr gegeben, sondern nur Temperaturen unter dem Gefrierpunkt, wie ein von ihnen vorgelegtes Gutachten des Deutschen Wetterdienstes beweise. Die kleine Eisfläche sei möglicherweise durch Tropfwasser eines parkenden Autos entstanden und zum Unfallzeitpunkt deutlich zu sehen gewesen.
Der Einzelrichter der 2. Zivilkammer des Landgerichts Osnabrück hat nach Vernehmung von Zeugen durch das am 12.9.1997 verkündete Urteil die Klage abgewiesen, weil die Beklagten keine Pflicht getroffen habe, die vereiste Stelle, die die Klägerin überdies hätte umgehen können, zu entfernen. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des Urteils Bezug genommen.
Gegen diese ihr am 26.9.1997 zugestellte Entscheidung wendet sich die Klägerin mit ihrer am Montag, dem 27.10.1997, eingelegten und am 27.11.1997 begründeten Berufung.
Sie macht geltend: Unter Anwendung der in der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 6.5.1997 (NJW RR 97, 1109) entwickelten Grundsätze könne ihr kein Mitverschulden angelastet werden. Sie habe winterliches Schuhwerk getragen und die spiegelglatte Eisfläche nicht sehen können. Es habe sich Wasser in einer ihr vorher nicht bekannten Mulde gesammelt. Wegen des Charakters des Vorplatzes habe sie sich auch nicht auf die Benutzung des gepflasterten Fußweges verweisen lassen müssen. Außerdem sei um 16.00 Uhr die Sicht bereits eingeschränkt gewesen. Vor dem Imbißbetrieb bestehe im übrigen eine erhöhte Sorgfaltspflicht, die Beklagten hätten die Fläche überprüfen und abstreuen müssen. Ergänzend sei vorzutragen, daß sie auf Dauer fluguntauglich sei und die Lufthansa das Arbeitsverhältnis zum 31.12.1997 beendet habe. Ein Dauerschaden sei anzunehmen.
Die Klägerin beantragt,
das angefochtene Urteil zu ändern und die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen,
- 1.
an sie 41.030,22 DM nebst 4% Zinsen seit dem 19.7.1997 zu zahlen,
- 2.
an sie ein angemessenes Schmerzensgeld, mindestens jedoch 10.000,- DM nebst 4% Zinsen seit dem 19.7.1997 zu zahlen, sowie. festzustellen, daß die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihr sämtliche weiteren Schäden, die ihr in Zukunft aus dem Unfall vom 4.1.1996 vor dem Haus F... in W... entstehen, zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.
Die Beklagten beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigen die angefochtene Entscheidung und weisen darauf hin, daß nach Bekundungen der Zeugen der Vorplatz sorgfältig geräumt gewesen sei. Auch die Klägerin müsse sich auf die Witterung und damit verbundene Gefahren einstellen. Zur Unfallzeit sei es hell gewesen, wie sogar der Ehemann der Klägerin bekundet habe.
Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt ihrer in der Berufungsinstanz vorgelegten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg. Zutreffend hat das Landgericht bereits eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht durch die Beklagten verneint.
Zwar sind die Beklagten als Grundstückseigentümer und Verantwortliche für die Verkehrseröffnung von und zu ihrem Haus und insbesondere dem Imbißladen für die Streupflicht als Gesamtschuldner verantwortlich und das zunächst einmal auch, wenn sie die Ausübung an Dritte - wie hier den Hausmeister - übertragen. Der Umfang der Streupflicht richtet sich dann räumlich und zeitlich nach den örtlichen Verhältnissen, der Stärke des Verkehrs und der Zumutbarkeit der einzelnen Maßnahme (vgl. Palandt, BGB, 57. Aufl., § 823, Rdn. 129, 130 m.w.N.). Das Vorhandensein einer etwa 20 cm im Durchmesser betragenden Eisfläche stellt vorliegend aber keine Verletzung der Winterpflichten dar.
Unstreitig ist der gesamte Vorplatz nach den Schneefällen vom Neujahrstag restlos geräumt worden und war am 4.1.1996 bis auf die Flecken, wie sie die Fotos ausweisen, trocken. Aus dem von den Beklagten vorgelegten Gutachten des Deutschen Wetterdienstes folgt, daß es damals keine weiteren Niederschläge gegeben hat, daß infolge der herrschenden Kälte der Schnee liegengeblieben ist und es Rauhreifbildung gegeben hat. Daraus erhellt, daß keine weiteren winterlichen Maßnahmen erforderlich waren. Denn die Verpflichtung der Grundeigentümer, für die Verkehrssicherheit auf ihrem Grundstück zu sorgen, kann nicht dahin ausgedehnt werden, daß es ihnen zuzumuten wäre, an Frosttagen auch allgemein eis- und schneefreie Flächen auf kleinere glatte Stellen, hervorgerufen durch Tropfwasser parkender Autos oder verschüttete Flüssigkeit, zu untersuchen (vgl. OLG Karlsruhe, VersR 1976, 176). Streupflicht bedeutet nämlich nicht - so auch schon das Landgericht - , daß die Wege derart zu bestreuen sind, daß ein Verkehrsteilnehmer überhaupt nicht ausgleiten kann; vielmehr müssen die Wege nur derart geräumt werden, daß sie von den Verkehrsteilnehmern ohne Gefahr benutzt werden können, wenn auch die Verkehrsteilnehmer die erforderliche Sorgfalt anwenden. Unter Berücksichtigung der Tatsache, daß Eisflächen mit einem Durchmesser von 20 cm auf einer Gesamtfläche von etwa 1 - 2 qm entstanden waren, während der restliche Vorplatz mit 150 qm schnee- und eisfrei und trocken war, erscheint es unzumutbar, den Grundeigentümern die tägliche Untersuchung auf derartige Flächen anzulasten.
Es kommt hier nämlich hinzu, daß nichts dafür spricht, daß die Klägerin die Fläche etwa nicht hätte sehen und leicht umgehen können. Aus dem Wettergutachten folgt, daß am 4.1.1996 eine sonnige Hochdrucklage herrschte, so daß es auch in W... gegen 16.00 Uhr noch hell war, wie im übrigen auch die Zeugen H... und S... sowie der Ehemann der Klägerin bestätigt haben. Bei gehöriger Aufmerksamkeit, die angesichts der winterlichen Witterungslage mit Schnee und Rauhreif auch für die Klägerin geboten war, wäre die kleine Eisfläche zu sehen und zu umgehen gewesen. Konkrete Anhaltspunkte dafür, daß diese Eisfläche unsichtbar war, zeigt die Berufungsbegründung nicht auf; ein Sachverständigengutachten kann deshalb nicht eingeholt werden. Im übrigen ist die von der Berufung herangezogene Entscheidung BGH NJW RR 97, 1109 nicht einschlägig.
Unter diesen Umständen kommt es nicht mehr darauf an und ist nichts weiter dazu zu bemerken, daß die Klägerin über die von ihr beschrittenen Wege widersprüchliche Angaben gemacht und unterschiedliche Skizzen vorgelegt hat.
Ebenfalls unerheblich ist, daß die materielle Klagforderung zur Höhe nicht nachvollziehbar und teilweise unsubstantiiert ist.
Daß die Klägerin nur vage Angaben hinsichtlich eines möglichen Dauerschadens gemacht hat, führt schließlich dazu, daß der Senat den Wert des Feststellungsantrags mit 5.000,- DM bemißt.
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713, 546 und 3 ZPO.