Sozialgericht Hildesheim
Beschl. v. 07.10.2011, Az.: S 26 AS 1729/11 ER

Rechtsweg bei Geltendmachung eines Unterlassungsanspruchs und Anspruchs auf Widerruf von ehrverletzenden Tatsachenbehauptungen gegen einen Dienstherrn; Folgen des Fallens der ehrverletzenden Äußerungen i.R.e. Stellungnahme eines Dienstherrn an den Petitionsausschuss des Landtages

Bibliographie

Gericht
SG Hildesheim
Datum
07.10.2011
Aktenzeichen
S 26 AS 1729/11 ER
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2011, 34802
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGHILDE:2011:1007.S26AS1729.11ER.0A

Fundstelle

  • NZS 2012, 200

Tenor:

Der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist unzulässig.

Das Verfahren wird an das Verwaltungsgericht D. verwiesen.

Gründe

1

Der Antragsteller wendet sich im Zusammenhang mit einer von ihm an den Niedersächsischen Landtag gerichteten Petition gegen Äußerungen des Antragsgegners in einer gegenüber dem Petitionsausschuss des Niedersächsischen Landtages abgegebenen Stellungnahme.

2

Gemäß § 17a Abs. 2 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) spricht das angerufene Gericht durch Beschluss nach Anhörung der Beteiligten die Unzulässigkeit des beschrittenen Rechtsweges aus und verweist den Rechtsstreit zugleich an

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das zuständige Gericht des zulässigen Rechtsweges. Dies gilt auch für Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (Breitkreuz/Fichte, SGG, § 51 Rn 6 m.w.N.).

4

Der Sozialrechtsweg ist nicht eröffnet.

5

Gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 4a Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheiden die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten in Angelegenheiten der Grundsicherung für Arbeitsuchende.

6

Soweit der Antragsteller vom Antragsgegner die Unterlassung und den Widerruf von Tatsachenbehauptungen verlangt, liegt zwar eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit vor.

7

Für Unterlassungsklagen gegen (schlicht-)hoheitliche Maßnahmen und gegen amtliche Erklärungen aus dem hoheitlichen Bereich ist der öffentlich-rechtliche Rechtsweg gegeben (Thomas, in: Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 70. Auflage, 2011, vor § 823 Rn 27). Der öffentlich-rechtliche Abwehranspruch gegen ehrverletzende Äußerungen, die dem hoheitlichen Bereich zuzuordnen sind, richtet sich gegen den Dienstherrn, für den der Bedienstete bei der Äußerung tätig geworden ist (Landessozialgericht [LSG] Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 17.12.2001 - L 5 KR 61/01 m.w.N. [[...] Rn 15]). Dies gilt gleichermaßen für den vom Antragsteller geltend gemachten Unterlassungsanspruch (vgl. Bundesgerichtshof [BGH] Urteil vom 28.02.1978 - VI ZR 246/76 [[...] Rn 12 ff]).

8

Die vom Antragsteller angegriffenen Äußerungen des Antragsgegners sind jedoch keine Angelegenheit der Grundsicherung für Arbeitssuchende.

9

Von der Zuweisung in § 51 Abs. 1 Nr. 4a SGG erfasst sind zunächst all diejenigen Rechtsstreitigkeiten, bei denen die vom Kläger hergeleitete Rechtsfolge ihre Grundlage im SGB II haben kann (Bundessozialgericht [BSG] Beschluss vom 01.04.2009 - B 14 SF 1/08 R [Rn 15]; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG 9. Aufl, § 51 Rn 29a). Die Auslegung des Merkmals "Angelegenheiten der Grundsicherung für Arbeitsuchende" ist in den übrigen Fällen, in denen die Beteiligten nicht unmittelbar um Rechtsfolgen aus der Anwendung von Normen des SGB II streiten, daran auszurichten, dass eine sach- und interessengerechte Abgrenzung zwischen der Rechtswegzuständigkeit der Sozialgerichte und der Verwaltungsgerichte hergestellt wird. Weder das Merkmal "ausdrücklich" in § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO noch ein insbesondere aus dem Merkmal "alle öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten" hergeleiteter (vermeintlicher) Vorrang der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit zwingen zu einer engen Auslegung des Begriffs der "Angelegenheiten der Grundsicherung für Arbeitsuchende" (BSG a.a.O.). Das BSG (a.a.O.) hat unter Hinweis auf die Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes darauf hingewiesen, dass es genügt, wenn eine Zuweisung zwar nicht unmittelbar ausgesprochen ist, sich der dahinterstehende Wille des Gesetzes jedoch aus dem Gesamtgehalt der Regelung und dem Sachzusammenhang in Verbindung mit der Sachnähe eindeutig und logisch zwingend ergibt.

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Unter Anwendung dieser Grundsätze ist eine sachliche Zuständigkeit der Sozialgerichte nicht zu begründen.

11

Die beanstandeten Äußerungen fielen im Rahmen der Stellungnahme des Antragsgegners an den Petitionsausschuss des Niedersächsischen Landtages. Die Stellungnahme des Antragsgegners findet ihre Rechtsgrundlage in § 51 der Geschäftsordnung des Niedersächsischen Landtages vom 4. März 2003 (Nds GVBl S 135), zuletzt geändert durch Beschluss vom 15. März 2011 (Nds GVBl S 90), der die Behandlung von an den Landtag gerichteten Eingaben in den Ausschüssen betrifft. Nach dessen Abs. 1 Satz 1 bestimmt die oder der Vorsitzende des zuständigen Ausschusses, welche Ausschussmitglieder die Berichterstattung übernehmen und ob zu der Eingabe eine Stellungnahme des zuständigen Fachministeriums eingeholt werden soll. Hieraus ergibt sich, dass die Stellungnahme des insoweit aufgeforderten Ministeriums keine (Exekutiv-)Angelegenheit der Grundsicherung für Arbeitssuchende ist. Vielmehr ist sie in ein legislatives Verfahren eingebunden, weil sie unmittelbarer Bestandteil des Petitionsverfahrens ist, das Ausfluss des allgemeinen Petitionsrechts gemäß Art 17 Grundgesetz (GG) ist. Entsprechend sind aus dem Petitionsverfahren erwachsende Streitigkeiten den Verwaltungsgerichten zur Entscheidung zugewiesen (vgl VG München Urteil vom 10.11.2010 - M 18 K 09.5755 [[...] Rn 18]; LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 13.07.2009 - L 29 AS 875/09 B ER [[...] Rn 3]; VG Hannover, Urteil vom 19.09.2007 - 5 A 3261/05 [[...] Rn 13]; VG Regensburg, Beschluss vom 26.08.2002 - RN 3 K 02.00884 [[...] Rn 13 f).

12

Auch die vom Antragsgegner zu seiner Unterrichtung eingeholte Stellungnahme des Landkreises E. führt nicht dazu, dass seine gegenüber dem Petitionsausschuss abgegebene Stellungnahme abweichend von den vorstehenden Erwägungen als Angelegenheit der Grundsicherung für Arbeitssuchende anzusehen ist. Insbesondere handelt es sich bei der Anforderung der Stellungnahme des Landkreises E. nicht um eine Angelegenheit im Rahmen der Rechts- oder Fachaufsicht.

13

Der Antragsgegner ist gerade nicht als Aufsichtsbehörde gegenüber dem Landkreis E. tätig geworden. Das folgt bereits daraus, dass allein das Ministerium für Soziales gemäß §§ 48 Abs. 1 SGB II, § 2 Abs. 1 Satz 1 des Niedersächsischen Gesetzes zur Ausführung des Zweiten Buchs des Sozialgesetzbuchs und des § 6b des Bundeskindergeldgesetzes vom 16.09.2004 (Nds GVBl. Nr. 26/2004 S 358), zuletzt geändert durch Gesetz vom 26.05.2011 (Nds GVBl. Nr. 11/2011 S 138) die Aufsicht über den Landkreis E. als zugelassenem kommunalen Träger (§ 6a SGBII) führt. Eine entgegen dieser landesgesetzlichen Zuweisung erfolgte Übertragung von Aufsichtsbefugnissen auf den Antragsgegner im Wege einer unveröffentlichten Absprache zwischen ihm und dem Ministerium für Soziales wäre nicht wirksam. Die Absprache der beiden Ministerien kann deshalb allenfalls als (amtshelfendes) Einverständnis des Ministerium für Soziales betrachtet werden, dass der Antragsgegner unmittelbar die im Rahmen der Aufsicht geschaffenen Dienstwege nutzt, um sich die notwendigen Kenntnisse für die Anfertigung seiner Stellungnahme im Petitionsverfahren zu verschaffen.

14

Sowohl die Stellungnahme des Landkreises E. als auch die Stellungnahme des Antragsgegners haben damit aber lediglich ihren Ausgangspunkt in einem Leistungsverhältnis nach dem SGB II. Für die Rechtswegzuweisung ist dies nicht ausreichend. Vielmehr ist für diese entscheidend, ob die den Streitgegenstand prägende Behördentätigkeit in ihrem Gesamtbild funktional den in§ 51 SGG abschließend aufgeführten Aufgaben zuzurechnen ist; andernfalls ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet (vgl Bundesverwaltungsgericht [BVerwG] Urteil vom 27.04.1984 - 1 C 10/84 m.w.N. [[...] Rn 15]). Auch der Bundesgerichtshof (BGH) hat ausgeführt, die Entscheidung über den Rechtsweg hänge - trotz der im Streitfall anzuwendenden bürgerlich-rechtlichen Rechtsvorschriften - maßgeblich davon ab, ob das Schwergewicht des Rechtsstreits in einem Aufgabenbereich anzusiedeln sei, dessen Erfüllung dem Passivbeteiligten aufgrund öffentlich-rechtlicher Bestimmungen obliege (BGH, Beschluss vom15.09.1999 - I ZB 59/98 [[...] Rn 34]). Die entscheidende Prägung erhalten die streitgegenständlichen Äußerungen hier erst mit der Abgabe der Stellungnahme des Antragsgegners an den Niedersächsischen Landtag; auch der Antragsteller fühlt sich vorrangig durch diese Stellungnahme beeinträchtigt. Die dieser vorausgehende Stellungnahme des Landkreises E. gibt der Stellungnahme des Antragsgegners auch kein abweichendes Gepräge, sondern ist allein als vorbereitender Arbeitsschritt mit gleicher Zielrichtung anzusehen. Sie teilt damit als notwendiger Bestandteil des Petitionsverfahrens die Rechtswegzuweisung der gegenüber dem Petitionsausschuss abgegebenen Stellungnahme.

15

Die instanzielle und örtliche Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts D. folgt aus den §§ 45, 52 Nr. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Eine Ausdehnung des allein Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen betreffenden § 52 Nr. 3 VwGO auf die hier streitgegenständlichen allgemeinen Leistungsbegehren ginge deutlich über den Gesetzeswortlaut hinaus (vgl. VG Regensburg, a.a.O. [[...] Rn 13, 15]; VG Hannover, a.a.O.).