Sozialgericht Hildesheim
Urt. v. 01.12.2011, Az.: S 34 SO 217/10

Anspruch eines bosnischen Staatsangehörigen auf Übernahme von Dolmetscherkosten i.R.e. Psychotherapie wegen einer posttraumatischen Belastungsstörung durch Kriegserlebnisse

Bibliographie

Gericht
SG Hildesheim
Datum
01.12.2011
Aktenzeichen
S 34 SO 217/10
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2011, 34979
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGHILDE:2011:1201.S34SO217.10.0A

Fundstellen

  • InfAuslR 2012, 143-144
  • ZfSH/SGB 2012, 417-419
  • info also 2012, 142
  • info also 2012, 287

Tenor:

  1. 1.

    Der Bescheid vom 08.06.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.10.2010 wird aufgehoben und der Beklagte verpflichtet, an die Klägerin 1.620,00 EUR zu zahlen.

  2. 2.

    Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

  3. 3.

    Die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin trägt der Beklagte.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt vom Beklagten im Rahmen von Leistungen nach dem Zwölften Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB XII) die Übernahme von Dolmetscherkosten im Rahmen einer Psychotherapie.

2

Die H. geborene Klägerin ist bosnische Staatsangehörige und lebt seit 1993 in Deutschland. Sie steht im laufenden Bezug von Leistungen nach dem SGB II (siehe zuletzt Bescheid vom 01.06.2011, Bl. 87 ff. der Gerichtsakte). Vor dem Hintergrund von Kriegs- und Fluchterlebnissen in Bosnien sind bei der Klägerin u.a. eine posttraumatische Belastungsstörung mit Schlafstörungen, Kopfschmerzen und Angstzuständen diagnostiziert (vgl. amtsärztliche Stellungnahme des Herrn Dr. I. vom 26.04.2002, Bl. 49 der Verwaltungsakte; ärztliche Bescheinigung des Herrn Dr. J. vom 29.09.2009, Bl. 53 der Verwaltungsakte). Die Klägerin befand sich bereits in den Jahren 2002 bis 2008 zeitweise aufgrund der genannten Erkrankung in psychotherapeutischer Behandlung bei Frau Dr. Voges. Die dortige Behandlung brachte indes nach Angaben der Klägerin ohne Dolmetscher nicht den gewünschten Erfolg (vgl. Bl. 13 der Gerichtsakte).

3

Mit Bescheiden vom 30.03.2010 bewilligte sodann die Krankenkasse der Klägerin die Kosten für eine Psychotherapie von 25 Sitzungen (Bl. 37, 39 der Verwaltungsakte). Die Klägerin begab sich hiernach bei Frau Dipl. Psych. K. in Göttingen in Behandlung. Dabei nahm sie auch die Dienste einer Dolmetscherin, Frau L., in Anspruch (vgl. Bl. 35 der Verwaltungsakte; Bl. 53a ff. der Verwaltungsakte). Die hierfür angefallenen Kosten sind nach Angaben der Klägerin derzeit noch nicht beglichen. Ausweislich der von der Klägerin übersandten Aufstellung entstanden bislang im Zeitraum vom 04.12.2009 bis einschließlich des 17.11.2011 Kosten in Höhe von insgesamt 2.268,00 EUR (Bl. 94 f. der Verwaltungsakte). Bei der Klägerin solle nach den Ausführungen von Dipl. Psych. K. eine Langzeittherapie mit regelmäßigen wöchentlichen Sitzungen im Umfang von je einer Stunde durchgeführt werden (Bl. 56 der Verwaltungsakte). Die Klägerin verfüge zwar über Basiskenntnisse der deutschen Sprache; für eine Aufarbeitung der Kriegserlebnisse und der Folgeproblematiken bedürfe es jedoch einer kompetenten sprachlichen Übersetzung. Zur Durchführung der psychotherapeutischen Sitzungen sei deshalb die Anwesenheit einer Dolmetscherin notwendig, auch um sprachlich-semantische Missverständnisse zu vermeiden (Stellungnahme vom 23.04.2010, Bl. 59 der Verwaltungsakte).

4

Mit Schreiben vom 16.11.2009 beantragte die Klägerin beim Beklagten die Übernahme der Dolmetscherkosten. Sie benötige einen Dolmetscher, weil es keine Therapie in ihrer Muttersprache gebe und es für eine professionelle Therapie erforderlich sei, dass 1:1 übersetzt werde (Bl. 1 der Verwaltungsakte).

5

Nach umfangreicheren Ermittlungen lehnte der Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 08.06.2010 ab (Bl. 62 f. der Verwaltungsakte). Zur Begründung führte er aus, zwar sei die Beistellung eines Dolmetschers im Fall der Klägerin unabweisbar geboten, um den Therapieerfolg zu gewährleisten. Die Dolmetscherkosten seien indes Bestandteil der Therapie, weshalb die Kosten von der Krankenkasse getragen werden müssten. Hiergegen erhob die Klägerin mit Schreiben vom 18.06.2010 Widerspruch (Bl. 64/67 der Verwaltungsakte). Sie benötige die Hilfe einer Dolmetscherin, weil ihre Deutschkenntnisse nicht ausreichend seien, um erfolgreich die bestehende posttraumatische Belastungsstörung behandeln zu lassen. Da Dolmetscherleistungen keine Kassenleistung seien, seien die Kosten hierfür vom Träger der Sozialhilfe über die Eingliederungshilfe nach den §§ 53 ff., 73 SGB XII zu übernehmen. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 28.10.2010 zurückgewiesen (Bl. 71 ff. der Verwaltungsakte). Der Beklagte führte aus, dass bei der Abwägung der ihm vorliegenden Informationen, insbesondere im Hinblick auf die ausreichenden Deutschkenntnisse der Klägerin, der Einsatz öffentlicher Mittel für eine Dolmetschertätigkeit nicht zu rechtfertigen sei. Im Übrigen sei im Hinblick auf die Subsidiarität der Sozialhilfeleistungen ohnehin die Krankenkasse der Klägerin für die Erbringung der begehrten Leistungen zuständig.

6

Am 29.11.2010 hat die Klägerin Klage erhoben.

7

Sie führt ihr Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren fort und trägt ergänzend vor, dass sie lediglich über Basiskenntnisse der deutschen Sprache verfüge, was für die Erfordernisse einer traumatherapeutischen Aufarbeitung nicht ausreichend sei. Aufgrund ihrer posttraumatischen Belastungsstörung und der damit verbundenen Symptome sei sie an der Möglichkeit, im öffentlichen und kulturellen Leben der Gesellschaft teilzuhaben, erheblich eingeschränkt. Es sei Ziel der Eingliederungshilfe, diese Fähigkeiten wiederherzustellen oder die Folgen der Beeinträchtigungen zu mildern. Dieses Ziel werde durch die psychotherapeutische Behandlung erreicht. Die von ihr in der Vergangenheit durchlaufene therapeutische Behandlung ohne Dolmetscherin habe sich nicht als nachhaltig hilfreich erwiesen. Ihr komme ein Anspruch im Rahmen der Eingliederungshilfe nach den §§ 53 ff. SGB XII oder nach § 73 SGB XII zu. Dabei bedürfe es keiner gesonderten Anerkennung eines Grades der Behinderung der Klägerin. Auch das OVG Lüneburg (Urteil vom 11.01.2002, Az.: 4 MA 1/02) habe einen Anspruch über § 39 BSHG bejaht, welcher dem§ 53 SGB XII entspreche.

8

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid vom 08.06.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.10.2010 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die Kosten für eine Dolmetscherin zur Durchführung der psychotherapeutischen Behandlung zu übernehmen.

9

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

10

Er verweist auf seine Ausführungen im Verwaltungsverfahren und führt ergänzend auf den diesbezüglichen Hinweis des Gerichts aus, die benannten Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Lüneburg und des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) seien nicht einschlägig, weil im hiesigen Fall die Kostenübernahme für einen Dolmetscher mangels Notwendigkeit abgelehnt wurde. Die Klägerin verfüge über ausreichend Deutschkenntnisse, um sich mit den behandelnden Ärzten verständigen zu können.

11

Das Gericht hat sich mit Schreiben vom 21.01.2011 an das von der Klägerin benannte Netzwerk für traumatisierte Flüchtlinge in Niedersachsen e.V. (NTFN) gewandt. Mit Schreiben vom 02.02.2011 hat das NTFN u.a. ausgeführt, dass im Rahmen einer Psychotherapie die Hinzuziehung von Familienangehörigen bei der Übersetzung auch aufgrund der psychischen Implikationen nicht indiziert sei. Das Netzwerk habe in der Vergangenheit mit den Krankenkassen zur Übernahme der Dolmetscherkosten zahlreiche - erfolglose - Gespräche geführt.

12

Wegen der weiteren Einzelheiten und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und auf die Verwaltungsakte des Beklagten (1 Streifen) Bezug genommen. Sie haben vorgelegen und sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

Entscheidungsgründe

13

Die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1, 4, 56 SGG) ist zulässig und im tenorierten Umfang begründet (hierzu: 1.). Im Übrigen ist sie unbegründet (hierzu: 2.).

14

1.

Der Bescheid vom 08.06.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.10.2010 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Übernahme der Kosten für einen Dolmetscher für die seitens der Krankenkasse der Klägerin mit Bescheiden vom 30.03.2010 bewilligten Therapiesitzungen.

15

Dabei geht die Kammer zunächst davon aus, dass das Erfordernis einer psychotherapeutischen Behandlung der Klägerin gegeben ist, zumal dies auch zwischen den Beteiligten nicht streitig war und sich die Klägerin zudem auf den Bescheid ihrer Krankenkasse vom 30.03.2010 stützen kann, in welchem diese Leistungen bewilligt wurden.

16

Der Anspruch der Klägerin ergibt sich aus § 73 SGB XII. Diesem Anspruch steht nicht bereits entgegen, dass sie SGB II- Leistungen bezieht, weil nach § 5 Abs. 2 SGB II lediglich die Leistungen nach dem 3. Kapitel des SGB XII ausgeschlossen sind. Einem Anspruch steht sodann nicht entgegen, dass die Klägerin - wie der Beklagte meint - von vornherein keinen Dolmetscher für die Wahrnehmung der Therapie benötigte. Vielmehr folgt die Kammer hier den ausführlichen und nachvollziehbaren Ausführungen der Therapeutin der Klägerin, Frau Dipl. Psych. M., welche erklärte, dass die Klägerin zwar über Basiskenntnisse der deutschen Sprache verfüge, es für eine Aufarbeitung der Kriegserlebnisse und der Folgeproblematiken jedoch einer kompetenten sprachlichen Übersetzung bedürfe. Zur Durchführung der psychotherapeutischen Sitzungen sei deshalb die Anwesenheit einer Dolmetscherin notwendig, auch um sprachlich-semantische Missverständnisse zu vermeiden (Stellungnahme vom 23.04.2010, Bl. 3 der Gerichtsakte). Die Klägerin sei besonders sensibel und erwartungsängstlich, von anderen nicht angemessen verstanden zu werden. Überdies wechsle die Klägerin in Angstsituationen (u.a. bei der Erzählung traumatischer Inhalte) von sich aus unbeabsichtigt in ihre Muttersprache; ohne Dolmetscherin wäre dann die Kommunikation mit der Therapeutin beeinträchtigt (Schreiben vom 10.02.2011, Bl. 34 der Gerichtsakte). Die Kammer misst diesen Ausführungen erhebliches Gewicht bei, zumal die Therapeutin diejenige ist, welche am besten zu beurteilen in der Lage ist, auf welche Weise bei der Klägerin ein Therapieerfolg erzielt werden kann. Gestützt werden diese Ausführungen auch von dem eigenen Bild, welches sich die Kammer im Termin zur mündlichen Verhandlung von den eher geringen Deutschkenntnissen der Klägerin machen konnte. Überdies ist es nach Auffassung der Kammer leicht nachvollziehbar, dass gerade die Verarbeitung von traumatischen Erlebnissen, welche nicht auf einer sprachlich beschreibenden Ebene verbleiben kann, sondern auch von der Klägerin innerlich angenommen werden muss, in der eigenen (Mutter-)Sprache wesentlich leichter fallen dürfte. Dass der Beklagte vor diesem Hintergrund und dem Umstand, dass er selbst noch im Verwaltungsverfahren (im Bescheid vom 08.06.2010) das Erfordernis eines Dolmetschers bejahte, auch in der mündlichen Verhandlung seinen Standpunkt nicht aufgab, die Klägerin benötige keinen Dolmetscher, bleibt unverständlich.

17

Nach § 73 SGB XII können Leistungen in sonstigen Lebenslagen erbracht werden, wenn sie den Einsatz öffentlicher Mittel rechtfertigen. Diese "Öffnungsklausel" ermöglicht es, in Fällen, die vom (übrigen) Sozialleistungssystem nicht erfasst werden, Hilfen zu erbringen und damit einen "Sonderbedarf" zu decken (vgl. nur: Grube in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 3. Aufl. 2010, § 73 SGB XII Rn. 4). Von der Vorschrift betroffen werden nur deshalb atypische ("sonstige") Lebenslagen, die nicht bereits durch andere Vorschriften des SGB XII erfasst sind.

18

Eine "sonstige" Lebenslage, also eine unbenannte, besondere, nicht von anderen Vorschriften des SGB XII erfasste atypische Bedarfslage, deren Deckung zur Führung eines menschenwürdigen Lebens unerlässlich ist, liegt hier nach Auffassung der Kammer vor, weil die Dolmetscherkosten keinen anderen Leistungsbereichen des SGB XII, insbesondere nicht dem § 48 SGB XII oder den §§ 53 ff. SGB XII zugeordnet werden können (hierzu: sogleich). Die Bedarfslage der Klägerin ist auch "atypisch" im Sinne des§ 73 SGB XII, weil sie sich gerade durch das Erfordernis auszeichnet, dass eine von der Krankenkasse bewilligte Leistung nur dann einen Heilungserfolg erbringen kann, wenn ein Dolmetscher zur sprachlichen Umsetzung dieser Leistung hinzugezogen wird, im Regelfall ein Dolmetscher indes nicht erforderlich wäre. Im Hinblick auf das Recht der Klägerin auf ihre körperliche Unversehrtheit würde ohne die Leistungserbringung auch ein Grundrecht der Klägerin verletzt (vgl. zu diesem Leistungserforderns: BSG, Urteile vom 19.08.2010, Az.: B 14 AS 13/10 R und B 14 AS 47/09 R, Urteil vom 07.11.2006, Az.: B 7b AS 14/06 R, und BVerfG, Urteil vom 09.02.2010, Az.: 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09).

19

Der Einsatz von öffentlichen Mitteln ist auch gerechtfertigt im Sinne des § 73 SGB XII. Er ist dann gerechtfertigt, wenn die Leistungserbringung im Hinblick auf Art, Dringlichkeit und Schwere des zu deckenden Bedarfs einem Vergleich zu anderen ausdrücklich im SGB XII geregelten Lebenslagen standhält (Böttiger in: jurisPK-SGB XII, § 73 SGB XII, 1. Aufl. 2010, Rn. 29). Insoweit stellt das BSG darauf ab, ob es sich wegen der besonderen Bedarfslage, die eine gewisse Nähe zu den speziell in den§§ 47-74 SGB XII geregelten Bedarfslagen aufweist, um eine Aufgabe von besonderem Gewicht handelt (BSG v. 07.11.2006 - B 7b AS 14/06 R - [...] Rn. 22). Es ist auch hier eine wertende Betrachtung anzustellen, wobei auch soziale und gesellschaftliche Bewertungen, vor allem aber die Folgen, einbezogen werden können (Berlit in: LPK-SGB XII, 7. Aufl., § 73 Rn. 9; Schlette in: Hauck/Noftz, SGB II, § 73 Rn. 7.).

20

Nach diesen Maßgaben hält die Kammer den Einsatz öffentlicher Mittel für gerechtfertigt, weil mit der begehrten Kostenübernahme für einen Dolmetscher jedenfalls eine gewisse Nähe zu den Leistungen nach § 48 SGB XII gegeben ist. Tatsächlich kann die Klägerin die von ihrer Krankenkasse gewährten Leistungen erst dann wirksam in Anspruch nehmen, wenn ihr hierfür ein Dolmetscher zur Verfügung steht. Im Hinblick auf die bei der Klägerin bestehende Erkrankung einer posttraumatischen Belastungsstörung ist die begehrte Leistung sowohl der Dringlichkeit und Schwere als auch ihrem besonderen Gewicht nach unter Berücksichtigung der bereits von der Krankenkasse bestätigten Bewertung der Behandlungsbedürftigkeit geeignet, den Einsatz öffentlicher Mittel zu rechtfertigen.

21

Die Klägerin hat einen Anspruch auf Zahlung von 1.620,00 EUR. Gegenstand dieses Klageverfahrens waren lediglich die Kostenübernahme eines Dolmetschers für die ursprünglich bewilligten 25 Therapiesitzungen (im Weiteren hierzu sogleich unter 2.). Ausweislich der von der Klägerin übersandten Kostenaufstellung (Bl. 94 f. der Gerichtsakte) begann die Behandlung bei Frau Dipl. Psych. K. am 15.02.2010, weshalb die Kosten bis einschließlich des 13.04.2011 zu übernehmen waren. Hieraus ergibt sich der tenorierte Zahlungsbetrag. Da auch der Beklagte keine Einwendungen gegen die Höhe der geltend gemachten Kosten erhob, geht auch die Kammer von einer Angemessenheit dieser Kosten aus.

22

Die Kammer war hier nicht darauf reduziert, den Beklagten lediglich nur Neuentscheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu verurteilen. Zwar handelt es sich bei den Leistungen des § 73 Satz 1 SGB XII um im Ermessen des Trägers der Sozialhilfe stehende Leistungen, weshalb dessen ablehnende Entscheidung grundsätzlich nur mit einer kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG) anzugreifen wäre. Da hier jedoch eine bloße Kostenerstattung geltend gemacht wurde, ist nicht ersichtlich, auf welche andere Weise der Beklagte die streitgegenständlichen Leistungen noch erbringen könnte. Damit liegt ein Fall vor, in welchem kein Ermessen mehr besteht, sondern das Ermessen auf lediglich eine Entscheidungsmöglichkeit schrumpft und eine gebundene Entscheidung zu treffen ist (vgl. Peine, Allgemeines Verwaltungsrecht, 7. Aufl., § 4 I 4 Rn. 71). Das Ermessen des Beklagten war daher nach Auffassung der Kammer auf Null reduziert; der Beklagte konnte zur Leistung verurteilt werden.

23

Aus der Rechtswidrigkeit der streitgegenständlichen Bescheide ergibt sich auch die Verletzung der Klägerin in eigenen Rechten,§ 54 Abs. 2 S. 1 SGG.

24

Die Klägerin konnte indes keinen Anspruch aus den §§ 48, 53 ff. SGB XII herleiten. Leistungen der Krankenhilfe nach § 48 SGB XII steht entgegen, dass dort auf die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung nach dem SGB V verwiesen wird. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) können jedoch Dolmetscherkosten im Rahmen des SGB V nicht übernommen werden, weil diese nicht Teil der medizinischen Behandlung sind (Urteil vom 10.05.1995, Az.: 1 RK 20/94; so auch: LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 31.08.2006, Az.: L 7 VG 9/05). Das BSG führte aus:

"Versicherte können auch dann, wenn eine Verständigung zwischen ihnen und dem Arzt nicht möglich ist, nicht verlangen, daß auf Kosten der gesetzlichen Krankenkassen zur ambulanten Untersuchung oder Behandlung ein Dolmetscher (hier: Gebärdendolmetscher) hinzugezogen wird."

25

Einem Leistungsanspruch nach den §§ 53 ff. SGB XII, der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen, steht bereits entgegen, dass für die Klägerin kein Grad der Behinderung (GdB) anerkannt ist und insoweit auch kein Antrag beim zuständigen Landesamt für Soziales, Jugend und Familie gestellt wurde. Leistungsberechtigt sind nach § 53 Abs. 1 SGB XII indes nur Personen, für die eine Behinderung im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX anerkannt ist. Selbst wenn man der von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vertretenen Position folgen wollte und die Kammer der Klägerin inzident einen GdB zugebilligt hätte, stünde einem Leistungsanspruch überdies § 54 Abs. 1 Satz 2 SGB XII entgegen, wonach Leistungen der medizinischen Rehabilitation denen der gesetzlichen Krankenversicherung entsprechen. Dort ist indes - wie bereits ausgeführt - die Übernahme von Dolmetscherkosten nicht vorgesehen. Anderes ergibt sich schließlich auch nicht aus der von der Klägerin benannten Entscheidung des OVG Lüneburg vom 11.01.2002 (Az.: 4 MA 1/02). Zwar hatte das OVG dort einen Anspruch auf Übernahme der Dolmetscherkosten im Rahmen der sozialhilferechtlichen Kranken- und/oder Eingliederungshilfe für möglich gehalten und ausgeführt:

"Übernimmt die Krankenkasse die Kosten einer tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie (hier: zur Behandlung, einer posttraumatischen Belastungsstörung nach erlittener Folter), kann der Träger der Sozialhilfe verpflichtet sein, Eingliederungshilfe oder Krankenhilfe durch Übernahme der Kosten für einen (Fremdsprachen-)Dolmetscher zu gewähren, der zur Durchführung der Psychotherapie herangezogen werden muss."

26

Diese Entscheidung ist indes nicht auf die Sozialhilfe nach dem SGB XII übertragbar, weil sich das OVG zur Begründung maßgeblich auf § 38 Abs. 2 Satz 1 BSHG a.F. bezog, wonach Hilfen den im Einzelfall notwendigen Bedarf in voller Höhe befriedigen mussten. Diese Regelung entfiel allerdings bereits zum 01.01.2004; auch im SGB XII ist seit dem 01.01.2005 keine derartige Regelung mehr enthalten (ausführlich dazu: BSG, Urteil vom 16.12.2010, Az.: B 8 SO 7/09 R). Die weiteren Ausführungen der Klägerin zu diesem Urteil übersehen, dass mit dem Wechsel vom BSHG zum SGB XII auch ein systemischer Wechsel stattfand, der vereinfachende Übertragungen verwaltungsgerichtlicher Urteile zum BSHG auf das SGB XII verbietet.

27

2.

Im Übrigen war die Klage abzuweisen. Gegenstand dieses Klageverfahrens war lediglich der Bescheid vom 08.06.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.10.2010, mit welchen der Beklagte die Kostenübernahme für einen Dolmetscher für von der Krankenkasse bewilligte 25 Therapiesitzungen ablehnte. Damit konnte auch die Kammer nur über die von dem Beklagten abgelehnten Leistungen befinden; nur diese waren Gegenstand dieses Verfahrens. Entgegen der Auffassung der Klägerin kann sich bei verständiger Würdigung auch ihr ursprünglicher Leistungsantrag nur hierauf beziehen, zumal die Klägerin am 16.11.2009 (Datum des Antragsschreibens) noch nicht wissen konnte, dass zu einem späteren Zeitpunkt weitere Sitzungen erforderlich und die Krankenkasse (mit Bescheid vom 01.11.2010, Bl. 96 der Gerichtsakte) weitere Therapiesitzungen bewilligen würde. Das von der Klägerin angestrebte "Grundurteil" zur Kostenübernahme eines Dolmetschers war der Kammer mithin verwehrt.

28

Die Kostenentscheidung ergeht nach § 193 SGG. Das geringe Maß ihres Unterliegens rechtfertigt nach Auffassung der Kammer keine anteilige Kostentragung der Klägerin.