Sozialgericht Hildesheim
Urt. v. 12.08.2011, Az.: S 21 U 4/05

Nach § 28 e Abs. 3 a SGB IV haftet der einen Nachunternehmer beauftragende Unternehmer für die Erfüllung der Zahlungsverpflichtungen des Nachunternehmers wie ein selbstschuldnerischer Bürge; Haftung des einen Nachunternehmer beauftragenden Unternehmers für die Erfüllung der Zahlungsverpflichtungen des Nachunternehmers wie ein selbstschuldnerischer Bürge; Exculpationsmöglichkeiten des einen Nachunternehmer beauftragenden Unternehmers

Bibliographie

Gericht
SG Hildesheim
Datum
12.08.2011
Aktenzeichen
S 21 U 4/05
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2011, 25122
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGHILDE:2011:0812.S21U4.05.0A

Tenor:

  1. 1.

    Der Bescheid vom 22.10.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.12.2004 wird insoweit aufgehoben, als die Beklagte von dem Kläger einen Betrag von über 545,29 EUR verlangt hat.

  2. 2.

    Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

  3. 3.

    Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger zu 16%, die Beklagte zu 84%.

  4. 4.

    Der Streitwert wird endgültig auf 3.405,98 EUR festgesetzt.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich im Rahmen des Siebten Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB VII) gegen einen Bescheid der Beklagten, mit welchem er für Beitragsforderungen der Firma H. in Haftung genommen wird.

2

Der Beitragsforderung liegen erfolglose Bemühungen der Beklagten zugrunde, gegenüber der Firma H. Beitragsforderungen ab dem 01.08.2002 durchzusetzen. Die Bemühungen der Beklagten scheiterten aufgrund zwischenzeitlicher Insolvenzanträge und ei-ner Gewerbeabmeldung der genannten Firma zum 31.03.2003 (vgl. Bl. 69 der Verwaltungsakte). Im Rahmen einer Betriebsprüfung aus dem November 2003 teilte die Beklagte der Geschäftsführerin der Firma I. mit, dass die Beitragsrückstände zum 15.01.2004 insgesamt 20.331,10 EUR betrugen (Bl. 89 der Verwaltungsakte).

3

Aufgrund der von der Firma H. gegebenen Auskünfte wandte sich die Beklagte in der Folgezeit - ersichtlich erstmals mit Schreiben vom 19.12.2003 - an den Kläger (Bl. 94 der Verwaltungsakte). Sie führte dort u.a. aus, die Firma H. habe im Auftrag des Klägers Aufträge ausgeführt und zumindest ab dem 01.08.2002 keine Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung mehr abgeführt. Der Kläger müsse deshalb nach § 150 Abs. 3 Satz 2 SGB VII i.V.m. § 28e Abs. 3a SGB IV für die Zahlungspflicht als selbstschuldnerischer Bürge eintreten.

4

Hiergegen wandte sich der Kläger mit Schreiben vom 05.02.2004 (Bl. 97 ff. der Verwaltungsakte). Er erklärte u.a., die in § 28e Abs. 3d SGB IV genannte Bagatellgrenze von 500.000,00 EUR werde hier nicht erreicht. Im Zeitraum von August bis Dezember 2002 habe die Firma H. insgesamt 11 Aufträge für die Firma J. ausgeführt, deren Abrechnungen die Bagatellgrenze unterschritten. Außerdem treffe ihn, den Kläger, kein Verschulden, denn er habe die Angebote der Firma K. eingehend geprüft. Auch habe er sich Freistellungsbescheinigungen der Finanzbehörden vorlegen lassen (vgl. Bl. 100 der Verwaltungsakte). Zu berücksichtigen sei auch, dass Herr L. die Firma M. schon seit langen Jahren kenne. Es stelle sich die Frage, ob die damalige Geschäftsführerin der GmbH, Frau N., hier persönlich hafte.

5

Nach weiterem Schriftverkehr zwischen den Beteiligten aus dem März 2004 setzte die Beklagte gegenüber dem Kläger mit Bescheid vom 22.10.2004 ausgehend von einer beitragspflichtigen Lohnsumme von 41.283,00 EUR einen Beitrag von 3.405,98 EUR fest (Bl. 111 ff. der Verwaltungsakte).

6

Hiergegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 17.11.2004 Widerspruch (Bl. 117 ff. der Verwaltungsakte). Zur Begründung führte er u.a. aus, durch die gesetzliche Regelung des § 150 Abs. 3 Satz 2 SGB VII i.V.m. § 28e Abs. 3a SGB IV sei er einem unkalkulierbaren Haftungsrisiko ausgesetzt. Die geforderte Ermittlungstätigkeit gegenüber Subunternehmern sei ihm nicht zuzumuten. Außerdem sei eine persönliche Haftung der Geschäftsführerin der Firma H. vorrangig gegenüber einer Haftung des Klägers.

7

Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 09.12.2004 zurückgewiesen (Bl. 123 ff. der Verwaltungsakte). Die Beklagte verwies zur Begründung auf die Vorschriften der §§ 150 Abs. 3 SGB VII, 28e Abs. 3a SGB IV und erklärte, die Entlastungsmöglichkeit des § 28e Abs. 3b SGB IV sei hier nicht anwendbar. Eine persönliche Inanspruchnahme der Geschäftsführerin der H. sei nicht möglich, weil Beitragsschuldner die juristische Per-son des Unternehmens selbst sei.

8

Am 12.01.2005 hat der Kläger Klage erhoben.

9

Zur Begründung führt er an, er habe das ihm Mögliche zur Überprüfung seines Subunternehmers getan. Es sei jedoch unbillig, den Kläger durch eine Beweislastumkehr dazu zu zwingen, eigene Ermittlungen anzustellen, um herauszufinden, inwieweit der Nachunternehmer seinen Verpflichtungen nachkommt. Diese setzte ihn, den Kläger, einem unkalkulierbaren Haftungsrisiko aus, wovor er geschützt werden müsse. Er habe zuvor mit dem insolventen Subunternehmer immer störungsfrei zusammengearbeitet habe. Auch habe er eine Freistellungsbescheinigung des Finanzamts O. eingeholt. Er habe deshalb davon ausgehen können, dass die Firma H. ihre Zahlungspflichten erfüllte. Gegenteilige Hinweise hätten nicht vorgelegen.

10

Die Bagatellgrenze von 500.000,00 EUR sei bei allen haftungsrelevanten Bauwerken nicht überschritten worden. Das Schreiben des Landkreises O. vom 29.01.2009 sei hinsichtlich der Bagatellgrenze für den P. nicht aussagekräftig, weil der Landkreis von pauschalierten Werten für seine Gebührenrechnung ausgehe.

11

Die Bauvorhaben in der Q. und R. in O. seien separat und zeitlich versetzt betrieben worden. Beide Objekte hätten Kosten weit unterhalb der Bagatellgrenze verursacht. Für die Sanierung des Fachwerkhauses in der Q. seien im Jahr 2001 424.027,44 EUR aufgewendet worden. In den Jahren 2002 bis 2005 sei dann das Gebäude in der S. mit Gesamtkosten von 270.040,00 EUR errichtet worden. Ein Zusammenhang zwischen beiden Bauvorhaben bestehe bereits deshalb nicht, weil zwischen beiden Bauvorhaben ein zeitlicher Abstand von 6 Monaten bestanden hätte. Beide Gebäude seien völlig voneinander getrennt, was ebenfalls dafür spreche, dass es um zwei unterschiedliche Bauwerke gehe. Soweit die Beklagte auf den Anschluss der Heizkörper an den neuen Heizkessel im Wohn- und Geschäftshaus verweist, unterschlage sie, dass es sich hierbei um eine Fernheizung handele, an die auch weitere Gebäude angeschlossen sind bzw. angeschlossen werden könnten. Der Umstand, dass für beide Bauvorhaben ein gemeinsamer Bauantrag gestellt wurde, sei genauso unerheblich wie der Umstand, dass für beide Baumaßnahmen gemeinsame Parkplätze geschaffen wurden. Zwischen beiden Gebäuden bestehe eine bauliche Lücke und eine funktionale Trennung. Die vom LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 15.06.2009, Az.: L 1 U 4301/08) aufgestellten Kriterien seien hier deshalb nicht einschlägig.

12

Auf den Hinweis des Gerichts auf die Entscheidung des BSG vom 20.07.2010 (Az.: B 2 U 7/10 R) trägt der Kläger vor, der Umstand, dass er hier selbst Bauherr und Besitzer der Bauvorhaben war, spreche für sich gesehen nicht dafür, dass es sich schon deshalb um ein einziges Bauvorhaben handeln müsse. Überdies sei die Vergabe der verschiedenen Aufträge an die Firma H. aufgrund der langjährigen und störungsfreien Zusammenarbeit nicht schriftlich erfolgt. Die mündlichen Vereinbarungen seien grundsätzlich zeitnah zum Ausführungstermin getroffen worden. Entscheidendes Kriterium sei aber nicht der Bauantrag, sondern die Auftragsvergabe.

13

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 22.10.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.12.2004 aufzuheben.

14

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen, soweit der Kläger aus dem Bescheid vom 22.12.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.12.2004 über einen Betrag von 1.299,53 EUR hinaus zur Beitragshaftung herangezogen wurde.

15

Sie verweist auf ihre Ausführungen im Verwaltungsverfahren und trägt ergänzend vor, eine persönliche Haftung der Geschäftsführerin über die §§ 823 Abs. 2 BGB, 28 SGB IV scheide schon deshalb aus, weil in der gesetzlichen Unfallversicherung nur der Unternehmer beitragspflichtig ist und deshalb keine Arbeitnehmeranteile existieren.

16

Eine Exkulpation des Klägers komme nicht in Betracht. Aus den Auszügen des Beitragskontos der Firma M. ergäben sich bereits aus den Jahren 2000 bis 2003 Zahlungsprobleme. Die Beiträge hätten regelmäßig über Zwangsvollstreckungsmaßnahmen beigetrieben werden müssen. Auch habe der Kläger keinen Nachweis dafür erbracht, dass er ohne Verschulden davon ausgehen konnte, dass die Firma M. ihre Zahlungspflicht erfüllt hatte.

17

Im Hinblick auf die Entscheidungen des BSG vom 27.05.2008 (Az.: B 2 U 11/07 R und B 2 U 21/07 R) und 20.07.2010 (Az.: B 2 U 7/10 R) führt sie aus, es sei hier davon auszugehen, dass die Wertgrenze von 500.000,00 EUR überschritten sei. Anderenfalls habe dies der Kläger nachzuweisen. Für das Bauvorhaben P. in T. sei der Nachweis der Überschreitung der Bagatellgrenze bereits durch ein Schreiben des Landkreises O. vom 29.01.2009 erbracht (Bl. 141 f. der Gerichtsakte).

18

Hinsichtlich der Bauvorhaben in der U. sei von einem Bauobjekt auszugehen, weil hierfür auch nur ein Bauantrag für eine Baumaßnahme gestellt wurde. Bei Baukosten für das Vorderhaus von etwa 500.000,00 DM und 563.000,00 DM für das Hinterhaus zzgl. 25.000,00 DM für Abrissarbeiten und Kosten der Erstellung der Parkplätze sei von einem Überschreiten der Bagatellgrenze von 500.000,00 EUR auszugehen. Auch aus der Baubeschreibung, wonach die Heizkörper des Hinterhauses an den Heizkessel im Wohn- und Geschäfts- (Vorder-)haus angeschlossen wurden, sowie den für beide Objekte erstellten Parkplätzen werden deutlich, dass es sich um eine Gesamtmaßnahme handelte. Die Beklagte verweist in diesem Zusammenhang auf eine Entscheidung des LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 15.06.2009, Az.: L 1 U 4301/08). Auch wenn die Bauarbeiten für beide Gebäude erst nach und nach ausgeführt wurden, so seien doch - ausweislich der Rechnungen der Firma K. GmbH - die Arbeiten am Neubau bereits Ende 2002 soweit beendet worden, dass bereits die abschließenden Dach- und Fassadenarbeiten erledigt gewesen seien. Wenn das Vorderhaus bis 2001 umgebaut wurde und der Neubau bereits 2002 für abschließende Arbeiten hergestellt war, ergäbe sich hieraus ein enger zeitlicher Zusammenhang, weshalb auch aus diesem Grund von einer Baumaßnahme ausgegangen werden könne.

19

Soweit die Auftragsvergabe an die Firma H. nur mündlich erfolgte, sei als einzige schriftliche Unterlage der Bauantrag, welcher am 27.04.2001 bei der Stadt O. einging, als Grundlage für die Beurteilung heranzuziehen.

20

Das Gericht hat mit Verfügung vom 17.05.2011 die Bauakte der Stadt O. über das Bau-vorhaben U. in O. beigezogen (2 Bände). Die Beteiligten haben von der Gelegenheit Gebrauch gemacht, Einsicht in diese Verwaltungsakte zu nehmen.

21

Wegen der weiteren Einzelheiten und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und das dortige Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 12.08.2011 (2 Bände) sowie der Verwaltungsakte der Beklagten (1 Band) Bezug genommen. Sie haben vorgelegen und sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

Entscheidungsgründe

22

Die Klage ist als isolierte Anfechtungsklage nach § 54 Abs. 1 Satz 1 SGG zulässig und im tenorierten Umfang begründet. Im Übrigen ist sie unbegründet.

23

Der Bescheid vom 22.10.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.12.2004 ist rechtswidrig, soweit der Kläger über einen Betrag von 545,29 EUR hinaus zur Beitragshaftung herangezogen wurde und verletzt den Kläger insoweit in eigenen Rechten. Im Übrigen ist der Bescheid rechtmäßig.

24

Rechtsgrundlage des angegriffenen Bescheids ist § 150 Abs. 3 Alt. 2 SGB VII (in der ab dem 01.08.2002 gültigen Fassung) der 28e Abs. 3a SGB IV für die Beitragshaftung bei der Ausführung eines Dienst- oder Werkvertrags im Baugewerbe für entsprechend anwendbar erklärt. Zutreffend hat hier die Beklagte nach § 168 Abs. 1 SGB VII die Handlungsform des Verwaltungsakts gewählt (dazu BSG, Urteile vom 27.05.2008, Az.: B 2 U 11/07 R und B 2 U 21/07 R).

25

Nach § 28e Abs. 3a SGB IV haftet ein Unternehmer des Baugewerbes, der einen anderen Unternehmer mit der Erbringung von Bauleistungen im Sinne des § 175 Abs. 2 SGB III beauftragt, für die Erfüllung der Zahlungsverpflichtung dieses Unternehmers wie ein selbstschuldnerischer Bürge. Von der Haftung sind nach § 28e Abs. 4 SGB IV auch Beitragsansprüche erfasst.

26

Da der Kläger als Unternehmer des Baugewerbes - unstreitig - die Firma H. mit der Erbringung von Bauleistungen beauftragte und die Firma H. - wiederum unstreitig - gegenüber der Beklagten ihre Zahlungsverpflichtungen nicht erfüllt hatte, war hier der Haftungstatbestand zu Lasten des Klägers dem Grunde nach erfüllt. Die Vorschriften der §§ 150 SGB VII, 28e SGB IV sind auch auf die hiesige Konstellation übertragbar, in welcher ein Bauherr zunächst keinen Generalunternehmer beauftragt, der seinerseits Nachunternehmer beauftragt, sondern der Bauherr selbst als Bauunternehmen auftritt. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der vorgenannten Vorschriften.

27

Auf den Haftungsanspruch der Beklagten gegenüber dem Kläger findet aber nicht nur der § 28e Abs. 3a, sondern finden auch die Absätze 3b bis 3f des § 28e SGB IV Anwendung. Das BSG erkannte hier für die frühere (hier maßgebliche) Fassung des § 150 Abs. 3 Alt. 2 SGB VII eine Gesetzeslücke in Form eines Redaktionsversehens des Gesetzgebers, welche es im Wege der gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung durch Erweiterung der Verweisung des § 150 Abs. 3 Alt. 2 SGB VII schloss (BSG, Urteile vom 27.05.2008, Az.: B 2 U 11/07 R und B 2 U 21/07 R). Die Absätze 3b bis 3f des § 28e SGB IV sind darüber hinaus nach § 116a SGB IV in der am 30.09.2009 geltenden Fassung anzuwenden, weil die Firma H. vom Kläger vor dem 01.10.2009 mit der Erbringung von Bauleistungen beauftragt worden war. Streitig ist hier der Zeitraum ab dem 01.08.2002.

28

a)

Nach § 28e Abs. 3b SGB IV (a.F.) entfällt die Haftung, wenn der Unternehmer nachweist, dass er ohne eigenes Verschulden davon ausgehen konnte, dass der Nachunternehmer seine Zahlungsverpflichtung erfüllt.

29

Eine solche Exkulpation war dem Kläger nach Auffassung der Kammer hier verwehrt.

30

Nach der Gesetzesbegründung muss sich der Nachweis fehlenden Verschuldens darauf erstrecken, dass der Unternehmer bei der Auswahl des Nachunternehmers die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns angewandt hat, er also eine kalkulatorische, kaufmännische Prüfung vorgenommen hat (BT-Drs. 14/8221, zitiert nach: Kreikebohm in: Kommentar zum SGB IV, § 28e Rn. 10). Der Unternehmer muss bei dem Angebot gewissenhaft nachvollziehen, ob die angebotene Leistung die Lohnkosten mit den Sozialversicherungsbeiträgen zutreffend einkalkuliert hat. Der Nachweis ist vom (Haupt-) Unternehmer zu erbringen und nicht vom Sozialversicherungsträger (Werner in: jurisPK-SGB IV, 2. Aufl. 2011, § 28e SGB IV, Rn. 96).

31

Der Kläger hat in diesem Zusammenhang vorgetragen, dass er eine Freistellungsbescheinigung des Finanzamts O. eingeholt habe und deshalb davon habe ausgehen können, dass die Firma H. ihre Zahlungspflichten erfüllte. Er habe langjährig mit der Firma gut zusammengearbeitet, Hinweise auf etwaige Beitragsschulden hätten nicht vorgelegen.

32

Dieses Vorbringen bzw. die getätigten Bemühungen des Klägers hält die Kammer indes für unzureichend. Dabei kann es dahinstehen, ob der Kläger in den Jahren 2001/2002 verpflichtet gewesen wäre, bei der Beklagten eine sog. Unbedenklichkeitsbescheinigung über die Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen für die beschäftigten Mitarbeiter einzuholen, zumal zwischen den Beteiligten Einigkeit darüber besteht, dass Inhalt und Aussagekraft von Unbedenklichkeitsbescheinigungen, wie sie damals ausgestellt worden wären, von heutigen abweichen (vgl. zu dieser Verpflichtung: LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 15.06.2009, Az.: L 1 U 4301/08).

33

Für die Kammer ist vielmehr von maßgeblicher Bedeutung, dass der Kläger nach eigenen und von den Zeugen V. und W. bestätigten Angaben mit der Firma H. keine schriftlichen Verträge abgeschlossen hatte, weshalb er bereits aus diesem Grund nicht prüfen konnte, ob und inwieweit diese bei ihrer Kalkulation z.B. Löhne und daraus abzuführende Sozialversicherungsbeiträge der Mitarbeiter in die Berechnung eingestellt hatte oder welche sonstigen Faktoren den im Ergebnis mündlich ausgehandelten Preis bestimmt haben. Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang darauf hinweist, dass er eine Freistellungsbescheinigung des Finanzamts O. eingeholt hat, so führt auch dies zu keiner abweichenden Beurteilung der Sach- und Rechtslage, weil dieser Bescheinigung keine Angaben über die Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen zu entnehmen sind.

34

b)

Eine Einschränkung einer dem Grunde nach bejahten Haftung ergibt sich aus § 28e Abs. 3d SGB IV (hier: a.F.). Danach gilt die Haftung nach Abs. 3a erst ab einem geschätzten Gesamtwert aller für ein Bauwerk in Auftrag gegebenen Bauleistungen von 500.000,00 EUR.

35

Dabei kommt es nach dem Wortlaut der Regelung nicht auf den Wert des für den konkreten Haftungsanspruch in Rede stehenden Auftrags, sondern auf den Gesamtwert aller für das Bauwerk in Auftrag gegebenen Bauleistungen an, ohne dass es eine Rolle spielt, wer diese Aufträge erteilt hat (so BSG, Urteile vom 27.05.2008, Az.: B 2 U 11/07 R und B 2 U 21/07 R).

36

Nachdem zwischen den Beteiligten zunächst noch streitig war, ob auch weitere Bauvorhaben des Klägers, an welchen die Firma H. mitwirkte, in die Betrachtung mit einzubeziehen sind, reduzierte die Beklagte ihre Forderung während des Klageverfahrens auf Beiträge aus 4 Rechnungen für die Bauvorhaben P. in T. und U. in O. in Höhe von insgesamt 1.299,53 EUR. Dabei entfallen 545,29 EUR auf das Bauvorhaben P. und 754,24 EUR auf die Bauvorhaben U. (vgl. Bl. 407 f. der Verwaltungsakte). Der Kläger hält die Berechnungen der Beklagten dem Grunde nach für zutreffend.

37

Die Kammer sieht die genannte Bagatellgrenze für das Bauvorhaben des X. in T. überschritten (aa)), verneint dies hingegen für die Bauvorhaben U. in O. (bb)).

38

aa)

Hinsichtlich des Y. ergibt sich dies für die Kammer aus dem Schreiben des Landkreises O. vom 29.01.2009 (Bl. 141 f. der Gerichtsakte). Dieser ermittelte für die Festsetzung der Baugebühren Rohbau- und Herstellungswerte des genannten Bauvorhabens in Höhe von insgesamt 652.850,57 EUR. Der Kläger, der als Bauherr hierzu die Möglichkeit gehabt hätte, ist diesen (pauschalierten) Werten des Landkreises nicht entgegengetreten. Auch hat er keinen Widerspruch gegen den Gebührenbescheid des Landkreises O. erhoben. Die von dem Kläger ursprünglich vertretene Auffassung, bei der Ansetzung der Bagatellgrenze könne nur der Wert des Bauwerks angesetzt werden, welcher nach dem 01.08.2002 erstellt wurde, findet in § 28e Abs. 3d SGB IV keinen Rückhalt. Eine zeitliche Einschränkung bei der Bewertung eines geschätzten Gesamtwerts von Bauleistungen ist dort nicht genannt. Überdies hat auch der Kläger später selbst ausgeführt, dass die Gesamtkosten der Baumaßnahme bei über 3.000.000,00 EUR gelegen hätten.

39

Der Kläger hat danach für die nicht entrichteten Beiträge der Firma H. aus der Rechnung Nummer 220157 (ohne die Positionen 1-4) in Höhe von 545,29 EUR zu haften.

40

bb)

Für die Bauvorhaben in der U. in O. beurteilt die Kammer die Sachlage abweichend.

41

Das Bauvorhaben in der Z., welches Sanierungsarbeiten des Vorder-Fachwerkhauses betraf, lag bei einem Gesamtwert aller erbrachten Bauleistungen von ca. 500.000 DM. Das Bauvorhaben in der S. (Neubau eines Hinterhauses) lag bei einem Gesamtwert von ca. 563.000,00 DM. Hinzu kamen weitere ca. 25.000,00 DM für erforderliche Abrissarbeiten und Kosten für die Erstellung von Parkplätzen. Die Kammer bezieht sich insoweit auf die Ermittlungen des Betriebsprüfers Eigenbau der Beklagten (Bl. 176 f. der Gerichtsakte), zumal diese auch den Angaben des Klägers im Verfahren zur Erteilung einer Baugenehmigung entsprechen (Bd. II, 7. Abschnitt der Bauakte der Stadt AA.).

42

Maßgeblich für die Frage, ob hier der Bagatellwert von 500.000,00 EUR nach § 28e Abs. 3d SGB IV überschritten wurde, war daher die Frage, ob die Bauvorhaben in der Z. und S. als "ein (Gesamt-) Bauwerk" im Sinne dieser Vorschrift angesehen werden können oder beide Bauvorhaben getrennt zu beurteilen sind.

43

Im Ergebnis kommt die Kammer hier zu der Auffassung, dass beide Bauvorhaben separat betrachtet werden müssen und damit zwei Bauwerke im Sinne des § 28e Abs. 3d SGB IV errichtet wurden, für welche jeweils die Bagatellgrenze unterschritten wurde und eine Haftung für nicht gezahlte Sozialversicherungsbeiträge mithin ausscheidet.

44

Die Frage, wann Bauvorhaben als ein Bauwerk im Sinne des § 28e Abs. 3d SGB IV anzusehen sind, ist in der Rechtsprechung umstritten. Während das LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 15.06.2009, Az.: L 1 U 4301/08) auf einen funktionalen Zusammenhang zwischen den Bauwerken abstellte, um zu differenzieren, ob es um "ein" oder um mehrere einzelne Bauwerke geht, stellt das BSG (Urteil vom 20.07.2010, Az.: B 2 U 7/10 R) auf die Vertragsbeziehungen zwischen dem Bauherrn und dem Generalunternehmer ab. Das BSG führte aus:

"[ ] Nach dem gesetzlichen Konzept ist also auf die zugrunde liegenden Rechtsbeziehungen abzustellen und nicht auf die tatsächlichen Abläufe und funktionellen Gesichtspunkte des oder der Bauwerke. Für die Frage, für welches vom Hauptunternehmer in Ausführung eines Dienst- oder (hier) Werkvertrages mit dem Bauherrn (Bauträger) zu erstellende Bauwerk Bauleistungen von Nachunternehmern erbracht wurden, kommt es auf den Inhalt des Werk- oder Dienstvertrages zwischen dem Bauherrn und dem Hauptunternehmer an. Was dieser dem Bauherrn nach dem jeweiligen Vertrag bauen muss, ist das Bauwerk, zu dessen Fertigstellung er die Nachunternehmen heranzieht. Nicht entscheidend ist grundsätzlich, ob der Hauptunternehmer nach dem Vertrag z.B. die Errichtung eines Hauses oder mehrerer Häuser schuldet. [ ]"

45

Der Kläger hat sich auf diese Entscheidung gestützt und ausgeführt, dass mit der Firma H. keine schriftliche Auftragsvergabe stattgefunden hat, sondern die Aufträge immer mündlich vergeben wurden. Diese Ausführungen wurden sowohl von dem Zeugen V. als auch von der Zeugin W. bestätigt. Danach hat der Kläger mit dem Vater der Zeugin W. alle erforderlichen Vereinbarungen mündlich, z.T. fernmündlich getroffen. Ob dabei - wie der Kläger ausführt - tatsächlich immer über zwei getrennte Bauwerke/Aufträge gesprochen wurde, kann hier im Ergebnis dahinstehen, weil die Kammer die genannte Entscheidung des BSG auf die hiesige Konstellation nicht für übertragbar hält.

46

Das BSG hatte in seiner Entscheidung über eine Sachlage zu entscheiden, bei welcher der Bauherr Aufträge an einen (General-) Unternehmer vergab, der seinerseits Nachunternehmer beauftragte. Im hiesigen Verfahren besteht jedoch kein 3- sondern lediglich ein 2- Parteienverhältnis, weil der Kläger selbst als Bauherr und Bauunternehmer auftrat. In einer solchen Konstellation kann aber nicht auf die Vertragsbeziehung zwischen dem Bauherrn und dem Generalunternehmer abgestellt werden, weil bei Personenidentität kein Vertragsverhältnis existiert. Vielmehr ist dann zur Beurteilung, ob hier "ein Bauwerk" im Sinne des § 28e SGB IV errichtet wurde, auf die objektiven Umstände der Bauvorhaben abzustellen. Die Kammer lehnt sich insoweit an die Entscheidung des LSG Baden-Württemberg (a.a.O.) an, welches sich seinerseits auf § 3 der Vergabeverordnung (VgV) bezog und seine Argumentation mit dem der VgV entsprechenden Ziel der Abwehr missbräuchlicher Vertragsgestaltungen und Unterbindung von Umgehungsgeschäften begründete. Die Aufteilung des Gesamtwerts in Teilaufträge oder Schätzungen, um den Auftragswert zu unterlaufen, ist danach nicht zulässig (§ 3 Abs. 2 VgV).

47

Nach diesen Maßgaben ist die Kammer - unter Berücksichtigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme durch Vernehmung des Zeugen V. - der Auffassung, dass die Bauvorhaben Q. und AB. jeweils getrennt zu beurteilen sind. Eine Haftung scheidet insoweit mangels Überschreitung der Bagatellgrenze aus. Der Kläger führte in den Jahren 2001 sowie 2002 bis 2005 zwei Baumaßnahmen durch, welche sich nach Art und Charakter deutlich voneinander unterschieden. Während es sich bei dem Vorderhaus (Z.) um ein altes Fachwerkhaus handelt, bei welchem (lediglich) Sanierungsarbeiten erforderlich wa-ren, wurden im hinteren Bereich des Grundstücks zunächst kleinere Gebäude abgerissen und sodann ein Bürohaus errichtet. Dieses Gebäude unterscheidet sich bereits optisch sehr deutlich vom Fachwerkhaus und bildet mit letzterem weder architektonisch noch funktional eine bauliche Einheit. Beide Gebäude können zudem unabhängig voneinander genutzt werden; auch ist denkbar, beide Gebäude getrennt voneinander zu verkaufen. Unterstützung findet die Kammer in ihrer Auffassung auch in der genannten Entscheidung des LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 15.06.2009, Az.: L 1 U 4301/08). Das LSG hatte mehrere miteinander verbundene Reihenhäuser als ein Bauwerk interpretiert, nebenstehende funktionell getrennte und mit den Reihenhäusern lediglich über Garagen verbundene Doppelhäuser jedoch nicht mehr als hierzu zugehörige Einheit angesehen. Ähnlich liegt der Fall aus den genannten Gründen hier.

48

Die Kammer verschließt sich dabei nicht dem Umstand, dass hier weitere Gesichtspunkte für die Beurteilung beider Bauvorhaben als ein Bauwerk im Sinne des § 28e Abs. 3d SGB IV sprachen. Dazu gehören etwa die Umstände, dass für beide Bauvorhaben ein Bauantrag vom 27.04.2001 gestellt und für beide eine gemeinsame Baugenehmigung vom 12.07.2001 erteilt wurden. Auch befinden sich beide Gebäude auf einem Grundstück (Flurstück) und sind über eine gemeinsame Heizung miteinander verbunden. Aus den erläuterten Gründen kam die Kammer indes im Ergebnis zu einer hiervon abweichenden Auffassung.

49

Eine Haftung des Klägers für die seitens der Firma H. nicht entrichteten Beiträge auf die Rechnungen 220224, 220146 und 202002 für die Bauvorhaben U. kommt danach nicht in Betracht.

50

Aus der (teilweisen) Rechtswidrigkeit des streitgegenständlichen Bescheids ergibt sich insoweit auch die Verletzung des Klägers in eigenen Rechten, § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG.

51

Nach alledem war der Klage wie tenoriert zu entsprechen. Im Übrigen war sie abzuweisen.

52

Der Kläger hat - der gesetzlichen Regelung des § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG mangels aufschiebender Wirkung seines Widerspruchs vom 17.11.2004 entsprechend - die von der Beklagten ursprünglich geforderten 3.405,98 EUR bereits gezahlt. Nach Maßgabe der §§ 26, 27 SGB IV hat er deshalb gegen die Beklagte einen Anspruch auf Rückerstattung zu Un-recht gezahlter Beiträge, was die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vom 12.08.2011 ausdrücklich einräumte. Dieser Anspruch ergibt sich aus dem Gesetz selbst, weshalb die Kammer hierüber keinen Ausspruch zu treffen hatte und der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 12.08.2011 seinen Antrag (lediglich) auf Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheids beschränken konnte.

53

Die Kostenentscheidung ergeht nach § 197a SGG i.V.m. § 155 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Wenn ein Beteiligter teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten danach verhältnismäßig zu teilen. Von den ursprünglich streitgegenständlichen 3.405,98 EUR unterlag die Beklagte im Umfang von 2.860,69 EUR (ca. 84%) und obsiegte in Höhe von 545,29 EUR (ca. 16%).

54

Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus den §§ 197a Abs. 1 SGG, 63 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG). Betrifft die Klage eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgeblich (§ 52 Abs. 3 GKG). Aus dem Bescheid vom 22.10.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.12.2004 forderte die Beklagte vom Kläger ursprünglich einen Gesamtbeitrag von 3.405,98 EUR.