Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 08.09.2004, Az.: 2 K 55/03
Voraussetzungen der Berechtigung Kindergeld in Anspruch nehmen zu können; Berechtigung einer Ausländerin Kindergeld in Anspruch zu nehmen; Geltungsdauer von Aufenthaltsgenehmigungen; Fiktion des Bestehens der Ausländergenehmigung
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 08.09.2004
- Aktenzeichen
- 2 K 55/03
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2004, 20679
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2004:0908.2K55.03.0A
Rechtsgrundlagen
- § 62 Abs. 1 EStG
- § 69 Abs. 3 AuslG
- § 15 AuslG
- § 63 EStG
Fundstelle
- EFG 2005, 307-308 (Volltext mit red. LS)
Verfahrensgegenstand
Kindergeld für den Zeitraum bis zur Wiedererteilung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis
Kindergeld ab August 2002/Einkommensteuer
Redaktioneller Leitsatz
Die erteilte Aufenthaltsgenehmigung als Aufenthaltserlaubnis eines Ausländers gilt auch für die Zeit nach Ablauf der bisher gültigen Erlaubnis bis zur Wiedererteilung der Erlaubnis nach Antrag auf Verlängerung fort, weshalb dem Ausländer auch für diese Zeit Kindergeld zusteht. Die fingierte Erlaubnis wird damit kindergeldrechtlich der bestehenden Erlaubnis gleichgestellt, auf eine Rückwirkung der neuen Erlaubnis kommt es nicht an.
Tatbestand
Streitig ist, ob der Beklagte für die Zeit vom August 2002 bis zum Januar 2003 die Kindergeldfestsetzung aufheben durfte, weil in dieser Zeit die Aufenthaltserlaubnis der Klägerin abgelaufen und die Verlängerung beantragt aber noch nicht erteilt war.
Die Klägerin ist Sozialhilfeempfängerin und jugoslawische Staatsangehörige (Kosovo-Albanerin). Sie hält sich seit dem Jahre 1999 in Deutschland auf. Sie ist die Mutter zweier, bei ihr lebender minderjähriger Kinder. Die Klägerin ist seit 2001 mit dem Vater der Kinder verheiratet. Der Kindesvater hat seit dem Mai 1999 eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Die Klägerin erhielt im Juli 2001 eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis nach § 15 Ausländergesetz (AuslG). Diese Erlaubnis war bis zum 16. Juli 2002 gültig.
Nach Ablauf der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis beantragte die Klägerin deren Verlängerung. Die Ausländerbehörde bescheinigte ihr am 22. Juli 2002 diese Antragstellung und gab ihr eine sog. Fiktionsbescheinigung, nach der ihr Aufenthalt nach § 69 Abs. 3 AuslG als erlaubt galt. Wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 18 der Kindergeldakte verwiesen.
Die Klägerin beantragte Kindergeld. Der Beklagte setzte mit Bescheid vom 17. April 2002 ab März 2002 Kindergeld fest.
Am 13. September 2002 machte die Gemeinde X gegenüber dem Beklagten einen Erstattungsanspruch wegen der von ihr geleisteten Sozialleistungen geltend.
Der Beklagte forderte darauf hin die Klägerin auf, die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nachzuweisen. Nachdem die Klägerin dieser Aufforderung nicht nachgekommen war, hob der Beklagte die Kindergeldfestsetzung mit Bescheid vom 26. November 2002 rückwirkend ab August 2002 auf und gab den Bescheid der Klägerin bekannt.
Hiergegen erhob die Gemeinde X in Vertretung der Klägerin Einspruch. Der Beklagte wies den Einspruch mit Einspruchsbescheid vom 7. Januar 2003 als unbegründet zurück.
Hiergegen richtet sich die Klage. Die Klägerin ist der Auffassung, ihr stehe Kindergeld auch für den Zeitraum August 2002 bis Januar 2003 zu. In dieser Zeit sei sie zwar nicht im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis gewesen. Sie habe aber eine solche bereits im Juli 2002 beantragt gehabt und sich seitdem nach § 69 Abs. 3 AuslG berechtigt im Inland aufgehalten.
Die Klägerin erhielt im Februar 2003 die Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis. Der Beklagte setzte darauf hin während des Klageverfahrens Kindergeld wieder ab Februar 2003 fest. Die Beteiligten erklärten insoweit wegen Kindergeld ab Februar 2003 den Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt.
Die Klägerin beantragt,
wie erkannt zu entscheiden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hält an seiner Auffassung fest, Kindergeld stehe der Klägerin für den Zeitraum August 2002 bis Januar 2003 nicht zu. Die Klägerin sei in diesem Zeitraum nicht im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis gewesen. Aus welchen Gründen dies der Fall gewesen sei, sei unerheblich. Ein als erlaubt geltender Aufenthalt im Inland nach § 69 Abs. 3 AuslG erfülle nicht die Voraussetzungen für eine Kindergeldgewährung. Die nachträgliche Erteilung der Aufenthaltsgenehmigung entfalte keine Wirkung auf das Kindergeldrecht, auch wenn ausländerrechtlich eine Rückwirkung eintrete.
Die Beteiligten haben übereinstimmend auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet. Der Beklagte hat zu Unrecht die Kindergeldfestsetzung ab August 2002 aufgehoben.
Der Klägerin steht auch für den Zeitraum August 2002 bis Januar 2003 Kindergeld zu. Die Klägerin ist als Mutter zweier zu berücksichtigender Kinder grundsätzlich nach § 62 Abs. 1 EStG i.V.m. § 63 EStG kindergeldanspruchsberechtigt. Dieser Anspruchsberechtigung steht nicht entgegen, dass die Klägerin Ausländerin ist.
Nach § 62 Abs. 2 Satz 1 EStG hat ein Ausländer zwar nur Anspruch auf Kindergeld, wenn er im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis ist. Diese Voraussetzung ist im Streitfall erfüllt, weil die Klägerin schon in der Zeit vor August 2002 eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis hatte, sich im Zeitraum August 2002 bis Januar 2003 nach § 69 Abs. 3 AuslG erlaubt im Inland aufhielt und ab Februar 2003 wieder über eine Aufenthaltserlaubnis verfügte.
Die erteilte Aufenthaltsgenehmigung als Aufenthaltserlaubnis eines Ausländers gilt auch für die Zeit nach Ablauf der bisher gültigen Erlaubnis bis zur Wiedererteilung der Erlaubnis nach Antrag auf Verlängerung fort, weshalb dem Ausländer auch für diese Zeit Kindergeld zusteht (Urteile des Finanzgerichts Münster vom 15. März 2002 11 K 4607/01 Kg, EFG 2002, 927 und vom 5. Dezember 2003 11 K 4407/02 Kg, juris).
Entgegen der Ansicht des Beklagten kommt es im Streitfall auf die Frage einer Rückwirkung nicht an. Der Aufenthalt der Klägerin im Inland war nämlich gerade nicht rückwirkend genehmigt worden, sondern er war bereits seit Juli 2001 erlaubt. Er wurde auch nach Verlängerung der Erlaubnis im Februar 2003 nicht rückwirkend ab August 2002 erlaubt sondern nur mit Wirkung für die Zukunft.
Für die Zeit August 2002 bis Januar 2003 war die Erlaubnis über § 69 Abs. 3 AuslG fingiert. Diese fingierte Erlaubnis ist zumindest kindergeldrechtlich wesensgleich mit der Aufenthaltserlaubnis nach § 15 AuslG und reicht für einen Anspruch auf Kindergeld nach§ 62 Abs. 2 Satz 1 EStG aus. Hierfür spricht bereits der Wortlaut. Denn das Ausländerrecht verwendet in den Fällen des § 15 AuslG und im § 69 Abs. 3 AuslG ebenso wie § 62 Abs. 2 Satz 1 EStG den Begriff der "Erlaubnis". Demgegenüber umfasst der Begriff der Aufenthaltsgenehmigung nach § 5 AuslG u.a. auch die, im Wortlaut des § 62 Abs. 2 Satz 1 EStG nicht genannte, Aufenthaltsbefugnis i.S.d. § 30 AuslG. Auch § 69 AuslG unterscheidet in seinen Absätzen 2 und 3 danach, ob ein Aufenthalt nur als "geduldet" oder als "erlaubt" fingiert wird. Danach bedarf es im Streitfall keiner Entscheidung darüber, ob § 62 Abs. 2 Satz 1 EStG, soweit er eine "Erlaubnis" fordert, überhaupt verfassungsgemäß ist (vgl. dazu BFH-Beschluss vom 13. September 2000 VI B 134/00, BStBl. II 2001, 108). Denn die Klägerin hielt sich im hier entscheidungserheblichen Zeitraum erlaubt im Inland auf.
Soweit die Beteiligten übereinstimmend den Rechtsstreit in der Hauptsache insoweit für erledigt erklärt haben, als der Beklagte ab Februar 2003 wieder Kindergeld festgesetzt hat, kommt dieser Erklärung keine weiter gehende Bedeutung zu, da Streitgegenstand nur die Kindergeldfestsetzung bis einschließlich Januar 2003 war. Denn die Bindungswirkung des ablehnenden (Einspruchs-)Bescheids des Beklagten beschränkt sich nur bis zum Ende des Monats seiner Bekanntgabe (BFH-Urteil vom 25. Juli 2001 VI R 164/98, BStBl. II 2002, 89), mithin bis Ende Januar 2003.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).
Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO), weil die Frage des Kindergeldanspruchs bei fingierter Aufenthaltserlaubnis höchstrichterlicher Klärung bedarf.