Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 02.09.2004, Az.: 5 K 663/00

Umsatzsteuerbefreiung der Umsätze aus Tanzkursen eines gemeinnützigen Vereins; Unterschied zu Tanzkursen gewerblicher Tanzschulen

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
02.09.2004
Aktenzeichen
5 K 663/00
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2004, 36990
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2004:0902.5K663.00.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
BFH - 27.04.2006 - AZ: V R 53/04

Fundstellen

  • DStR 2005, X Heft 2 (Kurzinformation)
  • DStRE 2005, 167-168 (Volltext mit amtl. LS)
  • EFG 2004, 1875-1876 (Volltext mit amtl. LS)
  • ZSt 2005, 147-149

Verfahrensgegenstand

Umsatzsteuer 1995 - 1998

Amtlicher Leitsatz

Tanzkurse gemeinnütziger Vereine sind nicht von der Umsatzsteuer befreit.

Redaktioneller Leitsatz

Umsätze aus durch einen als gemeinnützig anerkannten Verein durchgeführten Tanzkursen sind nicht nach § 4 Nr. 22 Umsatzsteuergesetz (UStG) von der Umsatzsteuer befreit, wenn sie sich nicht wesentlich von Tanzkursen gewerblicher Tanzschulen unterscheiden, da sie dann weder der Erziehung von Kindern und Jugendlichen, noch dem Schul- und Hochschulunterricht oder der Aus- und Fortbildung oder der beruflichen Umschulung dienen.

Tatbestand

1

Der Kläger ist ein Verein, der vom Beklagten als gemeinnützig anerkannt wurde. Streitig ist, ob Umsätze aus den vom Kläger durchgeführten Tanzkursen nach § 4 Nr. 22 Umsatzsteuergesetz (UStG) von der Umsatzsteuer befreit sind.

2

Für die Streitjahre (1995 - 1998) gab der Kläger am 09.08.1999 jeweils eine Umsatzsteuererklärung ab, in der er jeweils steuerpflichtige Umsätze zum Regelsteuersatz und Vorsteuerbeträge erklärte. Bei all diesen Erklärungen ergab sich eine Umsatzsteuer-Zahllast. Umsatzsteuer-Vorauszahlungen für die Streitjahre waren nicht festgesetzt worden.

3

Mit Bescheiden vom 05.01.2000 setzte der Beklagte die Umsatzsteuer jeweils erklärungsgemäß fest. In einer Anlage zu diesen Bescheiden wies er darauf hin, die Bereiche Tanzwerkstatt und Cafeteria seien als steuerpflichtige wirtschaftliche Geschäftsbetriebe behandelt worden.

4

Gegen diese Bescheide legte der Kläger am 28.01.2000 Einspruch ein, der zunächst damit begründet wurde, die Umsätze aus den Bereichen Tanzwerkstatt und Cafeteria seien nach § 4 Nr. 22 UStG von der Umsatzsteuer befreit. Im Laufe des Einspruchsverfahrens machte der Kläger nur noch geltend, diese Steuerbefreiung sei für die Einnahmen aus der Tanzwerkstatt zu gewähren. Der Einspruch wurde als unbegründet abgewiesen, da Tanzkurse nicht in den Anwendungsbereich des § 4 Nr. 22 a UStG fielen.

5

Hiergegen erhob der Kläger die vorliegende Klage, die er zunächst wie folgt begründete: Es beständen erhebliche Unterschiede zwischen den vom Kläger durchgeführten Seminaren und den üblichen Tanzkursen gewerblicher Tanzschulen. Bei dem Kläger hätten sich Dozenten aus den Bereichen Rhythmik, Tanztherapie und Sozialpädagogik zusammengeschlossen, um die Ausdrucksformen Musik und Bewegung künstlerisch und ganzheitlich erfahrbar zu machen. Die Teilnehmer sollten in ihrer ganzen Person verstanden und auf geistiger, körperlicher und emotionaler Ebene angesprochen werden. In den Seminaren des Klägers solle durch Rhythmikübungen ein besonderes Körpergefühl herausgebildet werden. Adressaten dieser Kurse seien nicht das übliche Tanzschulpublikum, sondern unsichere Menschen, die durch ergänzende Beratungen und unterstützende Kursangebote bei ausgeprägten psychischen und physischen Unsicherheiten betreut würden, um die Koordinationsfähigkeiten in der Bewegung sowie das musikalische Hören zu fördern. Der Kläger arbeite nicht leistungs- oder erfolgsorientiert. Kreistänze lösten Paartänze ab, um das Vertrauen in der Gruppe zu stärken und Hemmungen abzubauen.

6

Ergänzend erläuterte die 1. Vorsitzende des Klägers in der mündlichen Verhandlung, der Kläger habe mit den in den Streitjahren durchgeführten Tanzkursen Teilnehmer angesprochen, die nicht an der reinen Vermittlung von Tanztechniken interessiert gewesen seien, sondern durch das Mittel des Tanzes fremde Kulturen kennen lernen wollten. Diese Tänze seien vielfach von Tanzlehrern aus den entsprechenden Herkunftsländern vermittelt worden.

7

Da die Umsätze aus der Tanzwerkstatt steuerfrei seien, schieden sie aus dem Gesamtumsatz im Sinne des § 19 Abs. 3 UStG aus. Mit den verbleibenden Umsätzen aus der Cafeteria überschreite der Kläger nicht die Kleinunternehmergrenze des § 19 Abs. 1 UStG. Deshalb dürfe Umsatzsteuer insgesamt nicht erhoben werden.

8

Der Kläger beantragt,

die Umsatzsteuerfestsetzungen für 1995 - 1998 aufzuheben.

9

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

10

Der Beklagte ist der Ansicht, § 4 Nr. 22 a UStG sei eng auszulegen, da diese Vorschrift Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchstabe i der 6. EG-Richtlinie in nationales Recht umsetze. Steuerbefreiungen nach Art. 13 der 6. EG-Richtlinie seien als Ausnahmen von dem allgemeinen Grundsatz, dass jede Dienstleistung, die ein Steuerpflichtiger gegen Entgelt erbringe, der Umsatzsteuer unterliege, eng auszulegen. Die streitbefangenen Kurse würden sich nicht wesentlich von Tanzkursen gewerblicher Tanzschulen unterscheiden. Der Kläger habe bisher keinerlei Belege für die von ihm behaupteten Unterschiede zu anderen Tanzkursen vorgelegt, sondern lediglich allgemeine Ziele des Klägers vorgetragen, ohne dass ersichtlich sei, in welcher Weise diese Ziele die Kursinhalt konkret beeinflusst hätten. Auch gewerbliche Tanzschulen stellten in ihrer Werbung die positive Wirkung des Tanzens auf die körperliche Kondition, das Selbstvertrauen, das Sozialverhalten usw. heraus.

Entscheidungsgründe

11

Die Klage ist unbegründet.

12

1.

Der Beklagte hat die angefochtenen Steuerbescheide zu Recht im Rahmen seiner Einspruchsentscheidung in vollem Umfang einer materiellen Prüfung unterzogen.

13

a)

Der Einspruch des Klägers gegen die "Steuerbescheide" vom 5. Januar 2000 war zulässig, obwohl diese "Bescheide" die Umsatzsteuer jeweils nur in einer Höhe festsetzten, wie sie bereits durch die Steueranmeldungen des Klägers bestandskräftig festgesetzt war.

14

aa)

Die Steuererklärungen des Klägers vom 09.08.1999 standen gemäß § 168 Abgabenordnung (AO) mit ihrem Eingang beim Beklagten einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleich, da sie weder zu einer Herabsetzung der bisher zu entrichtenden Steuer noch zu einer Steuervergütung führten. Gegen diese Steuerfestsetzungen war gemäß § 355 Abs. 1 Satz 2 AO innerhalb eines Monats nach Eingang der Steueranmeldungen beim Beklagten ein Einspruch zulässig. Die Tatsache, dass in Fällen der ohne Zustimmung einer Behörde als Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung wirkenden Steueranmeldung nach § 168 Satz 1 AO - wie im Streitfall - keine Rechtsbehelfsbelehrung erteilt wird, führt nicht zu einer Verlängerung der Einspruchsfrist. Auf derartige Sachverhalte ist § 356 AO weder unmittelbar noch sinngemäß anwendbar, da derartige Steuerfestsetzungen nicht durch schriftlichen Verwaltungsakt ergehen und der Steuerpflichtige durch die Möglichkeit, eine Änderung der Steuerfestsetzung zu beantragen, solange der Vorbehalt der Nachprüfung wirksam ist (§ 164 Abs. 2 AO), hinreichend geschützt ist (BFH-Beschluss vom 25.06.1998 V B 104/97, BStBl II 1998, 649).

15

Im Hinblick auf diese Steueranmeldungen hat der Kläger innerhalb der Einspruchsfrist keinen Einspruch eingelegt.

16

bb)

Obwohl die Umsatzsteuer durch die angefochtenen "Steuerbescheide" vom 5. Januar 2000 sowohl der Höhe nach als auch in den einzelnen Besteuerungsgrundlagen genau so festgesetzt wurde wie in der jeweiligen Steueranmeldung, handelt es sich bei diesen "Steuerbescheiden" nicht lediglich um wiederholende Verfügungen, sondern um eigenständige Verwaltungsakte, die selbstständig mit dem Einspruch anfechtbar waren. Durch die Anlage zu den o.g. "Steuerbescheiden" hat der Beklagte zum Ausdruck gebracht, dass er nicht lediglich die Steuerfestsetzung wiederholt hat, sondern eine neue, materiell-rechtliche Prüfung der Umsatzsteuer vorgenommen hat, die noch unter Vorbehalt der Nachprüfung stand. Ergibt sich aus den Umständen eines neuen "Bescheides", dass eine neue Prüfung der Sach- und Rechtslage stattgefunden hat, so liegt ein Zweitbescheid vor, der wiederum mit dem Einspruch anfechtbar ist und einen eigenen Verwaltungsakt bildet, nicht lediglich eine wiederholende Verfügung (vgl. FG Düsseldorf vom 15.01.1997 13 K 350/90 AO, EFG 1997, 582; Brockmeyer in Klein, AO, 8. Auflage, § 118 Rn. 15; Tipke in Tipke/Kruse, AO, § 118 Rn. 17).

17

b)

Auf Grund des Einspruchs gegen die Steuerbescheide vom 5. Januar 2000 war die Steuerfestsetzung auch in vollem Umfang zu überprüfen.

18

Zwar können Verwaltungsakte, die unanfechtbare Verwaltungsakte ändern, nach § 351 Abs. 1 AO grundsätzlich nur insoweit angegriffen werden, als dieÄnderung reicht. Dies gilt jedoch nicht, wenn sich aus den Vorschriften über die Aufhebung und Änderung von Verwaltungsakten etwas anderes ergibt.

19

Letzteres ist der Fall bei Steuerbescheiden, die unter Vorbehalt der Nachprüfung stehen. Bei derartigen Steuerbescheiden ergibt sich aus der umfassenden Änderungsmöglichkeit des § 164 Abs. 2 AO etwas anderes als aus dem Grundsatz des § 351 Abs. 1 AO. Bei Steuerbescheiden unter Vorbehalt der Nachprüfung sindÄnderungsbescheide im Hinblick auf § 164 Abs. 2 AO in vollem Umfang zu überprüfen (ebenso Tipke in Tipke/Kruse, § 351 AO Rn. 23; Brockmeyer in Klein, § 351 AO, Rn. 5).

20

Entsprechendes gilt auch im Streitfall, wo die angefochtenen Verwaltungsakte nicht zu einer Änderung, sondern zu einer Bestätigung der bereits erfolgten Steuerfestsetzungen führten.

21

2.

Die Umsatzsteuer für die Streitjahre wurde vom Beklagten zutreffend erklärungsgemäß festgesetzt. Die Umsätze aus der Tanzwerkstatt des Klägers sind nicht steuerfrei, sondern steuerpflichtig.

22

a)

Nach § 4 Nr. 22 a UStG sind von der Umsatzsteuer befreit die Vorträge, Kurse und anderen Veranstaltungen wissenschaftlicher oder belehrender Art, die von juristischen Personen des öffentlichen Rechts, von Verwaltungs- und Wirtschaftsakademien, von Volkshochschulen oder von Einrichtungen, die gemeinnützigen Zwecken oder dem Zweck eines Berufsverbands dienen, durchgeführt werden, wenn die Einnahmen überwiegend zur Deckung der Kosten verwendet werden. Nach diesem weit gefassten Gesetzeswortlaut könnten auch Tanzkurse - unabhängig von der konkreten Art ihrer Ausgestaltung - als "Kurse belehrender Art" unter die Steuerbefreiung fallen, wenn sie von einer Einrichtung durchgeführt werden, die dieübrigen Voraussetzungen des § 4 Nr. 22 a UStG erfüllt.

23

Der Senat ist jedoch der Ansicht, dass § 4 Nr. 22 a UStG einschränkend auszulegen ist. Diese Befreiungsvorschrift beruht auf Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchstabe i der 6. Richtlinie (77/388/EWG) des Rates (= 6. EG-Richtlinie). Nach dieser Vorschrift befreien die Mitgliedstaaten von der Umsatzsteuer die Erziehung von Kindern und Jugendlichen, den Schul- oder Hochschulunterricht, die Ausbildung, die Fortbildung oder die berufliche Umschulung sowie die damit eng verbundenen Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die mit solchen Aufgaben betraut sind, oder andere Einrichtungen mit von dem betreffenden Mitgliedstaat anerkannter vergleichbarer Zielsetzung.

24

Da Steuerbefreiungen Ausnahmen von dem allgemeinen Grundsatz darstellen, dass jede Dienstleistung, die ein Steuerpflichtiger gegen Entgelt entbringt, der Umsatzsteuer unterliegt, sind sie eng auszulegen (ständige Rechtsprechung, vgl. etwa zuletzt Urteil des BFH vom 18.12.2003 V R 62/02, BFH/NV 2004, 452 m.w.N.). Der Senat ist deshalb der Ansicht, dass bei richtlinienkonformer Auslegung im Hinblick auf die Rechtsgrundlage des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchstabe i der 6. EG-Richtlinie nur solche Leistungen unter die Befreiungsvorschrift des § 4 Nr. 22 a UStG fallen, die entweder der Erziehung von Kindern und Jugendlichen dienen oder dem Schul- und Hochschulunterricht oder der Aus- und Fortbildung oder der beruflichen Umschulung (ebenso Weymüller in Sölch/Ringleb, § 4 Nr. 22 UStG Rn. 16) Da Tanzkurse nicht diesen Ausbildungszwecken dienen, kann ihre Einbeziehung in den Anwendungsbereich des § 4 Nr. 22 a UStG nach Auffassung des erkennenden Senats nicht auf Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchstabe i der 6. EG-Richtlinie gestützt werden (im Ergebnis ebenso Schuhmann in Rau/Dürrwächter, § 4 Nr. 22 UStG Rn. 29).

25

b)

Auch sind die Tanzkurse nicht gemäß § 4 Nr. 22 a oder b UStG in Verbindung mit Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchstabe n der 6. EG-Richtlinie von der Umsatzsteuer befreit.

26

Nach § 4 Nr. 22 b UStG sind kulturelle Veranstaltungen steuerfrei, die von den in § 4 Nr. 22 a UStG genannten Unternehmern durchgeführt werden, soweit das Entgelt in Teilnehmergebühren besteht. Gemäß Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchstabe n der 6. EG-Richtlinie befreien die Mitgliedstaaten bestimmte kulturelle Dienstleistungen von der Umsatzsteuer. Weil die von der Klägerin durchgeführten Tanzkurse auch der Vermittlung kultureller Kenntnisse und Erfahrungen dienen, kommen auch diese Vorschriften als Rechtsgrundlage für eine Steuerbefreiung des Klägers in Betracht.

27

Da Steuerbefreiungen jedoch - wie oben zu a) dargelegt - eng auszulegen sind und Tanzkurse in erster Linie der Verbesserung der tänzerischen Fähigkeiten der einzelnen Teilnehmer dienen, sind die von der Klägerin durchgeführten Kurse nach Auffassung des erkennenden Senats bei richtlinienkonformer Auslegung auch im Hinblick auf die Rechtsgrundlage des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchstabe n der 6. EG-Richtlinie weder nach § 4 Nr. 22 a noch nach § 4 Nr. 22 b UStG von der Umsatzsteuer befreit.

28

3.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).

29

4.

Die Revision wurde gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen, da die Frage, welchen Anwendungsbereich die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 22 UStG hat, grundsätzliche Bedeutung hat.