Finanzgericht Niedersachsen
Beschl. v. 08.09.2004, Az.: 3 V 359/04

Voraussetzungen der Aussetzung der Vollziehung eines Erbschaftsteuerbescheides; Möglichkeit der Geltendmachung der Einrede der Unzulänglichkeit des Nachlasses im Festsetzungsverfahren; Zulässigkeit der Ausschlagung einer Erbschaft; Erbschaftsausschlagung bei Minderjährigen; Einwendungsweise Geltendmachung der Beschränkung der Erbenhaftung im Steuerfestsetzungsverfahren und im Zwangsvollstreckungsverfahren; Verwirkung eines Steueranspruches beim Untätigbleiben des Finanzamtes

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
08.09.2004
Aktenzeichen
3 V 359/04
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2004, 22934
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2004:0908.3V359.04.0A

Fundstellen

  • DStR 2005, VIII Heft 5 (amtl. Leitsatz)
  • DStRE 2005, 291-292 (Volltext mit amtl. LS)
  • ZEV 2006, 181 (red. Leitsatz mit Anm.)
  • ZEV 2005, 131-132 (Volltext mit amtl. LS)

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Die Aussetzung der Vollziehung durch die Finanzbehörde soll erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte darstellt.

  2. 2.

    Ergeben sich bei summarischer Prüfung gewichtige Argumente rechtlicher oder tatsächlicher Art, die neben den für die Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandels sprechenden Erwägungen von Bedeutung sind, so bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes.

  3. 3.

    Die Vollziehung eines noch nicht bestandskräftigen Steuerbescheides ist für den Steuerpflichtigen unbillig hart, wenn ihm dadurch wirtschaftliche Nachteile drohen, die über die eigentliche Zahlung hinausgehen und die nicht oder nur sehr schwer wiedergutzumachen wären, oder wenn sogar die wirtschaftliche Existenz gefährdet wäre.

  4. 4.

    Bei Minderjährigen ist die Erbschaft durch den gesetzlichen Vertreter innerhalb der gesetzlichen Frist von sechs Wochen auszuschlagen. Einer vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung bedarf die Ausschlagung nicht.

  5. 5.

    Der Erbe haftet für Nachlassverbindlichkeiten auch dann, wenn er sich über den Wert des Nachlasses geirrt hat.

  6. 7.

    Die Beschränkung der Erbenhaftung ist vom Erben nicht schon im Steuerfestsetzungsverfahren, sondern erst im Zwangsvollstreckungsverfahren geltend zu machen.

  7. 8.

    Berücksichtigt das Finanzamt gesondert festgestellte Besteuerungsgrundlagen erst nach mehreren Jahren bei der Steuerfestsetzung, so ist nicht automatisch Verjährung durch Zeitablauf anzunehmen.

Gründe

1

Die Parteien streiten im Hauptsacheverfahren 3 K 137/04, ob die Antragstellerin als Gesamtrechtsnachfolgerin nach ihrem am 18.12.1992 verstorbenen Vater V für dessen aus einer Erbschaft nach dem am 23.03.1991 verstorbenen A stammenden Erbschaftsteuerschulden zu haften hat.

2

Die Antragstellerin war zum Zeitpunkt des Todes des Vaters erst 13 Jahre alt. Nach dem am 04.10.1999 vom Nachlassgericht erteilten Erbschein waren gesetzliche Erben die Mutter zu 1/2 sowie die Antragstellerin und ihre beiden Geschwister zu je 1/6.

3

Die Antragstellerin trägt vor, ob die Mutter für sie die Erbschaft angetreten habe, könne sie nicht beurteilen.

4

Erstmals mit Erbschaftsteuerbescheid vom 30.07.2004 setzte der Antragsgegner gegen die Antragstellerin Erbschaftsteuer in Höhe von EUR 3.489,57 fest.

5

Da der Antragsgegner Aussetzung der Vollziehung ablehnt, begehrt die Antragstellerin gerichtlichen Rechtsschutz.

6

Der angefochtene Erbschaftsteuerbescheid sei gegen sie als Rechtsnachfolgerin nach ihrem Vater ergangen. Ob er der Höhe nach richtig sei, könne sie nicht beurteilen.

7

Sie wisse aber, dass der Nachlass ihres verstorbenen Vaters total überschuldet gewesen sei und ihre Mutter auf Grund einer Bürgschaft sogar noch Schulden aus ihrem Privatvermögen habe tilgen müssen. Es werde deshalb die Unzulänglichkeitseinrede nach § 1990 BGB erhoben.

8

Es werde zudem die Einrede der Verjährung und der Verwirkung erhoben, da sie erstmals mit Bescheid vom 30.07.2003 von den Erbschaftsteuerschulden des Vaters erfahren habe.

9

Die Antragstellerin beantragt,

Aussetzung der Vollziehung der Erbschaftssteuern zu gewähren.

10

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

11

Die Festsetzung der Erbschaftsteuer sei wegen Steuerhinterziehung durch den Vater bei Bescheiderteilung noch nicht verjährt. Der Vater sei auf Grund des Erbfalles nach A gemäß § 30 Abs. 1 ErbStG verpflichtet gewesen, binnen einer Frist von drei Monaten nach erlangter Kenntnis von dem Erbfall die Erbschaft gegenüber der Finanzbehörde anzuzeigen.

12

Da er dieser Verpflichtung nicht nachgekommen sei, gelte die verlängerte Verjährungsfrist von zehn Jahren nach § 169 Abs. 2 AO in Verbindung mit § 371 Abs. 1 Nr. 2 AO. Sie habe gemäß § 108 Abs. 1 AO in Verbindung mit § 187 Abs. 1 BGB und § 170 Abs. 2 Satz 1 N1. 1 2. Alt. AO am 1.1.1994, mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, das auf das Kalenderjahr folgte, in dem die Steuer entstanden ist (23.03.1991) begonnen und endete am 31.12.2003. Der Erbschaftsteuerbescheid sei daher in unverjährter Zeit ergangen.

13

Die Einrede der Unzulänglichkeit des Nachlasses gemäß § 1990 BGB könne nicht im Festsetzungsverfahren, sondern erst im Zwangsvollstreckungsverfahren geltend gemacht werden.

14

Beide Parteien haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter erteilt.

15

Der Antrag ist unbegründet.

16

Die Aussetzung der Vollziehung soll gemäß § 69 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Abs. 3 Satz 1 zweiter Halbsatz FGO erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

17

Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes bestehen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes sprechende Gründe zu Tage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheiten in der Beurteilung von Tatsachen bewirken (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 10. Februar 1984 III B 40/83, BStBl II 1984, 454 und vom 30. Dezember 1996 I B 61/96, BStBl II 1997, 466). Solche Umstände sind im vorliegenden Fall nicht gegeben.

18

Die Antragstellerin ist als gesetzliche Erbin neben ihrer Mutter (Zugewinngemeinschaft) und ihren beiden Geschwistern Erbin zu 1/6 nach ihrem am 18.12.1992 verstorbenen Vater geworden.

19

Bei Minderjährigen Erbausschlagung durch gesetzlichen Vertreter zu erklären

20

Gemäß § 1943 BGB kann der Erbe die Erbschaft nicht mehr ausschlagen, wenn er sie angenommen hat oder wenn die Frist für die Ausschlagung verstrichen ist. Bei Minderjährigen ist die Ausschlagung durch den gesetzlichen Vertreter zu erklären, einer vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung bedarf es nicht (Oberlandesgericht Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 13.08.2002 8 WF 159/02, OLGR Naumburg 2003, 325; Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 15.05.1996 1Z BR 103/96, BayObLGR 1996, 59). Die Antragstellerin hat nicht dargelegt, dass die Mutter als ihre gesetzliche Vertreterin die Erbschaft binnen der sechswöchigen Frist des § 1944 Abs. 1 BGB ausgeschlagen hat. Damit ist die Antragstellerin Rechtsnachfolgerin nach ihrem verstorbenen Vater geworden.

21

Es kommt hinzu, dass das Nachlassgericht am 04.10.1999 einen Erbschein erteilt hat, wonach die Antragstellerin Miterbin zu 1/6 geworden ist. Auch hiergegen hat sie sich nicht gewandt und die Annahme der Erbschaft auch nicht angefochten; sie trifft insoweit jedoch die Beweislast (Finanzgericht Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 15.10.1999 3 K 1066/96, n.v.).

22

Die Antragstellerin haftet deshalb für die Nachlassverbindlichkeiten des Vaters unabhängig davon, ob sie sich über den Wert des Nachlasses bei Nichtausschlagung der Erbschaft geirrt hat (Finanzgericht Rheinland-Pfalz a.a.O.).

23

Beschränkung der Erbenhaftung erst im Vollstreckungsverfahren einzuwenden

24

Die Antragstellerin vermag auch mit der Unzulänglichkeitseinrede des § 1990 BGB nicht durchzudringen.

25

Die Beschränkung der Erbenhaftung ist vom Erben nicht im Steuerfestsetzungsverfahren oder gegen das Leistungsgebot, sondern erst im Zwangsvollstreckungsverfahren einwendungsweise geltend zu machen (§ 265 AO 1977 in Verbindung mit § 781 der Zivilprozessordnung - ZPO -; BFH-Beschluss vom 24. Juni 1981 I B 18/81, BFHE 133, 494, BStBl II 1981, 729; BFH-Urteil vom 11.08.1998 VII R 118/95, BStBl II 1998, 328)). Wie dies im Einzelnen zu geschehen hat, ist für die Verwaltungsvollstreckung nicht ausdrücklich geregelt. Da weder § 780 ZPO noch § 785 ZPO entsprechende Anwendung finden (vgl. § 265 AO 1977) und andere Rechtsbehelfe nicht vorgesehen sind, dürfte zur Geltendmachung der Einrede eine formlose Erklärung des Vollstreckungsschuldners gegenüber der Vollstreckungsbehörde genügen (vgl. Müller-Eiselt in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., § 265 AO 1977 Rz. 23, m.w.N.). Jedenfalls reicht es aus, wenn der Erbe, wie im Streitfall die Antragstellerin, einen Rechtsbehelf gegen die Zwangsvollstreckungsmaßnahme einlegt und sich dabei auf die Beschränkung seiner Haftung beruft. Die Einrede allerdings ist im Festsetzungsverfahren unbeachtlich.

26

Soweit sich die Antragstellerin auf Verjährung und Verwirkung beruft, sind insoweit nach Aktenlage keine Gründe erkennbar.

27

Nach den Feststellungen des Antragsgegners hat der Vater die Erbschaft nach A nicht angezeigt. Bei der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung ergeben sich keine Zweifel an dem Tatbestand der Steuerhinterziehung mit der Folge der zehnjährigen Festsetzungsverjährung. Die Berechnung der Verjährungsfrist durch den Antragsgegner begegnet keinen Zweifeln.

28

Die Antragstellerin hat auch keine Gründe vorgetragen, die eine Verwirkung des Steueranspruches rechtfertigen würde.

29

Das Untätigbleiben des FA reicht allein für die Annahme einer Verwirkung nicht aus, es müssen vielmehr ein Vertrauenstatbestand und eine Vertrauensfolge hinzukommen. In Fällen, in den die FÄ gesondert festgestellte Besteuerungsgrundlagen erst nach mehreren Jahren bei der Steuerfestsetzung berücksichtigt haben, ist eine Verwirkung durch bloßen Zeitablauf abzulehnen (BFH-Beschluss vom 8. April 1993, Az: X B 128/9, BFH/NV 1993, 708). Dieses gilt gleichermaßen auch für die erstmalige Festsetzung der Erbschaftsteuer.

30

Ebenso wenig ist die Aussetzung geboten, weil die Vollziehung des angefochtenen Bescheides für die Antragstellerin eine unbillige Härte zur Folge hätte. Die Vollziehung eines - noch nicht bestandskräftigen - Steuerbescheides ist für den Steuerpflichtigen unbillig hart, wenn ihm dadurch wirtschaftliche Nachteile drohen, die über die eigentliche Zahlung hinausgehen und die nicht oder nur sehr schwer wiedergutzumachen wären, oder wenn sogar die wirtschaftliche Existenz gefährdet wäre (vgl. Beschluss des BFH vom 24. März 1994 IV S 1/94, BStBl II 1994, 398). Solche Gründe sind weder aus den Akten ersichtlich, noch hat sie die Antragstellerin substantiiert vorgetragen.

31

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.