Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 17.09.2004, Az.: 11 K 579/00
Abzugsfähigkeit von Mehraufwendungen bei doppelter Haushaltsführung; Abziehbarkeit von Werbungskosten bei Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit; Voraussetzungen für das Vorliegen einer doppelten Haushaltsführung; Vorliegen einer Familie im Sinne des Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz (GG)
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 17.09.2004
- Aktenzeichen
- 11 K 579/00
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2004, 20658
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2004:0917.11K579.00.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BFH - 15.03.2007 - AZ: VI R 31/05
Rechtsgrundlagen
- § 9 Abs. 1 Nr. 5 EStG
- Art. 6 Abs. 1 GG
- § 1589 Abs. 2 BGB
Fundstellen
- EFG 2005, 264-265 (Volltext mit red. LS)
- FamRB 2005, 64 (Kurzinformation)
- SteuerBriefe 2005, 303-304
Verfahrensgegenstand
Einkommensteuer 1998
Redaktioneller Leitsatz
Erfolgt die Begründung einer Familienwohnung an einem anderen Ort als dem Arbeitsplatz des Steuerpflichtigen, so kann er dann Aufwendungen für doppelte Haushaltsführung steuermindernd geltend machen, wenn die Wohnung aus beruflichen Gründen seiner Lebensgefährin am Ort ihrer Beschäftigung begründet wurde.
Tatbestand
Streitig ist, ob Mehraufwendungen wegen doppelter Haushaltsführung als Werbungskosten abzugsfähig sind.
Der Kläger bezieht als Physiker Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit und ist seit 1988 bei einem Unternehmen in A beschäftigt. Seit dieser Zeit wohnt er in A, in einer gemieteten Wohnung. Der Kläger ist nicht verheiratet. Er hat jedoch eine Lebensgefährtin, Frau F, die in B wohnte und nichtselbstständig berufstätig war. Bis zur Geburt des gemeinsamen Kindes erfolgten wechselseitige Besuche. Am 6. Oktober 1996 wurde die Tochter geboren. Die Lebensgefährtin und Mutter seiner Tochter, Frau F, blieb nach der Geburt weiterhin in B wohnen. Sie nahm nach der Geburt Erziehungsurlaub in Anspruch. Sie beabsichtigte in ihrem alten Beruf nach Beendigung des Erziehungsurlaubs wieder tätig zu werden. Im Juli 1997 zog die Lebensgefährtin in eine Wohnung in B. Der Kläger unterstützte die Lebensgefährtin finanziell. Der Urlaub wurde gemeinsam verbracht.
Im Streitjahr 1998 fuhr der Kläger an den Wochenenden regelmäßig zu seiner Tochter und Lebensgefährtin nach B. Im September 1998 bestand für die Lebensgefährtin die Aussicht auf eine andere Positionen beim bisherigen Arbeitgeber. Diese Position sollte zum Mai 1999 besetzt werden. Der Kläger verlegte deshalb seinen Hauptwohnsitz im Oktober 1998 von A nach B. Er lebte in dieser Wohnung mit seiner Lebensgefährtin und der gemeinsamen Tochter. Die Wohnung in A hielt er als Zweitwohnung bei. Ein Wechsel des Arbeitgebers erfolgte nicht. Die Lebensgefährtin ist seit Mai 1999 wieder beim früheren Arbeitgeber beruflich tätig, was auch der Grund war, warum der Wohnsitz des Klägers und seiner Lebensgefährtin nicht nach A verlegt wurde.
Der Kläger machte in seiner Einkommensteuererklärung für die Zeit vom 1. Oktober 1998 bis 31. Dezember 1998 folgende Mehraufwendungen wegen doppelter Haushaltsführung geltend: Mietzins für zwei Monate (2.034 DM) und Verpflegungsmehraufwendungen (58 Tage x 46 DM = 2.668 DM). Die Aufwendungen wegen doppelter Haushaltsführung von insgesamt 4.702 DM erkannte der Beklagte wegen fehlender berufliche Veranlassung nicht als Werbungskosten an. Der gegen den entsprechenden Einkommensteuerbescheid eingelegte Einspruch wurde zurückgewiesen. Gegen den Einspruchsbescheid erhob der Kläger Klage.
Der Kläger trägt vor, die doppelter Haushaltsführung sei beruflich veranlasst gewesen. Berufsbedingt sei ein Umzug sowohl für Frau F nach A als auch für den Kläger nach B ausgeschlossen gewesen. Also bestehe das Erfordernis einer doppelten Haushaltsführung. Der Streitfall sei nicht mit dem Fall vergleichbar, der dem BFH in seinem Urteil vom 11. Mai 1995 (Az.: IV R 6/94, BFH/NV 1995, 1057) zu Grunde lag. Im Streitfall seien beide Elternteile an verschiedenen Orten ihrem Beruf nachgegangen. Sie hätten jeweils dort gewohnt und eine der beiden Wohnungen zur Familienwohnung gemacht, sodass eine doppelter Haushaltsführung aus rein beruflichen Gründen gegeben sei. Der Familienwohnsitz sei dort begründet worden, wo das gemeinsame Kind einen Kindergartenplatz gefunden hätte. Die doppelte Haushaltsführung ergebe sich daraus, dass die Elternteile berufstätig gewesen seien. Die Berufstätigkeit sei lediglich durch Erziehungsurlaub unterbrochen worden. Der Kläger hätte seinen langjährigen Arbeitsplatz in A nicht aufgeben wollen oder können und habe deshalb seine Wohnung in A beibehalten,
Der Kläger beantragt,
den Einkommensteuerbescheid vom 14. August 2000 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 6. September 2000 zu ändern und die Steuer soweit herabzusetzen als sie sich bei Berücksichtigung von weiteren Werbungskosten in Höhe von 4.702 DM und außergewöhnlichen Belastungen (Unterhaltsaufwendungen gemäß § 1615 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB -) in Höhe von 6.560,81 DM mindert.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte trägt vor, die Verlegung des Hauptwohnsitzes von A nach B sei, wie der Kläger selbst dargelegt habe, zur Aufnahme eines Familienhaushalts und somit aus privaten Gründen erfolgt. Folglich sei die dadurch entstandene doppelte Haushaltsführung ebenfalls privat veranlasst. Maßgeblich sei, dass der Kläger allein zur Einkommensteuer veranlagt werde. Es sei daher entscheidend, ob die doppelte Haushaltsführung beim Kläger aus beruflichen oder privaten Gründen Erfolg sei.
Die Beteiligten erklärten sich in der mündlichen Verhandlung am 13. Mai 2004 mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter einverstanden. Weiterhin erklärten sie übereinstimmend den Verzicht auf eine weitere mündliche Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet.
Der Einkommensteuerbescheid vom 8. Juli 2004 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 6. September 2000 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Die doppelte Haushaltsführung des Klägers ist im Streitjahr beruflich veranlasst gewesen. Nachdem der Beklagte die geltend gemachten außergewöhnlichen Belastungen anerkannt hat, war nur noch über die Mehraufwendungen wegen doppelter Haushaltsführung zu entscheiden.
Nach § 9 Abs. 1 Nr. 5 EStG gehören zu den bei den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit abziehbaren Werbungskosten auch notwendige Mehraufwendungen, die einem Arbeitnehmer wegen einer aus beruflichem Anlass begründeten doppelten Haushaltsführung entstehen, und zwar unabhängig davon, aus welchen Gründen die doppelte Haushaltsführung beibehalten wird. Nach Satz 2 dieser Vorschrift liegt eine doppelte Haushaltsführung vor, wenn der Arbeitnehmer außerhalb des Ortes, in dem er einen Hausstand unterhält, beschäftigt ist und am Beschäftigungsort wohnt. Es muss mithin aus beruflichem Anlass zu einer Aufsplitterung einer bisher einheitlichen Haushaltsführung auf zwei getrennte Haushalte kommen, nämlich auf einen Haushalt in der bisherigen Wohnung und einen "Hausstand" in der Wohnung bzw. Unterkunft am Beschäftigungsort (vgl. z.B. Urteil des BFH vom 25. März 1988 VI R 32/85, BStBl II 1988, 582, und die dort erwähnte Rechtsprechung).
Eine doppelte Haushaltsführung in diesem Sinne ist bei einem ledigen Arbeitnehmer grundsätzlich nicht gegeben. Jedoch ist die doppelte Haushaltsführung steuerlich dann anzuerkennen, wenn der ledige Arbeitnehmer mit seiner Lebensgefährtin, die ebenfalls berufstätig ist, ein gemeinsames Kind haben und eine Wohnung zur Familienwohnung bestimmen. Nach Auffassung des BFH ist dies der Fall, wenn ein Familienhaushalt im Sinne des § 9 Abs. 1 Nr. 5 EStG dadurch entsteht, dass Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft, die beide berufstätig sind, mit ihrem gemeinsamen Kind eine Familienwohnung beziehen bzw. wenn den Partnern einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft ein Kind geboren wird, das in die Wohnung mit aufgenommen wird.
Hier spricht eine verfassungskonforme Auslegung des § 9 Abs. 1 Nr. 5 EStG im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz (GG) für eine solche Beurteilung. Es steht nicht nur die Ehe, sondern auch die Familie unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. "Familie" in diesem Sinne ist die Lebensgemeinschaft zwischen Eltern und Kindern, soweit sie in der Beziehung der Eltern mit ihren Kindern als engere Familie in einer Hausgemeinschaft geeint ist (BVerfG Beschluss vom 31. Mai 1978 1 BvR 683/77, BVerfGE 48, 327, 339). Eine Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG bilden auch ein nichteheliches Kind und seine leiblichen Eltern, wenn sie in einer Wohnung ständig zusammenleben. In der Rechtsprechung des BVerfG ist ohnehin anerkannt, dass nicht nur die Gemeinschaft der Mutter zu ihrem nichtehelichen Kind, sondern nach Wegfall des § 1589 Abs. 2 BGB auch die des nichtehelichen Kindes zu seinem Vater jeweils als "Familie" im Sinne des Art. 6 Abs. 1 GG zu werten ist (Beschluss vom 8. Juni 1977 1 BvR 265/75, BVerfGE 45, 105, 123). Ist aber das Verhältnis des nichtehelichen Kindes zu seiner Mutter und zu seinem Vater jeweils als "Familie" im Sinne des Art. 6 Abs. 1 GG anzusehen, so ist auch das Verhältnis dieser drei Personen insgesamt beim ständigen Zusammenleben eine "Familie" im Sinne dieser Vorschrift (BFH Urteil vom 24. November 1989 VI R 66/88, BStBl II 1990, 312; vgl. auch BFH Urteil vom 18. Mai 1990 VI R 63/86, BFH/NV 1991, 149 und FG Rheinland-Pfalz Urteil vom 14. Oktober 1991 5 K 1666/91, EFG 1992, 325).
Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall vor. Der berufstätige Kläger hat mit seiner Lebensgefährtin eine gemeinsame Wohnung zur Familienwohnung in B bestimmt und hat auch mit der Lebensgefährtin ein gemeinsames Kind. Dem steht im Streitfall nicht entgegen, dass die Lebensgefährtin 1998 nicht berufstätig war.
Die Zeiten des Erziehungsurlaubs der Lebensgefährtin stehen im Streitfall der Berufstätigkeit gleich. Diese Zeiten führen vorliegend nur zur Unterbrechung der Berufstätigkeit der Lebensgefährtin. Zwar ist nach dem Vortrag des Klägers der ehemalige Arbeitsplatz der Lebensgefährtin im Erziehungsurlaub ersatzlos gestrichen worden; jedoch bestand vor der Begründung der doppelten Haushaltsführung für die Lebensgefährtin die Aussicht ab Mai 1999, also in absehbarer Zeit von 7 bis 8 Monaten, auf eine andere Position beim bisherigen Arbeitgeber. Diese konkrete Aussicht hatte sich auch durch Aufnahme der beruflichen Tätigkeit beim bisherigen Arbeitgeber im Mai 1999 bestätigt. Damit kamen insbesondere berufliche Gründe für die Beibehaltung der beiden Wohnorte ab Oktober 1998 in Betracht. Es wäre ansonsten mit den beruflichen Planungen der Lebensgefährtin nicht sinnvoll vereinbar gewesen, nur für die noch verbliebene kurze Phase des Erziehungsurlaubs bis zum Beginn der beruflichen Tätigkeit im Mai 1999 einen Ortswechsel nach A für die Begründung einer Familienwohnung vorzunehmen. Somit war die Begründung der doppelten Haushaltsführung beruflich veranlasst. Eine verfassungskonforme Auslegung des § 9 Abs. 1 Nr. 5 EStG gebietet daher die Begründung der doppelten Haushaltsführung im Streitfall steuerlich anzuerkennen.
Der Entscheidung steht auch nicht das Urteil des BFH vom 11. Mai 1995 (Az.: IV R 6/94, BFH/NV 1995, 1057) entgegen. Im dortigen Streitfall, war die Familienwohnung allein aus privaten Gründen vom Ort der Beschäftigung weggelegt worden. Im vorliegenden Streitfall erfolgte die Begründung der Familienwohnung in B aus beruflichen Gründen.
Im Rahmen der doppelten Haushaltsführung kann der Kläger jedoch nur die Kosten für die Mietaufwendungen (2.034 DM) noch geltend machen. Die Kosten für Verpflegungsmehraufwand können gemäß § 9 Abs. 5 in Verbindung mit § 4 Abs. 5 Nr. 5 Satz 5 und 6 EStG nur für die ersten drei Monate der Begründung der doppelten Haushaltsführung geltend gemacht werden. Maßgeblich ist der Bezug der Zweitwohnung (siehe Drenseck in Schmidt, EStG, 23. Aufl. 2004, § 9 Tz. 156). Da der Kläger bereits seit 1988 in A die Wohnung gemietet hat, kann somit ein Verpflegungsmehraufwand nicht berücksichtigt werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.