Vergabekammer Lüneburg
Beschl. v. 27.04.2007, Az.: VgK-15/2007
Zulässigkeitsvoraussetzungen eines vergaberechtlichen Nachprüfungsantrags; Bestimmung des Schwellenwerts für die Zuständigkeit der Vergabekammer im Rahmen eines gemischten Lieferauftrages und Dienstleistungsauftrages; Entziehung der rechtsmittelrechtlichen Vorschriften durch willkürliche Aufteilung des Auftrags; Bewusst missbräuchliches Niedrigrechnen des Auftragswerts; Kriterien einer ordnungsgemäßen Kostenschätzung
Bibliographie
- Gericht
- VK Lüneburg
- Datum
- 27.04.2007
- Aktenzeichen
- VgK-15/2007
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2007, 34778
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 100 Abs. 1 GWB
- § 127 GWB
- § 1 VOL/A
- § 2 Nr. 3 VgV
- § 3 Abs. 2 VgV
Verfahrensgegenstand
VOL-Vergabe von Software für den Bereich SGB II sowie zugehörige Dienstleistungen
In dem Nachprüfungsverfahren
hat die Vergabekammer
durch
die Vorsitzende RD' in Dr. Raab,
die hauptamtliche Beisitzerin Dipl.-Ing. Rohn und
den ehrenamtlichen Beisitzer Diplom-Ökonom Brinkmann
ohne mündliche Verhandlung
beschlossen:
Tenor:
- 1.
Der Nachprüfungsantrag wird zurückgewiesen.
- 2.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin.
- 3.
Die Kosten werden auf 2.623 EUR festgesetzt.
- 4.
Die Antragstellerin hat dem Auftraggeber die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen zu erstatten. Die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes war für den Auftraggeber notwendig.
Gründe
I.
Der Auftraggeber gehört zu den 69 Optionskommunen, die die Aufgaben nach dem SGB II in eigener Zuständigkeit durchführen. Er ist auch Träger der Sozialhilfe in seinem Gebiet. Dabei wird die Leistungsgewährung unmittelbar vom Auftraggeber in enger Zusammenarbeit mit den kreisangehörigen Gemeinden durchgeführt. Die mit den Hartz-Reformen Anfang 2005 eingeführten Aufgaben der aktiven Arbeitsplatzvermittlung und des sog. Fallmanagements hat er der rechtlich selbstständigen Einrichtung, der "Axxxxxx xxxxxxx xxxxxxx xxxxxxx xxxxxxx" übertragen. Die in den 90er Jahren vom Auftraggeber als GmbH gegründete Axxxxxx hatte die Aufgabe, Sozialhilfeempfänger wieder an den Arbeitsmarkt heranzuführen. Da die Axxxxxx auch für die Aufgaben des sog. "Fall-Managements" nach dem SGB II zur Verfügung stand, bewarb sich der Auftraggeber um die Übertragung von Kompetenzen als Optionskommune. In diesem Zusammenhang wurde die Axxxxxx von einer GmbH in eine kommunale Anstalt öffentlichen Rechts umgewandelt.
Bisher setzt der Auftraggeber für die von ihm und den Gemeinden mit EDV-Unterstützung wahrgenommenen Aufgaben ein älteres Programm der Beigeladenen ein. Da dieses Programm veraltet ist und den aktuellen Anforderungen nicht mehr gerecht wird, hat sich der Auftraggeber Anfang des Jahres 2006 dazu entschlossen, ein neues Programm zu beschaffen.
Die für diesen Beschaffungsvorgang vorgelegte Vergabeakte beginnt mit einem Vermerk vom 08.03.2006. Der Vermerk beginnt mit folgender Kostenschätzung:
"Lizenzkosten ca. 50.000 EUR (inkl. Mwst)
Dienstleistungen (inkl. Altdatenübernahme und Schulungen) ca. 40.000 EUR (inkl. Mwst)
Softwarepflegekosten für 4 Jahre bis zum Ende der Laufzeit als Optionskommune 01.01.2007 - 31.12.2010 ca. 100.000 EUR (inkl. Mwst).
Gesamt ca. 190.000 EUR (inkl. Mwst)."
Wie der Auftraggeber ergänzend mitteilte, lag der Schätzung eine mündliche Preisauskunft der bisherigen Software-Lieferantin, der Bxxxxxx GmbH, auf der Basis der bisherigen Mengengerüste für eine Vertragslaufzeit von 48 Monaten zu Grunde.
Im Hinblick darauf, dass die geschätzten Gesamtkosten unterhalb des Schwellenwertes nach § 2 VgV liegen, sah der Auftraggeber keine Verpflichtung zur europaweiten Ausschreibung.
Im Vermerk wird hervorgehoben, dass die Axxxxxx, die sich ebenfalls entschlossen hatte, ihr System zu erneuern, als kommunale Anstalt öffentlichen Rechts ihre Vergabeentscheidung in eigener Zuständigkeit trifft. Wegen des erforderlichen Datenaustauschs zwischen den Programmen zur aktiven Arbeitsvermittlung der Axxxxxx und zur passiven Leistungsgewährung des Auftraggebers wurde eine Koordinierung der jeweiligen Beschaffungsprozesse vereinbart, um ggf. später auftretende Abstimmungsprobleme zu vermeiden.
Dem Vermerk vom 08.03.2006 ist zu entnehmen, dass es deutschlandweit nur drei Anbieter für die benötigte Software gibt. Durch eine Nutzwertanalyse wollte der Auftraggeber ermitteln, welcher der drei Anbieter für die EDV-Unterstützung im Sozialbereich der bestgeeignete ist. Nach diesem Ergebnis sollte dann eine freihändige Vergabe stattfinden.
Der Auftraggeber hat die Programme der drei verfügbaren Software-Anbieter mittels einer Nutzwertanalyse nach Maßgabe eines im Mai 2006 erarbeiteten Kriterienkatalogs einer Untersuchung unterzogen. Im Rahmen dieser Ermittlungen wurden die drei Anbieter zur Unterbreitung von Angeboten aufgefordert. Der Vergabeakte ist nicht zu entnehmen, in welcher Form und mit welchen Vorgaben dies geschah. Eingegangen sind 3 nicht unmittelbar miteinander vergleichbare Angebote.
Der Auftraggeber entschied schließlich, dass die Software der Bxxxxxx GmbH für den Auftraggeber die höchste Eignung aufweist.
Mit Schreiben vom 25.10.2006 bestellte der Auftraggeber bei der Bxxxxxx GmbH 47 Lizenzen xxxxxx/xxxxxx SGB II und SGB XII und 20 Lese-Lizenzen xxxxxx/xxxxxx, dazu die Pflege xxxxxx/xxxxxx, 55 concurrent User, nach dem Pflegetarif xxxxxxx sowie Dienstleistungen im Umfang von 30 Tagen.
Mit Schreiben vom 12.01.2007 informierte der Auftraggeber die Antragstellerin darüber, dass der Auftrag im freihändigen Vergabeverfahren, an welchem die Antragstellerin sich beteiligt habe, einem anderen Bewerber erteilt worden ist.
Mit anwaltlichem Schreiben vom 31.01.2007 an den Auftraggeber rügte die Antragstellerin die Vergabeentscheidung als haushalts- und vergaberechtswidrig. Abgesehen davon, dass ein freihändiges Vergabeverfahren gar nicht stattgefunden habe, lägen die Voraussetzungen für eine freihändige Vergabe gemäß § 3 Abs. 4 VOL/A nicht vor. Der Beschaffungsvorgang unterliege zudem der Pflicht zur EU-weiten Ausschreibung, da, wie die von ihr gegebene, vom Auftraggeber fälschlich als Angebot bezeichnete Preisauskunft zeige, der maßgebliche Schwellenwert nach § 2 VgV überschritten werde.
Da der Auftraggeber keine vergaberechtskonforme Ausschreibung durchgeführt habe, seien die mit der Bxxxxxx GmbH geschlossenen Verträge nichtig.
Die Antragstellerin forderte den Auftraggeber auf, der Rüge durch Rückabwicklung der Verträge und Durchführung des erforderlichen Vergabeverfahrens abzuhelfen.
Mit Rügeantwort vom 21.02.2007 teilte der Auftraggeber der Antragstellerin mit, dass der Rüge nicht abgeholfen wird.
Mit Anwaltsschriftsatz vom 19.03.2007, eingegangen bei der Vergabekammer am selben Tage, beantragte die Antragstellerin bei der Vergabekammer gemäß § 107 GWB die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens.
Unter Bezugnahme auf ihre Rüge trägt sie vor, der Auftraggeber habe die benötigte Software für den Bereich SGB II sowie zugehörige Dienstleistungen vergaberechtswidrig ohne europaweite Ausschreibung beschafft. Wie bereits ihre eigene Preisauskunft an den Auftraggeber beweise, werde der Schwellenwert gemäß § 2 VgV durch den Wert der benötigten Liefer- und Dienstleistungen deutlich überschritten. Um die Ausschreibungspflicht zu umgehen, habe der Auftraggeber den Auftrag bewusst gering geschätzt und hierbei Kostenfaktoren in erheblichem Umfang vernachlässigt. Selbst wenn man unterstellen könnte, dass diese Faktoren im Rahmen der vom Auftraggeber in die Schätzung einbezogenen Dienstleistungen berücksichtigt worden sind, sei der für die Schätzung angenommene Bedarf von 30 Tagen viel zu niedrig angesetzt. Bei vergleichbaren Ausschreibungen werde von 90 - 120 Tagen ausgegangen. Bei entsprechender Korrektur der Schätzung ergäbe sich bereits hierdurch ein Auftragswert, der den Schwellenwert bereits deutlich überschreite. Auch die Annahme der Softwarepflegekosten sei zu gering und ergänzende Programme und Dienstleistungen seien unberücksichtigt geblieben.
Der Auftraggeber habe auf eine Marktbeobachtung verzichtet und seiner willkürlichen Schätzung auf eine mündliche Auskunft der Bxxxxxx GmbH zu Grunde gelegt. Seine Vorgehensweise lege den Verdacht nahe, dass sich der Auftraggeber für die in der Vergabeakte enthaltene Schätzung eine "passende" Preisauskunft verschafft habe.
Zudem liege eine vergaberechtswidrige künstliche Aufteilung des Auftrages vor, denn wegen der engen Zusammenarbeit und datenmäßigen Verflechtung hätten der Auftraggeber und die Axxxxxx die benötigte Software zusammen beschaffen müssen.
Im Hinblick auf die offenbar enge Zusammenarbeit zwischen dem EDV-Leiter des Auftraggebers und der Bxxxxxx GmbH sei ein Verstoß gegen das Mitwirkungsverbot gemäß § 16 VgV nicht auszuschließen.
Die Antragstellerin beantragt,
- 1.
den Auftraggeber zu verpflichten, die Beschaffung von Software für den Bereich SGB II sowie zugehörige Dienstleistungen (Pflegeleistungen, Schulungen, Betreuung, Datenmigration) unverzüglich offen und diskriminierungsfrei europaweit auszuschreiben,
- 2.
festzustellen, dass etwaige - ohne Ausschreibung geschlossene - Verträge des Auftraggebers oder von dessen Eigenbetrieben mit Bxxxxxx GmbH über die Beschaffung von Software für den Bereich SGB II sowie zugehörige Dienstleistungen nichtig sind,
- hilfsweise zu 1. und 2.
- 3.
- festzustellen, dass die Unterlassung der Ausschreibung rechtswidrig war und die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt hat,
- 4.
dem Auftraggeber die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung der Antragstellerin aufzuerlegen und
- 5.
die Hinzuziehung des Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragstellerin für notwendig zu erklären.
Der Auftraggeber beantragt
- 1.
den Nachprüfungsantrag zu verwerfen;
- 2.
der Antragstellerin die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten der entsprechenden Rechtsverfolgung des Auftraggebers aufzuerlegen;
- 3.
die Hinzuziehung des Verfahrensbevollmächtigten des Auftraggebers für notwendig zu erklären.
Er weist die Rechtsauffassung der Antragstellerin zurück.
Die von ihm im März 2006 vorgenommene Schätzung des Auftragswertes stehe im Einklang mit § 3 VgV. Sie sei ermessensfehlerfrei und berücksichtige alle relevanten Faktoren für die Beschaffung der von ihm benötigten Software. Als Indiz hierfür verweist er auf das bezuschlagte Angebot, das nur unwesentlich von seiner Kostenschätzung abweicht.
Dass die Antragstellerin im September 2006 ein deutlich teureres Angebot abgegeben habe, sei bezüglich der Rechtmäßigkeit der vorgenommenen Schätzung ohne Belang.
Das Angebot der Antragstellerin beziehe sich zudem auf beide Arbeitsbereiche, den des Auftraggebers und den der Axxxxxx. Die Axxxxxx beschaffe jedoch ihre Software selbstständig und in eigener Verantwortung, sie hätte sich grundsätzlich auch für eine andere Software entscheiden können. Der Verdacht einer künstlichen Aufteilung des Auftragswertes zur Umgehung der Ausschreibungspflicht sei unbegründet.
Die Unterstellung kollusiven Zusammenwirkens einer seiner Mitarbeiter / des von ihm beauftragten Anwalts mit dem Auftragnehmer weist er zurück.
Da nach seiner ermessensfehlerfreien Schätzung der maßgebliche Schwellenwert gemäß § 2 VgV deutlich unterschritten wird, sei gemäß § 100 Abs. 1 GWB die Möglichkeit eines Nachprüfungsverfahrens nicht gegeben und der Nachprüfungsantrag unzulässig.
Wegen des übrigen Sachverhaltes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und die Vergabeakte Bezug genommen.
II.
Der Nachprüfungsantrag ist unzulässig.
Die Antragstellerin ist nicht in ihren Rechten gem. §§ 97 Abs. 7, 114 Abs. 1 GWB verletzt. Die Vergabekammer Lüneburg ist nicht zuständig.
Der streitbefangene Auftrag übersteigt entgegen der Auffassung der Antragstellerin nicht den für die Zuständigkeit der Vergabekammer maßgeblichen Schwellenwert gem. § 100 Abs. 1 GWB. Danach gilt der 4. Teil des GWB nur für solche Aufträge, die die Auftragswerte erreichen oder überschreiten, die durch Rechtsverordnung nach § 127 GWB festgelegt sind. Bei der bereits beauftragten Leistung handelt es sich um einen gemischten Liefer- und Dienstleistungsauftrag im Sinne des § 1 VOL/A. Für Liefer- und Dienstleistungsaufträge gilt gem. § 2 Nr. 3 der Vergabeverordnung (VgV) vom 11.02.2003 ein Schwellenwert von 200.000 EUR bzw. mit Wirkung vom 01.11.2006 von 211.000 EUR. Maßgeblich für den streitigen Beschaffungsvorgang ist der Schwellenwert in Höhe von 200.000 EUR, da die zugrunde liegende Schätzung des Auftraggebers vor dem 08.03.2006 erfolgte, auch die Angebote deutlich vor dem 01.11.2006 eingereicht wurden.
Der Auftraggeber hat aufgrund der schriftlich dokumentierten mündlichen Auskunft der später im freihändigen Vergabeverfahren beauftragen Bxxxxxx GmbH, die auch zuvor die entsprechenden Leistungen erbracht hatte, die Kosten des Auftrags in rechtlich nicht zu beanstandender Weise auf 190.000 EUR brutto, d.h. auf 163.793 EUR netto geschätzt.
Es ist kein Verstoß gegen § 3 Abs. 2 VgV ersichtlich. Der beabsichtigte Auftrag ist nicht in der Absicht geteilt oder geschätzt worden, ihn der Anwendung der Bestimmungen des 4. Teils des GWB zu entziehen.
Zunächst geht die Vergabekammer entgegen der Auffassung der Antragstellerin nicht davon aus, dass eine willkürliche Aufteilung des Auftrags darin liegt, dass sich die Axxxxxx als vom Landkreis gegründete kommunale Anstalt des öffentlichen Rechts ebenfalls für die von der Bxxxxxx GmbH gelieferte Software entschieden hat. Die Axxxxxx hat laut ihrer Satzung eigene Aufgaben im Bereich des SGB II zu erfüllen und ist rechtlich selbstständig. Es handelt sich demnach um verschiedene Beschaffungsfälle unterschiedlicher Vergabestellen, so dass objektive Gründe für die Aufteilung bestehen. Auch wenn es zwischen der jeweils verwendeten Software Schnittstellen gibt, ist es nicht einmal zwingend, dass der Auftraggeber und die Axxxxxx dieselbe Software einsetzen.
Auch bietet der Sachverhalt keinen Anlass dafür, dass der Auftraggeber den beabsichtigten Auftrag gezielt missbräuchlich niedrig geschätzt hat. Die Antragstellerin ist darauf hinzuweisen, dass die Beteiligten eines Vergabeverfahrens eine Kostenschätzung dann hinzunehmen haben, wenn sie aufgrund objektiv vorliegender und erkennbarer Daten als vertretbar erscheint. Daran fehlt es etwa, wenn die Kostenschätzung auf erkennbar unrichtigen Daten beruht oder wichtige Aspekte außer Betracht lässt oder pauschal und auf ungeprüft anderen Kalkulationsgrundlagen beruhende Werte übernimmt (VK Schleswig-Holstein, Beschluss vom 10.02.2005 - VK-SH 2/05). Die Kostenschätzung ist als ein der eigentlichen Ausschreibung vorgeschalteter Vorgang mit Unsicherheiten und Unwägbarkeiten behaftet; sie kann nicht an den gleichen Maßstäben wie das Angebot der Teilnehmer am Ausschreibungsverfahren gemessen werden, d.h. sie kann also aus nachträglicher Sicht durchaus unvollkommen sein.
Der Auftraggeber hat die Bxxxxxx GmbH, die bisher die entsprechenden Leistungen erbracht hat, um eine mündliche Preisauskunft gebeten und diese aufgeschlüsselt nach einzelnen Positionen schriftlich in seiner Vergabeakte dokumentiert. Der von ihm anhand dieser Angaben geschätzte Preis beträgt 163.793 EUR netto. Angesichts der Tatsache, dass für die Software SGB II nur 3 Anbieter auf dem Markt sind, kann es dem Auftraggeber nicht zum Vorwurf gemacht werden, dass er lediglich einen der Anbieter zur Markterkundung herangezogen hat. Es wäre vorzugswürdig gewesen, die Preisauskunft auf schriftlichem Weg einzuholen, jedoch ist die schriftliche Dokumentation im Anschluss erfolgt. Auch hat sich die Schätzung insoweit verifiziert, als das günstigste Bieterangebot, nämlich das der Bxxxxxx GmbH, tatsächlich diesem Schätzbetrag entsprach; der Wert des erteilten Auftrags lag bei 167.055,00 EUR netto. Die in ihrer preislichen Höhe deutlich nach oben abweichenden weiteren zwei Angebote u.a. der Antragstellerin vermögen die Richtigkeit der Schätzung schon deshalb nicht im Nachhinein zu erschüttern, als sie insgesamt anders strukturiert sind, insbesondere keine Kosten für die erforderlichen Lizenzen ausweisen, stattdessen deutlich höhere Kosten im Bereich der Dienstleistungen. Es wäre ohnedies schon im Ansatz verfehlt einer vom Auftraggeber ordnungsgemäß durchgeführten Kostenschätzung entgegenzuhalten, Angebote würden preislich darüber liegen (BGH, Urteil vom 05.11.2002, X ZR 232/00).
Die Vorwürfe seitens der Antragstellerin, die Bxxxxxx GmbH würde über den der Schätzung zugrunde gelegten Bedarf hinaus zusätzlichen Dienstleistungsaufwand erbringen und gesondert abrechnen, sind spekulativ. Aus der der Vergabekammer vorgelegten Endabrechnung des Auftrags ist keine signifikante Abweichung zu erkennen. Im Gegenteil ist die Endabrechnung mit 167.055,00 EUR netto sehr nah am Schätzungsbetrag von 163.793 EUR. Auch die erforderliche Abstimmung von Archivierungssoftware des Auftraggebers und der streitgegenständlichen beauftragten Software ist entgegen der Auffassung der Antragstellerin ordnungsgemäß abgerechnet worden, dem lag die Erteilung eines gesonderten Auftrags an die Firma Cxxxxxx zugrunde, die die Archivierungssoftware geliefert hat. Die Archivierungssoftware steht nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der streitgegenständlichen Software SBG II.
Die Vergabekammer hat angesichts der vorgelegten Abrechnungen des Auftraggebers keinen Anhaltspunkt für die Behauptung der Antragstellerin, ergänzende Programme und Dienstleistungen würden verschwiegen.
Zusammengefasst liegt der geschätzte Preis 163.793 EUR netto hier, obgleich dies nicht Voraussetzung einer ermessensfehlerfreien Schätzung ist, ausgesprochen nah an dem tatsächlichen Auftragswert von 167.055,00 EUR netto, wie er sich in der Endabrechnung darstellt. Beide Beträge liegen deutlich unter dem hier maßgeblichen Schwellenwert von 200.000 Euro, die Schätzung ist rechtlich nicht zu beanstanden. Die Zuständigkeit der Vergabekammer Lüneburg ist dementsprechend nicht gegeben, der Nachprüfungsantrag ist als unzulässig zurückweisen.
Weitere von der Antragstellerin erhobene Vorwürfe betreffen nicht die hier nur maßgebliche Frage des Schwellenwerts. Gleichwohl weist die Kammer darauf hin, dass eine Interessenkollision durch die Tätigkeiten des Verfahrensbevollmächtigten des Auftraggebers aktuell nicht gegeben ist und dass die Antragstellerin offensichtlich hinsichtlich der als Verstoß gegen § 16 VgV monierten Vortragstätigkeit des für die Vergabe zuständigen Mitarbeiters des Auftraggebers von falschen Voraussetzungen ausgeht.
Die Kammer hat gem. § 112 Abs. 1 S. 3 GWB ohne mündliche Verhandlung nach Aktenlage entschieden, weil der Nachprüfungsantrag bereits unzulässig ist.
III. Kosten
Die Kostenentscheidung folgt aus § 128 GWB. Nach Art. 7 Nr. 5 des 9. Euro-Einführungsgesetzes (BGBl. 58/2001 vom 14.11.2001, S. 2992 ff.) vom 10.11.2001 werden die DM-Angaben in § 128 GWB für die von der Vergabekammer festzusetzende Gebühr durch Angaben in Euro im Verhältnis 1 : 2 ersetzt, so dass die regelmäßige Mindestgebühr nunmehr 2.500 EUR, die Höchstgebühr 25.000 EUR bzw. in Ausnahmefällen 50.000 EUR beträgt.
Es wird eine Gebühr in Höhe von 2.623EUR gemäß § 128 Abs. 2 GWB festgesetzt.
Der zu Grunde zu legende Auftragswert für den streitbefangenen Auftrag beträgt ausweislich des mit der Vergabeakte vorgelegten Originalangebotes der Antragstellerin 462.886,20 EUR (brutto). Dieser Wert entspricht dem Angebot der Antragstellerin und damit ihrem Interesse am Auftrag.
Die Gebührenermittlung erfolgt anhand einer Gebührentabelle des Bundeskartellamtes vom 09.02.1999 in der z. Zt. gültigen Fassung vom 01.01.2003. Hiernach wird der Mindestgebühr von 2.500 EUR (§ 128 (2) GWB) eine Ausschreibungssumme von bis zu 80.000 EUR zugeordnet und dem regelmäßigen Höchstwert von 25.000 EUR (§ 128 (2) GWB) eine Ausschreibungssumme von 70 Mio. EUR (höchste Summe der Nachprüfungsfälle 1996-1998) gegenübergestellt. Bei einer Angebotssumme von 462.886,20 EUR ergibt sich durch Interpolation eine Basisgebühr von 2.623 EUR.
Diese Gebühr schließt einen durchschnittlichen sachlichen und personellen Aufwand ein. Gutachterkosten und Kosten von Zeugenvernehmungen sind nicht angefallen.
Die in Ziffer 2 des Tenors geregelte Kostentragungspflicht folgt aus § 128 Abs. 3 Satz 1 GWB. Danach hat ein Beteiligter, soweit er im Verfahren unterliegt, die Kosten zu tragen. Hier war zu berücksichtigen, dass der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin keinen Erfolg hatte.
Die Erstattungspflicht bezüglich der Kosten des Auftraggebers, die diesem zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstanden sind, folgt aus § 128 Abs. 4 GWB i.V.m. § 80 VwVfG. Danach war festzustellen, dass die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes durch den Auftraggeber im konkreten Verfahren erforderlich war. Auch wenn man von öffentlichen Auftraggebern grundsätzlich verlangen darf, dass sie über das notwendige personelle Know-how bezüglich der für eine Ausschreibung erforderlichen Rechtsgrundlagen, insbesondere der VOL/A und der VOB/A verfügen, bedurfte der Auftraggeber für eine angemessene Reaktion in der auch für einen erfahrenen öffentlichen Auftraggeber ungewohnten Situation eines vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahrens besonderen rechtskundigen Beistandes.
Nach den zu § 80 VwVfG geltenden Grundsätzen ist die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes dann notwendig, wenn sie vom Standpunkt eines verständigen Beteiligten für erforderlich gehalten werden durfte (BVerwGE 55, 299, 306) [BVerwG 10.04.1978 - 6 C 27/77]. Dies ist nach der herrschenden Lehre nicht nur in schwierigen und umfangreichen Verfahren zu bejahen, sondern entspricht der Regel (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 7. Aufl., § 80, Rdnr. 45; Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 5. Aufl., § 80, Rdnr. 81). Dieser Grundsatz soll allerdings nur im Verhältnis des Bürgers zum Staat gelten. Zugunsten der Ausgangsbehörde im Verwaltungsverfahren wird demgegenüber die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten nur in besonders gelagerten Einzelfällen angenommen, da die Ausgangsbehörde in der Regel mit eigenem Fachpersonal so gut ausgestattet sein muss, dass sie ihre Verwaltungstätigkeit, zu der auch die Mitwirkung im Vorverfahren (Widerspruchsverfahren) gehört, ohne fremde Unterstützung ausführen kann. Diese für die Situation der Ausgangsbehörde in einem Widerspruchsverfahren zutreffende Auffassung kann jedoch nicht auf das vergaberechtliche Nachprüfungsverfahren übertragen werden. Schon beim materiellen Vergaberecht handelt es sich um eine überdurchschnittlich komplizierte Materie, die nicht nur in kurzer Zeit zahlreiche Veränderungen und Neuregelungen erfahren hat, sondern auch durch komplexe gemeinschaftsrechtliche Fragen überlagert ist. Entscheidend aber ist, dass das Nachprüfungsverfahren gerichtsähnlich ausgebildet ist, die Beteiligten also auch prozessuale Kenntnisse haben müssen, um ihre Rechte umfassend zu wahren. Deshalb ist im vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren die nach § 80 VwVfG gebotene Rechtspraxis zur Erstattung der Rechtsanwaltskosten nicht übertragbar (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 09.11.2001, Az.: Verg 1/01; OLG Stuttgart, Beschluss v. 19.07.2000, 2 Verg 4/00, NZBau 11/2000, S. 543 ff.). Denn durch seinen Charakter als gerichtsähnlich ausgestaltetes Verfahren unterscheidet sich das Vergabenachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer eben grundlegend von dem Widerspruchsverfahren nach der VwGO.
Die Antragstellerin wird aufgefordert, innerhalb einer Frist von einem Monat nach Rechtskraft dieses Beschlusses den Betrag von 2.623 EUR unter Angabe des Kassenzeichens ... auf folgendes Konto zu überweisen:
...
Rohn
Brinkmann