Landessozialgericht Niedersachsen
Urt. v. 16.10.2001, Az.: L 8 AL 308/00
Abfindung; Anwendung; Arbeitslosengeld; Arbeitsverhältnis; Beendigung; Beschäftigungsverhältnis; betriebliche Übung; Betriebsübung; Einhaltung; Gewerkschaft; Gewerkschaftszugehörigkeit; Handhabung; Kündigungsfrist; LSG-Dokumentation; Lösung; Mitgliedschaft; ordentliche Kündigungsfrist; Ruhen; Tarifbindung; tarifliche Unkündbarkeit; Tarifvertrag; tatsächliche Handhabung; Unkündbarkeit; Zugehörigkeit; älterer Arbeitnehmer
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen
- Datum
- 16.10.2001
- Aktenzeichen
- L 8 AL 308/00
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2001, 40265
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG - 24.02.2000 - AZ: S 8 AL 579/98
Rechtsgrundlagen
- § 117 Abs 2 S 1 AFG
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 24. Februar 2000 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Die Entscheidung ergeht mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch den Berichterstatter als Einzelrichter, §§ 153 Abs 1, 124 Abs 2, 155 Abs 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Die zulässige Berufung ist nicht begründet.
Die Beklagte und das Sozialgericht (SG) Hannover haben zu Recht festgestellt, dass aufgrund der Lösung des Beschäftigungsverhältnisses zum 31. März 1998 durch den Aufhebungsvertrag vom 12. Mai 1997 eine zwölfwöchige Sperrzeit vom 1. April bis 23. Juni 1998 eingetreten ist und anschließend der Anspruch auf Arbeitslosengeld (Alg) wegen des Erhalts der Abfindung bis zum 10. Juni 1999 geruht hat. Da der Kläger ab 1. April 1999 Altersrente bezieht, besitzt er für die nachfolgende Zeit keinen Anspruch auf Alg mehr, da der Anspruch auf Alg wegen des Rentenbezuges ruht, § 142 Abs 1 Nr 4 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III).
Da die Beklagte und das SG dies zutreffend begründet haben, wird zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen auf die Ausführungen in den Gründen des Urteils des SG und des Widerspruchsbescheides verwiesen, §§ 153 Abs 1, 136 Abs 3, 153 Abs 2 SGG.
Im Hinblick auf die Erörterungen im Berufungsverfahren wird ergänzend Folgendes ausgeführt:
Die Sperrzeit ist hier gemäß § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB III eingetreten. Denn der Kläger hat sein Beschäftigungsverhältnis zum 31. März 1998 gelöst ohne Aussicht auf einen Anschlussarbeitsplatz zu haben, so dass er durch dieses Verhalten seine Arbeitslosigkeit zumindest grob fahrlässig herbeigeführt hat, ohne dafür einen wichtigen Grund zu haben. Die Dauer der Sperrzeit beträgt nach der gesetzlichen Regelung zwölf Wochen. Solange ruhte der Anspruch aus diesem Grunde gemäß § 144 Abs 2 Satz 2 SGB III. Die Minderung der Anspruchsdauer, die sich hier allerdings wegen des Bezuges der Altersrente ab 1. April 1999 nicht auswirkt, ergibt sich aus § 128 Abs 1 Nr 4 SGB III.
Im Anschluss daran ruhte der Anspruch auf Alg wegen der erhaltenen Abfindung gemäß § 117 Abs 2 Arbeitsförderungsgesetz (AFG). Diese Vorschrift des AFG ist weiterhin anzuwenden, trotz des Inkrafttretens des SGB III zum 1. Januar 1998. Dies ergibt sich aus § 427 Abs 6 SGB III, wonach § 242x Abs 3 und 4 AFG in der bis zum 31. Dezember 1997 geltenden Fassung weiterhin anzuwenden ist. Nach § 242x Abs 3 gelten ua die §§ 117 Abse 2, 3, 3a, 4 und 117a AFG weiter für Personen, die ua innerhalb der Rahmenfrist mindestens 360 Kalendertage vor dem 1. April 1997 in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung gestanden haben. Das war vorliegend der Fall. Die dreijährige Rahmenfrist umfasste hier den Zeitraum vom 1. April 1995 bis 30. März 1998. Vor dem 1. April 1997 weist der Kläger mehr als 360 Kalendertage einer beitragspflichtigen Beschäftigung auf, nämlich die Beschäftigungszeit bei seinem früheren Arbeitgeber.
Die Beklagte hat daher zu Recht entschieden, dass der klägerische Alg-Anspruch, der dem Grunde nach am 1. April 1998 entstanden war (Zeitpunkt der Arbeitslosmeldung), wegen der erhaltenen Abfindung bis zum 12. November 1998 ruhte (Bescheid vom 20. Mai 1998).
Der Regelung des § 117 Abs 2 AFG liegt der Gedanke zugrunde, dass Lohnersatzleistungen des AFG nicht benötigt werden, solange trotz Arbeitslosigkeit ein Verdienstausfall nicht eintritt. Zur Vermeidung von Doppelleistungen ist in § 117 Abs 2 AFG das Ruhen des Alg-Anspruchs angeordnet, wenn der Arbeitslose eine Abfindung erhält oder zu beanspruchen hat. Bezweckt ist ein schnelles Eintreten der Arbeitslosenversicherung unter Vermeidung von gleichzeitiger Zahlung von Alg und Arbeitsentgelt (Abfindung). Daneben hat § 117 AFG die Funktion, Manipulationen zum Nachteil der Arbeitslosenversicherung zu erschweren.
Nach § 117 Abs 2 AFG ruht der Anspruch auf Alg vom Ende des Arbeitsverhältnisses an bis zu dem Tag, an dem das Arbeitsverhältnis bei Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist geendet hätte, wenn der Arbeitslose wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Abfindung erhalten hat oder das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung einer der ordentlichen Kündigungsfrist des Arbeitgebers entsprechenden Frist beendet worden ist.
Diese Voraussetzungen liegen sämtlich vor, da der Kläger eine Abfindung erhalten hat, durch den Aufhebungsvertrag vom 12. Mai 1997 sein Arbeitsverhältnis zum 30. März 1998 beendet worden ist und dadurch die aufgrund des Manteltarifvertrages für die Beschäftigten in der Metallindustrie in Südbaden vom 8. Mai 1990 ausgeschlossene ordentliche Kündigung durch den Arbeitgeber nicht beachtet wurde.
Die 377.188,00 DM Abfindung ist im Sinne des § 117 Abs 2 AFG eine Abfindung, die der Kläger wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30. März 1998 mit der Firma D E GmbH erhalten hat. Wegen der Beendigung wird eine Abfindung gewährt, wenn zwischen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses und der Abfindung ein ursächlicher Zusammenhang besteht (vgl Bundessozialgericht -- BSG --, Urteil vom 29. August 1991 -- 7 RAr 130/90 -- SozR 3-4100 § 117 AFG Nr 6 Seite 34; Urteil vom 21. September 1995 -- 11 RAr 41/95 -- aaO Nr 12 Seite 81ff), was hier unstreitig der Fall war.
Das Arbeitsverhältnis des Klägers ist weiterhin ohne Einhaltung einer der ordentlichen Kündigungsfrist des Arbeitgebers entsprechenden Frist, also vorzeitig, beendet worden.
Nach dem hier anwendbaren Manteltarifvertrag für die Beschäftigten in der Metallindustrie in Südbaden vom 8. Mai 1990, geschlossen zwischen dem Verband der Metall- und Elektroindustrie Südwest e.V. und der Industriegewerkschaft Metall, Bezirksleitung Stuttgart, der kraft Betriebsübung Anwendung fand, war die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers durch den Arbeitgeber wegen des Alters des Klägers von damals (1998) 60 Jahren und einer Betriebszugehörigkeit von mehr als 20 Jahren ausgeschlossen. Eine Kündigung durfte gemäß § 4 Nr 4.4 des Manteltarifvertrages bei einem Beschäftigten, der das 53., aber noch nicht das 65. Lebensjahr vollendet hat und dem Betrieb mindestens 3 Jahre angehört, nur noch aus wichtigem Grund ausgesprochen werden; Umstände, wie sie hier nicht vorhanden waren.
Das eigentliche Anliegen des Klägers zielt daher darauf ab, dass der Manteltarifvertrag auf ihn keine Anwendung fand, da er nicht tarifgebunden war. Mit dieser Rechtsansicht dringt der Kläger nicht durch, weil der maßgebliche Manteltarifvertrag kraft Betriebsübung auch auf ihn Anwendung fand.
Aus einer betrieblichen Übung, dh aus der regelmäßigen Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers, können vertragliche Ansprüche erwachsen, sofern und soweit die begünstigten Arbeitnehmer die betriebliche Übung dahin verstehen durften, der Arbeitgeber habe sich binden wollen; das Verhalten des Arbeitgebers ist dann als rechtsgeschäftlich erhebliche bindende Erklärung zu werten (vgl BAG AP Nr 22 zu § 242 Bürgerliches Gesetzbuch -- BGB -- Betriebliche Übung). Aus einer betrieblichen Übung kann sich auch ergeben, dass Arbeitnehmer mit bestimmten Merkmalen unkündbar sind (vgl BAG Betriebsberater 1966, Seite 165f = AP Nr 105 zu § 242 BGB Ruhegehalt). Dafür reicht allerdings nicht die Feststellung, dass über lange Jahre hinweg Arbeitnehmern mit den in § 4 Nr 4.4 des Manteltarifvertrages genannten Merkmalen nicht gekündigt worden ist; von einer betrieblichen Übung mit rechtgestaltender Kraft kann vielmehr nur dann die Rede sein, wenn eine langdauernde tatsächliche Handhabung sich zu einem festen Brauch verdichtet hat (vgl BSG, Urteil vom 11. Januar 1990 -- 7 RAr 130/88 -- Soziale Sicherung 1990, Seite 325 = Dienstblatt Rechtsprechung 3644, AFG/§ 117 (OT 1)).
Nach diesen von der Rechtsprechung aufgestellten Kriterien steht zur Überzeugung des Gerichts nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens gemäß § 128 SGG fest, dass der Manteltarifvertrag für die Beschäftigten in der Metallindustrie in Südbaden kraft betrieblicher Übung auf den Kläger Anwendung fand. Dies erschließt sich aus den Auskünften der Firma C C GmbH, der Betriebsübernehmerin der Firma D E GmbH, bei welcher der Kläger seit Juli 1974 beschäftigt gewesen war. Diese Annahme stützt sich auf die Auskünfte vom 5. März und 28. Juni 2001, wonach der hier maßgebliche Manteltarifvertrag seit 1994 unterschiedslos auf alle Mitarbeiter der Firma angewandt wurde, und zwar unabhängig von deren Gewerkschaftszugehörigkeit. Da, so die Auskunft, die grundsätzliche Geltung des Tarifvertrages den Mitarbeitern bekannt gewesen sei, sei über dessen Anwendung keine gesonderte Information erfolgt.
Danach besteht kein Zweifel, dass die Firma den Manteltarifvertrag regelmäßig auf sämtliche Mitarbeiter unabhängig von ihrer Gewerkschaftszugehörigkeit angewandt hat und über diesen Umstand alle Mitarbeiter Bescheid wussten.
Anders ist es auch nicht zu erklären, dass die Firma mit dem Kläger einen Aufhebungsvertrag geschlossen hat. Denn wenn der Manteltarifvertrag auf den Kläger keine Anwendung gefunden hätte, wäre er gemäß § 622 Abs 2 Nr 7 BGB bei einem Bestand des Arbeitsverhältnisses von 20 Jahren mit einer Kündigungsfrist von 7 Monaten zum Ende eines Kalendermonats kündbar gewesen. Mithin steht fest, dass die Arbeitsvertragsparteien von der Anwendung des Manteltarifvertrages ausgingen, so dass dieser Manteltarifvertrag kraft betrieblicher Übung auf den Kläger Anwendung fand.
Das weitere Ruhen des Anspruchs auf Alg bis zum 10. Juni 1999 beruht auf der Anwendung des § 117a AFG (Ruhen des Anspruchs bei Abfindung und Sperrzeit -- ebenfalls Bescheid vom 20. Mai 1998).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Da der Kläger unterliegt, hat die Beklagte Kosten nicht zu erstatten.
Die Revision bedarf gemäß § 160 SGG der Zulassung. Sie ist nicht zuzulassen, da weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat noch die Entscheidung von oberster gerichtlicher Rechtsprechung abweicht.