Landessozialgericht Niedersachsen
Urt. v. 24.10.2001, Az.: L 2 RI 306/98

Rentenanspruch wegen Berufsunfähigkeit für die Zeit vor Beginn der Altersrente ; Zum beruflichen Resteistungsvermögen eines Kraftfahrzeug-Meisters

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen
Datum
24.10.2001
Aktenzeichen
L 2 RI 306/98
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2001, 15933
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2001:1024.L2RI306.98.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Hannover - 20.07.1998 - AZ: S 6 RI 344/97

Prozessführer

XXX

Prozessgegner

Landesversicherungsanstalt Hannover,

die Geschäftsführung, Lange Weihe 2/4, 30880 Laatzen,

hat der 2. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen in Celle

auf die mündliche Verhandlung vom 24. Oktober 2001

durch

den Vorsitzenden Richter am Landessozialgericht D.,

den Richter am Landessozialgericht E.,

den Richter am Landessozialgericht F. sowie

die ehrenamtlichen Richter G. und H.

fürRecht erkannt:

Tenor:

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Der Rechtsstreit betrifft eine Rente wegen Berufsunfähigkeit für einen abgelaufenen Zeitraum.

2

Der im Jahre 1940 geborene Kläger ist Rechtshänder und durchlief von 1964 bis 1967 eine Lehre als Kfz-Mechaniker und wurde 1973 Kfz-Meister. Seither war er als solcher beschäftigt. In einem größeren Kfz-Betrieb bildete er Lehrlinge aus. Zuletzt war er bis Ende Februar 1996 als sog mitarbeitender Meister bei der Firma I., J. tätig. Dort war er für Achs- und Spureinstellungen, Reparaturen und die Einstellung von Vergasermotoren zuständig und hatte nach eigenen Angaben 1 bis 2 Auszubildende zu betreuen.

3

Auf den im September 1995 gestellten Rentenantrag veranlasste die Beklagte Nachuntersuchungen auf internistischem und orthopädischem Fachgebiet.

4

Facharzt für Innere Medizin Dr. K. erhob am 12. Februar 1996 auf seinem Fachgebiet Diabetes mellitus Typ II sowie Bronchitis und unkomplizierte Beinvarizen bds. An den inneren Organen hätten sich keine wesentlichen Gesundheitsstörungen gefunden. Über dem rechten Unterlappen wahrnehmbare Bronchitisgeräusche hätten mit Nikotinkonsum in Verbindung gebracht werden können. Der Diabetes mellitus habe noch nicht zu relevanten Sekundärschäden geführt. Als Kfz-Schlosser arbeite der Kläger zwar auf Kosten seiner Gesundheit. Mittelschwere Arbeiten könne er dagegen noch vollschichtig ausführen, wenn folgende Einsatzbeschränkungen beachtet würden:

5

gelegentlicher Wechsel von Sitzen, Stehen und Gehen, nicht überwiegend im Freien und ohne Gefährdung durch Kälte und Nässe, keine Nachtschicht, kein häufiges Heben und Tragen von Lasten über 15 kg, kein häufiges Bücken oder überwiegend einseitige Körperhaltung, keine Absturzgefahr (Gutachten vom 16.02.1996).

6

Facharzt für Orthopädie Dr. L. diagnostizierte am 22. Mai 1996 eine beginnende Degeneration der Rotatorenmanschette im Bereich des rechten Schultergelenkes bei leichter Rotationsfraktur, die häufige Überkopfarbeiten ausschlösse. Eine Teilblockierung des Achsenskelettes sei zu sehen auf dem Boden spondylotischer Veränderungen der unteren cervicalen Segmente sowie im Brustwirbelsäulenbereich (BWS). Dort fänden sich altersgemäße intervertebralchondrotische, aber faßbare spondylotische Umbauten. Bei Einschränkung des Innendrehvermögens im rechten Hüftgelenk und erloschenem Innendrehvermögen im linken Hüftgelenk hätte sich ferner eine beginnende Coxarthrose rechts gefunden. Demgemäß könne dem Kläger ganztägiges Stehen und häufiges Klettern oder Steigen nicht mehr zugemutet werden. An den Händen zeige er das typische Bild einer Arthrosis Heberden mit Befall der Endgelenke ohne Zeichen einer entzündlich rheumatischen Erkrankung. Die Griffqualitäten seien erhalten, der Faustschluss komplett. Eine gewisse Einschränkung der vollen Gebrauchsfähigkeit der Hände sei aus diesem Befund hinsichtlich der Fingergeschicklichkeit abzuleiten. Hinweise für eine vertebragene Wurzelkompression hätten sich weder an der oberen noch an der unteren Extremität gefunden. Der Kläger könne noch vollschichtig auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eingesetzt werden, wenn er mit leichten Arbeiten ohne dauerndes Stehen und Gehen, im Wechsel der drei Körperhaltungen, ohne häufiges Klettern und Steigen, ohne häufige Überkopfarbeit beschäftigt werde und die fehlende Fingergeschicklichkeit bds beachtet werde (Gutachten vom 28.05.1996).

7

Nach Auswertung dieser Gutachten lehnte die Beklagte das Rentenbegehren ab und verwies den Kläger auf die Tätigkeiten eines Meisters in der Reparaturannahme, auf Kontrolltätigkeiten in der Metallindustrie sowie auf den Maschinenbediener in der industriellen Fertigung (Bescheid vom 09.07.1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10. April 1997).

8

Auf die rechtzeitig erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) M. von den, den Kläger, behandelnden Ärzten Dres. N. und O. die Berichte vom 2. und 10. September 1997 sowie von der Fa. P. die Auskunft vom 30. September 1997 beigezogen. Sodann hat es den Abschnittsleiter beim Arbeitsamt M. Q. als berufskundigen Sachverständigen vernommen und die Klage mit der Begründung abgewiesen, dass der Kläger zwar nicht mehr als Kfz-Meister eingesetzt werden könne, wohl aber auf die Tätigkeiten eines Meisters in der Reparaturannahme oder eines Ausbilders in überbetrieblichen Ausbildungszentren verweisbar sei (Urteil vom 20. Juli 1998). Dagegen ist rechtzeitig Berufung eingelegt worden.

9

Auf den am selben Tag gestellten Antrag, ihm Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu gewähren, ist der Kläger auf Veranlassung der Beklagten am 1. März 1999 in Hannover nachuntersucht worden. Dabei hat der Internist Dr. R. einen optimal eingestellten Diabetes erhoben und festgestellt, dass der Kläger an einer ausgeprägten Heberden-Deformität im Bereich des 2. bis 4. Fingers links sowie des rechten kleinen Fingers mit Beugeeinschränkung auf 50 bis 60 Grad leide. Beim Handdruck sei die grobe Kraft rechts leicht gegenüber links gemindert. Die Beweglichkeit in den Schultern sei rechts eingeschränkt insbesondere bei Anteversion und Abduktion. Das rechte Hüftgelenk sei gegenüber links eingeschränkt und in den Bewegungen endständig schmerzhaft. Deutliche spondylarthrotische Veränderungen fänden sich im Bereich der Lendenwirbelsäule (LWS). Ferner müsse eine medial betonte Gonarthrose und Femoropatellar-Arthrose rechts stärker als links, eine Coxarthrose deformans bds., rechts wiederum stärker als links, berücksichtigt werden. Ein aufgehobenes Leistungsvermögen könne daraus nicht gefolgert werden. Vielmehr seien dem Kläger leichte Arbeiten im Wechsel der drei Körperhaltungen, ohne Bücken, ohne vorgebeugtes Stehen, ohne Klettern, Steigen und Absturzgefahr (Insulin, Knie- und Hüftgelenke) und ohne Hocken und Knien zuzumuten, wenn die Anwendung grober Kraft mit beiden Händen nicht gefordert werde. Unter Beachtung dieser Einsatzbeschränkungen könne der Kläger noch vollschichtig arbeiten (Gutachten vom 9. März 1999). Daraufhin hat die Beklagte das Vorliegen von Erwerbsunfähigkeit verneint. Auch dagegen hat der Kläger Klage vor dem SG M. erhoben (Az: S 13 RI 565/99).

10

Im vorbereitenden Verfahren des Senats sind die Berichte der den Kläger behandelnden Ärzte vom 22. Oktober und 11. November 1999 sowie die Akten des SG M., des Arbeitsamtes M. und des Versorgungsamtes M. beigezogen worden.

11

Der Kläger, der seit Mai 2000 Altersrente bezieht, beantragt,

  1. 1.

    das Urteil des Sozialgerichts M. vom 20. Juli 1998 und den Bescheid der Beklagten vom 9. Juli 1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10. April 1997 aufzuheben,

  2. 2.

    die Beklagte zu verurteilen, ihm rückwirkend ab 1. Oktober 1995 bis Ende April 2000 Rente wegen Berufsunfähigkeit zu gewähren.

12

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

13

Sie hält ihre angefochtene Entscheidung sowie die des SG M. für zutreffend.

14

Auf Veranlassung des Senats war der Kläger am 10. April 2001 in Bad S. orthopädisch sowie internistisch-rheumatologisch nachuntersucht worden (Gutachten der Dres. T. und U. vom 25. Juni und 31. Juli 2001. Ferner ist Diplom-Verwaltungswirt V., W. als weiterer berufskundiger Sachverständiger gehört worden.

15

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den sonstigen Inhalt der beigezogenen Akten und der Gerichtsakten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und anschließenden Beratung waren.

Entscheidungsgründe

16

Die gemäß §§ 143 ff Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt worden und somit zulässig.

17

Das Rechtsmittel ist jedoch nicht begründet.

18

Der Kläger hat für die Zeit vor Beginn seiner Altersrente keinen Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit. Nach § 43 Abs. 2 SGB VI idF des 2. SGB VI-Änderungsgesetzes vom 2. Mai 1996 (Bundesgesetzblatt I, 659 - SGB VI) waren berufsunfähig Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung auf weniger als die Hälfte derjenigen von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken war. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen war, umfasste alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprachen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufes und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden konnten. Berufsunfähig war unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit vollschichtig auszuüben im Stande war. So aber lagen die Verhältnisse hier.

19

Auf medizinischem Gebiet war das Restleistungsvermögen durch die im Verwaltungsverfahren und im gerichtlichen Verfahren beigezogenen ärztlichen Unterlagen und eingeholten Gutachten hinreichend geklärt. Danach litt der Kläger auf internistischem Fachgebiet an einem mit Insulin ordentlich eingestellten Diabetes mellitus II, an Bronchitis und seit 1997 auch an einer Kreuzdarmbeingelenksentzündung. Auf orthopädischem Gebiet fanden sich degenerative Veränderungen in den Bereichen Hals- und Lendenwirbelsäule sowie der rechten Schulter und des rechten Handgelenkes mit Funktionseinschränkungen ohne Wurzelreizsymptomatik, eine Heberden-Deformität im Bereich der Langfinger links und des Kleinfingers rechts mit Beugeeinschränkungen, eine Coxarthrose bds mit Funktionseinschränkungen, eine medial betonte Gonarthrose und Femoropatellar-Arthrose rechts stärker als links sowie eine Spreizfußhaltung mit leichtem Hallux rigidus links. Diese Befunde schlossen es zwar aus, den Kläger weiterhin als mitarbeitenden Kfz-Meister einzusetzen, hätten ihn aber andererseits gesundheitlich nicht überfordert, wenn er bei Meidung von Kälte, Zugluft und Nässeexpositionen, von schwerem Heben und Tragen über 10 kg, Überkopfarbeiten und Wirbelsäulenzwangshaltungen leichten körperlichen Tätigkeiten ohne besonderen Stress, Zeitdruck und Nachtschicht vollschichtig nachgegangen wäre. Nach den überzeugenden Ausführungen des berufskundlichen Sachverständigen V. hätte der Kläger damals mit seinem eingeschränkten Leistungsvermögen zumutbar als Annahmemeister oder Lehrer für die Fachpraxis im Kfz-Wesen eingesetzt werden können. Wegen der Anforderungsprofile dieser Verweisungstätigkeiten wird auf die schlüssigen Angaben des Sachverständigen verwiesen.

20

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.