Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 10.03.1994, Az.: 3 L 169/90
Abrundung eines Jagdbezirks von Amts wegen; Erforderlichkeit einer Abrundung zur Abwehr der Gefahr der Grenzjägerei und aus Gründen der Sicherheit der Jagdausübung; Abwehr der Gefahren durch verantwortungslosen Schusswaffengebrauch
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 10.03.1994
- Aktenzeichen
- 3 L 169/90
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1994, 26786
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:1994:0310.3L169.90.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Braunschweig - 27.08.1990 - AZ: 4 A 4328/93
Rechtsgrundlagen
- Art. 6 LJagdG Nds.
- Art. 32 LJagdG Nds.
- § 1 Abs. 2 BJagdG
- § 1 Abs. 3 BJagdG
- § 1 Abs. 4 BJagdG
- § 5 BJagdG
- § 22a BJagdG
- § 292 StGB
Verfahrensgegenstand
Jagdbezirksabrundung
Der 3. Senat des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts hat
auf die mündliche Verhandlung vom 10. März 1994
durch
den Vizepräsidenten des Niedersächsichen Oberverwaltungsgerichts Eichhorn,
die Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Gehrmann und Dr. Berkenbusch sowie
die ehrenamtlichen Richter Heemsoth und Hülsebus
für Recht erkannt:
Tenor:
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Braunschweig - 1. Kammer - vom 27. August 1990 wird geändert.
Der Bescheid des Beklagten vom 2. Dezember 1988 und der Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Braunschweig vom 19. April 1989 werden aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.
Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen eine Abrundungsverfügung des Beklagten.
Der gemeinschaftliche Jagdbezirk der Klägerin von insgesamt 300 ha Gesamtfläche bildet in seinem östlichen Bereich auf einer Länge von ca. 690 m eine tropfenförmige Fläche (47.284 qm). Diese ist in ihrem westlichen Teil ca. 15 bis 20 m breit, an der breitesten Stelle im Osten etwas mehr als 150 m. Die Fläche grenzt im Südwesten an den Staatsforst Uslar und an der nördlichen/nordöstlichen Grenze an den gemeinschaftlichen Jagdbezirk der Beigeladenen, der eine Gesamtfläche von 600 ha hat. Dieser Teil des gemeinschaftlichen Jagdbezirkes der Klägerin ist im südlichen, an den (zum Staatsforst gehörenden) öffentlichen Weg grenzenden Teil auf einer Länge von ca. 420 m mit 20 bis 25-jährigen Fichten (dichte Schonung) bepflanzt. Diese Fichtendickung ist an ihrer breitesten Stelle im östlichen Teil ca. 100 m breit, nach Westen verläuft sie in einem Keil aus. Der westliche schmale Teil der tropfenförmigen Fläche ist auf einer Länge von 80 m mit Weiden und Buchen in lichtem Bestand bewachsen. Im Norden und Osten grenzen an die Fichtenschonung eingezäunte Weideflächen an. Nordöstlich in Richtung Tal jenseits der Grenze zum Jagdbezirk der Beigeladenen schließen Ackerflächen an, auf denen im Wechsel auch Mais angebaut wird. Im nordwestlichen Bereich im Bezirk der Beigeladenen schließen sich Weideflächen an.
Zwischen den beteiligten Jagdgenossenschaften und deren Pächtern wurde in der Vergangenheit (seit 1955) über eine Abrundung des Jagdbezirks der Klägerin verhandelt. Ein Vertrag vom 19. Januar 1958 wurde nach "Kündigung" durch die Klägerin in einem verwaltungsgerichtlichen Rechtsstreit wegen Fehlens der damals geltenden Rechtsgrundlage für vertragliche Abrundungsvereinbarungen in Art. 6 LJagdG für rechtsunwirksam erklärt (VG Braunschweig, Urt. v. 13.2.1987 - 1 VG A 40/86 - rechtskräftig -).
Der Beklagte gestaltete mit Verfügung vom 2. Dezember 1988 die gemeinschaftlichen Jagdbezirke der Klägerin und der Beigeladenen neu. Nach Anhörung der Beteiligten wurde mit Zustimmung des Jagdbeirates durch Austausch von Flächen der beiden gemeinschaftlichen Jagdbezirke mit Wirkung vom 1. April 1993 eine Abrundung durch Angliederung der tropfenförmigen Fläche an den Bezirk der Beigeladenen vorgenommen. Die einzelnen Flurstücksteile ergeben sich aus der Verfügung des Beklagten. Zur Begründung wurde dargelegt, daß die ursprünglichen Jagdbezirksgrenzen nach Unwirksamkeitserklärung des Jagdbegradigungsvertrages vom 1958 wieder gelten. Die auf der dem Bescheid beigefügten Karte rot umrandete Fläche der Klägerin werde vom gemeinschaftlichen Jagdbezirk der Beigeladenen umschlossen, die Jagdausübung stehe der Hege entgegen, der für die Jagdausübung notwendige Zusammenhang dieser tropfenförmigen Fläche mit den übrigen Jagdflächen des Jagdbezirks der Klägerin bestehe nicht. Das Verbleiben der Fläche beim Jagdbezirk der Klägerin widerspreche der Zielsetzung gemäß § 1 Abs. 2 und 3 BJagdG. Eine Abrundung der Jagdbezirke von Amts wegen gemäß Art. 6 Abs. 1 LJagdG sei erforderlich. Eine Ermessensentscheidung dahin, keine Abrundung vorzunehmen, sei nicht möglich, da durch die Abrundung eine klare Grenzziehung erreicht und zudem vermieden werde, daß die zum gemeinschaftlichen Jagdbezirk der Klägerin gehörenden Flächen in den Bezirk der Beigeladenen hereinragten.
Die Bezirksregierung xxx wies mit Bescheid vom 19. April 1989 den Widerspruch der Klägerin zurück, weil nach ihrer Auffassung die Abrundung zur Abwehr der Gefahr der "Grenzjägerei" und aus Gründen der Sicherheit der Jagdausübung erforderlich sei, auch sei ein gefahrloser Gebrauch von Schußwaffen innerhalb des teilweise nur 15 m schmalen Geländestreifens unmöglich. Der Flächenaustausch sei ermessensgerecht.
Zur Begründung ihrer Klage hat die Klägerin vorgetragen, die Abrundung führe zu einer unübersichtlichen Grenzziehung, da die Grenze nunmehr durch die Dickung laufe.
Sie hat beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 2. Dezember 1988und den Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung xxx vom 19. April 1989 aufzuheben.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat vorgetragen, die nunmehr gradlinig verlaufende Grenze sei übersichtlich und könne auch durch Markierungen an Bäumen verdeutlicht werden. Die Forderung der Klägerin an einen exakten Wertausgleich hinsichtlich der ausgetauschten Flächen habe zurückzustehen.
Die Beigeladene hat sich dem Vorbringen des Beklagten angeschlossen und keinen Antrag gestellt.
Das Verwaltungsgericht hat nach Durchführung einer Ortsbesichtigung die Klage durch Urteil vom 27. August 1990 abgewiesen und zur Begründung dargelegt: Die von dem Beklagten getroffene Abrundungsentscheidung entspreche zwingenden jagdlichen Erfordernissen, allerdings weniger Erfordernissen der Jagdpflege. Die umstrittene Fläche des Jagdbezirks der Klägerin schiebe sich tropfenförmig erweiternd zwischen den Jagdbezirk der Beigeladenen und den Staatsforst xxx. Wegen der sich daraus ergebenden unübersichtlichen Situation, insbesondere aber aufgrund der äußerst geringen Breite zwischen ca 18 und 150 m und der relativ geringen Länge von knapp 700 m dieser Fläche könne die Jagd auf ihr aus Sicherheitsgründen kaum ausgeübt werden; ein derartig schmaler Geländestreifen berge zudem die Gefahr der "Grenzschinderei". Die getroffene Abrundungsmaßnahme sei ermessensfehlerfrei getroffen worden. Der Jagdbezirk der Klägerin erhalte auch an seiner südwestlichen Grenze eine Gestalt, die eine ordnungsgemäße Jagdausübung sicherstelle. Durch Zulegung eines Teilstücks des Jagdbezirkes der Beigeladenen entstehe für die Klägerin in diesem Bereich eine ausreichend breite Fläche, die zum Jagdbezirk der Beigeladenen durch gradlinig verlaufende und damit übersichtliche Grenzen begrenzt sei. Gerade dies würde aber verhindert, wenn die Grenze zugunsten der Klägerin innerhalb der Dickung weiter nach Südosten verschoben und dadurch in dem Bereich der nach Norden abfallenden Weideflächen verspringen würde. Die getroffene Abrundungsmaßnahme stelle sich nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme in diesem Teilbereich als gradlinig verlaufende gedachte Verbindung zwischen zwei auf sie zulaufenden Wegen dar und sei deshalb auch ohne große Schwierigkeiten in der Landschaft verfolgbar. Der Beklagte habe schließlich auch einen angemessenen Flächenausgleich vorgenommen, die Klägerin müsse die Zuweisung der jagdlich geringwertigen Austauschfläche aus Gründen der Jagdausübung hinnehmen. Der Zeitpunkt des Inkrafttretens der Abrundungsmaßnahme trage den Interessen der Pächter hinreichend Rechnung.
Die Klägerin hat gegen dieses Urteil Berufung eingelegt und sie im wesentlichen wie folgt begründet: Eine Abrundungsmaßnahme dürfe nur getroffen werden, wenn sie notwendig sei, weil sowohl Gründe der Jagdausübung als auch der Jagdpflege sie unabweisbar machten. Die tatsächlichen Voraussetzungen für beide unbestimmte Rechtsbegriffe seien indessen nicht gegeben. Bei dem strittigen Teil des Jagdbezirks der Klägerin handele es sich um einen nicht ungewöhnlichen, sondern üblichen Verlauf von Jagdgrenzen, so sei z.B. ein fingerförmiges Hereinragen des Bezirks der Klägerin in den der Beigeladenen oder etwas Vergleichbares nicht gegeben. Die Jagdausübung durch Jäger im Bezirk der Klägerin führe auch nicht zu übermäßigen Gefahren für Jäger im Bezirk der Beigeladenen oder andere Personen; sie hätten sich in der Vergangenheit nicht ergeben. Jeder Jäger im Bezirk der Klägerin kenne die Grenze und wisse die geeignete Stelle, wo er den Schuß abgeben könne, ohne Gefahren für Menschen außerhalb des Jagdbezirks zu verursachen. Es habe insoweit auch jahrelang keine Schwierigkeiten durch die Jagdausübung im Bezirk der Klägerin gegeben. Die Jagdausübung im Grenzbereich zum Bezirk der Beigeladenen sei normal. Jagd im Grenzbereich sei nicht verboten. Der Grenzverlauf sei hier sehr deutlich vorgegeben. Wenn das Wild im südöstlichen Zipfel des Bezirks der Klägerin krank geschossen werde, so gehe es krank in die Dickung, wo es genügend Schutz finde. Auch wenn die Abrundungsmaßnahme Bestand hätte, würde sich insoweit nichts ändern, es würde sich weiterhin um eine Jagd im Grenzbereich zum Staatsforst handeln.
Die Klägerin beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteiles nach dem in erster Instanz gestellten Antrag zu erkennen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Abrundungsmaßnahme könne sich auf Gründe der Jagdausübung oder auf solche der Hege stützen, es genüge also, daß nur die tatsächlichen Voraussetzungen für einen der unbestimmten Rechtsbegriffe gegeben sei. Die getroffene Abrundungsmaßnahme sei notwendig, weil es sich um einen "schlauchförmigen" Teil des Jagdbezirks der Klägerin handele. Es bestehe die Gefahr bei der Abgabe von Schüssen aus dem südöstlichen Bezirksteil der Klägerin, wenn sich Jäger im Bezirk der Beigeladenen nahe der Jagdgrenze aufhielten. Auch Wanderer auf dem Grenzweg zum Staatsforst könnten durch den Waffengebrauch im südöstlichen Bereich der Klägerin gefährdet werden. Die Abrundungsmaßnahme führe zu einer Erhöhung der Jagdsicherheit in diesem Bereich. Ein Ermessensfehler bei der Gestaltung des abgerundeten Bezirkes sei nicht erkennbar.
Die Beigeladene stellt keinen Antrag.
Der Berichterstatter hat am 10. Februar 1994 eine Ortsbesichtigung vorgenommen. Wegen des Ergebnisses wird auf die Niederschrift vom 10. Februar 1994 (Bl. 150 bis 152 der Gerichtsakte) verwiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Schriftsätze der Beteiligten, eine von der Klägerin überreichte Karte im Maßstab 1:2.000 und auf die Verwaltungsvorgänge der Beklagten sowie die Akten des Verwaltungsgerichts Braunschweig - 1 VG A 40/86 - Bezug genommen.
Gründe
Die Berufung hat Erfolg.
Die Abrundungsverfügung des Beklagten erweist sich als rechtswidrig und ist daher aufzuheben (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Nach § 5 des Bundes Jagdgesetzes vom 29. September 1976 (BGBl. I S. 2849) - BJagdG - können Jagdbezirke durch Abtrennung, Angliederung oder Austausch von Grundflächen abgerundet werden, wenn dies aus Erfordernissen der Jagdpflege und Jagdausübung notwendig ist. Im Streitfall sind die Voraussetzungen dieser Vorschrift nicht erfüllt.
Gemeinschaftliche Jagdbezirke dürfen abgerundet werden, wenn der Eingriff in den Gebietsstand eines gemeinschaftlichen Jagdbezirkes notwendig ist, er muß objektiv geboten sein; dies bedeutet, daß sich aus der Sicht eines neutralen, jagdlich erfahrenen Betrachters die Abrundung nach den örtlichen Verhältnisen als sachdienlich aufdrängen muß (OVG Lüneburg, Urt. v. 8.8.1991 - 3 L 170/90 - RdL 1991, 291). Das Recht der jagdberechtigten, jedoch nicht Jagdausübungsberechtigten Grundeigentümer (Jagdgenossen) im gemeinschaftlichen Jagdbezirk, über die Jagdausübung auf ihrem Grundeigentum im Rahmen der Jagdgenossenschaft selber mitzubestimmen, soll nach der gesetzlichen Regelung nur in notwendigen Fällen ausgeschlossen werden (BVerwG, Urt. v. 19.7.1984 - 3 C 30.83 -, JE II Nr. 71).
Entscheidend für die Rechtmäßigkeit einer Abrundungsmaßnahme ist, daß erstens die Erfordernisse der Jagdpflege (Hege des Wildes nach § 1 Abs. 2 BJagdG) und zweitens Erfordernisse der Jagdausübung (§ 1 Abs. 4 BJagdG) zwingende Gründe für die Abrundungsmaßnahme darstellen müssen. Unzuträglichkeiten und Schwierigkeiten bei der Bejagung im gemeinschaftlichen Jagdbezirk genügen hiernach nicht. Ob die tatsächlichen Voraussetzungen für die Annahme der Notwendigkeit aus Gründen der Jagdpflege und Jagdausübung gegeben sind, ist verwaltungsgerichtlich voll überprüfbar (BVerwG, Urt. v. 19.7.1984 - 3 C 30.83 - a.a.O. und OVG Münster, Urt. v. 16.12.1983 - 20 A 2464/82 - JE II Nr. 70).
Es braucht nicht abschließend entschieden zu werden, ob die Auffassung des Verwaltungsgerichts zutrifft, daß der Gesichtspunkt der Jagdpflege in den von der Abrundungsverfügung betroffenen Teilen des gemeinschaftlichen Jagdbezirks der Klägerin keine Bedeutung hat. Unter Jagdpflege ist die Hege im engeren Sinne, also die Schaffung von Deckung, Verbesserung der Äsung und die Winterfütterung, weiterhin der Jagdschutz und Regulierung des Wildbestandes nach Zahl und beim Schalenwild auch nach Qualität durch Wahlabschuß zu verstehen (Hess. VGH, Urt. v. 12.11.1970 RdL 1971, 211). Nach den bei der Ortsbesichtigung getroffenen Feststellungen sind Maßnahmen der Hege - Schaffung von Deckung, Verbesserung der Äsung, Winterfütterung etc. - in diesem Teil des gemeinschaftlichen Jagdbezirkes nicht notwendig und wohl auch nicht durchführbar.
Dieser Teil des Jagdbezirks bietet sich vornehmlich für die Ansitzjagd auf Sauen und gelegentlich auf Rehwild an. Die Sauen wechseln, wie die Beteiligten bei der Ortsbesichtigung bestätigt haben, auf zwei Hauptwechseln teilweise durch einen schmalen, mit Weiden bewachsenen Geländestreifen, teilweise im Osten durch die Fichtendickung in Richtung der Ackerflächen. Der Rückwechsel soll nach den Aussagen der Beteiligten über dieselben Wechsel verlaufen. Nach Aussage des zuständigen Jägermeisters handelt es sich bei dem mit Fichten bestandenen Teil des Jagdbezirkes mit den hangabwärts liegenden Wiesen um den besten Teil des gemeinschaftlichen Jagdbezirkes, soweit es um die Bejagung von Schwarzwild gehe, das aus den Buchenbeständen des Staatsforstes aus- und einwechsele. Auch der Rehwildbestand sei gut. Nicht jagdliche Hege, sondern der Abschuß von Schwarz- und Rehwild stehen in diesem Bereich des Jagdbezirks mithin im Vordergrund.
Begründet wird die Abrundungsentscheidung des Beklagten mit dem Gesichtspunkt der Jagdausübung. Unter Jagdausübung ist die Technik der Bejagung des Wildes mit Schußwaffe oder Falle, die Durchführung des Abschusses an vorhandenem Wild auch unter Einsatz von Jagdhunden mit allen erlaubten Jagdarten sowie die Nachsuche und Versorgung des erlegten Wildes zu verstehen (Hess. VGH a.a.O.). Die von dem Beklagten und der Widerspruchsbehörde angeführten Gründe für die getroffene Abrundung überzeugen angesichts des erheblichen jagdlichen Interesses der jagdberechtigten Jagdgenossen an der Beibehaltung des jetzigen Zustandes nicht.
So führen der Beklagte und die Widerspruchsbehörde die Gefahr der "Grenzjägerei" an, also Gründe der Jagdausübung. Die Ausübung der Jagd an der Reviergrenze ist nach geltendem Jagdrecht nicht untersagt. Sie stellt regelmäßig wegen der gegenseitigen Kontrolle der Jagdausübungsberechtigten in benachbarten gemeinschaftlichen Jagdbezirken kaum eine Gefahr für die Rechtsordnung (Wilderei, § 292 StGB) dar. Auch die Gefahr des Überwechselns krankgeschossenen Wildes über die Grenze in den nachbarlichen Bezirk, in dem die Nachsuche nur mit Einverständnis des Nachbarn durchgeführt werden darf (§ 22a BJagdG, Art. 32 LJagdG), darf nicht überschätzt werden; jedenfalls ist die Nachsuche angeschossenen Wildes gesetzlich geregelt. Grenzverstöße oder Verstöße bei der Wildfolge sind in der Vergangenheit nach dem übereinstimmenden Vortrag der Beteiligten bislang nicht vorgekommen. Dieser Umstand spricht entscheidend gegen die von dem Beklagten angenommene Gefahr. Im übrigen sprechen gegen seine Annahme folgende Erwägungen:
- a)
Die Gefahr der "Grenzjägerei" ist im östlichen Bereich des Bezirks, der hier 160 m breit ist, in gleicher Weise wie an jeder anderen Stelle des Jagdbezirks der Klägerin und der Beigeladenen gegeben, wo Wald/Feld, Wald/Wiesen oder Acker/ Wiesen durch die Jagdbezirksgrenzen getrennt werden.
Jeder Jagdausübungsberechtigte im Bezirk der Klägerin wird, wie die Erörterung mit den Beteiligten in der mündlichen Verhandlung bestätigt hat, beim Morgenwechsel der Sauen aus den Getreide- und Maisschlägen im Tal in Richtung zu der hangaufwärts gelegenen Fichtendickung das Wild nicht an der nördlichen Grenze zum Bezirk der Beigeladenen beschießen, weil die Gefahr des Flüchtens kranken Wildes zurück in die Getreide - und Maisschläge sehr groß wäre. Er wird vielmehr das aus den Ackerflächen im Bezirk der Beigeladenen in Richtung Süden oder Südwesten über die Grenze wechselnde Wild nahe an die Fichtendickung herankommen lassen, bevor er sich zum Schuß entschließt. Das krankgeschossene Wild wird dann nach allgemeiner jagdlicher Erfahrung nicht mehr hangabwärts zurück in die Ackerflächen flüchten, sondern die nahegelegene Fichtendickung annehmen. Diese Dickung hat im südöstlichen Bereich des Bezirks der Klägerin eine Breite von ca. 80 m bis 100 m und bietet dem kranken Wild genügend Schutz, so daß es dort in das Wundbett gehen wird. Ein Weiterwechseln über den Weg auf das Gelände des Staatsforstes in Richtung Südwesten hangaufwärts in den lichten Buchenbestand erscheint demgegenüber nicht wahrscheinlich. Vielmehr wird das kranke Wild im Fichtendickicht verbleiben und dort in der überwiegenden Zahl der Fälle verenden.
Beim nächtlichen Auswechseln des Schwarzwildes aus der Fichtendickung heraus in Richtung Nordosten in die Maisschläge bei xxx und xxx wird es sich genauso verhalten. Der Jagdausübungsberechtigte im Bezirk der Klägerin wird den Schuß nicht an der Grenze des Bezirks antragen, weil er dann befürchten muß, daß das Wild über die Bezirksgrenze in die landwirtschaftlichen Flächen flüchtet und dort eine schwierige Nachsuche und der Verlust der Jagdbeute bevorstehen.
Den Jagdausübungsberechtigten im Bezirk der Klägerin kann unterstellt werden, daß sie diese Überlegungen anstellen, um durch die Jagdausübung schnell in den Besitz des erlegten Wildes zu gelangen. Eine andere Jagdmethode, die offensichtlich unvernünftig und gedankenlos wäre, werden die Jäger nicht wählen. Die Erörterung in der mündlichen Verhandlung mit den Beteiligten haben diese Erwägungen bestätigt.
- b)
Auch aus der Sicht der Jagdausübungsberechtigten im Bezirk der Beigeladenen wird sich bei einer vernünftigen und waidgerechten Jagdausübung keine Versuchung bieten, abends oder nachts unmittelbar an der Bezirksgrenze zur Klägerin anzusitzen, um dort die Sauen kurz vor dem Auswechseln aus dem Bezirk der Klägerin oder morgens vor dem Einwechseln über die Grenze zur Klägerin zu beschießen. Die Jagdausübungsberechtigten im Bezirk der Beigeladenen werden den Schuß nicht in Grenznähe antragen, weil die Gefahr, daß das krankgeschossene Wild über die Grenze nach Nordwesten in den Bezirk der Klägerin flüchten wird, nach den örtlichen Gegebenheiten zu groß ist.
- c)
Gefahren für die Rechtsordnung (Wilderei, § 292 StGB) drohen auch nicht wegen der Nähe der Grenze des Staatsforstes Uslar. Wenn Jagdausübungsberechtigte der Klägerin im südöstlichen Bereich des tropfenförmigen Bezirksteils ein Stück Schwarzwild krank schießen, so ist - wie oben dargestellt - damit zu rechnen, daß das kranke Stück in die Fichtendickung einwechselt und dort in das Wundbett geht. Ein überwechseln über den Weg in Richtung Südwesten in den Staatsforst xxx hangaufwärts erscheint dagegen unwahrscheinlich.
- d)
Soweit Gefahren der "Grenzjägerei" in dem westlichen schmalen Grundstücksstreifen von 15 bis 25 m Breite geltend gemacht werden, überzeugt dies ebenfalls nicht. Es kann nicht unterstellt werden, daß Jagdausübungsberechtigte im Bezirk der Klägerin überhaupt schwerpunktmäßig in diesem Bereich jagen, eine derartige Jagdausübung würde das nachbarschaftliche Vertrauensverhältnis zwischen den Jägern der beiden Bezirke stören und damit erheblich gegen die Grundsätze der Waidgerechtigkeit (§ 1 Abs. 3 BJagdG) verstoßen. Die Klägerin ist ohnehin bei einer vertraglichen Regelung bereit, den schmalen Streifen zum befriedeten Bezirk zu erklären, was sinnvoll erscheint.
Im übrigen würde eine derartig nachbarschaftswidrige Jagdausübung unschwer von Besuchern in der Jagdhütte beobachtet werden können, die sich nördlich des schmalen Streifens befindet (Vgl. die Karte Maßstab 1: 2000) und die auch im Falle einer Abrundung weiterhin von den Jägern der Beigeladenen benutzt werden soll. Es erscheint wenig wahrscheinlich, daß unter den Augen der Jäger der Beigeladenen in dem schmalen Streifen häufig die Jagd ausgeübt wird. Das ist auch von keiner Seite behauptet worden.
Der Beklagte und die Widerspruchsbehörde führen für ihre Entscheidung schließlich Gefahren der Jagdausübung an. Wenn derartige Gefahren durch verantwortungslosen Schußwaffengebrauch drohen sollten, so sind sie nach dem jetzigen Zustand ohne die Abrundungsmaßnahme ebenso gegeben wie nach Durchführung der getroffenen Entscheidung.
a)
Jagdberechtigte im Bezirk der Klägerin werden beim Ansitz am Fichtendickungsrand möglichst die Schußrichtung Westen mit leichter Verschwenkung nach Norden wählen, weil das Gelände in Richtung Nordosten hangabwärts verläuft und die Schußrichtung in Richtung Westen gefahrlos erscheint, zumal wenn der Schuß vom Ansitzstuhl aus einer Höhe von 4 m abgegeben wird. Insoweit bestehen keine ungewöhnlichen Gefahren durch Schußwaffengebrauch für Personen oder Sachen. Bei einer Schußrichtung in Richtung Norden hangabwärts muß der Schütze den Hintergrund beobachten. Dies ist bei jeder Jagdausübung eine typische Situation.
Wenn der Bezirksteil - nach erfolgter Abrundung - zum Bezirk der Beigeladenen gehören würde, ergäben sich dieselben Gefahren, denn auch dann würde ein Jäger an derselben Stelle ansitzen, um den Sauenauswechsel bzw. Einwechsel zu beobachten. Insoweit verbessert sich durch die Abrundungsmaßnahme nichts für die Risikolage der Jagdausübung.
b)
Nach dem jetzigen Zustand gefährden die Jagdberechtigten im Bezirk der Beigeladenen mit hangaufwärts gerichteten Schüssen bei Unachtsamkeit Personen und Sachen im Bezirk der Klägerin. Die Gefahrensituation bleibt die gleiche, wenn die Jagdausübungsberechtigten der Klägerin - nach einer Abrundung - die Jagd auf den nordwestlich gelegenen Wiesen ausüben würden.
Es ist danach nicht erkennbar, daß die Abrundungsmaßnahme zu einer Gefahrenminderung führen wird.
Nach allem hat die Berufung der Klägerin Erfolg.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.
Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig, weil keine Billigkeitsgründe für die Auferlegung der Kosten der Beigeladenen auf den Beklagten ersichtlich sind (§ 162 Abs. 3 VwGO).
Die Revision ist gemäß § 132 Abs. 2 VwGO nicht zuzulassen.
Dr. Gehrmann
Dr. Berkenbusch