Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 10.09.2004, Az.: 1 ME 231/04
Abwehrrecht; Baugenehmigung; Bebauungsplan; Drittschutz; Entwicklungsmöglichkeit; Geruch; Geruchsbelästigung; Heranrücken; heranrückende Wohnbebauung; Landwirt; Landwirtschaft; landwirtschaftlicher Betrieb; Mehrzweckhalle; Nachbar; Nachbarklage; Nachbarrecht; Nachbarschutz; Nachbarstreit; Nachbarwiderspruch; Passepartoutgenehmigung; Rücksichtnahme; Rücksichtnahmegebot; Tierhaltung; Viehhaltung; Wohnbauvorhaben; Wohnbebauung
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 10.09.2004
- Aktenzeichen
- 1 ME 231/04
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2004, 50943
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 04.08.2004 - AZ: 4 B 3653/04
Rechtsgrundlagen
- § 15 Abs 1 BauNVO
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Die Baugenehmigung für eine Mehrzweckhalle für einen landwirtschaftlichen Betrieb deckt nicht jede nur mögliche Tierhaltung in dieser Halle, sondern nur die Unterbringung der in der Betriebsbeschreibung offen gelegten Tiere.
Die Genehmigung für die Haltung von ca. 50 Rindern und bis zu 24 Pferden auf Festmist verleiht dem Landwirt kein Abwehrrecht gegen eine ca. 50 m entfernte Wohnbebauung.
Gründe
Der Antragsteller wendet sich mit der Begründung gegen das den Beigeladenen genehmigte Wohnbauvorhaben, diese Nutzung sei mit den Immissionen nicht zu vereinbaren, welche von seiner Mehrzweckhalle ausgingen. Für deren noch nicht abgeschlossene Errichtung hatte der Antragsteller unter dem 18.2.2003 die Genehmigung erhalten. Der Aufstellungsort liegt rund 47,50 m westlich des Bauplatzes der Beigeladenen. Deren Grundstück liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplanes der Antragsgegnerin Nr. 02/16 „Vor dem Bruchgraben“, den der Rat der Antragsgegnerin am 12.5.2004 als Satzung beschlossen hat und der allgemeines Wohngebiet als zulässige Nutzungsart festsetzt. Dessen Aufstellung hatte der Antragsteller unter anderem mit dem Argument bekämpft, in der Mehrzweckhalle, deren Genehmigung er erstrebe, wolle er (möglicherweise) sommers auch Schweine halten. Deren Gerüche seien mit dem Schutzanspruch der Wohnbebauung nicht zu vereinbaren.
Das Verwaltungsgericht hat den Eilantrag mit dem angegriffenen Beschluss, auf dessen Einzelheiten Bezug genommen wird, und im wesentlichen folgender Begründung abgelehnt:
Das angegriffene Vorhaben setze sich voraussichtlich nicht unzumutbaren Geruchsbelästigungen aus. Die Mehrzweckhalle des Antragstellers werde im wesentlichen nur zur Aufstallung von Rindvieh genutzt werden. Die Untersuchung der Bayerischen Landesanstalt für Landtechnik der TU München-Weihenstephan habe hierfür ermittelt, dass im wesentlichen unabhängig von der Größe des Tierbestandes schon in einem Abstand von 30 m Gerüche nicht mehr festzustellen seien. Andere Nutzungen könnten in der Halle zulässigerweise nicht ausgeübt werden. Das gelte namentlich für die Absichten des Antragstellers, dort selbst oder durch seinen Sohn Schweine und/oder Geflügel halten zu wollen. Diese Nutzungen würden von der unter dem 18.2.2003 für die Mehrzweckhalle erteilten Baugenehmigung nicht umfasst. Wegen nur vager Absichten, die landwirtschaftlichen Aktivitäten auszuweiten, brauchten die Beigeladenen ihre Bauabsichten nicht zurückzustellen. Dasselbe habe für die Antragsgegnerin in ihrer Eigenschaft als planende Gemeinde gegolten. Bei der Aufstellung des Planes, dessen Festsetzungen die Beigeladenen nunmehr ausnutzen wollten, habe sie den nunmehr in den Vordergrund gestellten Nutzungsabsichten des Antragstellers nicht Rechnung tragen müssen, da sich diese nicht als Fortsetzung der bisher ausgeübten landwirtschaftlichen Tätigkeit darstellten.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers. Zu deren Begründung macht er insbesondere geltend, entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts schließe die Baugenehmigung für die Mehrzweckhalle offenkundig auch andere landwirtschaftliche Nutzungen, namentlich das Halten von Schweinen ein. Die - genehmigte - Betriebsweise sei mit „Viehhaltung“ bewusst breit gehalten worden, um sich die genehmigungsrechtliche Grundlage für eine gewinnbringende Landwirtschaft zu verschaffen und zu erhalten. Zudem habe er die Antragsgegnerin schon während des Aufstellungsverfahrens zum Bebauungsplan Nr. 02/16 „Vor dem Bruchgraben“ darauf aufmerksam gemacht, dass er in dem Gebäude auch andere Tiere als nur Rind- und Milchvieh halten werde. In rechtswidriger Weise habe es die Antragsgegnerin unterlassen, das daraufhin erforderliche Geruchsgutachten einzuholen, welches die Unverträglichkeit beider Nutzungen ergeben hätte.
Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Die wegen § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO von Rechts wegen auf die geltend gemachten Beschwerdegründe beschränkte Überprüfung ergibt, dass der angegriffene Beschluss nicht zu beanstanden ist.
Die Baugenehmigung vom 18.2.2003 verschafft dem Antragsteller kein Abwehrrecht gegen die genehmigte Wohnnutzung. Entgegen seiner Annahme schließt diese Baugenehmigung das Halten von anderen Tieren als Rinder in dem fraglichen Bauwerk nicht schon deshalb zwangsläufig ein, weil dieses in dem Bauantrag vom 20./23. Mai 1998 - eingegangen am 27. Mai 1998 - als Mehrzweckgebäude bezeichnet worden ist. Das käme einer baurechtlich unzulässigen Passepartoutgenehmigung gleich. Wegen der untrennbaren Einheit von Bausubstanz und Nutzung und der Notwendigkeit, die Vereinbarkeit der zur Genehmigung gestellten Nutzung mit konkurrierenden öffentlichen und privaten Belangen zu prüfen, ist es vielmehr erforderlich, dass der Bauherr den Umfang der landwirtschaftlichen Tätigkeiten, welche er in dem Gebäude zu entwickeln beabsichtigt, präzise formuliert. Da Tiere, wie das Verwaltungsgericht zutreffend dargelegt hat, ganz unterschiedliche Immissionen verursachen (können), reicht es demzufolge auch nicht aus, schlicht „landwirtschaftliche Tierhaltung“ als Nutzungszweck zu offenbaren. Erforderlich ist vielmehr, dass die Tierart und -anzahl ebenso offenbart wird wie die Art ihrer Aufstallung. Nur soweit diese Nutzungsabsichten in dieser Weise im Baugenehmigungsverfahren angegeben worden sind, können sie an der Regelungswirkung der Baugenehmigung teilnehmen.
Danach kann die Beschwerde keinen Erfolg haben. Aufgefordert, seinen oben genannten Bauantrag für eine landwirtschaftliche Mehrzweckhalle in Einklang mit der Bauvorlagenordnung zu ergänzen, hat der Antragsteller durch den F. Bau Service unter dem 16.9.1998 neben der Statik, den Positionszeichnungen, dem Fundamentenplan und dem Begrünungsplan eine Betriebsbeschreibung eingereicht (Bl. 18 BA B). Darin (Bl. 49 ff. BA B) wird unter der Rubrik „Vorgesehen Tierhaltung im Bauvorhaben“ ausgeführt:
ca. 45 - 50 Stück Rindvieh auf Festmist sowie bis 24 Pferde, ebenfalls auf Festmist. Unter der Rubrik „Tierbestand insgesamt nach Fertigstellung“ heißt es in Circa-Angaben:
45 - 50 Milchkühe, 10 Kälber, 10 Jährlinge, 10 Rinder und 24 Pferde, alle auf Festmist. Für die Rubriken „Mastschweine, Sauen, Läufer“ fehlt eine Eintragung. Dementsprechend wird auch in der nächsten Rubrik („Sonstige Angaben und Hinweise“) ausgeführt: „In der Mehrzweckhalle sollen auch Pferde gehalten werden. Ferner soll auch Rindvieh auf einer Festmistmatratze gehalten werden, die 1mal (eventuell 2mal) im Jahr ausgemistet wird. - Maschinen, Geräte und landwirtschaftliches Wirtschaftsgut soll ebenfalls eingebracht werden.“
Dementsprechend hat sich die Landwirtschaftskammer G. in ihren Äußerungen vom 30.5.1996 (Bauvoranfrage) und vom 6.10.1998 (Baugenehmigungsantrag) ausschließlich mit der Frage beschäftigt, dass dort Rinder, Milchvieh und Nachzucht gehalten werden sollten.
Die nunmehr vom Antragsteller in den Vordergrund seiner Beschwerdebegründung gerückten Tierarten nehmen an der Genehmigungs- und Legalisierungswirkung der Baugenehmigung vom 18.2.2003 damit nicht teil.
Daran ändert auch nichts, dass der Antragsteller weitergehende Nutzungsabsichten der Antragsgegnerin offenbart haben will. Erstens geschah dies ihr gegenüber nicht in ihrer Eigenschaft als Bauaufsichtsbehörde, sondern im Rahmen des Aufstellungsverfahrens für den o.g. Bebauungsplan. Die Antragsgegnerin hatte daher überhaupt keinen Anlass, die entsprechenden Informationen in das Baugenehmigungsverfahren herüberzureichen. Das gilt für die Äußerung vom 24.3.2003 schon deshalb, weil diese der Erteilung der Baugenehmigung vom 18.2.2003 nachgefolgt ist. Im Schreiben vom 14. Januar 2001 wird lediglich die vage Absicht geäußert, sein Sohn möchte sich als zweites finanzielles Standbein mit der Haltung von Hühnern beschäftigen, ohne dies der streitigen Halle zuzuordnen. Das geschieht am Ende dieser Eingabe nur für Schweine, auch das aber nur in der Form einer vagen Absicht. Eine Verknüpfung mit dem Baugenehmigungsverfahren wird schon nach dem Betreff dieser Eingabe (dieser bezieht sich allein auf das Aufstellungsverfahren für den Bebauungsplan Nr. 02/15 „Brandenkamp-West“ sowie die 75. Änderung des Flächennutzungsplanes) nicht hergestellt. In der nachfolgenden Eingabe vom 25.2.2002, welche sich ebenfalls nur auf die Aufstellung des Bebauungsplanes Nr. 02/15 „Brandenkamp - west“ bezieht, hatten der Antragsteller und seine Frau die Schweinehaltung sogar noch vager in Aussicht genommen. Von dieser ist lediglich dergestalt die Rede, dass diese für den Fall geplant sei, dass sich die Ausrichtung des Betriebes in Zukunft ändern werde.
Als Zwischenergebnis ist damit festzuhalten, dass die Baugenehmigung vom 18.2.2003 die Haltung von Schweinen und Hühnern in dem Mehrzweckgebäude nicht einschließt.
Die Ausführungen des Antragstellers in seiner Eingabe vom 25.2.2002 zeigen zugleich, dass die nunmehr behaupteten Erweiterungsabsichten weder ein Abwehrrecht des Antragstellers gegen die hier angegriffene Baugenehmigung noch einen beachtlichen Einwand gegen die von der Antragsgegnerin betriebene Bauplanung darstellen.
Das Verwaltungsgericht hat unter Hinweis auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. Januar 1993 (- 4 C 19.90 -, NVwZ 1993, 1184 = DVBl. 1993, 652 = BRS 55 Nr. 175) zutreffend dargelegt, dass der Landwirt sein Interesse an einer Erweiterung seiner landwirtschaftlichen Tätigkeiten weder im Nachbarstreit noch im Aufstellungsverfahren zu einem Bebauungsplan mit einer bloßen Behauptung durchsetzen kann. Abwägungsbeachtlich und im Nachbarstreit wehrfähig ist das Interesse, sich Erweiterungsmöglichkeiten zu sichern, erst dann, wenn diese Entwicklung bereits konkret ins Auge gefasst ist oder bei realistischer Betrachtung der vom Landwirt aufzuzeigenden betrieblichen Entwicklungsmöglichkeiten nahe liegt (vgl. Nds. OVG, Urt. v. 4.1.1983 - 1 C 2/81 -, BRS 40 Nr. 34). Eine Erweiterungsabsicht kann nicht losgelöst vom vorhandenen Baubestand und der bestehenden Betriebsgröße Beachtung verlangen (vgl. auch Bad.-Württ. VGH, Urt. v. 26.5.1994 - 5 S 2193/93 -, UPR 1995, 110). Das Interesse des Landwirts, sich alle Entwicklungsmöglichkeiten offen zu halten, reicht ebenso wenig aus wie unklare oder unverbindliche Absichtserklärungen (BVerwG, Beschl. v. 10.11.1998 - 4 BN 44.98 -, NVwZ-RR 1999, 423; Beschl. v. 5.9.2000 - 4 B 56.00 -, NVwZ-RR 2001, 82 = BauR 2001, 83 = AgrarR 2001, 248).
Die Eingabe des Antragstellers vom 25.2.2002 zeigt, dass er selbst das Halten von Hühnern und/oder Schweinen als eine Neuausrichtung seines Betriebes und nicht als dessen organische Fortsetzung ansähe. Das ist auch objektiv so. Bislang hatte er allein Rinder, Milchvieh und Pferde gehalten bzw. deren Haltung in Aussicht genommen. Die Mehrzweckhalle ist für das Halten der anderen Tiere schon baulich nicht oder kaum geeignet. Spaltenböden und Güllekeller sind nicht vorhanden.