Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 31.10.2012, Az.: 11 LA 255/12
Anforderungen an eine Erledigung der erkennungsdienstlichen Behandlung nach § 81b Alt. 2 StPO
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 31.10.2012
- Aktenzeichen
- 11 LA 255/12
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2012, 25975
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2012:1031.11LA255.12.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Lüneburg - 27.08.2012 - AZ: 3 A 38/12
Rechtsgrundlage
- § 81b Alt. 2 StPO
Fundstellen
- DÖV 2013, 121
- NordÖR 2013, 225
Amtlicher Leitsatz
Die Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung nach § 81b Alt. 2 StPO erledigt sich regelmäßig nicht bereits mit der Durchführung der erkennungsdienstlichen Behandlung
Gründe
Der Antrag des Klägers, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zuzulassen, hat keinen Erfolg.
Aus dem Zulassungsvorbringen ergeben sich keine ernstlichen Zweifel i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung.
Dies gilt schon deshalb, weil der Kläger seine Anfechtungsklage gegen den Bescheid der Beklagten vom 13. Februar 2012 zu Unrecht auf eine Fortsetzungsfeststellungsklage umgestellt hat. Entgegen seiner Annahme hat sich der Bescheid vom 13. Februar 2012 nicht dadurch erledigt, dass der Kläger - wie angeordnet - am 4. Juli 2012 erkennungsdienstlich behandelt worden ist. Ein Verwaltungsakt bleibt gemäß § 43 Abs. 2 VwVfG wirksam, solange er nicht erledigt ist. Allein der Vollzug eines Handlungspflichten auferlegenden Verwaltungsaktes muss demnach nicht bereits zu dessen Erledigung führen, und zwar auch dann nicht, wenn hiermit irreversible Tatsachen geschaffen werden. Die Erledigung eines Verwaltungsaktes tritt vielmehr erst ein, wenn dieser nicht mehr geeignet ist, rechtliche Wirkungen zu erzeugen oder wenn die Steuerungsfunktion, die ihm ursprünglich innewohnte, nachträglich entfallen ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 25.9.2008 - 7 C 5/08 -, [...], Rn. 13, m.w.N.). Die rechtlichen Wirkungen des Bescheides vom 13. Februar 2012 sind mit Durchführung der erkennungsdienstlichen Behandlung nicht insgesamt entfallen. Ein solcher Bescheid enthält nämlich nicht nur das Gebot an den Betroffenen, sich erkennungsdienstlich behandeln zu lassen, sondern stellt zugleich die Rechtmäßigkeit der Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung fest, die wiederum eine rechtliche Grundlage für die weitere Aufbewahrung bzw. Speicherung der bei der erkennungsdienstlichen Behandlung gewonnenen Unterlagen bzw. Daten ist. Solange der Bescheid über die Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung wirksam ist, kann der Betroffene deshalb eine Vernichtung der dabei gewonnenen Unterlagen bzw. eine Löschung der gespeicherten Daten nicht erfolgreich mit der Begründung verlangen, diese Unterlagen bzw. Daten seien - gemessen an den gesetzlichen Voraussetzungen - bereits nicht rechtmäßig (etwa i.S.d. § 39 Abs. 3 Satz 1 Nds. SOG) erhoben worden. Wegen dieser fortbestehenden Rechtswirkungen erledigt sich also die Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung nach § 81b Alt. 2 StPO nicht bereits mit deren Durchführung. Dass die hier streitige Anordnung gleichwohl auch für die Aufbewahrung bzw. Speicherung der bei der Behandlung des Klägers erlangten Unterlagen bzw. Daten nicht mehr von rechtlicher Bedeutung sei, etwa weil diese Aufbewahrung bzw. Speicherung bereits aus anderen Gründen unzulässig sei, macht der Kläger nicht geltend und ist auch für den Senat nicht zu erkennen.
Unabhängig davon, dass der Fortsetzungsfeststellungsantrag des Klägers schon aus dem vorgenannten Grund keinen Erfolg haben kann, ergeben sich aus seinem Zulassungsvorbringen aber auch im Übrigen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils, soweit darin davon ausgegangen wird, auch hinsichtlich des am 5. Juni 2012 nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellten Anlassverfahrens sei ein sog. Restverdacht (vgl. dazu und zum Folgenden: Senatsbeschl. v. 12.9.2011 - 11 LA 209/11 -, [...], m.w.N.) gegen den Kläger verblieben. Zwar kann eine entsprechende erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts auch nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO angegriffen werden. Dazu reicht es aber nicht aus, sich darauf zu berufen, das Verwaltungsgericht habe sich seine Überzeugung vom Vorliegen einer erheblichen Tatsache auf einer bislang unzureichenden Grundlage gebildet. Vielmehr muss zusätzlich vorgetragen werden, welche Ermittlungen unterlassen worden sind, zu welchem Ergebnis sie voraussichtlich geführt hätten und warum danach die umstrittene Feststellung nicht mehr gerechtfertigt ist. Bezogen auf die vorliegende Fallkonstellation reicht es also nicht aus zu kritisieren, dass das Verwaltungsgericht einen Restverdacht gegen den Kläger auch im Anlassverfahren angenommen habe. Vielmehr müsste dargelegt werden, aus welchem vom Verwaltungsgericht nicht gewürdigten Beweismittel sich ergeben soll, dass gegen den Kläger im Anlassverfahren nachträglich auch der Restverdacht entfallen ist. Ein solches Beweismittel benennt der Kläger aber nicht und ist auch für den Senat nicht zu erkennen.
Aus der Einstellung des Ermittlungsverfahrens nach § 170 Abs. 2 StPO folgt nichts anderes. Denn eine solche Einstellung ist bereits dann geboten, wenn kein die Anklageerhebung nach§ 170 Abs. 1 StPO rechtfertigender hinreichender Tatverdacht gegeben ist. Ob darüber hinaus auch ein Restverdacht gegen den Beschuldigten entfallen ist, ist hingegen strafprozessual insoweit unerheblich. Im Übrigen schreibt Nr. 88 Satz 2 der Richtlinien für das Strafverfahren- und das Bußgeldverfahren (RiStBV) in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. März 2012 ausdrücklich vor, dass, soweit sich herausgestellt hat, dass der Beschuldigte unschuldig ist oder dass gegen ihn kein begründeter Verdacht mehr besteht, dies in der Einstellungsmitteilung an den Beschuldigten auszusprechen ist. Eine so lautende Einstellungsmitteilung hat der Kläger aber nicht erhalten. Auch dies spricht eher für und nicht gegen die Richtigkeit der Annahme des Verwaltungsgerichts, gegen ihn sei auch im Anlassverfahren ein Restverdacht verblieben.
Die Berufung ist auch nicht wegen einer Divergenz im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO zuzulassen.
Dieser Zulassungsgrund (vgl. zum Folgenden: Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 23.4.2012 - 8 LA 45/11 -, [...], Rn. 31, m.w.N.) ist nur dann gegeben, wenn das Verwaltungsgericht seinem Urteil einen abstrakten Rechtssatz zugrunde gelegt hat, der mit einem in einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts aufgestellten, dieselbe Rechtsfrage betreffenden und die Entscheidung tragenden Rechtssatz nicht übereinstimmt. Dabei muss ein prinzipieller Auffassungsunterschied deutlich werden, weil die bloße unrichtige oder unterbliebene Anwendung eines obergerichtlich oder höchstrichterlich aufgestellten Rechtssatzes den Zulassungsgrund der Divergenz nicht erfüllt. Dementsprechend erfordert die Darlegung einer Divergenz vor allem, dass in dem Zulassungsantrag die beiden einander widerstreitenden abstrakten Rechts- oder Tatsachensätze des Divergenzgerichts einerseits und des Verwaltungsgerichts andererseits zitiert oder - sofern sie im Urteil nicht bereits ausdrücklich genannt sind - herausgearbeitet und bezeichnet werden.
Diesen Anforderungen entspricht das Zulassungsvorbringen nicht. Daraus wird schon nicht deutlich, von welchem Rechtssatz das Verwaltungsgericht abgewichen sein soll. Sollte der Kläger eine Abweichung von dem Rechtssatz annehmen wollen, dass für eine erkennungsdienstliche Behandlung nach§ 81b Alt. 2 StPO auch bezüglich des Anlassverfahrens zumindest ein Restverdacht gegen den Betroffenen verblieben sein muss, so ist das Verwaltungsgericht hiervon nicht abgewichen. Vielmehr hat es seiner Entscheidung ausdrücklich zu Grunde gelegt, dass das Ermittlungsverfahren nicht nachträglich auf Grund erwiesener Unschuld des Betroffenen eingestellt worden sein darf (S. 5 der Urteilsgründe).