Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 27.04.2017, Az.: 9 LA 40/17

Festsetzung einer zu niedrigen Abgabe im kommunalen Abgabenbescheid regelmäßig als ein ausschließlich belastender Verwaltungsakt; Änderung von Vergnügungsteuerbescheiden

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
27.04.2017
Aktenzeichen
9 LA 40/17
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2017, 49517
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2017:0427.9LA40.17.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Braunschweig - 26.01.2017 - AZ: 8 A 319/15

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Für die Änderung von Vergnügungsteuerbescheiden gelten im Land Niedersachsen nicht über § 11 NKAG die §§ 172 ff. AO.

  2. 2.

    Ein kommunaler Abgabenbescheid, mit dem eine zu niedrige Abgabe festgesetzt wird, ist regelmäßig ein ausschließlich belastender Verwaltungsakt, dessen Änderung nicht den Einschränkungen des § 130 Abs. 2 und 3 AO unterliegt.

Tenor:

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Braunschweig - Einzelrichterin der 8. Kammer - vom 26. Januar 2017 wird abgelehnt.

Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstands wird für das Zulassungsverfahren auf 268.700,79 EUR festgesetzt.

Gründe

1

Der Antrag der Klägerin,

die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zuzulassen,

bleibt ohne Erfolg.

2

Mit dem angefochtenen Urteil hat das Verwaltungsgericht ihre Klage gegen einen Vergnügungsteuer-Änderungsbescheid abgewiesen. Mit diesem wurde sie für vergangene Besteuerungszeiträume nach einer ursprünglich zu niedrigeren Veranlagung zu weiteren Vergnügungsteuern herangezogen.

3

Die von der Klägerin geltend gemachten Zulassungsgründe nach § 124 Abs. 2 Nrn. 1, 2, 3 und 5 VwGO liegen nicht vor bzw. sind nicht hinreichend dargelegt worden.

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Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ergeben sich aus den Darlegungen der Klägerin nicht. Denn sie hat weder einen das Urteil tragenden Rechtssatz noch eine erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt.

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Die Klägerin wendet sich gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass § 172 AO, der eine Änderung von Steuerbescheiden nur sehr eingeschränkt zulässt, als Rechtsgrundlage für den angefochtenen Änderungsbescheid ausscheide.

6

Das Verwaltungsgericht hat hierzu ausgeführt, dass § 172 AO in § 11 Abs. 1 NKAG nicht ausdrücklich für auf kommunale Abgaben anwendbar erklärt werde. Die Norm gelange auch nicht nach § 11 Abs. 1 Halbsatz 2 NKAG zur Anwendung. Die Abgabenordnung sei kein anderes Bundes- oder Landesgesetz im Sinne dieser Vorschrift. Denn § 11 NKAG befasse sich insgesamt ausschließlich mit der Anwendung bestimmter Vorschriften der Abgabenordnung. Daher sollten alle nicht genannten Vorschriften der Abgabenordnung nach dem Willen des Gesetzgebers nicht zur Anwendung kommen.

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Die Klägerin meint, das Verwaltungsgericht habe § 11 NKAG falsch ausgelegt. Die Auflistung der für anwendbar erklärten Vorschriften der Abgabenordnung in § 11 Abs. 1 Halbsatz 1 NKAG sei nicht abschließend. Infolge der nur enumerativen Verweisung könnten Rechtslücken auftreten. Wegen des Vorrangs bundes- und landesrechtlicher Vorschriften müssten in einem solchen Fall auch die nicht erwähnten Bestimmungen der Abgabenordnung angewendet werden, soweit sie Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens seien. Der Landesgesetzgeber habe die Anwendung von Spezialvorschriften der Abgabenordnung auf kommunale Abgaben gewollt. Andernfalls hätte er § 11 Abs. 1 Halbsatz 2 NKAG "weggelassen". Die Abgabenordnung sei ein anderes Bundesgesetz im Sinne des § 11 Abs. 1 Halbsatz 2 NKAG, welches in den §§ 172 ff. besondere Vorschriften für die Änderung von Steuerbescheiden enthalte. Es sei kein Grund dafür ersichtlich, Vergnügungsteuerbescheide anders zu behandeln als Gewerbe- und Körperschaftssteuerbescheide, für welche die §§ 172 ff. AO gälten.

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Mit diesem Vorbringen stellt die Klägerin die genannte Rechtsansicht des Verwaltungsgerichts nicht schlüssig in Frage. Für die bundesrechtlich geregelten Gewerbe- und Körperschaftssteuern gelten die §§ 172 ff. AO kraft ausdrücklicher Anordnung des Bundesgesetzgebers (§ 1 Abs. 2 Nr. 4 AO in Verbindung mit § 3 Abs. 2 AO bzw. § 1 Abs. 1 AO). Demgegenüber ist der jeweilige Landesgesetzgeber zur Entscheidung darüber befugt, ob und welche Vorschriften der Abgabenordnung auf die nach dem jeweiligen Landeskommunalabgabengesetz erhobenen kommunalen Abgaben Anwendung finden sollen. § 11 Abs. 1 NKAG lautet: "Auf kommunale Abgaben sind die folgenden Bestimmungen der Abgabenordnung in der jeweils geltenden Fassung entsprechend anzuwenden, soweit nicht dieses Gesetz oder andere Bundes- oder Landesgesetze besondere Vorschriften enthalten: ..." Nachfolgend verweist § 11 NKAG nicht auf die §§ 172 ff. AO. Hierbei handelt es sich nicht um eine ungewollte Rechtslücke, sondern um eine bewusste Entscheidung des Landesgesetzgebers. Denn ursprünglich waren die §§ 172 ff. AO nach § 11 NKAG auf kommunale Abgaben entsprechend anwendbar. Mit dem Gesetz zur Änderung des Niedersächsischen Kommunalabgabengesetzes und anderer abgabenrechtlicher Vorschriften vom 2. Juli 1985 (Nds. GVBl. S. 207) wurde der Verweis aufgehoben. In der Gesetzesbegründung heißt es:

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"Die Inbezugnahme der Vorschriften der Abgabenordnung zur Bestandskraft von Steuerbescheiden - d. h. ihrer sehr eingeschränkten Aufhebung und Änderung - hat sich nicht bewährt, weil dadurch z. B. die Nacherhebung von Beiträgen und Gebühren bei zunächst zu niedriger Veranlagung bis zum Eintritt der Festsetzungsverjährung rechtlich umstritten geblieben ist. Bei Vorteils- und Leistungsentgelten ist das Fehlen einer gesetzlich nicht abgesicherten und auch von der obergerichtlichen Rechtsprechung bisher nicht geklärten Rechtslage unbefriedigend. Eingeschränkt gilt dies auch für die kommunalen Steuern, deren häufige Ordnungsfunktion nicht berücksichtigt wird. Abgesehen von den mit Ausnahme der Hebesatzfestsetzung materiell wie verfahrensrechtlich durch Bundesgesetz geregelten Realsteuern (§ 1 Abs. 2 Nr. 4 AO verweist auch auf die §§ 172 bis 177 AO) soll sich die Bestandskraft der von Landkreisen und Gemeinden erlassenen Abgabenbescheide künftig nach den weniger rigiden allgemeinen Vorschriften (§§ 125 bis 132 AO) richten. Rechtswidrige Bescheide können unter den Voraussetzungen des § 130 AO zurückgenommen, rechtmäßige Bescheide unter den Voraussetzungen des § 131 AO widerrufen werden." (LT-Drucks. 10/3930, S. 13).

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Hieraus ergibt sich eindeutig, dass der niedersächsische Landesgesetzgeber für kommunale Abgaben die Regelungen der §§ 172 ff. AO nicht - und zwar auch nicht über § 11 Abs. 1 Halbsatz 2 NKAG - zur Anwendung kommen lassen wollte.

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Die Klägerin macht ferner geltend, der angefochtene Änderungsbescheid sei nicht - wie das Verwaltungsgericht meine - nach § 130 Abs. 1 AO zu beurteilen, sondern nach den für begünstigende Verwaltungsakte geltenden Absätzen 2 und 3 des § 130 AO.

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Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, dass es mit dem Bundesverwaltungsgericht Abgabenbescheide als ausschließlich belastende Verwaltungsakte ansehe.

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Die Klägerin vertritt die Ansicht, bei der Abgrenzung von begünstigenden und belastenden Verwaltungsakten komme es darauf an, ob ein Verwaltungsakt aus Sicht des Adressaten belastend oder begünstigend sei. Aus ihrer Sicht sei die zunächst zu niedrige Steuerfestsetzung eine Begünstigung. Denn sie werde durch den Änderungsbescheid schlechter gestellt. Die vom Verwaltungsgericht in Bezug genommenen Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts beträfen nicht § 130 AO, sondern §§ 48, 49 VwVfG. Die grundlegende Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahre 1968 sei vor Inkrafttreten des § 130 AO ergangen. Die Rechtsprechung sei nicht auf § 130 AO übertragbar, weil diese Norm im Gegensatz zu § 48 Abs. 2 VwVfG nicht zwischen "normalen Verwaltungsakten" und "Geld-Verwaltungsakten" unterscheide. Nach der Kommentarliteratur sei im Rahmen des § 130 AO nicht maßgebend, ob der Ausgangsbescheid, sondern ob die Rücknahme begünstigend oder belastend sei. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs sei ein Abgabenbescheid, der eine Abgabe zu niedrig festsetze, begünstigend im Sinne des § 130 Abs. 2 AO. In diese Richtung gehe auch ein Urteil des Verwaltungsgerichts München (15 K 11.5009).

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Aus diesem Vortrag ergeben sich ebenfalls keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils. Entgegen der Annahme der Klägerin erfolgt die Auslegung eines Verwaltungsakts nicht nach dem subjektiven Empfinden des Adressaten, sondern in entsprechender Anwendung des § 133 BGB nach dem objektiven Erklärungswert des übermittelten Bescheids. Ausgehend hiervon handelt es sich nach ständiger Senatsrechtsprechung bei einem kommunalen Abgabenbescheid, mit dem eine zu niedrige Abgabe festgesetzt wird, regelmäßig ausschließlich um einen belastenden Verwaltungsakt (vgl. Senatsurteil v. 15.1.2010 - 9 LB 6/08 -; Senatsbeschlüsse v. 8.5.2012 - 9 LA 127/11 -; v. 19.7.2012 - 9 LA 194/11 -; v. 6.10.2010 - 9 LA 205/09 -). Eine den Adressaten begünstigende verbindliche Regelung dahingehend, dass eine darüber hinausgehende Heranziehung ausgeschlossen sein soll, enthält er in aller Regel nicht, zumal Abgabenansprüche bis zum Eintritt der Festsetzungsverjährung grundsätzlich auszuschöpfen sind und das Abgabenschuldverhältnis erst erlischt, wenn der Abgabenanspruch selbst erlischt (vgl. Senatsbeschlüsse v. 23.12.1988 - 9 B 95/88 - KStZ 1989, 194; v. 6.10.2010 - 9 LA 205/09 -; v. 19.7.2012, a.a.O.; vgl. auch HessVGH, Beschluss v. 2.10.1980 - V TH 13/80 - NJW 1981, 596 [BVerwG 18.03.1980 - BVerwG 1 C 51/79]; OVG NW, Urteile v. 25.2.1982 - 2 A 1503/81 - KStZ 1983, 172; v. 1.10.1990 - 22 A 1393/90 - juris Rn. 47; OVG SH, Urteil v. 28.9.1992 - 2 L 148/91 - juris Rn. 19; OVG LSA, Beschluss v. 16.11.2006 - 4 L 191/06 - ZKF 2007, 167; BayVGH, Urteil v. 28.1.2004 - 4 B 00.2397 - juris Rn. 41; Beschluss v, 16.6.2009 - 6 CS 08.3257 - juris Rn. 10; ThürOVG, Beschluss v. 29.4.2008 - 4 ZKO 610/07 - juris Rn. 20; OVG MV, Urteil v. 15.12.2009 - 1 L 323/06 - juris Rn. 55 f.; OVG Bremen, Beschluss v. 25.9.2013 - 1 A 43/12 - juris Rn. 20; Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Stand: Sep. 2016, § 8 Rn. 30; Klein, AO, 13. Aufl. 2016, § 130 Rn. 40; Freese, in: Rosenzweig/Freese/v. Waldthausen, NKAG, Stand: Feb. 2016, § 11 Rn. 66). Hiervon ist auch der niedersächsische Landesgesetzgeber bei der Streichung des Verweises im Niedersächsischen Kommunalabgabengesetz auf die §§ 172 ff. AO ausgegangen. So heißt es in der Gesetzesbegründung:

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Die Festsetzung einer Kommunalabgabe ist stets ein belastender Verwaltungsakt, und zwar auch dann, wenn später die Abgabe durch einen neuen Bescheid erhöht wird, so daß die einschränkende Vorschrift des § 130 Abs. 2 AO nicht anwendbar ist." (LT-Drucks. 10/3930, S. 13).

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Auch nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts enthalten Abgabenbescheide neben der Anforderung von Abgaben ohne das Hinzutreten besonderer Umstände keine stillschweigenden Begünstigungen wie z. B. Verzichte oder Erlasse auf weitergehende Abgabenansprüche, sondern sind ausschließlich belastend (vgl. BVerwG, Urteile v. 12.7.1968 - 7 C 48.66 - juris Rn. 32; v. 15.4.1983 - 8 C 170.81 - juris Rn. 24; v. 18.3.1988 - 8 C 92.87 - juris Rn. 19 f.; - 8 C 115.86 - juris Rn. 16; v. 26.1.1996 - 8 C 14.94 - juris Rn. 14). Etwas anderes kann ausnahmsweise dann gelten, wenn dem Bescheid als zusätzlicher Regelungsgehalt ausdrücklich oder konkludent zu entnehmen ist, eine höhere Festsetzung werde - trotz eines weitergehenden Steueranspruchs - nicht erfolgen (OVG NW, Urteil v. 1.10.1990, a.a.O., Rn. 48; VGH BW, Urteil v. 23.11.1995 - 2 S 2947/94 - juris Rn. 23). Für einen derartigen zusätzlichen Regelungsgehalt der geänderten Vergnügungsteuerbescheide ist hier aber nichts ersichtlich.

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Zwar weist die Klägerin zutreffend darauf hin, dass die genannten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts nicht speziell zu § 130 AO ergangen sind. Jedoch lassen sich ihnen umgekehrt auch keinerlei Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass im Rahmen des § 130 AO für die Beurteilung, ob ein Steuerverwaltungsakt belastend oder begünstigend ist, andere Maßstäbe gelten sollen.

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Dem in der von der Klägerin angeführten Kommentarliteratur vertretenen Ansatz, im Rahmen des § 130 AO sei nicht zu prüfen, ob der ursprüngliche Verwaltungsakt belastend oder begünstigend sei, sondern ob die Korrektur (Rücknahme) den Steuerpflichtigen belaste oder begünstige (so Loose, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, Stand: Jan. 2014, Vor § 130 Rn. 18), vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Denn ein solches Verständnis ist mit dem eindeutigen Wortlaut des § 130 AO nicht in Einklang zu bringen.

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Zwar trifft es zu, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs in einem Abrechnungsbescheid im Sinne des § 218 Abs. 2 AO von dem Regelungsgehalt einer zuvor erlassenen Anrechnungsverfügung - die einen selbständigen (deklaratorischen) Verwaltungsakt darstellt - zu Lasten des Steuerpflichtigen nur abgewichen werden darf, wenn die Voraussetzungen des § 130 Abs. 2 AO vorliegen (grundlegend BFH, Urteil v. 16.10.1985 - VII R 159/83 - juris; vgl. auch BFH, Urteil v. 27.10.2009 - VII R 51/08 - juris Rn. 15 m.w.N.). Danach ist eine erhöhte Anrechnung von Steuern, die einen zu hohen Erstattungsbetrag "bestätigt", ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt (BFH, Urteil v. 16.10.1985, a.a.O.). Jedoch ist dieser Rechtsprechung kein verallgemeinerungsfähiger Rechtssatz dahingehend zu entnehmen, dass in einer zu niedrigen Steuerfestsetzung ein begünstigender Verwaltungsakt liegt.

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Das von der Klägerin in Bezug genommene Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 11. Oktober 2012 (M 15 K 11.5009) betrifft die hier nicht erhebliche Frage, ob ein Bescheid, mit dem eine Förderung in beantragter Höhe bewilligt wird, begünstigend oder belastend ist, wenn dem Empfänger tatsächlich ein höherer Anspruch zusteht.

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Die Klägerin meint des Weiteren, dass Verwaltungsgericht hätte § 130 Abs. 1 AO deshalb nicht für einschlägig erachten dürfen, weil die Vorschrift nur die Rücknahme von Steuerverwaltungsakten, nicht hingegen ihre Änderung betreffe. Änderungen von Steuerbescheiden seien in der Abgabenordnung ausschließlich in den §§ 172 ff. AO geregelt. Eine Rücknahme sei hier nicht erkennbar.

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Auch mit diesem Vorbringen stellt sie die Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Ergebnis nicht schlüssig in Frage.

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Zwar geht sie Recht in der Annahme, dass § 130 Abs. 1 AO (in Verbindung mit § 11 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b NKAG) nur dann maßgebend wäre, wenn die Beklagte mit dem Änderungsbescheid die zunächst erlassenen Vergnügungsteuerbescheide zurückgenommen und die Rücknahme mit einer vollständigen Neufestsetzung verbunden hätte. Nicht hingegen regelt § 130 Abs. 1 AO den Fall, dass mit dem Änderungsbescheid nach einer noch nicht vollständigen Erschöpfung eines Abgabenanspruchs lediglich bislang noch nicht festgesetzte Differenzbeträge nacherhoben werden. Das Verwaltungsgericht hat den Änderungsbescheid offenbar im erstgenannten Sinne ausgelegt. Denn es hat ihn unter Verweis auf die Ermessensvorschrift des § 130 Abs. 1 AO und ein sog. intendiertes Ermessen für rechtmäßig erklärt. Der Senat teilt allerdings die Ansicht der Klägerin, dass im Änderungsbescheid keine Rücknahme der früheren Vergnügungsteuerbescheide verbunden mit einer vollständigen Neufestsetzung zu sehen ist. Vielmehr wird in dem Änderungsbescheid nur zum Teil eine neue Entscheidung getroffen, während die Altbescheide im Übrigen wiederholend bestätigt werden. Bereits die Bezeichnung "Änderungsbescheid" spricht dafür, dass die Behörde zumindest teilweise an den ursprünglichen Bescheiden festhalten will (vgl. BVerwG, Urteil v. 28.3.1996 - 7 C 36.95 - juris Rn. 16; Senatsbeschluss v. 21.12.2011 - 9 LA 107/11 -). Der angefochtene Änderungsbescheid enthält auch ausdrücklich keine Aufhebung des Ausgangsbescheids, sondern beschränkt sich unter Beibehaltung des bisherigen Kassenzeichens auf eine Änderung der Steuerfestsetzung in der Form, dass die bisherigen Beträge für die betreffenden Besteuerungszeiträume, die jeweils neuen Beträge und unter der Rubrik "Festsetzung Erhöhung/Minderung in EUR" nur die jeweiligen Differenzbeträge aufgeführt werden. Dies kann bei einer objektivierten Sichtweise des Bescheidadressaten unter Würdigung der Gesamtumstände nur als Änderung der ursprünglichen Steuerfestsetzung in Form einer ergänzenden Nacherhebung der von den ursprünglichen Steuerbescheiden noch nicht erfassten Beträge verstanden werden (ähnlich Senatsbeschluss v. 21.12.2011, a.a.O.; siehe auch OVG NW, Urteil v. 1.10.1990, a.a.O., Rn. 50 zur Auslegung eines Vergnügungsteuer-Änderungsbescheids).

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Der Umstand, dass damit § 130 Abs. 1 AO nicht einschlägig ist, hat allerdings - anders als die Klägerin offenbar meint - nicht zur Folge, dass der Änderungsbescheid rechtswidrig ist. Vielmehr ist die unstreitig innerhalb der Festsetzungsverjährungsfrist erfolgte Nacherhebung sogar ohne Berücksichtigung der Ermessensvorschrift des § 130 Abs. 1 AO zulässig, d. h. ohne dass es überhaupt der Erwägungen des Verwaltungsgerichts zu einem etwaigen intendierten Ermessen bedarf (vgl. Senatsbeschluss v. 19.7.2012, a.a.O.). Denn insbesondere im Kommunalabgabenrecht sind Abgaben, die durch bestandskräftigen Bescheid zu niedrig festgesetzt wurden, bis zum Eintritt der Festsetzungsverjährung nachzufordern (vgl. BVerwG, Urteil v. 26.1.1996, a.a.O., Rn. 13 m.w.N.; Senatsbeschluss v. 23.12.1988 - 9 B 95/88 - KStZ 1989, 195, jeweils zu Erschließungsbeiträgen; OVG NW, Urteil v.1.10.1990, a.a.O., Rn. 43 ff. zu Vergnügungsteuern; OVG LSA, Beschluss v. 18.5.2005 - 4 M 701/04 - juris Rn. 7 zu Herstellungsbeiträgen für leitungsgebundene Einrichtungen; BayVGH, Beschluss v. 17.3.2010 - 22 ZB 09.1047 - juris Rn. 19 zu Abwasserabgaben). Grundsätzlich kann zwar auch ein ausschließlich belastender Bescheid, mit dem eine zu niedrige Abgabe verlangt wird, ein geeigneter Gegenstand für ein verfassungsrechtlich geschütztes Vertrauen sein. Ein solches Vertrauen setzt jedoch eine adäquate Vertrauensbetätigung und deren Schutzwürdigkeit voraus (vgl. BVerwG, Urteile v. 18.3.1988 - 8 C 92.87 - juris Rn. 24 f.; v. 18.3.1988 - 8 C 92.87 - juris Rn. 19; - 8 C 115.86 - juris Rn. 16; v. 26.1.1996, a.a.O., Rn. 14). Eine solche hat die Klägerin nicht dargelegt.

25

Die Berufung ist auch nicht gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen.

26

Eine Rechtssache ist grundsätzlich bedeutsam im Sinne dieser Norm, wenn sie eine höchstrichterlich noch nicht beantwortete Rechts- oder Tatsachenfrage von allgemeiner Bedeutung aufwirft, die im Rechtsmittelverfahren entscheidungserheblich ist und im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Weiterentwicklung des Rechts einer fallübergreifenden Klärung in einem Berufungsverfahren bedarf.

27

Eine derartige rechtsgrundsätzliche Frage hat die Klägerin nicht bezeichnet. Die sinngemäß von ihr aufgeworfene Frage, ob ein Steuerbescheid, mit dem eine Steuer zu niedrig festgesetzt wurde, ein begünstigender Verwaltungsakt im Sinne des § 130 AO ist, ist nicht in einem Berufungsverfahren klärungsbedürftig. Denn sie lässt sich ohne Weiteres auf der Grundlage der oben genannten Rechtsprechung verneinen, und zwar ohne dass es dabei zu einer Diskrepanz zwischen der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung und derjenigen des Bundesfinanzhofs kommt.

28

Die Berufung kann auch nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zugelassen werden. Die Klägerin hat nicht dargelegt, weshalb die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweisen sollte. Dies ist auch nicht ersichtlich. Vielmehr lassen sich die von der Klägerin aufgeworfenen Fragen im erläuterten Sinne beantworten, ohne dass dies mit überdurchschnittlichen Schwierigkeiten verbunden wäre.

29

Schließlich scheidet auch eine Zulassung der Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO aus. Denn das Verwaltungsgericht hat keinen Verfahrensmangel im Sinne dieser Vorschrift begangen. Entgegen der Annahme der Klägerin hat es nicht gemäß § 124a Abs. 1 in Verbindung mit § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Frage zulassen müssen, ob ein Steuerbescheid, mit dem eine Steuer zu niedrig festgesetzt wurde, ein begünstigender Verwaltungsakt im Sinne des § 130 AO ist. Denn dieser Frage kommt - wie ausgeführt - keine grundsätzliche Bedeutung zu. Ebenso wenig hat es die genannte Frage dem Gemeinsamen Senat der obersten Bundesgerichte vorlegen müssen. Nach § 2 Abs. 1 des Gesetzes zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes entscheidet der Gemeinsame Senat nur, wenn ein oberster Gerichtshof in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen obersten Gerichtshofs oder des Gemeinsamen Senats abweichen will. Das Verwaltungsgericht ist kein oberster Gerichtshof. Eine erweiternde Auslegung dahingehend, dass auch Verwaltungsgerichte den Gemeinsamen Senat der obersten Bundesgerichte anrufen können, scheidet angesichts des klaren Wortlauts aus. Im Übrigen ist das Verwaltungsgericht nicht - wie die Klägerin meint - von der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs abgewichen. Dieser ist - wie ausgeführt - kein verallgemeinerungsfähiger Rechtssatz dahingehend zu entnehmen, dass in einer zu niedrigen Steuerfestsetzung ein begünstigender Verwaltungsakt liegt.

30

Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

31

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf §§ 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.

32

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).