Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 13.10.2021, Az.: 2 NB 50/21

Curricularnormwert; Deputatsreduzierung; Dienstleistungsexport; Stellenverlagerungen

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
13.10.2021
Aktenzeichen
2 NB 50/21
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2021, 70969
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 16.12.2020 - AZ: 8 C 5330/20

Tenor:

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover - Einzelrichter der 8. Kammer - vom 16. Dezember 2020 wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragstellerin begehrt die vorläufige Zulassung zum Bachelorstudium Psychologie im Wintersemester 2020/2021 außerhalb der festgesetzten Zulassungszahl.

Durch die Verordnung über Zulassungszahlen für Studienplätze zum Wintersemester 2020/2021 und zum Sommersemester 2021 - ZZ-VO 2020/2021 - vom 24. Juni 2020 (Nds. GVBl. S. 172) ist für das Wintersemester 2020/2021 eine Zulassungszahl von 89 für Studienanfänger im Bachelorstudiengang Psychologie bei der Antragsgegnerin festgesetzt worden.

Die Antragstellerin bewarb sich bei der Antragsgegnerin ohne Erfolg um einen Studienplatz im Bachelorstudiengang Psychologie außerhalb der Kapazität. Mit ihrem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat sie geltend gemacht, dass die festgesetzte Studienplatzzahl die tatsächliche Aufnahmekapazität der Antragsgegnerin im Bachelorstudiengang Psychologie nicht erschöpfe. Das Verwaltungsgericht ist dem nicht gefolgt und hat den Antrag abgelehnt. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin.

II.

Die Beschwerde ist unbegründet. Die von der Antragstellerin innerhalb der Beschwerdebegründungsfrist (§ 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO) vorgetragenen Gründe, die den Prüfungsumfang des Senats im Beschwerdeverfahren bestimmen (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen die Änderung des angegriffenen Beschlusses nicht.

Mit ihrer Beschwerdebegründung beanstandet die Antragstellerin die in die Kapazitätsberechnung eingestellten Deputatsreduzierungen sowie den angesetzten Dienstleistungsexport und den zugrunde gelegten Curricularnormwert. Sie fordert außerdem den in erster Instanz von der Antragsgegnerin nicht vorgelegten Nachweis, dass eine wissenschaftliche Mitarbeiterin auf Zeit auch zur eigenen Weiterbildung beschäftigt ist, und begehrt Auskunft über im Vergleich zum vorhergehenden Berechnungszeitraum vorgenommene etwaige Stellenverlagerungen. Auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens hat die erstinstanzliche Entscheidung Bestand.

1. Die Einwände der Antragstellerin gegen die Deputatsreduzierungen der Lehrkräfte E., F. und G. greifen nicht durch.

a) Ohne Erfolg macht die Antragstellerin geltend, die Ermäßigung für Frau E. dürfte nur zur Hälfte in Ansatz gebracht werden, da sie nur befristet erteilt worden sei (bis 31. März 2021). Die Antragsgegnerin ist dem mit dem Hinweis entgegengetreten, der Kapazitätsberechnung lasse sich entnehmen, dass diese Deputatsermäßigung durch Lehraufträge kompensiert werde und daher kapazitätsneutral sei. Der Beschwerdeangriff gehe vor diesem Hintergrund ins Leere. Die Antragstellerin hat darauf nichts mehr erwidert.

b) Die Deputatsreduzierung von Frau F. ist aus Sicht des Senats nicht zu beanstanden. Die Antragsgegnerin hat in ihrer Beschwerdeerwiderung zutreffend darauf hingewiesen, dass eine zeitliche Eingrenzung der Deputatsreduzierung weder im Antrag noch im Beschluss des Präsidiums zwingend erforderlich ist, weil die Deputatsreduzierung kraft Natur der Sache für den Zeitraum gewährt wird, in dem die besondere Dienstaufgabe übernommen wird. Hinsichtlich des Umfangs der Tätigkeit ist dem Antrag von Frau F. zu entnehmen, dass 20 Stunden pro Woche auf die Weiterbildungstätigkeit entfallen und es sich um eine eigens für diese Tätigkeit eingerichtete Stelle handelt. Das Präsidium hat dies bei seiner Entscheidung zur Kenntnis genommen und keinen Anlass gesehen, an diesen Angaben zu zweifeln. Bedenken hiergegen bestehen nicht.

Gleiches gilt für die Rüge der Antragstellerin, die Entscheidung des Präsidiums sei „formelhaft“. Die Antragsgegnerin hat im Beschwerdeverfahren zulässigerweise hinreichend erläutert, warum das Präsidium davon ausgegangen ist, dass die zur Reduzierung führenden Dienstaufgaben letztlich der Betreuung der bereits immatrikulierten Studierenden zu Gute komme und für diese von besonderer Bedeutung seien. Die Antragsgegnerin hat insoweit ausgeführt, dass die Beratungslehrerweiterbildung zur Folge habe, dass die sie durchführenden Lehrpersonen engen Kontakt zu Lehrern hätten, die täglich Schüler unterrichteten und in diesem Zusammenhang mit besonderen Problemen konfrontiert würden. Dieser Kontakt zur Praxis befruchte in besonderem Maße Forschung und Lehre, was den immatrikulierten Studierenden zugutekomme. Die von der Antragstellerin beanstandete Dokumentation der Beschlussfassung des Präsidiums, bei der hinsichtlich der Deputatsreduzierungen verschiedener Lehrkräfte teilweise wortgleiche Beschlüsse gefasst worden sind, rechtfertigt sich mit Blick auf den Sinn und Zweck des Protokolls, (nur) die Beschlussformeln im Einzelnen wiederzugeben. In diesen Beschlussformeln, in denen auf die jeweiligen Antragsformulare und die in diesen enthaltenen individuellen Angaben Bezug genommen wird, kommt aber noch hinreichend zum Ausdruck, dass das Präsidium die erforderliche Abwägungs- und Ermessensentscheidung getroffen hat.

c) Soweit die Antragstellerin hinsichtlich der Deputatsreduzierung von Frau G. ebenfalls die „Formelhaftigkeit“ des Präsidiumsbeschlusses und die mangelnd zeitliche Eingrenzung der Ermäßigung beanstandet, gelten die obigen Ausführungen entsprechend. Gleiches gilt für den geltend gemachten Zeitaufwand. Nach dem Antragsformular handelt es sich bei der stellvertretenden therapeutischen Leitung der Hochschulambulanz für Kinder und Jugendliche KIM um eine 50%-Stelle, die Frau G. mit 20 Wochenstunden angegeben hat. Die Antragsgegnerin hat die Tätigkeit im erstinstanzlichen Verfahren mit Schriftsatz vom 19. Oktober 2020 (zur Veranschaulichung für das Gericht) näher erläutert. Für den Senat ist nicht ersichtlich, dass hier zwingend weiterer Klärungsbedarf besteht. Schließlich greift auch der Einwand der Antragstellerin nicht durch, das Antragsformular sei unvollständig ausgefüllt. Die Antragsgegnerin hat in ihrem Schriftsatz vom 1. Dezember 2020 zur Recht darauf hingewiesen, dass eine Kompensation der Deputatsreduzierung nicht stattfindet, wenn in diesem Punkt die Angaben fehlen. Das legt im Übrigen schon die Fragestellung auf dem Antragsformular nahe, wonach lediglich nähere Angaben zu einer tatsächlich stattfindenden Kompensation verlangt werden.

2. Soweit die Antragstellerin den in die Kapazitätsberechnung eingestellten Dienstleistungsexport beanstandet, ist zunächst klarzustellen, dass nach der Rechtsprechung des Senats die mit jedem Dienstleistungsexport einer Lehreinheit einhergehende Beeinträchtigung des grundrechtlich gewährleisteten Anspruchs eines Studienbewerbers auf Zulassung zum Studium, der bei Studiengängen mit numerus clausus als Recht auf Teilhabe an den vorhandenen Ausbildungskapazitäten gewährleistet ist, im Grundsatz zulässig ist. Denn die als Dienstleistung exportierte Lehre geht nicht verloren, sondern schafft Ausbildungskapazität in einem anderen Studiengang. Weder das Kapazitätserschöpfungsgebot noch das Teilhaberecht des Studienbewerbers vermitteln einen Anspruch darauf, dass Lehrpotential der wissenschaftlichen Lehrkräfte einer Hochschule in einer allein einem von dieser Hochschule angebotenen Studiengang zugutekommenden Weise einzusetzen. Ein von einer Lehreinheit für sogenannte „harte“ Studiengänge erbrachter Dienstleistungsexport könnte lediglich dann verfassungsrechtlichen Bedenken unterliegen, wenn er sachlich nicht geboten ist oder qualitativ gleichwertig auch von einer Lehreinheit, der keine „harten“ Studiengänge zugeordnet sind, erbracht werden könnte (vgl. Senatsbeschl. v. 22.1.2019 - 2 NB 1695/17 -, juris Rn. 15; u. v. 24.9.2020 - 2 NB 751/19 -, juris Rn. 7, vgl. auch OVG NRW, Beschl. v. 13.10.2018 - 13 C 67/18 - juris Rn. 23 f. m.w.N. sowie BayVGH, Beschl. v. 21.7.2017 - 7 CE 17.10036 - juris Rn. 12 f.). Danach teilt der Senat nicht die Auffassung der Antragstellerin, dass ein Dienstleistungsexport in Wahlpflichtfächer generell unzulässig ist. Zu überprüfen ist auch insoweit allenfalls, ob die betreffende Lehrleistung stattdessen von dem importierenden Studiengang selbst oder von einem sonstigen nicht zulassungsbeschränkten Studiengang erbracht werden könnte und ob dem in Rede stehende Wahlpflichtangebot sachwidrige oder willkürliche Erwägungen zugrunde liegen (vgl. BayVGH, Beschl. v. 21.7.2017 - 7 CE 17.10036 - juris Rn. 12 f.).

In ihrer Beschwerdeerwiderung hat die Antragsgegnerin umfassende Angaben zum Dienstleistungsexport gemacht. Die dagegen erhobenen Einwände der Antragstellerin verhelfen der Beschwerde nicht zum Erfolg. Weder der angestellte Vergleich zur Universität Göttingen noch der Hinweis, die Antragsgegnerin könne sich nicht darauf berufen, dass Psychologie erst seit 2003 angeboten werde, vermögen den näher erläuterten Ansatz des Dienstleistungsexports in Frage zu stellen. Der eher gegriffene Vergleich mit einer einzelnen weiteren Universität ist für sich genommen schon nicht aussagekräftig. Die Erläuterung der historischen Entwicklungen durch die Antragsgegnerin - allein das bezweckt der Hinweis auf das Jahr 2003 - ist nachvollziehbar. Soweit die Antragstellerin die Ausführungen der Antragsgegnerin angreift, nach denen sie sogar einen zu niedrigen Dienstleistungsexport berechnet habe, ist weder dargelegt noch ersichtlich, was sie daraus für sich herleiten will.

Schließlich greift auch der Einwand der Antragstellerin nicht durch, entgegen der Darstellung der Antragsgegnerin lasse sich aus § 7 der Studienordnung für das Fach Psychologie in den polyvalenten Zwei-Fächer-Bachelorstudiengängen B.A./B.Sc. nicht herleiten, dass es sich bei den Angeboten der Psychologie um verpflichtende Lehrveranstaltungen handle. Unabhängig davon, dass nach den obigen Maßgaben der Rechtsprechung des Senats ein Dienstleistungsexport in Wahl- und Wahlpflichtfächer nicht ausgeschlossen ist, vermag der Senat den Einwand der Antragstellerin nicht nachzuvollziehen. Denn ausweislich der näheren Beschreibung der Studienvarianten handelt es sich jeweils um verbindliche Lehrveranstaltungen. Die von der Antragstellerin hervorgehobene Option bezieht sich lediglich auf die Möglichkeit, die jeweilige Studienvariante zu wählen. Dementsprechend sind auch in § 3 der Rahmenstudienordnung für den Professionalisierungsbereich Erziehungs- und Sozialwissenschaften (Verkündungsblatt der C. Nr. 04/2018 (21.09.2018), Seite 55) zu erbringende Leistungspunkte im Fach Psychologie als verpflichtend vorgesehen.

3. Es ist nicht zu beanstanden, dass die Antragsgegnerin ihrer Kapazitätsberechnung einen Curricularnormwert (CNW) von 3,5 zugrunde gelegt hat. Die Antragsgegnerin hat in ihrer Antragserwiderung vom 19. Oktober 2020 ausgeführt, die Anhebung des CNW sei eine Folge der Umstrukturierung des Studienganges und folge bundesrechtlichen Vorgaben. Das Ministerium für Wissenschaft und Kultur habe der Antragsgegnerin genau wie den anderen Hochschulen mitgeteilt, dass der CNW im neuen Bachelorstudiengang Psychologie auf 3,5 angehoben werde. § 20 KapVO sehe eine Abweichungsbefugnis von den Bestimmungen des 2. und 3. Abschnitts der Kapazitätsverordnung vor; darauf habe das Ministerium in diesem Zusammenhang verwiesen. Auf dieser Grundlage ist das Verwaltungsgericht den Bedenken der Antragstellerin gegen die Rechtmäßigkeit dieses Vorgehens nicht gefolgt. Mit ihrer Beschwerdebegründung rügt die Antragstellerin erneut, dass der CNW von 3,5 der Berechnung nicht habe zugrunde gelegt werden dürfen; maßgeblich sei allein die Regelung in der Kapazitätsverordnung. Diese sei gegenüber dem Erlass des Ministeriums die ranghöhere Vorschrift.

Der Senat hat keine durchgreifenden Bedenken gegen den Ansatz eines CNW von 3,5. Die Antragsgegnerin hat in ihrer Antragserwiderung vor dem Verwaltungsgericht ausführlich dargelegt, warum der höhere CNW von 3,5 in Ansatz gebracht worden ist. Mit Erlass vom 29. September 2020 hat das Ministerium für Wissenschaft und Kultur verdeutlicht, dass aufgrund struktureller Änderungen nach bundesrechtlichen Vorgaben künftig ein CNW von 3,5 maßgeblich sei und es lediglich aufgrund pandemiebedingter Verzögerungen nicht gelungen sei, dies rechtzeitig in niedersächsisches Landesrecht umzusetzen. Dementsprechend ist der CNW in der Kapazitätsverordnung zwischenzeitlich mit Wirkung vom 18. Dezember 2020 angepasst worden. Das Ministerium für Wissenschaft und Kultur hat die Hochschulen in diesem Zusammenhang außerdem auf § 20 KapVO und darauf hingewiesen, dass danach der höhere CNW berücksichtigt werden solle. Nach § 20 KapVO können Zulassungszahlen abweichend von den Bestimmungen des Zweiten und Dritten Abschnitts festgesetzt werden, sofern die Voraussetzungen des Artikels 6 Abs. 2 Satz 2 des Staatsvertrages über die Hochschulzulassung vorliegen. Art. 6 Abs. 2 Satz 2 des Staatsvertrages über die Hochschulzulassung lautet: „Bei der Erprobung neuer Studiengänge und -methoden, bei der Neuordnung von Studiengängen und Fachbereichen und beim Aus- oder Aufbau der Hochschulen können Zulassungszahlen abweichend von Satz 1 festgesetzt werden“. Dass das Ministerium für Wissenschaft und Kultur auf dieser Grundlage angesichts der Neuordnung des Studiengangs Psychologie einen solchen Fall angenommen hat und die Antragsgegnerin dem gefolgt ist, ist weder von der Antragstellerin durchgreifend in Frage gestellt worden, noch aus Sicht des Senats aus sonstigen Gründen zu beanstanden.

4. Soweit die Antragstellerin in ihrer Beschwerde geltend macht, sie habe die Antragsgegnerin im erstinstanzlichen Verfahren vergeblich aufgefordert, eine Erklärung dazu abzugeben, ob es im Vergleich zum vorhergehenden Berechnungszeitraum Stellenverlagerungen oder -reduzierungen gegeben habe, hat diese im Beschwerdeverfahren hierzu näher vorgetragen. Sie hat - unter Hinweis auf die besondere Situation der reformierten Ausbildung im Bereich der Psychologie (s. dazu unter 3.) - die Änderungen im Stellenplan erläutert und dargelegt, dass ihr Ansatz des Lehrangebots auf dieser Grundlage für die Studierenden jedenfalls nicht nachteilig war. Die Antragstellerin ist dem nicht mehr entgegengetreten.

5. Für die wissenschaftliche Mitarbeiterin auf Zeit, die auch zur eigenen Weiterbildung beschäftigt ist, hat die Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 16. April 2021 entsprechende Nachweise vorgelegt, die die Antragstellerin nicht mehr beanstandet hat.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).