Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 02.02.2006, Az.: L 8 SO 135/05 ER
Sterbegeldversicherung als Schonvermögen; Schonvermögen zur Aufrechterhaltung einer angemessenen Alterssicherung; Einsatz der Mittel aus einem Bestattungsvorsorgevertrag als objektive Härte; Einzelfallabhängige Zumutbarkeit des Einsatzes einer Sterbeversicherung ; Unbeachtlichkeit des Interesses an der Entlastung der Angehörigen hinsichtlich der Beerdigungskosten
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 02.02.2006
- Aktenzeichen
- L 8 SO 135/05 ER
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2006, 10753
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2006:0202.L8SO135.05ER.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Osnabrück - 17.11.2005 - AZ: S 16 SO 194/05 ER
Rechtsgrundlage
- § 90 Abs. 3 S. 1 SGB XII
Fundstellen
- FEVS 2007, 87-89
- info also 2007, 141 (Kurzinformation)
Redaktioneller Leitsatz
Eine bereits abgeschlossene Sterbeversicherung bzw. für die eigene Bestattung angesammeltes Vermögen wird nicht durch § 90 Abs. 3 SGB XII geschützt, auch wenn die Ansprüche aus der Versicherung an das Bestattungsunternehmen abgetreten werden.
Tenor:
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Osnabrück vom 17. November 2005 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren und der Beiordnung eines Rechtsanwalts wird abgelehnt.
Gründe
I.
Die gemäß §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts (SG) Osnabrück vom 17. November 2005 ist nicht begründet. Das SG hat zu Recht entschieden, dass der Antragstellerin keine Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes zugesprochen werden können. Die Ausführungen des SG zum fehlenden Anordnungsanspruch sind nicht zu beanstanden. Zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen wird gemäß § 142 Abs. 2 Satz 3 SGG darauf verwiesen.
Das Beschwerdevorbringen bietet keinen Anlass zu einer anderen Betrachtungsweise. Die Antragstellerin begehrt von der Antragsgegnerin Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel SGB XII. Entscheidungserheblich ist hier allein die Frage, ob die von der Antragstellerin abgeschlossene Lebensversicherung (Nr. 4427 461-10, Tarif: 2002 F Sterbegeldversicherung) wegen einer Härte im Sinne von § 90 Abs. 3 § SGB XII als Schonvermögen anzusehen ist. Diese Frage hat das SG im Beschluss vom 17. November 2005 zutreffend verneint. Auch das nunmehr von der Antragstellerin mit eidesstattlicher Versicherung vom 5. Dezember 2005 unterbreitete Angebot, die Ansprüche aus der Sterbegeldversicherung an das Unternehmen (gemeint ist das Bestattungsunternehmen) abzutreten, ändert nichts an dieser rechtlichen Beurteilung des Sachverhaltes.
Gemäß § 90 Abs. 3 Satz 1 SGB XII darf die Sozialhilfe nicht vom Einsatz oder von der Verwertung eines Vermögens abhängig gemacht werden, soweit dies für den der das Vermögen einzusetzen hat, und für seine unterhaltsberechtigten Angehörigen eine Härte bedeuten würde. Diese Vorschrift zielt auf atypische Fälle ab, die nicht von § 90 Abs. 2 SGB XII erfasst, aber unter wertendem Gesichtspunkt mit diesen Fällen vergleichbar sind (vgl dazu zur Rechtsprechung nach § 88 Abs. 2 BSHG BVerwG, Urteil vom 29. April 1993 - 5 C 12.90 - BVerwGE 92, 254; OVG NRW, Beschluss vom 19. Dezember 2003 - 16 B 2078/03 ). Leitgedanke dieser Bestimmungen ist es, zu gewährleisten, dass dem Hilfeempfänger ein gewisser Spielraum in seiner wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit erhalten bleibt (OVG Nds., Beschluss vom 23. Juli 2003 - 4 LB 178/03 ). § 90 Abs. 3 Satz 2 SGB XII regelt hierzu, dass dies bei der Leistung nach dem Fünften bis Neunten Kapitel insbesondere der Fall ist, soweit eine angemessene Lebensführung oder die Aufrechterhaltung einer angemessenen Alterssicherung wesentlich erschwert würde. Vorliegend bedeutet die Verpflichtung der Antragstellerin zur Verwertung ihrer Lebensversicherung keine Härte im Sinne von § 90 Abs. 3 SGB XII. Denn entgegen dem Vortrag der Antragstellerin gehört eine Sterbeversicherung bzw. für die eigene Bestattung angesammeltes Vermögen nicht generell zu solchem Vermögen, welches durch § 90 Abs. 3 SGB XII geschützt wird. Das nämlich die Vorsorge für den Todesfall generell zum Schonvermögen gehört, widerspricht der Zielrichtung des Gesetzgebers, der diesen Tatbestand gerade nicht in § 90 Abs. 2 SGB XII aufgeführt hat. So sind Mittel aus einem Bestattungsvorsorgevertrag nicht generell als Härte gemäß § 90 Abs. 3 Satz 1 SGB XII anzusehen (Augstein in: Fichtner/Wenzel, Kommentar zur Grundsicherung, 3. Auflage, § 90 SGB XII Rdnr 21). Vielmehr müssen die Gesamtumstände das Vorliegen einer Härte ergeben (vgl. Brühl in LPK/SGB XII, 7. Aufl, § 90 Rdnr 74). Hierbei ist insbesondere zu prüfen, welche Besonderheit der Einzelfall gegenüber der Situation anderer vergleichbarer Gruppen von Leistungsberechtigten aufweist (Zeitler in Mersler/Zink, SGB XII, 3. Lieferung, Stand: Januar 2005, § 90 SGB XII, Rdnr 74). Eine Härte liegt dabei nicht schon vor, wenn der Einsatz des Vermögens als hart empfunden wird, denn es muss objektiv eine Härte bestehen (vgl Zeitler a.a.O.).
Gerade wegen der vorzunehmenden Einzelfallbetrachtung kann die Antragstellerin sich nicht mit Erfolg auf die von ihr zitierten Gerichtsentscheidungen (OVG Berlin, Urteil vom 28. Mai 1998, 6 B 20.95, FEVS 49, 218, 223; Nds. OVG, Urteil vom 23. Juli 2003 - 4 LB 178/03 FEVS 55, 351; BVerwG, Urteil vom 11. November 2003 - 5 C 84.02 ) berufen. In sozialhilferechtlicher Hinsicht bestehen zwischen den dort zu entscheidenden Fällen und dem Vorliegenden wesentliche Unterschiede. In den zitierten gerichtlichen Entscheidungen waren die Kläger allesamt mittellos bzw. wurden die laufenden Einnahmen für den Heimaufenthalt in einer Einrichtung verbraucht. Weiteres Vermögen war nicht vorhanden. Weiterhin waren keine Angehörigen vorhanden bzw. lebten ebenfalls von Sozialhilfe. Mithin war absehbar, dass die Bestattungskosten vom Sozialhilfeträger übernommen werden müssten. Im Gegensatz dazu verfügt die Antragstellerin über Vermögen in Form ihrer Eigentumswohnung, welches zwar gemäß § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII zu Lebzeiten zum Schonvermögen gehört. Andererseits ist nicht ersichtlich, was im Todesfall gegen eine Finanzierung einer würdigen Bestattung aus diesem Vermögenswert sprechen sollte. Auch hat die Antragstellerin (im Gegensatz zu den bereits zitierten Gerichtsentscheidungen) Angehörige (einen Sohn und eine Schwester), die nicht mittellos sind, wie sich aus ihrem Antrag auf Grundsicherungsleistungen im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII vom 28. Juli 2005 ergibt. Hier hat die Antragstellerin also sowohl noch Vermögen in Form einer Eigentumswohnung als auch Angehörige (ein Kind), das als Erbe in Betracht kommt und gemäß § 1968 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) die Kosten der Beerdigung zu tragen hätte. Der Wunsch der Antragstellerin, mit der Sterbeversicherung - sowie von ihr vorgetragen - die Belastung für die Angehörigen bei der Beerdigung zu verhindern, ist sozialhilferechtlich nicht schützenswert. Es ist nicht Aufgabe der Sozialhilfe, Angehörige von dieser Verpflichtung zu entlasten. Denn eine Entlastung der Erben zu Lasten der öffentlichen Hand widerspricht dem Sinn und Zweck der Sozialhilfe. Gemäß § 74 SGB XII werden zudem die erforderlichen Kosten einer Bestattung vom Sozialhilfeträger übernommen, soweit dem hierzu Verpflichteten nicht zugemutet werden kann, die Kosten zu tragen.
Die streitgegenständliche Versicherung gehört damit nicht zum gemäß § 90 Abs. 3 SGB XII zu schonenden Vermögen.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren bleibt erfolglos, weil bereits bei Beschwerdeeingang hierfür keine hinreichenden Erfolgsaussichten bestehen, § 73a SGG in Verbindung mit § 114 Zivilprozessordnung, wie sich aus den oben stehenden Ausführungen ergibt.
Der Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.