Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 15.02.2006, Az.: L 7 AS 33/05 ER
Voraussetzungen für einen Anspruch auf Zahlung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II); Zulässigkeit der Anrechnung des Kindergeldes bei der Bestimmung des Bedarfs einer Familie; Voraussetzungen für die Zulässigkeit der anteiligen Anrechnung von Kindergeld; Bestimmung des Umfangs des Haushalts im Hinblick auf volljährige Kinder und Pflegekinder; Voraussetzungen für die Anordnung einer einstweiligen Verfügung
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 15.02.2006
- Aktenzeichen
- L 7 AS 33/05 ER
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2006, 11622
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2006:0215.L7AS33.05ER.0A
Verfahrensgang
Rechtsgrundlagen
- § 86b Abs. 2 S. 2 SGG
- § 11 Abs. 1 S. 3 SGB II
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Die Kosten für in einer Wohnung lebende unterschiedliche Bedarfsgemeinschaften sind nach Kopfteilen aufzuteilen.
- 2.
Bei Pflegeeltern, die ALG II beziehen, ist der Anteil des Kindergeldes, der nicht mit dem Pflegegeld für die Pflegekinder verrechnet wird, als eigenes Einkommen anzusehen.
Tenor:
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Aurich vom 24. Februar 2005 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt die Zahlung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) ohne Berücksichtigung des anteiligen Kindergeldes von zwei Pflegekindern.
Zum Haushalt des Antragstellers gehören neben seiner Ehefrau deren gemeinsamer, inzwischen volljähriger Sohn D. sowie ihre am 14. September 1994 und 10. Mai 1997 geborenen Enkel E. und F. G., die zugleich die Pflegekinder des Antragstellers und seiner Ehefrau sind. Für die beiden Pflegekinder zahlt der Landkreis H. an die Ehefrau des Antragstellers monatlich ein Pflegegeld von jeweils 634,50 EUR. Mit Bescheid vom 24. November 2004 bewilligte die Antragsgegnerin für die Zeit vom 01. Januar bis 30. April 2005 zunächst Leistungen nach dem SGB II von monatlich 221,94 EUR. Dabei berücksichtigte sie ein monatliches Kindergeld von 462,00 EUR sowie einen Teil des Pflegegeldes für die beiden Pflegekinder von insgesamt 280,50 EUR als sonstiges Einkommen.
Nachdem der Antragsteller Widerspruch eingelegt hatte, erließ die Antragsgegnerin den Abhilfebescheid vom 02. Februar 2005. Sie bewilligte nunmehr monatliche Leistungen von 617,94 EUR, wobei das Kindergeld für D. in voller Höhe, das Pflegegeld für die Pflegekinder E. und F. gar nicht mehr und das auf sie entfallende Kindergeld nur noch insoweit berücksichtigt wurde, als keine Verrechnung mit dem Pflegegeld erfolgt. Hinsichtlich der Kosten für die Unterkunft wurde eine Aufteilung nach Köpfen vorgenommen und für den Antragsteller und seine Ehefrau ein Unterkunftskostenanteil von 2/5 zu Grunde gelegt. Im Übrigen wies sie den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 3. Februar 2005 zurück.
Am 26. Januar 2005 beantragte der Antragsteller den Erlass einer einstweiligen Anordnung, weil er erreichen wollte, dass sowohl das Kindergeld für den volljährigen Sohn als auch für die beiden Pflegekinder überhaupt nicht als Einkommen berücksichtigt werden sollte. Auch habe er die gesamten Unterkunftskosten zu tragen, sodass diese auch bei der Berechnung insgesamt zu seinen Lasten berücksichtigt werden müssten.
Mit Beschluss vom 24. Februar 2005 hat das Sozialgericht (SG) Aurich die Antragsgegnerin verpflichtet, dem Antragsteller und dessen Ehefrau auf der Grundlage des Abhilfebescheides vom 02. Februar 2005 für die Zeit vom 01. Januar bis 30. April 2005 weitere laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in Höhe von monatlich 154,00 EUR zu gewähren. Im Übrigen hat es den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Das SG hat in diesem Beschluss, auf den im Übrigen Bezug genommen wird, seine Entscheidung insbesondere darauf gestützt, dass das Kindergeld für den volljährigen Sohn D. bei diesem als Einkommen zu berücksichtigen sei und nicht als Einkommen des Antragstellers und seiner Ehefrau. Hinsichtlich des nicht auf das Pflegegeld angerechneten Anteils des Kindergeldes für die Pflegekinder E. und F. sei der angefochtene Bescheid jedoch rechtmäßig. Zwar sei nach § 11 Abs. 1 Satz 3 SGB II das Kindergeld für minderjährige Kinder grundsätzlich bei dem jeweiligen Kind als Einkommen anzurechnen. Dies gelte aber nicht, soweit es bei dem jeweiligen Kind zur Sicherung des Lebensunterhalts nicht benötigt werde. Da der notwendige Unterhalt eines Pflegekindes durch die wirtschaftliche Jugendhilfe gedeckt sei, spreche überwiegendes dafür, den (anrechnungsfreien) Anteil des Kindergeldes eines Pflegekindes als Einkommen des Kindergeldberechtigten zu berücksichtigen. Auch die Aufteilung der Unterkunftskosten nach Kopfteilen sei rechtmäßig. Die Kinder D., E. und F. gehörten nicht zur Bedarfsgemeinschaft des Antragstellers und seiner Ehefrau.
Gegen diesen am 01. März 2005 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller am 02. März 2005 Beschwerde eingelegt. Er ist der Auffassung, die Anrechnung des anteiligen Kindergeldes von insgesamt 115,50 EUR sei rechtswidrig. Das SG sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass dieser Betrag nicht für den Unterhalt der Pflegekinder benötigt werde. Die Tatsache, dass nur ein Teil des Kindergeldes auf das Pflegegeld angerechnet werde, spreche vielmehr dafür, dass der Gesetzgeber selbst davon ausgehe, der überschießende Teil des Kindergeldes sei zur Sicherung des Lebensunterhalts der Pflegekinder notwendig. Der Antragsteller weist weiter darauf hin, dass seine finanzielle Situation außerordentlich schwierig sei. Es sei bereits zu Mietrückständen gekommen, da nicht hinreichend Geld zur Verfügung stehe. Auch sei die vollständige Aufteilung der Mietkosten und Nebenkosten auf Kopfanteile fehlerhaft. Dem Antragsteller müsste eine Zahlung auf die Unterkunftskosten gewährt werden, die ohne Berücksichtigung der Pflegekinder für eine angemessene Wohnung zu zahlen wäre. Man müsse daher hypothetisch darauf abstellen, welche Wohnkosten der Antragsteller und seine Ehefrau hätten. Dann wäre ein höherer Betrag zu zahlen als derjenige, der jetzt dem Antragsteller zugebilligt werde.
Die Antragsgegnerin hält an ihrer Auffassung fest, dass bei der Einkommensberechnung das Kindergeld der Pflegekinder anteilig zu berücksichtigen sei. Auch die Aufteilung der Unterkunftskosten nach Kopfanteilen sei nicht zu beanstanden. Sie beantragt daher, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen. Mit Bescheiden vom 02. Mai und 17. Mai 2005 bewilligte die Antragsgegnerin dem Antragsteller und seiner Ehefrau monatliche Leistungen von 771,94 EUR für die Zeit vom 01. Mai bis 30. Juni 2005 und von 679,20 EUR vom 01. Juli bis 31. Oktober 2005. Dabei legte sie weiterhin die hier streitige Berechnungsmethode zu Grunde.
Wegen der übrigen Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf die Gerichtsakten und die Verwaltungsakten der Beklagten mit dem Az. I., die bei der Entscheidung vorgelegen haben.
II.
Die nach §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Beschwerde ist nicht begründet.
Die anteilige Berücksichtigung des Kindergeldes für die Pflegekinder E. und F. als Einkommen des Antragstellers und seiner Ehefrau ist nicht zu beanstanden.
Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG ist eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf das streitige Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Anordnungsanspruch, d.h. die Rechtsposition, deren Durchsetzung im Hauptsacheverfahren beabsichtigt ist, sowie der Anordnungsgrund, d.h. die Eilbedürftigkeit der begehrten vorläufigen Regelung, sind glaubhaft zu machen. (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG, § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO -). Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt, da ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht werden konnte.
Mit dem SG geht der Senat davon aus, dass zur Bedarfsgemeinschaft des Antragstellers nur dessen Ehefrau gehört. Der volljährige Sohn D. bildet eine eigene Bedarfsgemeinschaft. Die beiden Pflegekinder werden von dem Begriff der "dem Haushalt angehörenden minderjährigen unverheirateten Kinder der in den Nrn. 1 bis 3 genannten Personen" des § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II nicht erfasst, da zwischen ihnen keine unterhaltsrechtlichen Beziehungen bestehen, sodass sie ebenfalls nicht zur Bedarfsgemeinschaft des Antragstellers gehören.
Dies hat zur Folge, dass, wie der Senat wiederholt entschieden hat, die Kosten für in einer Wohnung lebende unterschiedliche Bedarfsgemeinschaften nach Kopfteilen aufzuteilen sind (vgl. Beschluss vom 9. August 2005 - L 7 AS 194/05 ER mit weiteren Nachweisen).
Für eine Verpflichtung zu der vom Antragsteller vorgetragenen hypothetischen Berechnung der Unterkunftskosten ohne Berücksichtigung der Pflegekinder gibt es weder im Gesetz, noch in untergesetzlichen Regelungen, noch in Literatur oder Rechtsprechung Ansatzpunkte.
Die Antragsgegnerin hat weiterhin zutreffend den Anteil des Kindergeldes, der nicht mit dem Pflegegeld für die beiden Pflegekinder verrechnet wird, als Einkommen des Antragstellers und seiner Ehefrau berücksichtigt. Nach § 11 Abs. 1 Satz 3 SGB II ist das Kindergeld für minderjährige Kinder dem Einkommen des jeweiligen Kindes zuzurechnen, soweit es zur Sicherung des Lebensunterhalts benötigt wird. Dieser Regelung ist zu entnehmen, dass das Kindergeld jedenfalls insoweit als Einkommen der Eltern zur berücksichtigen ist, als der Bedarf des Kindes z.B. durch Unterhaltszahlungen oder Vermögen anderweitig gedeckt ist (vgl. Mecke in Eicher/Spellbrink, SGB II § 11 Rdnr. 53 und Beschluss des Senats vom 18. August 2005 - L 7 AS 73/05 ER -).
Soweit der Antragsteller die Auffassung vertritt, bereits aus der Tatsache, dass das Kindergeld nicht vollständig auf das Pflegegeld von Pflegekindern angerechnet werde, ergebe sich, dass der überschießende Anteil des Kindergeldes zur Sicherung des Lebensunterhalts des Kindes notwendig sei und daher nicht als Einkommen der Pflegeeltern angerechnet werden dürfe, vermag sich der Senat dieser Auffassung nicht anzuschließen. Bereits unter Geltung des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) war nach ständiger Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte das Kindergeld insoweit sozialhilferechtlich als Einkommen einer Pflegeperson zu berücksichtigen, als es nicht auf die der Pflegeperson für die Betreuung und Pflege eines Kindes zustehenden Leistungen der Jugendhilfe angerechnet wurde (Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 21. Oktober 2004 - 5 C 30/03 - BVerwGE 122, 128 bis 130 = NVwZ 2005, 343 [BVerwG 29.09.2004 - 6 P 4/04]; vgl. auch Anmerkung zu diesem Urteil von Berlit in Juris-Praxis-Report - BVerwG 6/2005).
Daraus folgt, dass ein nach dem BSHG und nach dem SGB II grundsätzlich bedürftiges Kind nicht in jedem Fall auf das gesamte Kindergeld zur Sicherung des Lebensunterhalts angewiesen sein muss. Dies wird besonders deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass auch ein grundsätzlich hilfebedürftiges Kind Unterhaltsleistungen eines nicht zur Bedarfsgemeinschaft gehörenden Elternteils beziehen könnte, die so hoch wären, dass die Regelleistung und die Kosten für die Unterkunft für dieses Kind erreicht oder überschritten würden.
Nicht anders ist es im Fall von Pflegekindern zu sehen, nur das hier der "Unterhalt" durch die öffentliche Hand geleistet wird. Würde man im vorliegenden Fall den Grundbedarf für ein Pflegekind von 207,00 EUR und die Kosten für Unterkunft und Heizung von ca. 110,00 EUR zusammenrechnen, ergebe sich ein Anspruch des Kindes nach dem SGB II von ca. 317,00 EUR. Stellt man dies dem tatsächlich gezahlten Pflegegeld gegenüber, ergibt sich ein überschießender Betrag von ca. 317,00 EUR. Von dem dem Antragsteller und seiner Ehefrau gezahlten Pflegegeld für jedes Pflegekind wird somit gerade einmal die Hälfte für die Sicherung von dessen notwendiger Lebensunterhaltungskosten im Sinne des SGB II verbraucht.
Den Akten und dem Vortrag der Beteiligten lassen sich keine Hinweise darauf entnehmen, dass über diesen Betrag von ca. 317,00 EUR hinaus auch der Einsatz des nicht auf das Pflegegeld angerechneten Anteils des Kindergeldes zwingend für die Sicherung des Lebensunterhalts der Pflegekinder erforderlich wäre. Im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens geht der Senat daher davon aus, dass der Kindergeldanteil, der nicht auf das Pflegegeld angerechnet wurde, als Einkommen der Pflegeeltern zu berücksichtigen ist.
Soweit das Sozialgericht Berlin in seinem Beschluss vom 21. Januar 2005 - S 37 AS 19/2005 ER - die Auffassung vertreten hat, der nicht auf die Pflegeleistung nach § 39 SGB VIII angerechnete Kindergeldanteil sei "jedenfalls für die besonderen und schwierigen Erziehungsaufgaben des Jugendlichen zweckgebunden", mag dies für den vom SG Berlin entschiedenen Einzelfall durchaus zutreffen. Ein allgemeiner Grundsatz, dass dies in allen Familien mit Pflegekindern der Fall sei, lässt sich aus der Entscheidung allerdings nicht ableiten.
Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass die Vergleichsberechnung des Prozessbevollmächtigten des Antragstellers in dessen Schriftsatz vom 16. bzw. 11. November 2005 so nicht zutreffend ist. Sie berücksichtigt z.B. offensichtlich nicht, dass ein Anteil aus den Unterkunftskosten herausgerechnet werden muss, der aus der Regelleistung zu bestreiten ist. Auch stimmen die angegebenen Beträge nicht mit den Berechnungsunterlagen in den Akten überein. Sollten sich Miete und Nebenkosten zwischenzeitlich erhöht haben, müssten auch die Anteile der übrigen Bedarfsgemeinschaften entsprechend neu berechnet werden. Dies hätte zur Folge, dass sich die Belastung des Antragstellers verringern würde.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 und 4 SGG entsprechend.
Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG nicht anfechtbar.