Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 23.02.2006, Az.: L 8 SO 89/05 ER
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 23.02.2006
- Aktenzeichen
- L 8 SO 89/05 ER
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2006, 43862
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2006:0223.L8SO89.05ER.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Hannover - AZ: S 53 SO 325/05 ER
Fundstelle
- FStNds 2006, 795-796
In dem Rechtsstreit
...
hat der 8. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen
am 23. Februar 2006 in Celle durch ...
beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Hannover vom 26. Juli 2005 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
GRÜNDE
Die gemäß § 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts (SG) Hannover vom 26. Juli 2005 ist nicht begründet. Der Antragstellerin ist es nicht gelungen, den für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung nötigen Anordnungsanspruch gemäß § 86 b Abs. 2 SGG glaubhaft zu machen. Anhand des bisherigen Vortrages und der vorgelegten Unterlagen ist nicht ersichtlich, dass die Antragstellerin Anspruch auf den begehrten Ernährungsmehrbedarf gemäß § 30 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SG XII) hat.
Die im August 1957 geborene Antragstellerin ist dem Grunde nach anspruchsberechtigt für Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII. Zwar erhält sie eine monatliche Rente von 699,00 €, die ihren anzuerkennenden Bedarf überschreitet. Doch erhalten die mit ihr zusammen lebenden Personen C. (Ehemann, geboren 21. Juni 1960), der ebenfalls eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bezieht (Rentenbescheid vom 4. August 2004 - 99,69 €) und D. (Tochter, geboren 28. Februar 1996) Sozialhilfeleistungen, auf deren Bedarf die Rente der Antragstellerin angerechnet wird. Mithin stünde der Antragstellerin bei einem Obsiegen - trotz ihres Einkommens - ein Mehrbedarf zu.
Die Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung umfassen gemäß § 42 Satz 1 Nr. 3 SGB XII auch die Mehrbedarfe entsprechend § 30 SGB XII. Nach § 30 Abs. 5 SGB XII wird ein Mehrbedarf in angemessener Höhe anerkannt für kranke, Genesende, behinderte Menschen oder von einer Krankheit oder von einer Behinderung bedrohte Menschen, die einer kostenaufwendigen Ernährung bedürfen.
Die Antragstellerin beruft sich wegen des geltend gemachten Mehrbedarfs auf ihre Diabeteserkrankung und insbesondere eine bei ihr vorliegende Stoffwechselstörung, wonach sie Kohlehydrate im Umfang von lediglich 20 g pro Tag zu sich nehmen dürfe. Dies erfordere einen Mehrbedarf für ihre Ernährung, weil sie Nahrungsmittel kaufen müssen, die teurer als die üblichen seien. Die Antragstellerin hat insoweit vorgelegt ein Attest der Arztpraxis E. vom 14. Juni 2005 und eine ärztliche Bescheinigung derselben Arztpraxis vom 1. August 2005. In dem Attest vom 14. Juni 2005 ist bescheinigt Diabetes mellitus Typ II, in der Bescheinigung vom 1. August 2005 Diabetes mellitus (bei einer Größe 164 cm und einem Gewicht von 76 kg).
Die Antragsgegnerin hält bei den vorliegenden Befunden unter Bezugnahme auf eine Äußerung ihres amtsärztlichen Dienstes einen Ernährungsmehrbedarf für nicht gegeben. Sie bezieht sich insoweit auf die Begutachtungsrichtlinien des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe, die bei der vorliegenden Erkrankung nicht zwangsläufig höhere Kosten für Nahrungsmittel vorsähen.
Die angemessene Höhe des Ernährungsmehrbedarfs und die Frage des Bedürfens einer kostenaufwendigeren Ernährung sind unbestimmte Rechtsbegriffe, die der gerichtlichen Kontrolle unterliegen. In der Vergangenheit wurden regelmäßig die vom Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge herausgegebenen Empfehlungen für die Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe (2., völlig neu bearbeitete Auflage 1997) herangezogen. Grundlage dieser Empfehlungen sind ernährungswissenschaftliche, ernährungsmedizinische und statistische Gutachten der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin, der Deutschen Gesellschaft für Ernährung, des ehemaligen Bundesgesundheitsamtes und der Deutschen Akademie für Ernährungsmedizin. In Konkurrenz zu diesen Empfehlungen werden neuerdings die Begutachtungsrichtlinien des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe herangezogen, auf die sich auch die Antragsgegnerin gestützt hat (vgl. dazu Fichtner/Wenzel, Kommentar zur Grundsicherung, 3. Auflage 2005, § 30 SGB XII Rdnr. 28).
Das OVG Lüneburg (Beschluss vom 13. Oktober 2003 - 12 LA 385/03 - FEVS 55, S. 359) hat allerdings befunden, dass bei der Entscheidung über einen Mehrbedarfszuschlag (seinerzeit nach § 23 Abs. 4 BSHG) nach wie vor die Empfehlungen für die Gewährung von Krankenkostenzulage in der Sozialhilfe des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge eine geeignete Entscheidungsgrundlage bilden, während der neuere Begutachtungsleitfaden des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe nicht heranzuziehen sei, da er hinsichtlich der Kosten der Ernährungsformen nur auf Schätzungen beruhe.
Mittlerweile besteht Einigkeit, dass Diabeteskost nur bei bestimmten Erscheinungsformen der Diabetes einen Ernährungsmehrbedarf hervorrufen. So wird wohl allgemein bei Diabetes mellitus Typ I sowie bei Diabetes mellitus Typ II a ein Mehrbedarf bejaht, während bei Diabetes mellitus Typ II b ein Mehrbedarf nach neuerer ärztlicher Erkenntnis nicht angenommen wird (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 17. Oktober 2003 - 12 ME 248/03 - FEVS 55, S. 230; OVG Münster, Urteil vom 28. September 2001 - 16 A 5644/99 - FEVS 53, S. 310; Fichtner/Wenzel, a.a.O., Rdnr. 29 f.) -. Nach der Tabelle (S. 36) in den Empfehlungen für die Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe wird ein Mehrbedarf ausgeworfen für Diabeteskost bei Diabetes mellitus I und II a; dagegen nicht bei Diabetes mellitus Typ II b.
Welchem Typ die Antragstellerin zuzuordnen ist, ergibt sich aus den vorliegenden Unterlagen nicht. Sie behauptet auch weitere Erkrankungen, die eine kostenaufwendigere Ernährung nötig machten.
Diese medizinischen Fragen können in dem vorliegenden vorläufigen Rechtsschutzverfahren nicht geklärt werden. Dies geht zu Lasten der Antragstellerin, die ihren Anspruch insoweit nicht glaubhaft gemacht hat.
Der Senat beabsichtigt, in dem ihm bereits vorliegenden Berufungsverfahren der Antragstellerin (L 8 SO 1/06) ein medizinisches Gutachten über den Leidenszustand der Antragstellerin einzuholen, mit dem geklärt werden soll, ob und welchen Mehrbedarf das behauptete Leiden der Antragstellerin erfordert. Dort kann abschließend geklärt werden, ob der Antragstellerin der begehrte Mehrbedarf zusteht.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG. Da die Antragstellerin unterliegt, trägt sie ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
Gerichtskosten werden in Verfahren dieser Art nicht erhoben.
Der Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.