Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 15.02.2006, Az.: L 2 RI 230/04

Übertragung von Rentenanwartschaften im Wege des Versorgungsausgleichs nach Scheidung; Voraussetzungen für das Bestehen eines Anspruchs auf Erhöhung der Rente; Anwendbarkeit der Regelungen über die Änderung von Dauerverwaltungsakten auf die Änderung eines Rentenbewilligungsbescheides; Ausschluss des Anspruchs auf Neuberechnung der Rente mangels Ablaufs der vier Jahres Frist; Zulässigkeit einer unechten Gesetzesrückwirkung

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
15.02.2006
Aktenzeichen
L 2 RI 230/04
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2006, 11613
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2006:0215.L2RI230.04.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Stade - 18.06.2004 - AZ: S 9 RI 146/02

Tenor:

Die Berufung wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt eine weiter in die Vergangenheit zurückreichende Neuberechnung der ihm gewährten Rente wegen Erwerbsunfähigkeit.

2

Mit Bescheid vom 28. März 1991 gewährt die Beklagte dem seinerzeit verheirateten Kläger rückwirkend ab dem 01. März 1988 eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Mit Urteil vom 07. Oktober 1993 hat das Amtsgericht H. die Ehe des Klägers geschieden. Zugleich übertrug es im Rahmen des Versorgungsausgleichs von dem Versicherungskonto der Ehefrau Rentenanwartschaften in Höhe von monatlich 116,70 DM auf das Versicherungskonto des Klägers. Dieses Urteil ist seit dem 21. Dezember 1993 rechtskräftig.

3

Mit Schreiben vom 15. November 1994 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass sich aus den übertragenen Rentenanwartschaften eine Erhöhung der "späteren Rente" ergebe; eine Neuberechnung der dem Kläger seinerzeit bereits gewährten Rente unterblieb.

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Am 05. Oktober 2001 begehrte der Kläger telefonisch gegenüber der Beklagten eine Neuberechnung der ihm gewährten Rente im Hinblick auf die im Zuge des Versorgungsausgleichs übertragenen Rentenanwartschaften. Daraufhin nahm die Beklagte mit Bescheid vom 12. November 2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17. April 2002 eine Neuberechnung der dem Kläger gewährten Rente wegen Erwerbsunfähigkeit rückwirkend ab dem 01. Januar 1997 unter Einbeziehung der übertragenen Rentenanwartschaften vor und sprach dem Kläger eine Nachzahlung in Höhe von 3.839,44 EUR zu.

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Mit der am 14. Mai 2002 erhobenen Klage hat der Kläger das Ziel einer Rentenneuberechnung auch für den Zeitraum von 1994 bis 1996 verfolgt. Zur Begründung hat er hervorgehoben, dass die Beklagte pflichtwidrigerweise den ihr mitgeteilten Versorgungsausgleich nicht zum Anlass für eine zeitnahe Neuberechnung der ihm gewährten Rente wegen Erwerbsunfähigkeit genommen habe. Dieser Fehler dürfte nicht zu seinem Nachteil dadurch festgeschrieben werden, dass sich die Beklagte nunmehr hinsichtlich des noch streitigen Zeitraums von 1994 bis 1996 auf die Einrede der Verjährung berufe; eine solche Ermessensausübung sei jedenfalls fehlerhaft und missachte die Gebote von Treu und Glauben.

6

Mit Urteil vom 18. Juni 2004, dem Kläger zugestellt am 20. Juli 2004, hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung insbesondere auf die gesetzliche Regelung des § 48 Abs. 4 i.V.m. § 44 Abs. 4 SGB X abgestellt.

7

Mit der am 17. August 2004 eingelegten Berufung macht der Kläger sinngemäß geltend, dass die vom Amtsgericht H. mit Schreiben vom 13. Januar 1994 erfolgte Rechtskraftmitteilung als Antrag auf Neuberechnung der ihm gewährten Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu werten sei. Ausgehend von einem Antrag aus dem Jahre 1994 sei von vornherein kein Raum für eine Verjährung seines Neuberechnungsanspruchs. Darüber hinaus werde der Grundsatz des Vertrauensschutzes missachtet, wenn das Sozialgericht § 48 Abs. 4 SGB X in der erst ab 18. Juni 1994 maßgeblichen Fassung heranziehe. Jedenfalls sei eine verfassungskonforme Auslegung dieser Norm geboten, um eine erhebliche Benachteiligung seiner Person zu vermeiden.

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Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Stade vom 18. Juni 2004 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 12. November 2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17. April 2002 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, die ihm gewährte Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auch für den Zeitraum vom 01. Januar 1994 bis zum 31. Dezember 1996 unter Berücksichtigung des im Urteil des Amtsgerichts H. vom 07. Oktober 1993 durchgeführten Versorgungsausgleichs neu zu berechnen, hilfsweise, festzustellen, dass die Beklagte dadurch ihre Amtspflichten verletzt hat, dass diese nicht bereits ab Beginn des Jahres 1994 den Zuschlag aus dem Versorgungsausgleich berücksichtigt hat, weiter hilfsweise, festzustellen, dass die Beklagte bei der Entscheidung über die Neuberechnung das ihr zugewiesene Ermessen missbraucht hat.

9

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

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Sie verteidigt das angefochtene Urteil.

11

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Berufung, über die der Senat mit dem von beiden Beteiligten erklärten Einverständnis (vgl. den Schriftsatz des Klägers vom 10. Februar und den Schriftsatz der Beklagten vom 08. Februar 2005) ohne mündliche Verhandlung entscheidet, hat keinen Erfolg.

13

1.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Neuberechnung der ihm gewährten Rente wegen Erwerbsunfähigkeit für den streitigen Zeitraum von Januar 1994 bis Dezember 1996. Diesem Anspruch steht die gesetzliche Regelung des § 48 Abs. 4 SGB X i.V.m. dem § 44 Abs. 4 SGB X entgegen. Nach diesen Regelungen ist die im Grundsatz bei einer wesentlichen Veränderung in den einem Verwaltungsakt mit Dauerwirkung (wie hier dem Rentenbewilligungsbescheid vom 28. März 1991) zugrunde liegenden tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen zugunsten des Betroffenen nach § 48 Abs. 1 SGB X gebotene Aufhebung und Neufestsetzung mit Wirkung für die Vergangenheit nur bezogen auf einen Zeitraum von längstens vier Jahre vorzunehmen. Dabei beginnt dieser Vierjahreszeitraum vom Beginn des Jahres an, in dem der Verwaltungsakt aufgehoben wird; erfolgt die Aufhebung auf Antrag, ist der Berechnung des Vierjahreszeitraums der Zeitpunkt der Antragstellung zugrunde zu legen.

14

Im vorliegenden Fall hat der Kläger erst im Oktober 2001 um eine Neuberechnung der ihm gewährten Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nachgesucht, daher kam eine Neuberechnung dieser Rente für die Vergangenheit aufgrund des 1993 (und damit nach Rentenbewilligung) durchgeführten Versorgungsausgleichs rückwirkend nur bezogen auf den Zeitraum ab dem 01. Januar 1997 in Betracht. Demgegenüber stand einer Neuberechnung auch für den vorausgegangenen Zeitraum von 1994 bis 1996 die erläuterte Ausschlussregelung des § 48 Abs. 4 i.V.m. § 44 Abs. 4 SGB X entgegen.

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Dies gilt unabhängig davon, dass die Beklagte von dem Versorgungsausgleich bereits im Jahre 1994 Kenntnis erlangt hat. Die dargelegte Vierjahresfrist knüpft nicht an den Zeitpunkt an, in dem die Behörde die Änderungsbedürftigkeit eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung hätte erkennen können; maßgeblich ist vielmehr nach dem klaren Gesetzeswortlaut der Zeitpunkt der tatsächlichen Änderung oder jedenfalls der Stellung eines darauf abzielenden Antrages. Vor 2001 hat der Kläger aber einen solchen Antrag nicht gestellt; insbesondere ist es ihm nicht als Stellung eines entsprechenden Antrages zuzurechnen, wenn das Amtsgericht H. von Amts wegen die Beklagte im Jahre 1994 über die Rechtskraft der den Versorgungsausgleich betreffenden Entscheidung informiert hat.

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Die vorstehend erläuterte bindende gesetzliche Regelung musste die Beklagte bei ihrer Entscheidung zugrunde legen; der Gesetzgeber hat ihr keine Möglichkeit eröffnet, in Ausübung von Ermessenserwägungen von dieser Vorgabe abzuweichen. Da der Grundsatz von Treu und Glauben seinerseits nur einfachgesetzliche Qualität aufweist, kann er von vornherein nicht zur Korrektur der dargelegten Regelung herangezogen werden. Im übrigen widerspricht es auch in der Sache nicht den Geboten von Treu und Glauben, wenn der Gesetzgeber in Abwägung der Gesichtspunkte der Einzelfallgerechtigkeit auf der einen und der Rechtssicherheit auf der anderen Seite sich in Wahrnehmung seines weiten gesetzgeberischen Bewertungsermessens zur Einführung einer Ausschlussfrist im erläuterten Sinne entscheidet.

17

Der Heranziehung der erläuterten Ausschlussfrist des § 44 Abs. 4 SGB X steht auch nicht entgegen, dass § 48 Abs. 4 SGB X auf diese Norm erst seit der mit Gesetz vom 13. Juni 1994 (BGBl. I 1229, 1237) erfolgten (zum 14. Juni 1994 in Kraft getretenen) Änderung verweist. Der geänderten Vorschrift kommt eine sog. unechte Rückwirkung in dem Sinne zu, dass die vierjährige Ausschlussfrist auch bei der rückwirkenden Änderung von bereits vor der Gesetzesänderung erlassenen Verwaltungsakten mit Dauerwirkung zu berücksichtigen ist, und zwar auch dann, wenn die wesentliche Änderung in den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen bereits zuvor erfolgt war (vgl. zu dieser unechten Rückwirkung Wiesner in von Wulffen, SGB X, 5. Aufl., § 48 Rn. Rn 27; Steinwedel in Kasseler Kommentar, § 48 SGB X, Rn 42).

18

Verfassungsrechtliche Bedenken gegen eine solche unechte Rückwirkung sind nicht ersichtlich. Abgesehen davon, dass im vorliegenden Zusammenhang bereits eine schutzwürdige Vertrauensbetätigung nicht ersichtlich ist, war auch die bereits vor dem 14. Juni 1994 maßgebliche Gesetzeslage dahingehend zu interpretieren, dass eine Nachzahlungspflicht längstens für einen Zeitraum von vier Jahren bestand (vgl BSG, Urteil vom 04. Februar 1987 - 5a RKn 8/86 - E 61, 154). Ausgehend von dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung kam der gesetzlichen Neuregelung ohnehin nur eine klarstellende Funktion zu.

19

Die Beklagte hat dem Kläger auch zu keinem Zeitpunkt eine weiter zurückreichende Neuberechnung der ihm gewährten Rente im Sinne von § 34 SGB X zugesichert. Namentlich bezog sich das Schreiben vom 15. November 1994 nach seinem klaren Wortlaut lediglich auf eine Erhöhung einer "späteren Rente", nicht aber auf eine Neuberechnung der (beim Absetzen des Schreibens vom 15. November 1994 offenbar übersehenen) seinerzeit bereits gewährten Rente wegen Erwerbsunfähigkeit.

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2.

Die Hilfsanträge sind unzulässig. Sie haben nicht das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses im Sinne von § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG zum Gegenstand, sondern sind als unzulässige Elementenfeststellungsklage zu qualifizieren. Dem erstrangigen Hilfsantrag steht darüber hinaus die Subsidiarität der Feststellungsklage entgegen, da der Kläger unter der etwaigen Annahme eines nicht verjährten Amtshaftungsanspruchs sogleich eine Leistungsklage bei dem dafür zuständigen Landgericht erheben könnte. Der nachrangige Hilfsantrag ist schon deshalb letztlich gegenstandslos, weil die Beklagte aus den dargelegten Gründen auch ihrerseits an die Vierjahresfrist des § 48 Abs. 4 i.V.m. § 44 Abs. 4 SGB X gebunden ist, diesbezüglich also gerade kein Ermessen ausüben konnte.

21

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG; Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), sind nicht gegeben.