Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 02.12.1997, Az.: 5 U 79/97
Fehlerhafte Nichterkennung einer Osteotomie; Minderung der Erwerbsfähigkeit
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 02.12.1997
- Aktenzeichen
- 5 U 79/97
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1997, 21726
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:1997:1202.5U79.97.0A
Fundstellen
- MedR 1998, 268
- OLGReport Gerichtsort 1998, 146-148
- VersR 1998, 595 (Volltext mit amtl. LS)
Amtlicher Leitsatz
Keine Herabsetzung des Schmerzensgeldes wegen des Feststellungsantrages für zukünftigen Immaterialausgleich - 50000 DM Schmerzensgeld wegen nicht erkannten Kompartmentsyndroms
Tatbestand
Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz nur noch um die Höhe des Schmerzensgeldes, das der Beklagte der damals 36 Jahre alten Klägerin schuldet, weil er nach einer operativen Knochenumstellung (Osteotomie) des linken Unterschenkels am 08.12.1993 wegen einer Knochenherauslösung (Osteochondrosis dissecans) ein Kompartmentsyndrom fehlerhaft nicht erkannt hatte. Zwischen den Parteien sind im Wesentlichen die Folgeschäden umstritten. Der Haftpflichtversicherer des Beklagten hat vorprozessual 30.000,00 DM Schmerzensgeld gezahlt.
Das Landgericht hat nach sachverständiger Beratung - Einholung eines schriftlichen Gutachtens und Anhörung des Gutachters Dr. E...- die Forderung nach einem weiteren als dem bisher gezahlten Schmerzensgeld abgewiesen, weil die abstrakte Minderung der Erwerbsfähigkeit nur die Hälfte und die konkrete Beeinträchtigung der Hausfrauentätigkeit nur ein Drittel der vorgestellten prozentualen Beschränkungen ausmachten und die befürchteten immateriellen Zukunftsschäden wegen des diesbezüglichen Feststellungsantrages nicht zu berücksichtigen seien.
Mit der dagegen gerichteten Berufung verfolgt die Klägerin ihre weiter gehende Schmerzensgeldvorstellung weiter. Sie rügt die vom Landgericht herangezogenen Bemessungsgrundlagen. Die in den Vordergrund gestellte Minderung der Erwerbsfähigkeit sei nur von untergeordneter Bedeutung. Ausgehend von einer zu unterstellenden ordnungsgemäßen Revisionsoperation ohne andauernde schmerzhafte Beeinträchtigungen müsse zu Grunde gelegt werden, dass das Bein jetzt bei Teilversteifung des gesamten Sprunggelenks nur noch Stelzenfunktion aufweise, die dadurch bedingten Schmerzen noch zunehmen würden, eine völlige Versteifung mit großer Wahrscheinlichkeit eintreten und von einer Amputation nur wegen der entsprechenden Phantomschmerzen abgeraten werde.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung hat in dem zuerkannten Umfang Erfolg.
Die Erwägungen des Landgerichts geben für seine Schmerzensgeldbemessung in tatsächlicher wie in rechtlicher Hinsicht keine tragfähige Grundlage. Maßgeblich sind ganz wesentlich die bei der Patientin infolge der Fehlbehandlung entstandenen Beschwerden und die im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bestehenden Risiken. Nur zu diesem Zeitpunkt noch nicht erkennbare aber nicht ganz entfernt liegende Folgeschädigungen bleiben dem Feststellungsantrag vorbehalten. Abstriche von dem zuzuerkennenden Schmerzensgeld wegen des für einen zukünftigen Immaterialausgleich gestellten Feststellungsantrages gibt es nicht. Die vom Landgericht herangezogene Rechtsprechung betrifft die - bei den hier gestellten Anträgen nicht einschlägige - Diskussion inwieweit eine zeitliche Begrenzung der Schmerzensgeldbemessung möglich ist und ob bei einem sog. uneingeschränkten Schmerzensgeldantrag auch für mögliche Zukunftsschäden unter endgültigem Verzicht auf eine entsprechende Absicherung durch einen Feststellungsantrag ein prozentualer Zuschlag vorgenommen werden darf (vgl. dazu OLG Düsseldorf NJW RR 1996, 927; OLG Oldenburg NJW RR 1988, 615 und Nds. Rpflege 1997, 115 ff; OLG Köln VersR 1992, 975 f [OLG Köln 20.05.1992 - 2 U 191/91]).
Das Begehren der Klägerin betrifft indes den Immaterialausgleich für erlittene Schäden einschließlich der dadurch bedingten weiteren Risiken. Das erfordert eine Beschäftigung mit den konkreten behandlungsbedingten Beschwerden. Zwar hat sich der Sachverständige veranlasst durch die entsprechende Abfassung des Beweisbeschlusses des Landgerichts vornehmlich mit den abstrakten und konkreten Tätigkeitsbeschränkungen nach Prozentsätzen beschäftigt. Gleichwohl geben seine weiter gehenden Erläuterungen zu dem Beschwerdebild der Klägerin dem Senat eine ausreichende Grundlage, um selbst die Höhe des Immaterialausgleichs zu bewerten.
Danach ist festzustellen, dass die Klägerin infolge des fehlerhaft nicht erkannten und deswegen unbehandelt gebliebenen Kompartmentsyndroms dauerhafte neurologische Ausfälle im Bereich des linken Unterschenkels und Fußes erlitten hat. Das hat trotz wochenlanger stationärer und ambulanter Behandlung zu einer Arthrodese des oberen Sprunggelenks und zu einer funktionellen Einsteifung des unteren Sprunggelenks mit der Gefahr einer weiteren Arthroseausbildung auch in diesem Gelenk geführt. Das Gangbild der Klägerin mit dem deutlichen
Verkürzungs- und Insuffizienzhinken, die Unbeweglichkeit des linken Sprunggelenks, der fehlende Zehenspitz- und Hackengang links, die linksseitige Krallenfehlstellung und Aufhebung der Zehenbeweglichkeit, der sensible Ausfall der gesamten Versorgung des linken Unterschenkels mit Kribbelparästhesien im Versorgungsgebiet des Nervus tibialis und des Nervus peronaeus und im gesamten Fuß- und Fußsohlenbereich sowie die Umfangsminderung im muskulären Versorgungsgebiet des linken Beines und die starke Narbenbildung sind ganz wesentlich durch die Schädigung des neurologischen Bereichs hervorgerufen worden. Eine Amputation - das hat der Sachverständige bei seiner mündlichen Anhörung ausdrücklich bestätigt - brächte der Klägerin wegen der bleibenden Phantomschmerzen keine nachhaltige Linderung der behandlungsbedingten schweren Schmerzzustände. Eine Verbesserung der Bewegungsfähigkeit wäre damit auch bei einer Reduzierung des eigenen Beines auf eine reine Stelzenfunktion nicht verbunden. Das Schmerzbild wird sich insoweit wegen der bisher bloß funktionellen Versteifung des unteren Sprunggelenks mit großer Wahrscheinlichkeit noch verstärken, was dann Anlass für eine endgültige operative Versteifung gibt.
Zwar darf bei der Schmerzensgeldbemessung die Grunderkrankung der Klägerin, die zu der Umstellungsoperation geführt hat, mit ihren Auswirkungen auf die abstrakte und konkrete Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit bzw. Erwerbstätigkeit nicht ganz außer acht gelassen
werden. Die Schwerstschädigung im Bereich des Unterschenkels und des Fußes links und die dadurch bedingten funktionellen Ausfälle beruhen jedoch ganz wesentlich auf dem unbehandelt gebliebenen Kompartmentsyndrom. Diese Dauerschädigung rechtfertigt nach Würdigung der Gesamtumstände - insbesondere angesichts des jungen Alters der Patientin, der Schmerzzustände, der Behandlungsbelastungen, der Beeinträchtigungen bei den körperlichen Aktivitäten und im kosmetischen Bereich mit ihren psychischen Auswirkungen sowie der erhöhten Gefahren einer weiteren gesundheitlichen Verschlechterung vor allem in Bezug auf eine rasch fortschreitende Arthrose im Bereich des linken Kniegelenks - ein Schmerzensgeld in Höhe von 50.000,00 DM. In diesem Umfang musste die Berufung daher Erfolg haben.