Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 02.12.1997, Az.: 5 U 53/97
Anforderungen an die Aufklärungspflicht bei Schilddrüsenoperationen
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 02.12.1997
- Aktenzeichen
- 5 U 53/97
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1997, 21727
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:1997:1202.5U53.97.0A
Fundstellen
- AZRT 1999, 180
- Chefarzt 2000, 1
- KHuR 1999, 137
- MedR 1999, 69
- OLGReport Gerichtsort 1998, 174-175
- ZauR 1999, 169
Amtlicher Leitsatz
Bei einer Strumaresektion ist über das Risiko einer Störung des Calziumhaushaltes aufzuklären. Aufklärungsnachweis durch Parteivernehmung bei unzureichendem Aufklärungsbogen.
Tatbestand
Die Klägerin nimmt die Beklagten wegen Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht auf Zahlung von Schmerzensgeld und Feststellung der Ersatzpflicht für Zukunftsschäden in Anspruch. Im Juli 1994 wurde die Klägerin von ihrem Hausarzt wegen einer Überfunktion der Schilddrüse bei erheblich gesteigerter Herzfrequenz in die ... Kliniken ... eingewiesen, deren Trägerin die Beklagte zu 1) ist. Dort wurde bei ihr in der Klinik für Allgemein-, Gefäß- und Thoraxchirurgie, dessen Chefarzt der Beklagte zu 2) ist, am 29. Juli 1994 von den Beklagten zu 3) und 4) eine operative Verkleinerung der Schilddrüse (Strumaresektion) vorgenommen.
Dabei wurden ihr links 125 g und rechts 52 g krankhaft verändertes Schilddrüsengewebe entfernt. Die Klägerin hat behauptet, infolge verminderter Durchblutung der Nebenschilddrüsen während der Operation sei deren Funktion beeinträchtigt worden. Dadurch habe sie einen Dauerschaden in Form eines Hypoparathyreoidismus (verminderte oder fehlende Produktion des für den Calziumhaushalts verantwortlichen Parat-Hormons) erlitten, der zu schweren tetanischen Zuständen, vor allem zu Muskelkrämpfen und starken Kopf- und Gliederschmerzen führe. Um diese Folgen zu vermeiden, sei sie auf die ständige Einnahme von Calziumpräparaten angewiesen. Über dieses Operationsrisiko, das sich nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. B... zu einem gewissen Prozentsatz immer wieder verwirkliche, sei sie von der Behandlungsseite nicht aufgeklärt worden. Wäre dies ordnungsgemäß geschehen, hätte sie statt der Operation eine Jod- Strahlentherapie durchführen lassen. Die Beklagten haben eine unzureichende Aufklärung in Abrede genommen. In dem Aufklärungsbogen, der mit der Klägerin besprochen worden sei und den sie unterschrieben habe, sei vermerkt:
"Werden bei der Operation die Nebenschilddrüsen mit entfernt, die das Parat-Hormon liefern, so führt dies zu einer Krampfbereitschaft der Muskulatur (Tetanie)."
Es sei also genau das Risiko angesprochen worden, auf das nach der Behauptung der Klägerin nicht hingewiesen worden sei. Zudem habe die Klägerin einen Entscheidungskonflikt nicht hinreichend dargelegt. Es müsse davon ausgegangen werden, dass sie wegen ihres verschlechterten Gesundheitszustandes auf ärztliches Anraten von einer Strahlentherapie abgesehen habe. Das Landgericht hat nach einer Anhörung der Klägerin und der Beklagten zu 2) bis 4) durch Urteil vom 5. Mai 1997 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, auf Grund von Eintragungen in der im Aufklärungsbogen enthaltenen Zeichnung sei erwiesen, dass entsprechend dem Vortrag der Beklagten zu 2) und 4) auch eine unbeabsichtigte Schädigung der Nebenschilddrüsen und deren möglichen Folgen angesprochen worden sei. Gegen dieses Urteil, auf dessen Begründung im Einzelnen verwiesen wird, wendet sich die Klägerin mit der Berufung. Sie macht geltend, aus dem Aufklärungsbogen gehe nicht hervor, dass es im Rahmen der Operation zu einer Schädigung der Nebenschilddrüsen kommen könne. Ein entsprechender Hinweis könne entgegen der Auffassung des Landgerichts auch nicht auf Grund des Parteivortrages als erwiesen angesehen werden, zumal die Eintragung in der Zeichnung nicht den Rückschluss auf eine bestimmte Erklärung zulasse. Tatsächlich sei sie auch nicht über die Möglichkeit einer Schädigung der Nebenschilddrüsen sowie einer daraus resultierenden Tetanie aufgeklärt worden.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Nach dem Ergebnis der vom Senat durchgeführten Beweisaufnahme ist das Klagebegehren nicht gerechtfertigt. Zu Recht hat das Landgericht die Ausführungen in dem schriftlichen Aufklärungsformular (Perimed-Bogen in der Fassung vom Januar 1992) für eine ordnungsgemäße Aufklärung nicht als ausreichend angesehen, auch wenn das Formular unstreitig mit der Klägerin mündlich erörtert worden ist. Der darin enthaltene Hinweis auf eine Krampfbereitschaft der Muskulatur (Tetanie) bei Mitentfernung der Nebenschilddrüsen besagt nichts über das Risiko einer unbeabsichtigten Schädigung dieser Drüsen auf Grund anderer Umstände. Die Formulierung ist bei unbefangener Betrachtung vielmehr so zu verstehen, dass bei bewusster Entfernung der Nebenschilddrüsen entsprechende Folgen eintreten können. Nach den im vorliegenden Verfahren nicht bestrittenen Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. B... in seinem im Schlichtungsverfahren erstatteten Gutachten vom 22.01.1996 kommt es aber in 3 bis 5 % der Fälle wegen Durchblutungsstörungen während der Operation zu einem permanenten Hypoparathyreoidismus und deshalb gehört auch dieses Risiko zu den aufklärungsbedürftigen Komplikationen einer Strumaresektion (so schon Senat, VersR 1988, 408). Dementsprechend wird im Unterschied zu dem hier verwendeten Formular in einer späteren Fassung des Perimed-Bogens aus dem Jahre 1995 auch ausdrücklich eine Schädigung der Nebenschilddrüsen infolge Beeinträchtigung ihrer Durchblutung mit aufgeführt. Die Beklagten haben aber den ihnen obliegenden Beweis geführt, dass die Klägerin im Gespräch auf diese mögliche Komplikation hingewiesen worden ist. Der vom Senat gemäß § 448 ZPO als Partei vernommene Beklagte zu 2) hat ausgesagt, er habe die ausdrückliche Anweisung gegeben, neben der Gefahr einer Stimmbandverletzung auch die einer unbeabsichtigten Beeinträchtigung der Nebenschilddrüsen mit den Patienten zu erörtern. Dass dies entsprechend geschehe, ergebe sich aus einer Vielzahl von Behandlungsunterlagen. Diese Anweisung hat auch der ebenfalls als Partei vernommene Beklagte zu 4) bestätigt. Zudem habe ferner ein Oberarzt aus Anlass einer Literaturveröffentlichung über die Aufklärungsproblematik bei Schilddrüsenoperationen darauf aufmerksam gemacht, dass auch über eine unbeabsichtigte Verletzung der Nebenschilddrüsen aufzuklären sei. Dementsprechend sei er bei der Klägerin auch verfahren. Er habe einmal bei der Aufklärung über die Gefahr einer Stimmbandverletzung diesen Nerv mit einem grünen Stift in die Skizze des Aufklärungsbogens eingezeichnet und zum anderen durch einen Punkt verdeutlicht, dass die anatomische Lage der Nebenschilddrüsen im Einzelfall von der normalen Position abweichen könne, sodass eine Verletzungsgefahr gegeben sei. Dies habe er der Klägerin bei dem mit ihr geführten Gespräch im Einzelnen erklärt. Nach diesen Aussagen der Beklagten zu 2) und 4), die dem Senat plausibel und glaubhaft erscheinen, ist eine hinreichende Aufklärung über die mit der vorgenommenen Operation verbundenen Risiken als erwiesen anzusehen. Ansprüche der Klägerin sind daher nicht gegeben, ohne dass es auf das Vorliegen eines Entscheidungskonflikts ankommt.