Landgericht Göttingen
Urt. v. 16.03.2000, Az.: 6 S 290/99
Verpflichtung zur Duldung des Verlegens und des Betreibens einer Fernmeldelinie; Wegfall der Geschäftsgrundlage durch Privatisierung eines Bundesunternehmens
Bibliographie
- Gericht
- LG Göttingen
- Datum
- 16.03.2000
- Aktenzeichen
- 6 S 290/99
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2000, 23033
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGGOETT:2000:0316.6S290.99.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Northeim - 25.06.1999 - AZ: 3 C 1063/98
Rechtsgrundlage
- § 4 Abs. 3 Fernmeldekreuzungsrichtlinie
Fundstelle
- RTkom 2000, 164-165
Prozessführer
...,
vertreten durch den Vorstand,
dieser vertreten durch ... diese wiederum vertreten durch das ...,
Prozessgegner
...,
vertreten durch den Vorstand,
dieser vertreten durch den Vorstandsvorsitzenden ... und das weitere Vorstandsmitglied
...
In dem Rechtsstreit
hat die 6. Zivilkammer des Landgerichts Göttingen
auf die mündliche Verhandlung vom 17. Februar 2000
durch
die Vizepräsidentin des Landgerichts ...,
den Vorsitzenden Richter am Landgericht ... und
die Richterin am Landgericht ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das am 25. Juni 1999 verkündete Urteil des Amtsgerichts Northeim, Az.: 3 C 1063/98, wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Entscheidungsgründe
Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.
Die Berufung der Beklagten ist nicht begründet.
Das Amtsgericht hat der Klage der Klägerin zu Recht stattgegeben. Ein Anspruch der Klägerin auf Gestattung der Verlegung und des Betreibens einer Fernmeldelinie in dem sich aus dem Tenor der erstinstanzlichen Entscheidung ergebenden örtlichen Bereich ergibt sich aus § 4 Abs. 3 der Richtlinien für die Benutzung von Gelände der Deutschen Bundesbahn zur Unterbringung von Fernmeldelinien der Deutschen Bundespost Telekom - Fernmeldekreuzungsrichtlinien - vom 01.01.1990.
Das Amtsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass die Parteien dieses Rechtsstreits Rechtsnachfolger der ... und ... sind und damit die Fernmeldekreuzungsrichtlinien (KR) zwischen den nunmehr privatisierten Unternehmen ... und ... als wirksam vereinbart anzusehen sind.
Die Beklagte wendet sich grundsätzlich nicht gegen ihre Verpflichtung zur Duldung des Verlegens und des Betreibens einer Fernmeldelinie. Dies ergibt sich aus dem Schreiben der Beklagten vom 22.06.1998 an die Klägerin, in dem die Beklagte die Gestattung von Kreuzungen von Telekommunikationsleitungen gegen einen angemessenen finanziellen Ausgleich zusagt (vgl. Anlage 9 zum Schriftsatz der Beklagten vom 18.01.1999). Insoweit meint die Beklagte, nach Privatisierung der ursprünglich an der Vereinbarung vom 01.01.1990 beteiligten Parteien stehe die in den KR vorgesehene Vergütung für die Benutzung ihres Geländes nicht mehr in einem angemessenen Verhältnis zu dem von ihr zu leistendem Aufwand. Die Beklagte vertritt daher die Auffassung, dass die Fernmeldekreuzungsrichtlinien wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage nicht mehr in ihrer ursprünglichen Fassung anwendbar seien, sondern entsprechend den geänderten wirtschaftlichen Verhältnissen hinsichtlich der zu gewährenden Vergütung angepasst werden müssten. Die Beklagte hält insofern eine Vergütung in Höhe von 8.200,00 DM zuzüglich Mehrwertsteuer für angemessen. Mit diesem Einwand vermag die Beklagte indessen nicht durchzudringen, da die Geschäftsgrundlage für die Vereinbarung vom 01.01.1990 infolge der Privatisierung der ursprünglich an der Vereinbarung Beteiligten nicht weggefallen ist. Es kann dabei dahingestellt bleiben, ob der Beklagten die Berufung auf einen Wegfalls der Geschäftsgrundlage bereits deshalb verwehrt ist, weil die früheren Beteiligten der Fernmeldekreuzungsrichtlinien im Jahr 1990 die Privatisierung vorhersehen konnten und diesen Umstand gleichwohl in ihrer Vereinbarung nicht berücksichtigt haben. Entscheidend für den Ausschluss des Wegfalls der Geschäftsgrundlage ist vorliegend vielmehr, dass die Kreuzungsrichtlinien in Ziffer 4 der Vereinbarung ein Kündigungsrecht der Beklagten vorsehen, von dem diese keinen Gebrauch gemacht hat. Das Rechtsinstitut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage ist eine besondere Ausgestaltung des Grundsatzes von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB und nur dann anwendbar, wenn den Parteien wegen unvorhersehbarer erheblicher Änderungen ihrer für den Vertragsschluss maßgeblichen Vorstellungen nicht mehr zugemutet werden kann, an der Vereinbarung festzuhalten. In diesem Zusammenhang hat das Amtsgericht zutreffend ausgeführt, dass sich sämtliche Beteiligte dieser Vereinbarung selbst entsprechend dem Grundsatz von Treu und Glauben verhalten müssen. Dies hat die Beklagte vorliegend nicht getan, weil sie von ihrem Kündigungsrecht keinen Gebrauch gemacht hat. Die Beklagte hätte spätestens mit der Gründung ihrer Rechtspersönlichkeit zum 01.01.1994 die Fernmeldekreuzungsrichtlinien kündigen können mit der Folge, dass diese unter Einhaltung der vorgesehenen Kündigungsfrist spätestens zum 31.12.1997 nicht mehr gültig gewesen wären und sich infolgedessen die Klägerin in diesem Verfahren nicht mehr auf § 4 Abs. 3 KR hätte stützen können. Nach Kündigung der Vereinbarung vom 01.01.1990 hätten die Parteien im Rahmen ihrer Privatautonomie sodann neu über die gegenseitigen Leistungen im Zusammenhang mit der Verlegung und dem Betreiben von Fernmelderichtlinien verhandeln können und müssen. Unstreitig - allerdings ohne dass Kündigung der KR erfolgt war - sind der Beklagten seitens der Klägerin auch mehrere Angebote zu einer künftigen Vergütungsregelung unterbreitet worden, mit denen sich die Beklagte jedoch nicht einverstanden erklärt hat. Wenn die Beklagte nunmehr versucht, anstatt einer Kündigung und sich daran anschließender frei auszuhandelnder neuer Bedingungen eine Anpassung der Fernmeldekreuzungsrichtlinien hinsichtlich der Vergütung nach ihren Vorstellungen über das Rechtsinstitut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage zu erzwingen, kann dieses Verhalten nur als treuwidrig angesehen werden. Die Kammer konnte es daher dahingestellt lassen, ob im vorliegenden Fall tatsächlich ein Fall der sogenannten Äquivalenzstörung vorliegt, d.h. sich die Leistungen und Gegenleistungen aus der Vereinbarung vom 01.01.1990 zum heutigen Zeitpunkt in einem auffälligen Mißverhältnis gegenüberstehen. Insbesondere die von der Beklagten für angemessen erachtete Vergütung in Höhe eines Pauschalbetrages von 8.200,00 DM ist nicht nachvollziehbar. Die zu gewährende Gegenleistung muss angemessen zur konkreten Leistung stehen; vorliegend geht es um eine Verlegung einer Fernmelderichtlinie von ca. 30 m. Allein der Umstand, dass die Beklagte nach ihrem Vortrag mit anderen Unternehmen Verträge mit einer Pauschalvergütung von 8.200,00 DM abgeschlossen hat, dürfte die fehlende Verhältnismäßigkeit der sich aus den Kreuzungsrichtlinien ergebenden Gegenleistung der Klägerin zur Leistung der Beklagten nicht rechtfertigen. Letztlich kommt es hierauf jedoch nicht an.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.