Landgericht Göttingen
Beschl. v. 14.11.2000, Az.: 10 T 142/00
Anforderungen an die Durchführung eines Insolvenzverfahrens; Voraussetzungen für das Vorliegen von Insolvenzgründen; Anforderungen an den Antrag auf Restschuldbefreiung
Bibliographie
- Gericht
- LG Göttingen
- Datum
- 14.11.2000
- Aktenzeichen
- 10 T 142/00
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2000, 31052
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGGOETT:2000:1114.10T142.00.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Göttingen - 21.09.2000 - AZ: 74 IN 64/00
Rechtsgrundlagen
- § 11 Abs. 1 RPflG
- § 286 Abs. 1 InsO
- § 289 Abs. 2 InsO
Fundstellen
- NZI 2001, 280
- NZI 2001, 220-221
- NZI 2001, 38
- Rpfleger 2001, 122-123
- VuR 2001, 155
- ZAP EN-Nr. 0/2001
- ZInsO 2001, 90-92 (Volltext mit red. LS)
Gründe
Die Schuldnerin hat am 6.4.2000 den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen gestellt. Mit Beschluss vom selben Tag hat das AG einen vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt und diesen sogleich als Gutachter mit der Prüfung beauftragt, ob eine die Kosten des Verfahrens deckende Masse vorhanden ist. Mit Beschl. v. 28.4.2000 hat das AG das Insolvenzverfahren eröffnet und den Rechtsanwalt P. zum Insolvenzverwalter bestellt. Mit Beschl. v. 2.5.2000 hat das AG - Rechtspfleger - Termin zur Gläubigerversammlung zur Beschlussfassung über die evtl. Wahl eines anderen Insolvenzverwalters, über die Einsetzung eines Gläubigerausschusses sowie über die in den §§ 66, 100, 149, 157, 160, 162, 271 InsO bezeichneten Angelegenheiten anberaumt auf den 11.7.2000. Auf den 25.8.2000 hat das AG in dem selben Beschluss eine Gläubigerversammlung anberaumt, in der die angemeldeten Forderungen geprüft werden sollten. Das AG hat sodann die beiden v.g. Beschlüsse der Schuldnerin zugestellt. Beigefügt waren ein Merkblatt zur Restschuldbefreiung sowie der Zusatz:
"Sie werden darauf hingewiesen, dass Sie nach Maßgabe der §§ 286-303 InsO Restschuldbefreiung erlangen können. Ein entsprechender Antrag ist spätestens bis zum Berichtstermin zu stellen".
Zu der Gläubigerversammlung am 11.7.2000 ist die Schuldnerin nicht erschienen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sie keinen Antrag auf Restschuldbefreiung gestellt. Mit Schriftsatz v. 13.9.2000 hat die Schuldnerin die Restschuldbefreiung beantragt und ausgeführt, der Antrag sei nicht früher gestellt worden, weil sie, die Schuldnerin, davon ausgegangen sei, dass entweder der Insolvenzverwalter diesen Antrag für sie stellen werde oder aber sie konkret erfahre, bis zu welchem Zeitpunkt sie selbst den Antrag auf Restschuldbefreiung zu stellen habe.
Mit Beschl. v. 21.9.2000 hat das AG - Rechtspfleger - den Antrag der Schuldnerin auf Restschuldbefreiung als unzulässig zurückgewiesen. Zur Begründung hat das AG ausgeführt, die Schuldnerin habe den Antrag zu spät gestellt, denn dieser müsse gem. § 286 Abs. 1 InsO spätestens im Berichtstermin gestellt werden.
Gegen diesen Beschluss wendet sich die Schuldnerin mit der Erinnung. Sie meint, als juristische Laiin habe sie aufgrund der vom Gericht zur Verfügung gestellten Informationen zum Verfahren der Restschuldbefreiung nicht erkennen können, bis zu welchem konkreten Zeitpunkt der Antrag auf Restschuldbefreiung habe gestellt werden müssen. Der Hinweis des Gerichts, dass der Antrag spätestens im Berichtstermin zu stellen sei, sei deshalb unverständlich gewesen, weil sich in dem ihr überreichten Merkblatt zur Verbraucherinsolvenz und Restschuldbefreiung der Begriff "Berichtstermin" nicht mehr befunden habe, vielmehr sei dort ausschließlich von "Gläubigerversammlung" die Rede gewesen. Im übrigen habe der Rechtspfleger den Antrag auf Restschuldbefreiung nicht als unzulässig zurückweisen dürfen, ohne über den von ihr gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu entscheiden.
Die Erinnerung ist gem. § 11 Abs. 1 RPflG, § 289 Abs. 2 InsO als sofortige Beschwerde zulässig, sie ist jedoch nicht begründet. Das AG hat den Antrag der Schuldnerin auf Erteilung der Restschuldbefreiung zutreffend zurückgewiesen.
Für die Entscheidung war der Rechtspfleger funktionell zuständig. Nach § 18 RPflG fällt das Verfahren der Restschuldbefreiung in den Zuständigkeitsbereich des Rechtspflegers. Da das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet worden ist und sich der Insolvenzrichter das Verfahren weder ganz noch teilweise vorbehalten hat, liegt eine der in § 18 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 RPflG vorgesehenen Ausnahmen nicht vor. Auch liegt kein Fall des § 18 Abs. 2 Nr. 2 RPflG vor, denn nach dem eindeutigen Wortlaut dieser Bestimmung ist dem Richter das Verfahren bei einem Antrag des Schuldners auf Erteilung der Restschuldbefreiung nur dann vorbehalten, wenn ein Gläubiger die Versagung der Restschuldbefreiung beantragt hat. Wenn - wie hier - nicht über einen solchen Versagungsantrag zu entscheiden ist, sondern der Antrag auf Restschuldbefreiung wegen eines formellen Mangels als unzulässig zurückgewiesen wird, fällt die Entscheidung nach dem Wortlaut der gesetzlichen Regelung in den Zuständigkeitsbereich des Rechtspflegers (OLG Köln, Beschl. v. 4.10.2000 - 2 W 198/00; AG Düsseldorf, NZI 2000, 553; Arnold/Meyer-Stolte, RPflG, 5. Aufl., § 18 Rn. 20). Der gegenteiligen Auffassung des LG Münster (NZI 2000, 551) schließt sich die Kammer nicht an. Der Umstand, dass es sich bei der Entscheidung über die Restschuldbefreiung um eine für alle Beteiligten wichtige Entscheidung handelt, bedeutet nicht, dass deshalb der Richter hierüber zu befinden hat. Der Richtervorbehalt des § 18 Abs. 2 Nr. 2 RPflG beruht auf der Überlegung, dass die Entscheidung über die Restschuldbefreiung dann, wenn ein Gläubiger einen Versagungsantrag stellt, der rechtsprechenden Tätigkeit i.S.d. Art. 92 GG zumindest nahe kommt (vgl. Nerlich/Römermann, InsO, § 289 Rn. 15 m.w.N.). Eine solche Abwägung widerstreitender Standpunkte ist jedoch nicht gefordert, wenn der Antrag auf Erteilung der Restschuldbefreiung wegen eines formellen Mangels als unzulässig zu verwerfen ist. Diese Entscheidung ist deshalb auch nach dem Sinn des § 18 Abs. 2 Nr. 2 RPflG nicht dem Richter vorbehalten (so auch OLG Köln, Beschl. v. 4.10.2000 - 2 W 198/00).
Das AG durfte die in Rede stehende Entscheidung auch schon im vorliegenden Verfahrensstadium treffen. Der Auffassung des LG Münster (NZI 2000, 551), wonach über die Gewährung der Restschuldbefreiung frühestens im Schlusstermin entschieden werden kann, stimmt die Kammer nicht zu. Vielmehr ist seit der Entscheidung des OLG Köln v. 24.5.2000 (NZI 2000, 357 = ZInsO 2000, 334) klargestellt, dass die Entscheidung über den unzulässigen Restschuldbefreiungsantrag bereits vor dem Schlusstermin ergehen kann. Die Unzulässigkeit des Antrags auf Restschuldbefreiung ist eine von Amts wegen zu beachtende Verfahrensvoraussetzung, über die in jeder Lage des Verfahrens entschieden werden kann (Holzer, DZWiR 2000, 174). Fehlt dem Antrag auf Restschuldbefreiung eine Zulässigkeitsvoraussetzung, gibt es keinen sachlichen Grund, mit der Entscheidung bis zum Schlusstermin zu warten.
Der Antrag der Schuldnerin auf Erteilung der Restschuldbefreiung ist, wie das AG zutreffend ausgeführt hat, unzulässig, denn er ist nicht innerhalb der im Gesetz vorgesehenen Frist beim Insolvenzgericht eingegangen. Nach § 287 Abs. 1 Satz 2 InsO ist der Antrag auf Restschuldbefreiung spätestens im Berichtstermin zu stellen. Das ist hier unzweifelhaft nicht erfolgt, denn der Berichtstermin hat am 11.7.2000 stattgefunden. Demgegenüber hat die Schuldnerin den Antrag auf Gewährung der Restschuldbefreiung erst am 13.9.2000 gestellt. Die Schuldnerin war auch an die im Gesetz vorgegebene Frist gebunden, denn sie hatte mit der Übersendung des Eröffnungsbeschlusses den nach § 30 Abs. 3 InsO erforderlichen Hinweis erhalten, dass sie nach Maßgabe der §§ 286-303 InsO Restschuldbefreiung erlangen könne und dass der entsprechende Antrag spätestens bis zum Berichtstermin zu stellen sei.
Der Schuldnerin ist wegen der Versäumung dieser Frist keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand analog der §§ 230 ff. ZPO ist dem Schuldner nur dann zuzugestehen, wenn er die Stellung des Antrags auf Restschuldbefreiung ohne sein Verschulden versäumt hat (Kübler/Prütting/Pape, InsO, § 330 Rn. 6a). Davon ist hier nicht auszugehen. Der Schuldner hat im Insolvenzverfahren seine eigenen Interessen mit besonders gesteigerter Sorgfalt im Auge zu behalten (LG Duisburg, NZI 2000, 184). Diese Sorgfalt hat die Schuldnerin nicht beachtet. Die Schuldnerin wusste aufgrund der ihr mit dem Eröffnungsbeschluss zugegangenen Mitteilung, dass der Antrag auf Erteilung der Restschuldbefreiung spätestens bis zum Berichtstermin zu stellen war. Die Schuldnerin kann sich nicht darauf berufen, dass ihr nicht bekannt gewesen sei, dass die erste Gläubigerversammlung, die hier am 11.7.2000 stattgefunden hat, der Berichtstermin war. Zwar ist der Schuldnerin zuzugeben, dass in dem ihr vom Gericht überreichten Merkblatt zur Verbraucherinsolvenz und Restschuldbefreiung der Berichtstermin nicht erwähnt ist, vielmehr dort nur von Gläubigerversammlung gesprochen wird. Wenn jedoch der Schuldnerin im Hinblick darauf nicht klar war, was der Berichtstermin ist und wann dieser stattfand, gebot es die von ihr zu beachtende Sorgfalt, dass ei sich insoweit erkundigte. Dies hätte sowohl bei einem Rechtsanwalt als auch beim Insolvenzgericht geschehen können. Keinesfalls durfte die Schuldnerin darauf vertrauen, dass das Gericht ihr den konkreten Termin, bis zu dem der Antrag gestellt werden musste, mitteilte. Der ihr erteilte Hinweis, der Antrag müsse spätestens bis zum Berichtstermin gestellt werden, reicht aus.
Die Schuldnerin konnte auch nicht davon ausgehen, den Antrag auf Erteilung der Restschuldbefreiung werde der Insolvenzverwalter für sie stellen. Für eine derartige Annahme gibt es keinerlei Gründe. Es ist nicht Aufgabe des Insolvenzverwalters, den Schuldner umfassend rechtlich zu beraten und ihn auf die Fristen hinzuweisen bzw. den Antrag auf Erteilung der Restschuldbefreiung für ihn zu stellen. Gem. § 1 InsO dient das Insolvenzverfahren dazu, die Gläubiger eines Schuldners gemeinschaftlich zu befriedigen. Der Insolvenzverwalter muss zur Erreichung dieses Ziels beitragen, seine Aufgabe ist es hingegen nicht, die Interessen des Schuldners wahrzunehmen und ihn zu beraten.
Der Antrag der Schuldnerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist deshalb erfolglos, so dass es bei der angefochtenen Entscheidung des AG verbleibt.