Landgericht Göttingen
Urt. v. 06.04.2000, Az.: 6 S 113/99

Sorgfaltsanforderungen beim Gebrauch einer Schusswaffe; Voraussetzungen für ein Mitverschulden begründendes Verhalten des Geschädigten; Verletzung der Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten; Eigentumsverletzung durch Tötung eines Hundes

Bibliographie

Gericht
LG Göttingen
Datum
06.04.2000
Aktenzeichen
6 S 113/99
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2000, 23034
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGGOETT:2000:0406.6S113.99.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Göttingen - 12.02.1999 - AZ: 25 C 281/98

In dem Rechtsstreit
hat die 6. Zivilkammer des Landgerichts Göttingen
auf die mündliche Verhandlung vom 16. März 2000
durch
die Vizepräsidentin des Landgerichts ... und
die Richterinnen am Landgericht ... und ...
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Beklagten gegen das am 12.02.1999 verkündete Urteil des Amtsgerichts Göttingen, Az.: 25 C 281/98, wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Entscheidungsgründe

1

Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.

2

Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Das Amtsgericht hat den Beklagten zu Recht zur Zahlung einer restlichen Schadensersatzleistung in Höhe von noch 4.500,00 DM an den Kläger verurteilt.

3

Ein Anspruch des Klägers gegenüber dem Beklagten auf Leistung von Schadensersatz ergibt sich aus § 823 Abs. 1 BGB. Der Beklagte hat das Eigentum des Klägers verletzt, indem er den Hund des Klägers durch den Schuß tödlich verletzt hat. Der Beklagte kann sich zum Ausschluß einer schuldhaften unerlaubten Handlung nicht darauf berufen, er habe bei der Abgabe des Schusses auf den von ihm kurz zuvor erkannten und sicher angesprochenen Frischling gezielt und den Hund des Klägers nur deshalb getroffen, weil dieser unvorhersehbar dem flüchtenden Frischling gefolgt sei. Der Beklagte trägt hierzu vor, wahrscheinlich habe es sich um einen Zufallstreffer gehandelt. Es könne allerdings auch nicht ausgeschlossen werden, daß der Beklagte den nacheilenden bzw. hetzenden Hund aufgrund einer bedauerlichen Verwechslung mit dem Frischling beschossen habe. Diese von dem Beklagten vorgetragenen Sachverhaltsvarianten haben sich im Nachhinein nicht aufklären lassen. Im Ergebnis kommt es hierauf aber auch nicht an, weil dem Beklagten ein Fahrlässigkeitsvorwurf insoweit zu unterstellen ist, daß er in der konkreten Situation überhaupt einen Schuß abgegeben hat. Die im Verkehr erforderlichen und zumutbaren Sorgfaltsanforderungen sind beim Gebrauch einer Schußwaffe besonders hoch anzusiedeln. Die von einer Schußwaffe ausgehende besondere Gefahr erfordert es, daß sich der Schütze in jeder Situation vor der Abgabe eines Schusses die Gewißheit verschafft, daß eine Gefährdung anderer ausgeschlossen ist (vgl. Staudinger/Hager, § 823 E Rdnr. 368; OLG Düsseldorf in Versicherungsrecht 1992, 893). Die von Literatur und Rechtsprechung angenommenen Maßstäbe, die an die Einhaltung der Sorgfaltsanforderungen zu stellen sind, sind zwar unter dem Gesichtspunkt entwickelt worden, daß das zu schützende Rechtsgut in erster Linie die körperliche Unversehrtheit und das Leben anderer Menschen darstellt. Ob insoweit eine Gleichrangigkeit mit Tieren d.h. also mit Sachen im Sinne des Gesetzes herzustellen ist, mag dahingestellt bleiben, weil sich vorliegend zumindest eine nicht auszuschließende Gefährdung auch für Menschen ergab. In jeder nicht zweifelsfreien Situation besteht nämlich die potentielle Gefahr der Verletzung anderer, die sich in unmittelbarer Nähe des Schußfeldes befinden. Vorliegend bestand eine solche nicht zweifelsfreie Situation, weil der Beklagte aufgrund der örtlichen Verhältnisse keine ausreichende Übersicht hatte. Der Beklagte trägt in diesem Zusammenhang selbst vor, daß er den Frischling vor Abgabe des Schusses nur in Bruchteilen von Sekunden in den Lücken des Dickichts gesehen hatte, das Tier dann wieder in der Dickung verschwand und schließlich links hinter einem Holunderbusch wieder hervorkam. In dieser Situation gab der Beklagte den Schuß ab. Er konnte damit nicht zu zweifelsfreier Gewißheit gelangen, daß es sich bei dem hervorkommenden Tier tatsächlich um den zuvor von ihm erkannten Frischling handelte. Gerade weil der Beklagte wußte, daß der Kläger mit seinem Hund den Frischling hetzte, konnte und durfte er nicht ausschließen, auf ein unter Umständen nicht zweifelsfrei identifiziertes Objekt zu schießen. Damit hat er nicht nur das Tier, sondern auch den Kläger, er sich ebenfalls in der Nähe der Dickung befand, gefährdet. Der Beklagte hätte mit einer Schußabgabe bis zu sicherer Identifizierung in einem übersichtlichen Bereich abwarten müssen. Indem er dies unterlassen hat, hat er die ihm objektiv möglichen und subjektiv zumutbaren Sorgfaltsanforderungen nicht beachtet.

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Die von dem Beklagten vorgetragene Unerfahrenheit und durch psychischen Druck des Klägers bedingte Aufregung vermag ihm von dem Fahrlässigkeitsvorwurf nicht zu entlasten. Dies hat das Amtsgericht zu Recht ausgeführt. Gerade im Hinblick auf diese Umstände hätte er davon absehen müssen, einen Schuß überhaupt abzugeben. Der strenge Maßstab, der in diesem Zusammenhang an den Beklagten als Schützen bei den aa ihn zu stellenden Sorgfaltspflichten ist im Hinblick auf die objektive Gefährlichkeit einer Schußwaffe gerechtfertigt.

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Dem Schadensersatzanspruch des Klägers steht der Einwand des Beklagten, der Kläger habe selbst durch sein Verhalten den eingetretenen Schaden mit zu verantworten, nicht entgegen. Der hierfür darlegungs- und beweispflichtige Beklagte hat ein Mitverschulden des Klägers gemäß § 254 BGB nicht nachgewiesen. Soweit der Beklagte behauptet, der Kläger habe seinen Hund geschnallt, ohne dies vorher dem Beklagten mitzuteilen, vermag dieser Umstand ein Mitverschulden des Klägers nicht zu begründen. Die konkrete Durchführung der Nachsuche obliegt ausschließlich der Entscheidung des Nachsuchenführers, d.h. vorliegend des Klägers. Daß diese Entscheidung objektiv falsch war, ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Vielmehr mußte dem Beklagten als Jäger klar sein, daß ein Hund im Rahmen der Nachsuche geschnallt wird und hiervon mußte der Beklagte ausgehen. Der von dem Beklagten vorgetragene psychische Druck seitens des Klägers und die dadurch veranlaßte Verunsicherung bei dem Beklagten begründet ebenfalls keine eigenständige schuldhafte Handlung des Klägers. Die Kammer geht aufgrund des beiderseitigen Vortrags davon aus, daß zwischen Parteien eine Auseinandersetzung stattgefunden hat, deren konkretes Ausmaß im einzelnen jedoch streitig geblieben ist. Dem Beklagten ist auch zuzugeben, daß ein verantwortungsvoller, besonnener Nachsuchenführer die objektiv bestehende Unerfahrenheit des Beklagten als Jungjäger berücksichtigt und alles vermieden hätte, um diesen nicht psychisch unter Druck zu setzen. In welchem Ausmaß aber dem Kläger ein moralisches Fehlverhalten zur Last zu legen ist, ist zwischen den Parteien streitig und der Beklagte kann seine Behauptungen nicht beweisen. Aus diesem Grund kann vorliegend nicht von einem selbständigen Mitverschulden des Klägers aufgrund seines Verhaltens gegenüber dem Beklagten ausgegangen werden.

6

Im Ergebnis ist ein Mitverschulden des Klägers auch nicht dadurch begründet, daß der Hund des Klägers bei der Nachsuche kein Warnhalsband trug. Eine rechtliche Verpflichtung zum Tragen eines Warnhalsbandes besteht nicht, da die von den Parteien vorgelegten Richtlinien und Empfehlungen eine solche Verpflichtung im Rahmen der Nachsuche nicht begründen. Die Kammer mußte daher zu dieser Frage ein Sachverständigengutachten nicht einholen. Die Kammer geht davon aus, daß das Tragen eines Warnhalsbandes grundsätzlich eine geeignete Möglichkeit darstellt, drohende Gefährdungen bei der Schußabgabe von dem Hund abzuwenden. Aus diesem Grund wird das Umlegen eines Warnhalsbandes in derartigen Fällen empfohlen. Ob das Unterlassen einer solchen Maßnahme ein selbständiges Mitverschulden des Nachsuchenführers darstellt, richtet sich danach, ob in dem Unterlassen eine Verletzung der Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten zu sehen ist. Unstreitig ist zunächst zwischen den Parteien, daß der Kläger während der Nachsuche überhaupt kein Warnhalsband mit sich trug. Eine generelle Verpflichtung, während der Nachsuche Warnhalsbänder zu tragen bzw. dem Hund umzulegen, gibt es jedoch nicht und ein solches Erfordernis übersteigt auch die Anforderungen, die an die Sorgfalt des Nachsuchenführers in eigenen Angelegenheiten zu stellen sind. Es ist vielmehr auch in diesem Zusammenhang - worauf die Kammer bereits in ihrem Beschluß vom 21.01.2000 hingewiesen hat - auf die jeweilige konkrete Situation abzustellen, in der die Gefährdung des Hundes akut geworden ist. Hierzu hat der Beklagte vorgetragen, der Hund des Klägers habe sich vor der Schußabgabe in unmittelbarer Nähe des Frischlings in der Dickung befunden und der Kläger habe ihm noch kurz vor dem Schuß über Funk mitgeteilt, daß er den Frischling kurz vor sich habe und dieser gleich herauskommen müsse. Wenn dies so gewesen wäre, hätte der Kläger unter Umständen damit rechnen müssen, daß der Beklagte demnächst einen Schuß abgibt und hätte seinen Sorgfaltspflichten in dieser konkreten Situation nur dann umfänglich Rechnung getragen, wenn er dem Hund vor dem Schnallen ein Warnhalsband umgelegt hätte bzw. - soweit er ein solches nicht bei sich führte - darauf verzichtet hätte, den Hund zu schnallen. Der Kläger bestreitet jedoch diesen Vortrages des Beklagten und behauptet, sein Hund habe sich gerade nicht in der Nähe des Frischlings befunden, sondern diesen auf kalter Fährte gesucht. Wenn der Hund sich in der unmittelbaren Nähe des Frischling aufgehalten hätte, hätte er laut gesucht. Wenn diese Sachverhaltsdarstellung zutreffend ist, hätte der Kläger nicht mit einer konkreten Gefährdung seines Hundes rechnen müssen, so daß das fehlende Warnhalsband nicht als Verletzung der Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten zu werten ist. Der Kläger hat ferner erklärt, vor dem Funkspruch, mittels dem er dem Beklagten mitgeteilt habe, daß das Stück "auf den Läufen sei", und der Schußabgabe des Beklagten sei ein Zeitraum von etwa 20 Minuten vergangen. Der Beklagte hat hierzu behauptet, es hätten allenfalls 5 bis 10 Minuten zwischen dem Funkspruch und dem Schuß gelegen. Geht man von dem Sachvortrag des Beklagten aus, so konnte der Beklagte nicht davon ausgehen, daß es sich bei dem Objekt, auf das er den Schuß abgab, um den aus der Dickung herauskommenden Frischling handelte. Der Sachvortrag des Beklagten ist damit nicht bewiesen und dies geht zu seinen Lasten, weil der Beklagte als Schädiger die Voraussetzungen eines ein Mitverschulden begründendes Verhalten des Geschädigten darlegen und beweisen muß.

7

Der Zinsanspruch des Klägers rechtfertigt sich unter Verzugsgesichtspunkten, §§ 284, 286, 288 Abs. 1 BGB. Die Haftpflichtversicherung des Beklagten, die die Regulierung des Schadenfalls für den Beklagten übernommen hatte, ist mit Schreiben der Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 10.06.1998 unter Fristsetzung zum 23.06.1998 vergeblich zur Zahlung der restlichen Schadenssumme aufgefordert worden, so daß sich der Beklagte seit dem 24.06.1998 im Verzug befindet. Die Höhe des Zinssatzes rechtfertigt sich aus § 288 Abs. 1 Satz 1 BGB.

8

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.