Landessozialgericht Niedersachsen
Beschl. v. 26.09.2001, Az.: L 4 B 202/01 KR

Inhalt und Umfang der dienstlichen Äußerung eines Richters; Befangenheit eines Richters

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen
Datum
26.09.2001
Aktenzeichen
L 4 B 202/01 KR
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2001, 24863
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2001:0926.L4B202.01KR.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Hildesheim - 25.07.2001 - AZ: S 2 KR 51/01

Prozessführer

Barmer Ersatzkasse,

Untere Lichtenplatzer Straße 100-102, 42289 Wuppertal,

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Inhalt und Umfang der dienstlichen Äußerung eines abgelehnten Richters nach § 44 Abs. 3 ZPO stehen grundsätzlich in seinem Ermessen.

  2. 2.

    Inhalt und Umfang der dienstlichen Äußerung sollen sich nach dem geltend gemachten Ablehnungsgrund richten. Steht der für die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch erhebliche Sachverhalt unstreitig fest, bedarf es keiner im Einzelnen begründeten dienstlichen Äußerung (Anschluss an BFH, Entscheidungen vom 08.12.1994 - VII B 172/93-, 27.03.1997 - XI B 190/96-, 12.12.1997 - XI B 34/96 - und 02.05.2001 - XB 1/01 -).

Der 4. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen in Celle
hat am 26. September 2001
durch
die Richterin Schimmelpfeng-Schütte - Vorsitzende -,
die Richter Wolff und Schreck
beschlossen:

Tenor:

Das Gesuch des Klägers, den Richter am Sozialgericht B. wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, wird zurückgewiesen.

Gründe

1

I.

Der Kläger führt vor dem Sozialgericht Hildesheim (SG) die beiden Verfahren S 2 KR 51/01 und S 2 KR 52/01. Das Verfahren S 2 KR 51/01 betrifft den Erlass eines Widerspruchsbescheides über Beitragspflicht der Beschäftigung des Klägers bei dem Gründungs- und Innovationszentrum (GIZ) vom 29. Juni bis 23. August 1998; die Beklagte hat den Widerspruch inzwischen erlassen. Im Verfahren S 2 KR 52/01 hat der Kläger beantragt festzustellen, dass seine Beschäftigung bei dem GIZ vom 29. Juni bis 20. August 1998 beitragspflichtig war.

2

Am 23. Juli 2001 hat der Vorsitzende der 2. Kammer des SG im Verfahren S 2 KR 51/01 folgende Verfügung an den Kläger gerichtet: In pp "weise ich Sie im Nachgang zu meiner Verfügung vom 17. Juli 2001 darauf hin, dass Sie nicht zwei Verfahren führen können mit demselben Inhalt. Es reicht doch schon eine, sodass Sie dieses Verfahren hier für erledigt erklären sollten. Es ist rechtlich nicht zulässig, zwei Klagen wegen desselben Streitstoffes zu führen. Geschieht dies nicht bis zum 20. August 2001, so werde ich eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid ohne mündliche Verhandlung treffen."

3

Mit Schriftsatz vom 24. Juli 2001 hat der Kläger der Auffassung des SG widersprochen. Er führe zwei Klagen mit verschiedenen Streitgegenständen. Er werde daher nichts für erledigt erklären.

4

Mit Beschluss vom 25. Juli 2001 hat das SG den Antrag auf Prozesskostenhilfe (PKH) zurückgewiesen (am 31. Juli 2001 an den Kläger abgesandt).

5

Mit Schriftsatz vom 30. Juli 2001 hat der Kläger den Richter am Sozialgericht B. wegen Befangenheit abgelehnt. Dieser habe in seiner Verfügung vom 23. Juli 2001 ohne Umschweife seine Unlust an den Verfahren zu erkennen gegeben und gezeigt, dass ihm schon ein Verfahren zu viel sei. Er habe außerdem zu erkennen gegeben, dass er über den PKH-Antrag erst nach Entscheidung in der Hauptsache entscheiden wolle. Auch hierin komme seine Gleichgültigkeit zum Ausdruck.

6

Mit Verfügung vom 31. Juli 2001 hat der Richter am Sozialgericht B. erklärt: "Ich halte mich nicht für befangen." und die Akten dem Landessozialgericht (LSG) zur Entscheidung vorgelegt.

7

Der Senat hat dem Kläger die dienstliche Äußerung vom 31. Juli 2001 zur Kenntnis übersandt. Der Kläger hat daraufhin vorgetragen, Richter am Sozialgericht B. habe es faktisch und apodiktisch abgelehnt, eine hinreichende dienstliche Äußerung abzugeben, die eine sachliche Auseinandersetzung mit den Argumenten des Befangenheitsantrages verlange. Auch dies rechtfertige die Befürchtung, dass ein objektives Verfahren nicht gewährleistet sei.

8

II.

Das Ablehnungsgesuch ist nach § 60 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) iVm § 42 Abs. 1 und 3 Zivilprozessordnung (ZPO) zulässig.

9

Das Gesuch ist jedoch nicht begründet.

10

Nach § 42 Abs. 2 ZPO findet die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Es müssen objektiv hinreichende Gründe dafür gegeben sein, dass der ablehnende Beteiligte von seinem Standpunkt aus unter Berücksichtigung der Ansicht eines vernünftig denkenden Beteiligten Misstrauen in die Unparteilichkeit des Richters haben kann. Die Annahme eines Beteiligten, dass sich der Richter bei seiner richterlichen Tätigkeit von unsachlichen Erwägungen leiten lässt, kann folglich nur dann die Ablehnung begründen, wenn die vorgetragenen Tatsachen bei vernünftiger Betrachtung der Dinge die Annahme einer unsachlichen Richtertätigkeit begründen (Meyer-Ladewig, SGG, 6. Aufl. 1998, § 60 Rn 7 mit weiteren Nachweisen).

11

Die Rügen des Klägers rechtfertigen nicht die Besorgnis der Befangenheit.

12

Mit dem Hinweis vom 23. Juli 2001, beide Verfahren des Klägers vor der 2. Kammer des SG beträfen denselben Streitgegenstand, hat der Kammervorsitzende eine Rechtsauffassung geäußert. Die Äußerung einer Rechtsauffassung rechtfertigt jedoch grundsätzlich nicht die Besorgnis einer Befangenheit; dabei ist unerheblich, ob diese Rechtsauffassung von den Beteiligten geteilt wird oder nicht (Beschluss des erkennenden Senats vom 15. November 1999 - L 6 U 44/99). Es liegt darüber hinaus im richterlichen Ermessen, diese Rechtsauffassung den Verfahrensbeteiligten mitzuteilen und ihnen vorzuschlagen, entsprechende prozessbeendende Erklärungen abzugeben. Auch das begründet grundsätzlich keine Befangenheit des Richters.

13

Auch der Hinweis, eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid treffen zu wollen, stellt keinen Ablehnungsgrund dar. Nach § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, wenn die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten sind nach § 105 Abs. 1 Satz 2 SGG vorher zu hören. Wenn der Richter am Sozialgericht B. eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid treffen will, so macht er von einer gesetzlichen Möglichkeit Gebrauch. Ein gesetzlich zulässiges Verhalten ist jedoch nicht geeignet, eine Befangenheit zu begründen (vgl. Beschluss des erkennenden Senats vom 15. November 2000 - L 4 B 277/00 KR).

14

Der Vorwurf des Klägers, der Kammervorsitzende wolle über den PKH-Antrag erst nach der Entscheidung in der Hauptsache entscheiden, ist gegenstandslos geworden. Denn der PKH-Beschluss ist am 25. Juli 2001 ergangen und an den Kläger am 31. Juli 2001 abgesandt worden.

15

Schließlich rechtfertigt auch die dienstliche Äußerung vom 31. Juli 2001 keine Besorgnis der Befangenheit. Der Umfang der dienstlichen Äußerung eines abgelehnten Richters nach § 44 Abs. 3 ZPO steht grundsätzlich in seinem Ermessen. Er kann zu den für das Ablehnungsgesuch entscheidungserheblichen Tatsachen Stellung nehmen, soweit ihm das notwendig und zweckmäßig erscheint. Inhalt und Umfang der dienstlichen Äußerung sollen sich nach dem jeweils geltend gemachten Ablehnungsgrund richten. Steht der für die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch erhebliche Sachverhalt unstreitig fest, bedarf es keiner im Einzelnen begründeten dienstlichen Äußerung (vgl. BFH, Entscheidungen vom 8. Dezember 1994 - VII B 172/93-, vom 27. März 1997 - XI B 190/96- vom 12. Dezember 1997 - XI B 34/96 - und vom 2. Mai 2001 - XB 1/01 -).

16

Im vorliegenden Fall besteht an dem Ablehnungsgesuch zugrunde liegenden Sachverhalt kein Zweifel. Denn der Kläger stützt sein Gesuch auf die gerichtliche Verfügung vom 23. Juli 2001, die sich in der Gerichtsakte befindet. In Fällen dieser Art reicht es aus, wenn sich die dienstliche Äußerung auf die Feststellung beschränkt, der Richter halte sich nicht für befangen.

17

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).

Schimmelpfeng-Schütte,
Wolff,
Schreck