Landessozialgericht Niedersachsen
Beschl. v. 19.09.2001, Az.: L 3 KA 51/01
Kürzung des Arzthonorars bei offensichtlichem Missverhältnis des Mehraufwandes bei Einzelleistungswerten; Verstoss gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot; Gesetzliche Fiktion des wirtschaftlichen Handelns bei einer Vergleichsgruppe von Ärzten; Auswahlkriterien zur Bestimmung der Vergleichsgruppe; Darlegungs- und Feststellungslast im Prozess zur Widerlegung des Anscheinsbeweises der Unwirtschaftlichkeit
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen
- Datum
- 19.09.2001
- Aktenzeichen
- L 3 KA 51/01
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2001, 15907
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2001:0919.L3KA51.01.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Hannover - 30.05.2001 - AZ: S 24 KA 799/98
Rechtsgrundlagen
- § 106 Abs.2 Nr.1 SGB V
- § 106 Abs.5 S.1 SGB V
Prozessführer
Dr. A...,
Prozessgegner
Beschwerdeausschuss bei der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen, D...,
Sonstige Beteiligte
1. Kassenärztliche Vereinigung Niedersachsen, F...,
2. AOK – Die Gesundheitskasse für Niedersachsen - Landesdirektion -, G...,
BKK Landesverband Niedersachsen-Bremen, H...,
3. IKK – Landesverband Niedersachsen, I...,
4. Hannoversche landwirtschaftliche Krankenkasse, J...,
5. Verband der Angestellten-Krankenkassen e.V., K...,
6. Arbeiter-Ersatzkassen Verband e.V., K...,
7. Bundesknappschaft Hannover, L...,
Der Kläger ist niedergelassener Facharzt für Allgemeinmedizin und wehrt sich im Berufungsverfahren gegen eine Kürzung seiner Honoraranforderungen für das 3. Quartal 1996 durch den Prüfungsausschuss. Betroffen ist eine bestimmte Lesitungsposition des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes, die seitens des Klägers im Vergleich zu einer "verfeinerten Vergleichsgruppe" eine Abweichung um 536,4% ergab. Das Gericht hält den angefochtenen Bescheid für rechtmäßig, denn eine gesetzliche Fiktion spricht dafür, dass der Durchschnitt der Fachgruppe, die als Vergleichsgruppe herangezogen wird, wirtschaftlich handelt. Ergibt sich daher beim Mehraufwand von Einzelleistungswerten im Vergleich zum Durchschnittswert der Vergleichsgruppe ein offensichtliches Missverhältnis, kann das Honorar gekürzt werden. Das LSG erörtert die Kriterien für die Zusammensetzung der Vergleichsgruppe und stellt fest, dass es am Kläger gelegen hätte, den Anscheinsbeweis der Unwirtschaftlichkeit subtantiiert zu widerlegen.
hat der 3. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen in Celle
am 19. September 2001
durch
die Richterin am Landessozialgericht M. - als Vorsitzende -,
den Richter am Landessozialgericht N. und
den Richter am Landessozialgericht O.
beschlossen:
Tenor:
Die Berufung des Klägers wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Kläger keine Gerichtskosten an die Staatskasse zu zahlen hat.
Der Kläger hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Beklagten auch im Berufungsverfahren zu erstatten; im Übrigen sind keine Kosten zu erstatten.
Gründe
I.
Der Kläger wendet sich dagegen, dass der beklagte Ausschuss die vom Prüfungsausschuss beschlossene Kürzung seiner Honoraranforderungen für das Quartal III/1996 bezogen auf die Leistungsposition Nr. 19 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes (EBM) um 44.950 Punkte bestätigt hat.
Der Kläger ist seit 1976 als Facharzt für Allgemeinmedizin in Q. niedergelassen und zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Im 3. Quartal 1996 rechnete er die EBM-Ziff. 19 ("Erhebung der Fremdanamnese, ggfs. bei mehreren Personen, über eine psychisch, hirnorganisch oder krankheitsbedingt erheblich kommunikationsgestörten Kranken (z.B. Taubheit, Sprachverlust) und/oder Unterweisung und Führung der entsprechenden Bezugsperson(en), einmal im Behandlungsfall") bei 744 behandelten Fällen insgesamt 116 mal ab, was einer Häufigkeit von 15,59 je hundert Fälle entsprach. Die aus 260 Praxen bestehende Vergleichsgruppe der Fachärzte für Allgemeinmedizin und praktischen Ärzte in den Landkreisen R. rechnete diese Geb.-Ziffer hingegen im Durchschnitt nur 2,17 mal je hundert Fälle ab. In der so genannten "verfeinerten Vergleichsgruppe", in der nur diejenigen Ärzte erfasst werden, die die fragliche Geb.-Ziffer mindestens einmal im Quartal abgerechnet haben, ergab sich eine durchschnittliche Abrechnungshäufigkeit von 2,45 je hundert Fälle. Im Vergleich hierzu war beim Kläger eine Abweichung um 536,4 % festzustellen.
Auf einen gemeinsamen Prüfantrag der Krankenkassen und der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) beschloss der Prüfungsausschuss am 09. Januar 1997 (Bescheid vom 06. März 1997) eine Kürzung der Honoraranforderungen des Klägers bei der Leistungsposition Nr. 19 EBM um 77,5 %, entsprechend 44.950 Punkte.
Den hiergegen vom Kläger eingelegten Widerspruch wies der beklagte Ausschuss am 18. Juni 1998 (Bescheid vom 29. Juni 1998) zurück. Zur Begründung erläuterte er insbesondere: Der Beschwerdeausschuss sei nach Durchsicht der Behandlungsausweise und unter Berücksichtigung des Vorbringens des Klägers im Widerspruchsverfahren zu der Einschätzung gelangt, dass das von ihm behandelte Patientengut hinsichtlich der gekürzten Leistung nicht wesentlich vom durchschnittlichen Patientengut der anderen Ärzte der Vergleichsgruppe abweiche. Insbesondere sei nicht erkennbar, dass die vom Kläger geltend gemachte größere Zahl von Not- und Vertretungsfällen zu einem vermehrten Ansatz der Geb.-Ziff. 19 im EBM habe führen können. Vielmehr müsse der Kläger die tatbestandlichen Voraussetzungen dieses Gebührentatbestandes genauer beachten. Bei einer Überschreitung der Abrechnungshäufigkeit der Geb.-Ziff. 19 im Vergleich zu so genannten "verfeinerten Vergleichsgruppe" um 536,4 % liege der Kläger auch fraglos im Bereich eines offensichtlichen Missverhältnisses. Es müsse daher von der Erbringung unwirtschaftlicher Leistungen ausgegangen werden. Da es sich um die Kürzung nur einer einzelnen Geb.-Ziffer handele und der überdurchschnittliche Rentneranteil des Klägers zu beachten sei, habe der Ausschuss die sonst herangezogene Toleranzspanne von 20 % auf 40 % verdoppelt. Hiervon ausgehend könne eine Abrechnung der Geb.-Ziff. 19 EBM mit einer Häufigkeit von 3,43 je hundert Fälle (entsprechend dem um 40 % erhöhten Wert der verfeinerten Vergleichsgruppe von 2,45 je hundert Fälle) noch im Rahmen einer wirtschaftlichen Leistungserbringung gewertet werden. Der Kläger habe jedoch mit einer Häufigkeit von 15,59 je hundert Fälle diese Geb.-Ziffer weitaus häufiger abgerechnet, so dass die Differenz von 12,16 je hundert Fälle als unwirtschaftlich zu bewerten sei. Bei insgesamt 744 Fällen bedeutet dies, dass die Geb.-Ziff. 19 EBM insgesamt 90 mal in einer unwirtschaftlichen Weise abgerechnet worden sei, was bei dieser jeweils mit 500 Punkten bewerteten Leistung einem unwirtschaftlichen Mehraufwand von 45.000 Punkten entspreche, der noch (geringfügig) über den von Prüfungsausschuss beschlossenen Kürzungsbetrag hinausgehe, so dass der Widerspruch insgesamt zurückzuweisen sei.
Gegen diesen mit Anschreiben vom 16. Juli 1998 übersandten Beschluss hat der Kläger am 14. August 1998 Klage erhoben. Diese ist schriftsätzlich nicht begründet worden, jedoch haben die Beteiligten in der 40 Minuten umfassenden mündlichen Verhandlung zur Sache verhandelt.
Mit Urteil vom 30. Mai 2001, dem Kläger zugestellt am 18. Juni 2001, hat das Sozialgericht Hannover die Klage abgewiesen und dem Kläger zugleich Gerichtskosten in Höhe von 300,00 DM auferlegt. Zur Begründung hat es auf die Gründe der angefochtenen Bescheide Bezug genommen. Die Auferlegung von Gerichtskosten in Höhe von 300,00 DM ist damit begründet worden, dass der Kläger trotz mehrfacher gerichtlicher Aufforderungen die Klage schriftsätzlich nicht begründet habe, so dass die unterlassene Mitwirkung als mutwillig zu beurteilen sei. Sie habe zur Verschleppung des Verfahrens geführt, weshalb die dem Gericht hierdurch verursachten Kosten zur Hälfte vom Kläger an die Staatskasse zu zahlen seien.
Mit der am 04. Juli 2001 eingelegten Berufung macht der Kläger geltend, dass zahlreiche Besonderheiten im Prüfquartal sich auf die Häufigkeit der Abrechnung der Geb.-Ziff. 19 ausgewirkt hätten. So habe er 228 Patienten als Vertreter behandeln müssen. Auch der Rentneranteil überschreite den Fachgruppendurchschnitt. Zudem betreue er ein Alten- und Pflegeheim. Daraus ergebe sich, dass unter den von ihm behandelten Rentnern besonders viele sehr alt und hinfällig seien. Auch habe der beklagte Ausschuss außer Acht gelassen, dass er eine Landpraxis betreibe. Darüber hinaus sei zu berücksichtigen gewesen, dass die Geb.-Ziff. 19 erst zum 01. Januar 1996 in Kraft getreten sei. Dies und Schwierigkeiten bei der Erfassung des Wortlautes hätten sich tendenziell in einem niedrigen Fachgruppendurchschnitt ausgewirkt. Zudem sei weder die Annahme einer üblichen Toleranzspanne von 20 % noch ihre Verdoppelung im vorliegenden Fall hinreichend begründet worden. Auch habe der beklagte Ausschuss versäumt, den Grenzwert zum offensichtlichen Missverhältnis eindeutig festzulegen.
Da die Klage bereits im erstinstanzlichen Termin zur mündlichen Verhandlung ausführlich begründet worden sei, sei überdies kein Raum für die Verhängung von Mutwillenskosten gewesen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 30. Mai 2001 und den Bescheid des Beklagten vom 29. Juni 1998 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, über seinen Widerspruch gegen den Bescheid des Prüfungsausschusses vom 06. März 1997 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senates erneut zu entscheiden.
Der Beklagte stellt keinen Antrag.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.
II.
Über die vorliegende Berufung entscheidet der Senat nach vorheriger Anhörung der Beteiligten durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG), da er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich erachtet.
Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.
Der angefochtene Bescheid des beklagten Ausschusses vom 29. Juni 1998 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, so dass das Sozialgericht die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen hat.
Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides ist § 106 Sozialgesetzbuch Buch V Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V in der Fassung des Gesundheitsstrukturgesetzes–GSG– vom 21. Dezember 1992, BGBl. I 2266). Nach § 106 Abs. 2 Nr. 1 SGB V erfolgt die Überprüfung der Wirtschaftlichkeit der Versorgung durch arztbezogene Prüfungen ärztlicher und ärztlich verordneter Leistungen nach Durchschnittswerten. Nach den hierzu von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen ist die statistische Prüfung die Regelprüfmethode (vgl. Bundessozialgericht – BSG –, Urteil vom 10. Mai 2000 – B 6 KA 25/99 R – SozR 3-2500 § 106 SGB V Nr. 49). Danach werden die Abrechnungswerte des Arztes mit denjenigen der Fachgruppe im selben Quartal verglichen. Falls der Mehraufwand bei dem Gesamtfallwert, bei Spartenwerten, oder – wie im vorliegenden Fall – bei Einzelleistungswerten im Vergleich zum Durchschnittswert der Vergleichsgruppe in einem offensichtlichen Missverhältnis steht, kann das Honorar gekürzt werden. Dieser Methode liegt eine gesetzliche Fiktion zugrunde, nach der davon auszugehen ist, dass der Durchschnitt der Fachgruppe insgesamt wirtschaftlich handelt. Ergänzt durch die so genannte intellektuelle Betrachtung, bei der medizinisch-ärztliche Gesichtspunkte zu berücksichtigen sind, ist dies die Methode, die typischerweise die umfassendsten Erkenntnisse bringt (BSG, a.a.O.).
Der Prüfung nach Durchschnittswerten ist allerdings die Grundlage entzogen, wenn der Vergleich mit den durchschnittlichen Abrechnungswerten der Vergleichsgruppe zur Überprüfung der Wirtschaftlichkeit ungeeignet ist. Deshalb muss bei ihr die jeweilige Vergleichsgruppe aus Ärzten bestehen, die ein annähernd gleichartiges Patientengut versorgen und im Wesentlichen dieselben Erkrankungen behandeln, weil nur unter dieser Voraussetzung der durchschnittliche Behandlungsaufwand der Arztgruppe ein geeigneter Maßstab für die Beurteilung der Wirtschaftlichkeit der Behandlungstätigkeit eines Angehörigen dieser Arztgruppe ist. Beschränkt sich die Prüfung auf einzelne Leistungspositionen, muss die Vergleichsgruppe so gewählt werden, dass aufgrund gemeinsamer Tätigkeitsmerkmale der ihr angehörenden Ärzte ein vergleichbarer Bedarf gerade bei den in Rede stehenden Leistungen zu erwarten ist (BSG, a.a.O.). Andererseits kann eine statistische Prüfung nur dann ihrem Zweck gerecht werden, wenn sie nicht jeder individuellen Besonderheit einer Arztpraxis Rechnung tragen muss. Der Patientenstamm einer Arztpraxis wird nicht zuletzt auch durch die Persönlichkeit des Arztes und durch das soziale Umfeld geprägt. Eine umfassende Berücksichtigung aller Besonderheiten würde bereits an der mangelnden Objektivierbarkeit vieler Faktoren scheitern. Zudem würde es an geeigneten Vergleichsgruppen fehlen, bezüglich derer sich ebenfalls das Vorliegen der jeweiligen individuellen Praxisbesonderheiten sicher feststellen ließe und die darüber hinaus noch eine hinreichend große Anzahl von Mitgliedern für eine statistische Auswertung aufweisen würden. Dementsprechend muss nicht jede individuelle Besonderheit einer Arztpraxis stets zur Bildung einer engeren Vergleichsgruppe nötigen. Auf die Bildung einer besonderen engeren Vergleichsgruppe kann jedoch dann nicht verzichtet werden, wenn die jeweils maßgebenden Leistungsbedingungen so verschieden sind, dass von einem statistischen Vergleich von vornherein keine verwertbaren Aussagen über die Wirtschaftlichkeit oder Unwirtschaftlichkeit einer Leistung oder eines Leistungskomplexes zu erwarten sind (BSG, a.a.O.).
Hiervon ausgehend begegnet es im vorliegenden Fall zunächst keinen Bedenken, dass der beklagte Ausschuss als Vergleichsgruppe die Gruppe der Fachärzte für Allgemeinmedizin und praktischen Ärzte in den Landkreisen R. herangezogen hat. Es ist typisch für Allgemeinarztpraxen, dass in diesen auch Patienten zu betreuen sind, die an erheblichen psychisch, hirnorganisch oder krankheitsbedingten Kommunikationsstörungen leiden. Bezeichnenderweise hat auch der ganz überwiegende Anteil der Ärzte dieser Vergleichsgruppe im Prüfquartal die Geb.-Ziff. 19 abgerechnet.
Der Umstand, dass der Kläger nach eigener Einschätzung eine Landarztpraxis betreibt, gibt ebenfalls keinen Anlass zur Bildung einer engeren Vergleichsgruppe. Ein besonderer Patientenzuschnitt lässt sich aus der Eigenschaft als Landarztpraxis jedenfalls dann nicht herleiten, wenn diese sich in einer ohnehin ländlich geprägten Region mit auch vielen anderen Landarztpraxen – wie im vorliegenden Fall in den Landkreisen R. – befindet (vgl. BSG, Urteil vom 06. September 2000 – B 6 KA 24/99 R– SozR 3-2500 § 106 SGB V Nr. 50).
Auch sonst sind keine Praxisbesonderheiten anzuerkennen. Dabei ist die besondere Mitwirkungspflicht des geprüften Arztes zu berücksichtigen. Dieser macht einen Vergütungsanspruch geltend, der ihm nur zusteht, wenn er die in Rechnung gestellten Leistungen auch tatsächlich erbracht hat und im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung auch – namentlich unter Berücksichtigung des Wirtschaftlichkeitsgebotes – erbringen durfte. Es ist daher seine Angelegenheit, die zur Begründung seines Anspruchs dienenden Tatsachen so genau wie möglich anzugeben und zu belegen. Dies gilt vor allem, wenn er sich auf für ihn günstige Tatsachen berufen will und diese Tatsachen allein ihm bekannt sind oder nur durch seine Mithilfe aufgeklärt werden können. Einen Vertragsarzt, dessen Praxis (nach seinem Vorbringen) von der Typik der Praxen seiner Fachgruppe abweicht, trifft deshalb dafür zum einen die Darlegungslast und zum anderen insofern die Feststellungslast, als besondere Umstände den - sich aus einer im Bereich des offensichtlichen Missverhältnisses bewegenden Überschreitung des Durchschnittswertes der Vergleichsgruppe ergebenden - Anscheinsbeweis der Unwirtschaftlichkeit nur zu korrigieren vermögen, soweit diese Umstände und ihre Auswirkungen festgestellt werden können (vgl. dazu BSG, Urteil vom 22. Mai 1984 – 6 RKa 21/82– SozR 2200 § 368 n RVO Nr. 31).
Im vorliegenden Fall hat auch der Kläger selbst keine konkreten Umstände substantiiert dargetan, aufgrund derer davon auszugehen sein könnte, dass er die Geb.-Ziff. 19 auch unter Berücksichtigung des Wirtschaftlichkeitsgebotes zu Recht häufiger als die Vergleichsgruppe abgerechnet hat. Soweit er sich auf einen hohen Rentneranteil unter seinen Patienten beruft und hervorhebt, dass diese zum Teil das örtliche Pflege- und Altenheim bewohnen würden, ist sein Vortrag unergiebig. Weder der Bezug einer Rente noch die Aufnahme in einem Alten- oder Pflegeheim begründen bereits die Anwendbarkeit der Geb.-Ziff. 19 EBM. Vielmehr darf diese nur dann abgerechnet werden, wenn im konkreten Einzelfall eine der dort aufgeführten Kommunikationsstörungen vorliegt und aufgrund dieser die Erhebung einer Fremdanamnese und/oder die Unterweisung und Führung der entsprechenden Bezugsperson erforderlich wird. Zahlreiche Rentner sind in ihrem geistigen und kommunikativen Leistungsvermögen jedoch nicht eingeschränkt, auch viele Bewohner von Pflegeheimen können dem Arzt noch selbst die erforderlichen anamnestischen Angaben machen.
Des weiteren hebt der Kläger hervor, dass er die Geb.-Ziff. 19 des EBM abgerechnet habe, wenn er (insbesondere im Rahmen von Not- und Wochenenddiensten) Kleinkinder und Säuglinge behandelt habe. Damit beschuldigt sich der Kläger lediglich selbst eines Verstoßes gegen seine vertragsärztlichen Pflichten in Form der Erstellung fehlerhafter Abrechnungen. Die Geb.-Ziff. 19 EBM darf nach ihrem klaren Wortlaut nur dann angewandt werden, wenn eine (erhebliche) Kommunikationsstörung psychisch, hirnorganisch oder krankheitsbedingt ist. Der Tatbestand, dass ein Kind, namentlich ein Säugling, aufgrund seines geringen Alters noch nicht die Fähigkeit zur Kommunikation erworben hat, wird hingegen von vornherein nicht von diesem Gebührentatbestand erfasst (vgl. auch die Kommentierung dieser Geb.-Ziffer bei Wezel-Liebold, Handkommentar zum Einheitlichen Bewertungsmaßstab für ärztliche Leistungen –EBM– und zur amtlichen Gebührenordnung für Ärzte –GOÄ– und das dort zitierte Urteil des SG Dortmund vom 25. August 1998 – S 26 Ka 73/98 –).
Der Umstand, dass der Kläger im Prüfquartal einen erheblichen Anteil der Patienten im Rahmen des Notdienstes bzw. bei der Vertretung von Kollegen behandelt hat, vermag ebenfalls keine Praxisbesonderheit zu begründen. Es sind keine konkreten Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass im Rahmen des Vertretungs- bzw. Notdienstes der Anteil der im Sinne der Geb.-Ziff. 19 EBM in der Kommunikation gestörten Patienten spürbar höher ist als bei den sonstigen Patienten einer Allgemeinarztpraxis. Insoweit kann sich der Kläger auch nicht darauf berufen, dass er die von ihm regelmäßig betreuten Patienten ohnehin schon kenne und daher bei diesen keine fremdanamnestischen Angaben benötige. Auch wenn ein Patient dem Arzt bereits bekannt ist, beinhaltet eine sachgerechte ärztliche Betreuung typischerweise die Prüfung, ob sich zwischenzeitlich Veränderungen im Gesundheitszustand ergeben haben.
Da der beklagte Ausschuss zum Vergleich die so genannte "verfeinerte Vergleichsgruppe"herangezogen hat, also nur diejenigen Fachärzte für Allgemeinmedizin und Praktischen Ärzte in den Landkreisen R., die die fragliche Geb.-Ziff. 19 EBM im Prüfquartal jedenfalls einmal abgerechnet haben, kann sich der Kläger auch nicht darauf berufen, dass diese zum 01. Januar 1996 neu eingeführte Geb.-Ziffer noch nicht allen Ärzten bekannt gewesen sei.
Zusammenfassend ist damit festzuhalten, dass der Kläger Praxisbesonderheiten nicht substantiiert dargelegt hat. Unter Berücksichtigung der ihm obliegenden Darlegungslast und der noch überschaubaren Zahl der betroffenen Abrechnungsfälle wäre von ihm im Rahmen einer substantiierten Darlegung zu erwarten gewesen, dass er im Einzelnen die betroffenen Patienten und deren jeweilige Kommunikationsstörungen und die dafür maßgeblichen Ursachen erläutert hätte. Ein entsprechendes Vorbringen wäre noch im Widerspruchsverfahren geboten gewesen, da es nur dann von dem über einen Beurteilungsspielraum verfügenden beklagten Ausschuss hätte geprüft werden können.
Auch im Übrigen begegnet der angefochtene Bescheid keinen rechtlichen Bedenken. Die Überschreitung des Fachgruppendurchschnittes lag – bei weitem – im Bereich eines offensichtlichen Missverhältnisses, was letztlich auch vom Kläger nicht in Abrede gestellt wird. Unter Berücksichtigung einer Überschreitung von 536,4 % bestand für den beklagten Ausschuss auch kein Anlass, näher darzulegen, ab welchem Grenzwert gegebenenfalls ein solches offensichtliches Missverhältnis anzunehmen sein könnte. Selbst wenn man mit dem Kläger – was der Senat ausdrücklich offen lässt – die Grenze auf 100 % festlegen wollte, hätte der Kläger diese noch um ein Mehrfaches überschritten.
Die sich aufgrund einer Überschreitung im Bereich des offensichtlichen Missverhältnisses ergebende Vermutung der Unwirtschaftlichkeit ist im vorliegenden Fall nicht widerlegt worden. Namentlich ist weder vom Kläger dargetan worden, noch sonst ersichtlich, dass die vermehrte Abrechnungshäufigkeit im Rahmen der Geb.-Ziff. 19 EBM zu Einsparungen in anderen Leistungsbereichen geführt hat. Da das Gesetz eine umfassende Wirtschaftlichkeit in allen Teilbereichen fordert und diese grundsätzlich bei jeder Einzelleistung gegeben sein muss (vgl. BSG; Urteil vom 05. November 1997 – 6 RKa 1/97 – SozR 3-2500 § 106 SGB V Nr. 42), musste der beklagte Ausschuss im Gegensatz zur Auffassung des Klägers nicht näher auf den Gesamtfallwert eingehen.
Der Kläger kann auch nicht damit gehört werden, dass die Beigeladene zu 1) die von ihm vorgenommenen Abrechnungen der Geb.-Ziff. 19 EBM bereits im Rahmen einer sachlichen-rechnerischen Prüfung hätte korrigieren müssen. Abgesehen davon, dass eine derartige sachlich-rechnerische Berichtigung den Kläger im Ergebnis in gleicher Weise wirtschaftlich belastet hätte, trägt dieser selbst die Verantwortung für die Richtigkeit der von ihm vorgenommenen Abrechnungen. Im Übrigen ist gar nicht ersichtlich, in welchen konkreten Fällen eine unzutreffende Abrechnung dieser Geb.-Ziffer für die Beigeladene zu 1) bereits aus den Abrechnungsunterlagen erkennbar gewesen sein soll.
Die sich aus der Überschreitung des Vergleichsgruppendurchschnitts im Bereich des offensichtlichen Missverhältnisses ergebende Vermutung der Unwirtschaftlichkeit beschränkt sich nicht auf den Kostenbereich, der oberhalb der Grenze der offensichtlichen Unwirtschaftlichkeit liegt. Die dem beklagten Ausschuss insoweit zukommende Schätzung kann sich vielmehr auch auf einen Bereich erstrecken, der unterhalb der Grenze der offensichtlichen Unwirtschaftlichkeit liegt und die Zone der normalen Streuung jedenfalls noch nicht erfasst (vgl. BSG; Urteil vom 26. April 1978 – 6 RKa 10/77 – E 46, 136, und Urteil vom 05. August 1992 – 14 a/6 RKa 4/90 – SozR 3-2500 § 106 SGB V Nr. 13). Dementsprechend ist es im vorliegenden Fall nicht zu beanstanden, wenn der beklagte Ausschuss – durchaus großzügig – einen unwirtschaftlichen Aufwand nur insoweit angenommen hat, wie der Kläger den Durchschnittswert der verfeinerten Vergleichsgruppe um mehr als 40 % überschritten hat.
Das erstinstanzliche Urteil ist allerdings zu korrigieren, soweit dem Kläger Gerichtskosten in Höhe von 300,00 DM auferlegt worden sind. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 192 SGG sind nicht gegeben. Da die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung nicht vom Vorliegen einer schriftlichen Klagebegründung abhängt, ist ohnehin nicht ersichtlich, dass es gerade dem Kläger anzulasten ist, wenn zwischen Klageerhebung und mündlicher Verhandlung fast drei Jahre verstrichen sind. Darüber hinaus ist nicht erkennbar, welche wie ermittelten Mehrkosten aus der Sicht des Sozialgerichts auf das beanstandete Prozessverhalten des Klägers zurückzuführen sein sollen. Nur ergänzend sei angemerkt, dass es in Fällen der vorliegenden Art geboten ist, die Einlassung des Klägers in der mündlichen Verhandlung im Tatbestand des Urteils zumindest knapp zu skizzieren und sich mit gegebenenfalls mündlich geäußerten Sachargumenten in den Entscheidungsgründen auseinander zu setzen (§ 136 Abs. 1 Nrn. 5 und 6 SGG).
Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten folgt aus § 193 SGG.