Landessozialgericht Niedersachsen
Urt. v. 06.09.2001, Az.: L 6 U 279/99

Zum Anspruch auf Feststellung einer"Atemwegserkrankung" als Berufskrankheit; Voraussetzungen einer obstruktiven Atemwegserkrankung

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen
Datum
06.09.2001
Aktenzeichen
L 6 U 279/99
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2001, 15859
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2001:0906.L6U279.99.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Hannover - 08.06.1999 - AZ: S 22 U 92/98

Prozessführer

XXX

Prozessgegner

Norddeutsche Metall-Berufsgenossenschaft, Bezirksverwaltung Hannover, Seligmannallee 4, 30173 Hannover,

hat der 6. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen in Celle

ohne mündliche Verhandlung am 6. September 2001

durch

den Vizepräsidenten des Landessozialgerichts Dr. Wilde,

den Richter am Landessozialgericht Schulte,

die Richterin am Landessozialgericht Janz und

die ehrenamtlichen Richter Dr. Nolte und Wendland

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hannover vom 8. Juni 1999 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Anerkennung seiner Atemwegserkrankung als Berufskrankheit (BK) Nr 4301 (durch allergisierende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankung), Nr 4302 ( durch chemisch-irritativ oder toxisch wirkende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankung) oder Nr. 1315 (Erkrankungen durch Isocyanate) der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV), die Gewährung von Verletztenrente und Maßnahmen nach § 3 BKV.

2

Der im Juli 1946 geborene Kläger war vom 22.02.1972 bis 03.11.1994 als Lackierer, danach als Schlosser und Verpacker bei der Firma C. im Stahl- ,Blech- Apparate- und Containerbau beschäftigt (TAD-Auskunft vom 20.11.95, Auskunft der Firma C. vom 26.03.1996). Anschließend war er bis 17.04.1995 wegen eines Asthma bronchiale, ab dem 06.09.1995 wegen eines Hirninfarktes arbeitsunfähig gewesen (Auskunft der AOK vom 30.11.95). Seit 16.08.1996 bezieht er Rente wegen Berufsunfähigkeit.

3

Seit ca. 1990 leidet der Kläger zunehmend unter Atemwegsbeschwerden. Im November 1993 und 1994 kam es nach seinen Angaben zu Erstickungsanfällen am Arbeitsplatz (Angaben des Klägers vom 18.09.1995). Im August 1995 erstattete der Internist Dr D. bei der Beklagten die BK-Anzeige.

4

In seinem Bericht vom 1.11.94 teilte er eine leichte Einschränkung der Lungenfunktion mit und gab an, der Befund entspräche einer leichten restriktiv-obstruktiven Ventilationsstörung (Arztbrief vom 01.11.1994). Im Rahmen einer medizinischen Rehabilitation vom 01.02.1995 bis 01.03.1995 fand sich eine normale Lungenfunktion und kein Hinweis auf eine allergische Auslösung. Es wurde eine unspezifische bronchiale Hyperreagibilität diagnostiziert (Entlassungsbericht E. vom 20.03.1995).

5

Die Arbeitgeberin gab an, dass der Kläger Umgang mit Lacken auf PU-Basis und lösungsmittelhaltigen Arbeitsstoffen hatte. Die Arbeiten seien bis 1989 teilweise auch im Freien, ansonsten in geschlossenen Räumen in Lackierkabinen mit Absaugung durchgeführt worden. Der Kläger habe eine Arbeitsschutzmaske getragen (Auskunft vom 17.10.1995).

6

Prof Dr F. kam in seiner Stellungnahme vom 22.12.1995 zu dem Ergebnis, dass keine BK Nr 4301, 4302 vorläge. Aufgrund der Empfehlung des Dr G. holte die Beklagte das Gutachten des Prof Dr H. u.a. vom 04.07.1996 nach einer stationären Begutachtung (17.6. bis 24.06.1996) ein. Dieser diagnostizierte eine rezidivierende, nicht obstruktive Infektbronchitis und Sinupathie mit unspezifischer bronchialer Hyperreagibilität. Das Vorliegen einer obstruktiven Atemwegserkrankung wurde ausdrücklich verneint. Vorbehaltlich weiterer Ermittlungen zu den arbeitstechnischen Voraussetzungen läge keine BK vor. Die Expositionstestungen verliefen negativ. Nachdem dem Gutachter die weitere Stellungnahme des TAD vom 16.7.96 übersandt worden war, führte dieser in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 22.08.1995 aus, dass die vom TAD nur zweimal ermittelten Überschreitungen der MAK-Werte keine Erklärungen für die arbeitsplatzbezogenen Beschwerden seien. BKen nach den Nrn 4301, 4302 und 1315 lägen nicht vor.

7

Mit Bescheid vom 17.09.1996 lehnte die Beklagte die Anerkennung einer BK ab. Die Überschreitung der MAK-Werte für Kohlenwasserstoffgemische könne nicht die Ursache der Erkrankung des Klägers sein, da diese erst bei überproportional hoher Raumluftkonzentration zu Atemwegsreizungen führe.

8

Im Widerspruchsverfahren beanstandete der Kläger das Ermittlungsergebnis des TAD. Die Grundiervorgänge in der Spritzkabine seien ohne Absaugung per Wasserwand erfolgt. Die Spritzkabinen 2 und 3 seien erst 1995 eingebaut worden. Die Beklagte müsse die Messergebnisse vor der Modernisierung berücksichtigten.

9

Nach Einholung zweier Stellungnahmen des TAD vom 26.06.1997 und 25.11.1997 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 12.02.1998 als unbegründet zurück.

10

Hiergegen hat der Kläger am 12.03.1998 Klage erhoben und vorgetragen, seine Arbeitsplatzsituation sei nicht korrekt wiedergegeben worden.

11

Das Sozialgericht (SG) hat den Arztbrief des Dr I. vom 01.09.1995 das MDKN-Gutachten vom 21.11.1995, den Arztbrief des Dr J. vom 15.09.1997, die Befundberichte des Dr D. vom 11.12.1998 und des Dr K. vom 19.11.1998 eingeholt.

12

Im Termin zur Erörterung des Sachverhalts vom 22.03.1998 wurden die Zeugen L. vernommen. Anschließend ist die Klage mit Gerichtsbescheid vom 08.06.1998 abgewiesen worden. Eine Überschreitung der Grenzwerte sei nicht festgestellt worden. Nach den Aussagen der Zeugen M. könne zwar ein Kontakt des Klägers zu Lacken in erheblichem Umfang unterstellt werden, hieraus ergebe sich jedoch nicht zwingend eine Isocyanat-Belastung. Eine solche könne nicht mehr nachgewiesen werden. Zudem sei die Atemwegserkrankung des Klägers nicht auf die Isocyanat-Belastung am Arbeitsplatz, sondern auf den Zigarettenkonsum zurückzuführen. Der Kläger habe über viele Jahre zwischen 15 - 30 Zigaretten pro Tag geraucht. Die BKen Nrn 4301 und 4302 scheitern an dem Fehlen einer obstruktiven Atemwegserkrankung und der negativ verlaufenden Provokations- und Expositionstests.

13

Gegen diesen ihm am 6. Juli 1999 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 27. Juli 1999 Berufung eingelegt. Er trägt vor, dass die Vernehmung der Zeugen N. bestätigt habe, dass er eine Vielzahl von Containern auch von innen lackiert und dabei im Farb- und Staubnebel gestanden habe. Zudem seien die Angaben zum Zigarettenkonsum unzutreffend, Dr D. habe angegeben, dass er lediglich 5 - 10 Zigaretten pro Tag geraucht habe.

14

Der Kläger beantragt,

  1. 1.

    den Gerichtsbescheid des SG Hannover vom 8. Juni 1999 und den Bescheid der Beklagten vom 17. September 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Februar 1998 aufzuheben,

  2. 2.

    festzustellen, dass bei ihm eine Berufskrankheit nach den Nrn 1315, 4301 oder 4302 der Anlage zur BKV vorliegt,

  3. 3.

    die Beklagte zu verurteilen, ihm Verletztenrente in Höhe von 20 vH der Vollrente zu zahlen und Leistungen nach § 3 BKV zu gewähren.

15

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des SG Hannover vom 8. Juni 1999 zurückzuweisen.

16

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

17

Der Senat hat eine Stellungnahme des Prof Dr H. vom 26. Juni 2001 eingeholt.

18

Beide Beteiligte haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

19

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten und die Gerichtsakte Bezug genommen, die Gegenstand der Beratung und Entscheidungsfindung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

20

Die statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und damit zulässig. Sie ist jedoch unbegründet.

21

Das SG und die Beklagte haben zutreffend entschieden, dass der Kläger keinen Anspruch auf Feststellung seiner Atemwegserkrankung als BKen Nrn 1315, 4301 oder 4302 der Anlage zur BKV und damit auch keinen Anspruch auf Verletztenrente nach den auf diesen Sachverhalt noch anzuwendenden §§ 580 ff Reichsversicherungsordnung (RVO, vgl Art 36 Unfallversicherungs- Einordnungsgesetz, § 212 SGB VII) hat. Weiterhin besteht kein Anspruch auf Leistungen nach § 3 BKV.

22

Der Kläger erfüllt nicht die medizinischen Voraussetzungen für die drei hier in Betracht kommenden BKen der Nrn 1315, 4301 und 4302 der Anlage zur BKV. Denn für alle drei Berufskrankheiten ist das Krankheitsbild einer obstruktiven, d.h. um eine mit einer Erhöhung des Atemwegswiderstandes und einer Engstellung der Bronchien einhergehenden Atemwegserkrankung Voraussetzung. Das ergibt sich für die BKen der Nrn 4301 (durch allergisierende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankung) und 4302 (durch chemisch-irritativ oder toxisch wirkende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankung) bereits aus deren Wortlaut. Aber auch die BK Nr 1315 setzt eine obstruktive Atemwegserkrankung voraus (Merkblatt zur BK Nr 1315, Abschnitt III in Lauterbach, Unfallversicherung, Stand Januar 2001, § 9 SGB VII Anhang IV), worauf Prof Dr H. in seiner Stellungnahme vom 26.06.2001 hingewiesen hat.

23

Nach den umfangreichen medizinischen Unterlagen, insbesondere nach dem ausführlichen Gutachten des Prof Dr H. u.a. lässt sich aber nicht feststellen, dass bei dem Kläger eine obstruktive Atemwegserkrankung besteht. Prof Dr H. u.a. haben bei der mehrtägigen stationären Untersuchung des Klägers keine Anzeichen für eine Obstruktion festgestellt und deshalb auch lediglich eine rezidivierende, nicht obstruktive Infektbronchitis mit unspezifischer bronchialer Hyperreagibilität diagnostiziert. Ein derartiges Krankheitsbild erfüllt aber nicht den Tatbestand einer BK nach den Nrn 1315, 4301 oder 4302 der Anlage zur BKV (Gutachten und Stellungnahme des Prof Dr H., so auch Urteil des Senats vom 17.09.1998, L 6 U 389/97).

24

Auch den übrigen medizinischen Unterlagen sind keine Hinweise für eine Obstruktion des Klägers zu entnehmen. Die von Dr D. im Arztbrief vom 01.11.1994 mitgeteilte leichte restriktiv-obstruktive Ventilationsstörung ist bei den nachfolgenden Untersuchungen weder während der medizinischen Rehabilitation in der E. noch bei der Begutachtung durch Prof Dr H. bestätigt worden. Selbst wenn aber bei der BK Nr 1315 von dem Erfordernis einer obstruktiven Atemwegserkrankung abgesehen werden würde, ergäbe sich kein günstigeres Ergebnis für den Kläger.

25

Denn da er bei den von Prof Dr H. u.a. während der mehrtägigen stationären Untersuchung bei den durchgeführten Testungen auf Isocyanate keine bronchiale Reaktion zeigte, ließe sich auch der Zusammenhang seiner Gesundheitsstörungen mit der beruflichen Exposition nicht wahrscheinlich machen.

26

Da es hier bereits an den medizinischen Voraussetzungen der BKen mangelt, kann dahingestellt bleiben, in welchem Umfang der Kläger in den vergangenen Jahrzehnten tatsächlich geraucht hat und welchen Belastungen er bei seiner Tätigkeit bei der Firma C. tatsächlich ausgesetzt gewesen ist.

27

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).