Landessozialgericht Niedersachsen
Beschl. v. 19.09.2001, Az.: L 3 KA 63/01 ER
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen
- Datum
- 19.09.2001
- Aktenzeichen
- L 3 KA 63/01 ER
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2001, 34256
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2001:0919.L3KA63.01ER.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Hannover - 10.07.2001 - AZ: S 16 KA 1538/00 ER
Tenor:
Der Beschluss des Sozialgerichts Hannover vom 10. Juli 2001 wird aufgehoben.
Die aufschiebende Wirkung der Klagen des Antragstellers gegen die Beschlüsse des Antragsgegners vom 11. September 2000 und vom 14. März 2001 wird angeordnet.
Der Antragsgegner trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers aus beiden Rechtszügen der Verfahren zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes.
Gründe
I.
Der Antragsteller ist als Frauenarzt zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Er begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen Arzneimittelregressforderungen in einer Gesamthöhe von 1.132.020,83 DM.
Der Antragsteller behandelte in den vom Streit betroffenen Quartalen II/1998 bis II/2000 an Krebs erkrankte Kassenpatienten mit der so genannten Aktiv-Spezifischen-Immuntherapie (ASI-Therapie). Diese Therapie, die im Anschluss an die operative Entfernung des Tumors - in der Regel ambulant - durchgeführt wird, soll die Immunabwehr des Patienten stimulieren und so einer Metastasierung und einem Fortschreiten der Krebserkrankung entgegenwirken. Dazu wird aus dem bei der Operation gewonnenen patienteneigenen Tumorgewebe durch Inaktivierung der Krebszellen, Reinigung des Materials und Beigabe immunaktiver Zusätze ein Impfstoff (autologe Tumorvakzine) hergestellt, der dem Erkrankten über einen längeren Zeitraum in regelmäßigen Zeitabständen injiziert wird (vgl. dazu Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 28. März 2000, - SozR 3-2500 § 135 SGB V Nr 14).
Der Antragsteller ist Inhaber eines Institutes für Tumortherapie, in dem solche Tumorvakzine hergestellt werden.
Am 10. April 2000 beschloss der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen die Richtlinien über die Bewertung ärztlicher Untersuchungs- und Behandlungsmethoden gemäß § 135 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Buch V Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V), d. h. die so genannten BUB-Richtlinien, in ihrer Anlage B betreffend "nicht anerkannte Untersuchungs- und Behandlungsmethoden" um die Ziff. 29 "Aktiv-Spezifische-Immuntherapie (ASI) mit autologer Tumorzellvakzine" zu ergänzen. Zur Begründung wies der Ausschuss darauf hin, dass die Literaturrecherche zu der Erkenntnis geführt habe, dass eine dem heutigen wissenschaftlichen Standard entsprechende abgeschlossene klinische Phase - III - Studie mit einem Beleg der Wirksamkeit autologer Tumorvakzine bislang noch nicht vorliege. Auch die Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften und der Deutschen Krebsgesellschaft würden den Einsatz autologer Tumorvakzine nicht empfehlen. Auch sonst habe sich kein hinreichender Beleg für die Wirksamkeit der Aktiv-Spezifischen-Immuntherapie feststellen lassen.
In den streitigen Fällen verschrieb der Antragsteller an Krebs erkrankten Kassenpatienten jeweils entsprechende Tumorzellvakzine auf Kassenrezept, so dass die Kosten in der Größenordnung von rund 10.000,00 bis 15.000,00 DM je Verordnung zunächst von den jeweiligen Krankenkassen zu übernehmen waren. Jeweils auf Antrag der betroffenen Krankenkassen setzte die KVN gegen den Antragsteller eine Regressforderung in Höhe der jeweils veranlassten Kosten für die Tumorvakzine (abzüglich Eigenbeteiligung der Patienten und vermindert um den so genannten Apothekenrabatt) fest. Auf die Widersprüche des Antragstellers wurden diese Regressbescheide jeweils vom Prüfungsausschuss und sodann von dem Antragsgegner bei seinen Sitzungen vom 11. September 2000 und 14. März 2001 bestätigt.
Im Einzelnen betreffen die Regressforderungen folgende Beträge:
- a.J. betreffend das Quartal II/1998 in Höhe von 15.832,25 DM;
eine Erstattungsforderung der AOK
J. betreffend das Quartal II/1998 in Höhe von
15.832,25 DM;
- b.K. betreffend das Quartal IV/1998 in Höhe von15.168,05 DM;
eine Erstattungsforderung der AOK
K. betreffend das Quartal IV/1998 in Höhe von
15.168,05 DM;
- c.betreffend das Quartal III/1998 in Höhe von 16.407,62 DMund betreffend das Quartal I/99 in Höhe von ebenfalls16.407,62 DM;
Erstattungsforderungen der KKH L.
betreffend das Quartal III/1998 in Höhe von
16.407,62 DM
und betreffend das Quartal I/99 in Höhe von ebenfalls
16.407,62 DM;
- d.die Quartale III/1998 bis I/1999 in Höhe von74.887,57 DM;das Quartal III/99 in Höhe von49.278,78 DMund die Quartale I u II/99 in Höhe von91.806,96 DM.
eine Erstattungsforderung der M. betreffend
die Quartale III/1998 bis I/1999 in Höhe von
74.887,57 DM;
das Quartal III/99 in Höhe von
49.278,78 DM
und die Quartale I u II/99 in Höhe von
91.806,96 DM.
- e.betreffend das Quartal III/1998 in Höhe von15.158,05 DM,das Quartal III/99 in Höhe von26.749,70 DMdas Quartal IV/99 in Höhe29.766,82 DMund das Quartal I/00 in Höhe von97.304,60 DM;Erstattungsforderungen der AOK O. betreffend die Quartale II bis III/1998 in Höhe von123.256,00 DMund die Quartale II bis IV/99 in Höhe von149.319,54 DM;eine Erstattungsforderung der AOKP.betreffend die Quartale IV/1998 bis II/1999 in Höhe von212.159,70 DM;eine Erstattungsforderung der IKK Q.betreffend das Quartal II/1998 in Höhe von15.832,25 DM;Erstattungsforderungen der IKK Q. betreffend das Quartal II/1999 in Höhe von18.677,84 DMund von15.168,05 DMIII/99 in Höhe von17.259,33 DM,das Quartal IV/99 in Höhe von19.954,55 DM,das Quartal I/00 in Höhe von50.449,06 DMund das Quartal II/00 in Höhe von19.945,60 DM
Erstattungsforderungen der TKK N.
betreffend das Quartal III/1998 in Höhe von
15.158,05 DM,
das Quartal III/99 in Höhe von
26.749,70 DM
das Quartal IV/99 in Höhe
29.766,82 DM
und das Quartal I/00 in Höhe von
97.304,60 DM;
Erstattungsforderungen der AOK O. betreffend die Quartale II bis III/1998 in Höhe von
123.256,00 DM
und die Quartale II bis IV/99 in Höhe von
149.319,54 DM;
eine Erstattungsforderung der AOKP.betreffend die Quartale IV/1998 bis II/1999 in Höhe von
212.159,70 DM;
eine Erstattungsforderung der IKK Q.betreffend das Quartal II/1998 in Höhe von
15.832,25 DM;
Erstattungsforderungen der IKK Q. betreffend das Quartal II/1999 in Höhe von
18.677,84 DM
und von
15.168,05 DM
Erstattungsforderungen der R. betreffend das Quartal
III/99 in Höhe von
17.259,33 DM,
das Quartal IV/99 in Höhe von
19.954,55 DM,
das Quartal I/00 in Höhe von
50.449,06 DM
und das Quartal II/00 in Höhe von
19.945,60 DM
- f.betreffend das Quartal III/98 in Höhe von15.578,24 DMund das Quartal IV/98 in Höhe von ebenfalls15.578,24 DM;
Erstattungsforderungen der S.
betreffend das Quartal III/98 in Höhe von
15.578,24 DM
und das Quartal IV/98 in Höhe von ebenfalls
15.578,24 DM;
- g.T. betreffend das Quartal IV/99 in Höhe von10.074,41 DM.
eine Erstattungsforderung der BKK
T. betreffend das Quartal IV/99 in Höhe von
10.074,41 DM.
Gegen die seine Widersprüche zurückweisenden Bescheide der Antragsgegners hat der Antragsteller jeweils fristgerecht Klage erhoben. Des Weiteren hat er um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht. Er hat die nur unzureichende Begründung der angefochtenen Beschlüsse gerügt, die nicht einmal erkennen ließen, auf welcher Rechtsgrundlage sie erlassen worden seien. Darüber hinaus habe der Antragsgegner außer Acht gelassen, dass das BSG bei seinem Urteil vom 28. März 2000 lediglich die Sachlage im Jahr 1995 zu beurteilen gehabt habe, in den folgenden Jahren seien jedoch weitere Studien bekannt geworden, die die Wirksamkeit der ASI belegt hätten. Dementsprechend sei ihm jedenfalls kein Vorwurf zu machen, wenn er im Behandlungszeitpunkt jeweils von der Verordnungsfähigkeit der autologen Tumorvakzine ausgegangen sei, zumal auch das Landessozialgericht Niedersachsen (LSG Nds.) die Verpflichtung der Krankenkassen zur Übernahme der daraus entstehenden Kosten festgestellt habe. Jedenfalls unter Berücksichtigung der insgesamt in einer Gesamthöhe von rund 1,4 Millionen DM zu erwartenden Regressforderungen sei auch der erforderliche Anordnungsgrund zu bejahen.
Mit Beschluss vom 10. Juli 2001, dem Antragsteller zwei Tage später zugestellt, hat das Sozialgericht die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurückgewiesen. Zur Begründung hat es insbesondere ausgeführt: Im vorliegenden Fall seien weder Anordnungsgrund noch Anordnungsanspruch gegeben. Auch nach Abzug von 8.000,00 DM für den regelmäßigen Lebensunterhalt für den Antragsteller ständen diesem noch monatlich 18.500,00 DM zur Verfügung. Diesen Betrag könne er zur Tilgung der geltend gemachten Arzneimittelregresse zumindest vorläufig einsetzen, ohne den Betrieb der Praxis oder seinen Lebensunterhalt zu gefährden. Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, dass der Antragsteller das Risiko einer Überziehung mit Regressforderungen offenbar sehenden Auges eingegangen sei. Er hätte dieses Risiko aber beispielsweise dadurch vermeiden können, dass er die ASI-Therapie als Privatleistung erbracht hätte.
Auch in der Sache seien die angefochtenen Bescheide voraussichtlich nicht zu beanstanden. Der Bundesausschuss habe eine Übernahme der Behandlung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung in seinem Beschluss vom April 2000 ausdrücklich abgelehnt. Für die vorausgegangene Zeit lasse sich auch kein so genanntes Systemversagen feststellen, aufgrund dessen Raum für die Entbehrlichkeit einer positiven Entscheidung des Bundesausschusses sein könnte.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die vom Antragsteller am 07. August 2001 eingelegte - nicht näher begründete - Beschwerde.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde hat Erfolg. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts erachtet der Senat im vorliegenden Fall die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage für geboten, da sowohl Anordnungsgrund als auch Anordnungsanspruch zu bejahen sind.
Nach der derzeit noch geltenden Fassung des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) hat eine Anfechtungsklage - anders als beispielsweise im Verwaltungsprozess nach § 80 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) - grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung. Ein allgemeiner Grundgedanke, dass Rechtsbehelfe aufschiebende Wirkung haben sollen, wenn der Bürger durch die Vollstreckung des angefochtenen Hoheitsaktes einen erheblichen Nachteil erleiden würde und öffentliche Belange eine sofortige Vollstreckung nicht erfordern, lässt sich dem SGG in seiner derzeitigen Fassung nicht entnehmen. Der Rechtsschutz des Bürgers und das öffentliche Interesse fordern in der Sozialgerichtsbarkeit in der Regel nach derzeitiger Rechtslage nicht den Aufschub des Vollzugs des angefochtenen Verwaltungsaktes bis zur rechtskräftigen Erledigung des Anfechtungsverfahrens. Insbesondere begründet § 97 Abs. 1 SGG keinen allgemeinen - einstweiligen - Schutz gegen Forderungen der Verwaltung. Vielmehr enthält die Vorschrift eine abschließende Aufzählung der Fälle, in denen die Klage aufschiebende Wirkung hat, wobei keiner der dort geregelten Tatbestände die Geltendmachung einer Arzneimittelkostenregressforderung gegen einen Vertragsarzt erfasst (vgl. BSG, Urteil vom 11. Juni 1986 - 6 RKa 4/85 - B 60, 122).
Allerdings ist außerhalb des Anwendungsbereiches des § 97 Abs. 1 SGG eine analoge Anwendung des § 80 Abs. 5 VwGO unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Garantie effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) geboten. Diese Bestimmung verlangt jedenfalls dann vorläufigen Rechtsschutz, wenn ohne diesen schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglichen Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (vgl. ebenfalls BSG, Urteil vom 11. Juni 1986 a. a. O.).
Wann in diesem Sinn schwere und unzumutbare Nachteile anzunehmen sind, ist in Abhängigkeit von der prozessualen Ausgangslage zu beurteilen. Wenn der Vertragsarzt einen Leistungsanspruch bereits im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens durchsetzen und sich diesbezüglich nicht auf das Hauptsacheverfahren verweisen lassen will, sind strenge Anforderungen an den Anordnungsgrund zu stellen, wie dies im Einzelnen auch aus der vom Sozialgericht zitierten Rechtsprechung des Senates zu entnehmen ist. Dies ist insbesondere im Hinblick darauf geboten, dass im Verfahren zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nur ausnahmsweise die Hauptsache vorweggenommen werden darf, wenn anderenfalls schwere nachträglich nicht mehr auszugleichende Nachteile drohen.
Gerade der Gesichtspunkt der Vermeidung einer Vorwegnahme der Hauptsache spricht aber dafür, die Anforderungen an die Annahme eines schweren Nachteiles geringer zu bemessen, wenn der Vertragsarzt seinerseits sich gegen eine (vorläufig vollziehbare) Regressforderung zur Wehr setzt. In diesem Fall begehrt er nicht die Vorwegnahme der Hauptsache, sondern setzt sich gegen eine solche - aus der vorläufigen Vollziehbarkeit des Regressbescheides folgende - gerade zur Wehr. Durch Art. 19 Abs. 4 GG sollen irreparable Entscheidungen, wie sie durch die sofortige Vollziehung einer hoheitlichen Maßnahme eintreten können, soweit wie möglich ausgeschlossen werden. Hierin liegt die verfassungsrechtliche Bedeutung des Suspensiveffektes verwaltungsprozessualer Rechtsbehelfe, ohne den der Verwaltungsrechtsschutz wegen der notwendigen Verfahrensdauer häufig hinfällig würde. Überwiegende öffentliche Belange können es allerdings rechtfertigen, den Rechtsschutzanspruch des Einzelnen einstweilen zurückzustellen, um unaufschiebbare Maßnahmen im Interesse des allgemeinen Wohl rechtzeitig in die Wege zu leiten. Dies muss jedoch die Ausnahme bleiben. Eine Verwaltungspraxis, die dieses Regel-Ausnahme-Verhältnis umkehrte, indem zum Beispiel Verwaltungsakte generell für sofort vollziehbar erklärt würden, wäre mit der Verfassung nicht vereinbar (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. Juni 1979 - 1 BvR 699/77 - E 51, 268).
Bei der wertenden Beurteilung, ob im vorliegenden Fall dem Antragsteller ein schwerer Nachteil droht, kann der Senat auch unberücksichtigt lassen, dass der Gesetzgeber in der - allerdings erst zum 02. Januar 2002 in Kraft tretenden - Neufassung des SGG durch das 6. Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes (6. SGGÄndG vom 17. August 2001, BGBl I S. 2144) den Interessen des Bürgers an der vorläufigen Verschonung von einer Vollstreckung belastender Verwaltungsakte auch im Bereich des Sozialrechts höheres Gewicht beigemessen hat. Nach § 86 a SGG in der zum 02. Januar 2002 in Kraft tretenden Neufassung haben Widerspruch und Anfechtungsklage generell aufschiebende Wirkung, sofern nicht einer der in Abs. 2 ausdrücklich normierten Ausnahmefälle eingreift, die die vorliegende Fallgestaltung nicht erfassen. Auch wenn diese Gesetzesänderung noch nicht in Kraft getreten ist, so bringt sie doch eine Wertung des Gesetzgebers zum Ausdruck, die der Senat schon gegenwärtig nicht außer Acht lassen kann.
Dementsprechend sieht der Senat einen einen Anordnungsgrund begründenden schweren Nachteil bei dem Begehren der Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Anfechtungsklage jedenfalls dann für gegeben an, wenn die vorläufige Befolgung des angefochtenen Verwaltungsaktes für den betroffenen Bürger mit gravierenden Nachteilen verbunden ist. Solche sind im vorliegenden Fall auch unter Berücksichtigung der offenbar günstigen Einkommenssituation des Klägers ohne weiteres zu bejahen. Der geltend gemachte Regressbetrag beträgt in etwa das Doppelte des jährlichen Honoraranspruches des Klägers gegen die Kassenärztliche Vereinigung. Auch wenn letztlich unter Berücksichtigung der eidesstattlichen Versicherung des Antragstellers vom 14. Februar 2001 davon auszugehen sein dürfte, dass dieser (vor Zahlung der Einkommensteuer) einen Jahresgewinn in der Größenordnung von 800.000,00 DM erwirtschaften kann, und ferner anzunehmen sein dürfte, dass er für die Jahre 2000/2001 die Einkommensteuerbelastung aufgrund der Bildung von Rückstellungen für die im vorliegenden Verfahren streitigen Regressforderungen (vgl. dazu Weber/Grellet in Schmidt, Einkommensteuergesetz, 19. Aufl., § 5 Rd.Nr. 550) weitgehend mindern können dürfte, so ist es doch einleuchtend, dass der Antragsteller, dessen Vermögen nach seinen Angaben weitestgehend betrieblich gebunden ist, einen Betrag von 1,13 Millionen DM nur unter ganz erheblichen Schwierigkeiten und unter Inanspruchnahme erheblicher Kredite aufbringen kann.
Auch der erforderliche Anordnungsanspruch ist in dem Sinn zu bejahen, dass die angefochtenen Bescheide des Antragsgegners erhebliche Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit aufwerfen, die der Senat im Rahmen der ihm im vorliegenden Verfahren allein möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht auszuräumen vermag.
Der Senat kann bereits nicht abschließend beurteilen, ob die beanstandeten Arzneimittelverordnungen rechtswidrig erfolgt sind. Allerdings ist dem Antragsgegner im Ansatz darin zuzustimmen, dass die ASI eine neue Behandlungsmethode im Sinne von § 135 SGB V darstellt, die grundsätzlich nur dann in der vertragsärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenkassen abgerechnet werden kann, wenn der Bundesausschuss zuvor in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V Empfehlungen unter anderem über die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode abgegeben hat (vgl. BSG, Urteil vom 28. März 2000 a. a. O. S 61). Eine derartige positive Empfehlung hat der Bundesausschuss zu keinem Zeitpunkt abgegeben, er hat vielmehr inzwischen im April 2000 ausdrücklich eine Anerkennung dieser Behandlungsmethode abgelehnt.
Allerdings bedarf es nach der Rechtsprechung des BSG ausnahmsweise einer vorherigen Anerkennung der neuen Behandlungsmethode durch den Bundesausschuss nicht, wenn ein so genannte Systemversagen in der Form vorliegt, dass das Verfahren vor dem Bundesausschuss trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt wird. In einem solchen Fall widerspricht die Nichtberücksichtigung der Methode höherrangigem Recht, nämlich der Garantie eines den Anforderungen des § 2 Abs. 2 Satz 3 SGB V entsprechenden Krankenbehandlungsanspruches in § 27 Abs. 1 SGB V (vgl. ebenfalls BSG, Urteil vom 28. März 2000 a. a. O., Seite 66).
Maßgeblich ist insoweit jeweils der Zeitpunkt der Behandlung.
Ob der Bundesausschuss in der Zeit vor April 2000 seiner Verpflichtung, zeitnah und unabhängig über den diagnostischen und therapeutischen Nutzen einer neuen Methode zu entscheiden, hinreichend nachgekommen ist, kann im vorliegenden Verfahren zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nicht abschließend beurteilt werden. Dazu bedürfte es näherer Aufklärung der für die Verzögerung maßgeblichen Gründe. Jedenfalls ist festzuhalten, dass das BSG bereits bezogen auf den Jahreswechsel 1994/1995 in seinem Urteil vom 28. März 2000 (a. a. O., Seite 67) die Möglichkeit eines Systemversagens erwogen hat. Erst recht ist die Möglichkeit eines solchen für den im vorliegenden Verfahren entscheidenden Zeitraum von 1998 bis Anfang 2000 in Betracht zu ziehen.
Sollte ein entsprechendes Systemversagen - was der Senat ausdrücklich offen lassen muss - anzunehmen sein, dann würde sich allerdings nicht bereits allein daraus die Verordnungsfähigkeit der Tumorzellenvakzinome ergeben. Vielmehr ist auch für Fälle eines "Systemversagens" im Grundsatz daran festzuhalten, dass die Wirksamkeit der neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Behandlungsfällen aufgrund wissenschaftlich einwandfrei geführter Statistiken belegt werden muss (vgl. ebenfalls BSG, Urteil vom 28. März 2000 a. a. O., Seite 67/68). Ob entsprechende Statistiken im Zeitpunkt der Behandlung vorlagen, kann ebenfalls im vorliegenden Eilverfahren nicht abschließend geklärt werden. Die nachfolgende Ablehnung der Behandlungsmethode durch den Bundesausschuss lässt das frühere Vorliegen entsprechender Statistiken zwar als wenig wahrscheinlich erscheinen, schließt es aber nicht von vornherein aus, da zunächst als aussagekräftig zu wertenden Statistiken auch erst im Nachhinein durch weitere Untersuchungen ihre Überzeugungskraft verlieren können.
Darüber hinaus sind entsprechende Statistiken nach der Rechtsprechung des BSG ausnahmsweise (im Fall eines Systemversagens) entbehrlich, wenn ein Wirksamkeitsnachweis wegen der Art oder des Verlaufes der Erkrankung oder wegen unzureichender wissenschaftlicher Erkenntnisse auf erhebliche Schwierigkeiten stößt. In solchen Sonderfällen darf stattdessen darauf abgestellt werden, ob sich die in Anspruch genommene Therapie in der medizinischen Praxis durchgesetzt hat (vgl. ebenfalls BSG, Urteil vom 28. März 2000 a. a. O., Seite 68). Derartige erhebliche Schwierigkeiten beim Wirksamkeitsnachweis hat das BSG allerdings bezogen auf das Nierenzellkarzinom, also einer Krebsart mit jährlich rund 11.000 bis 12.000 neu Erkrankten im Bundesgebiet, nicht bejaht (a. a. O.). Dies schließt freilich nicht aus, dass der Antragsteller zumindest in einzelnen der beanstandeten Fällen Patienten behandelt hat, die an deutlich seltener auftretenden Krebserkrankungen litten, bei denen erhebliche Schwierigkeiten beim Wirksamkeitsnachweis vorliegen könnten. Hierzu hat der Antragsgegner keinerlei Feststellungen getroffen.
Aber auch selbst wenn die mangelnde Verordnungsfähigkeit der Tumorzellenvakzinome bei objektiver Betrachtung bezogen auf den jeweiligen Verschreibungszeitpunkt festzustellen sein sollte, würde dies nicht zwangsläufig bedeuten, dass der Antragsteller in voller Höhe der dadurch verursachten Kosten zum Regress herangezogen werden kann. Auch Regresse wegen nichtverordnungsfähiger Arzneimittel sind dem Sachbereich der Wirtschaftlichkeitsprüfung zuzuordnen und zählen zur Kompetenz der Prüfgremien nach § 106 SGB V (vgl. BSG, Urteil vom 14. März 2001 - B 6 KA 18/00 R -). Dabei ist ein Verschulden des Vertragsarztes nicht erforderlich. Namentlich kann ein Arzt in Regress genommen werden, der systematisch Arzneiverordnungen tätigt, die erkennbar von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung nicht umfasst sind (vgl. ebenfalls BSG, Urteil vom 14. März 2001 a. a. O.).
Auch wenn ein Verschulden des Vertragsarztes nicht erforderlich ist, bedeutet dies nicht im Umkehrschluss, dass dieser die Garantiehaftung für die objektive Rechtmäßigkeit aller von ihm getätigten Verordnungen nach Maßgabe einer erst im Nachhinein ergehenden höchstrichterlichen Rechtsprechung in unbegrenzter Höhe zu tragen hat. Vielmehr steht den Prüfgremien bei der Festsetzung der Höhe des Kürzungsbetrages ein Ermessensspielraum zu (vgl. BSG, Urteil vom 29. Januar 1997 - 6 RKa 5/96- SozR 3-2500 § 106 SGB V Nr. 38). Eine Ausübung dieses Ermessens lässt sich den angefochtenen Bescheiden des Antragsgegners jedoch in keiner Weise entnehmen, obwohl die Höhe der geltend gemachten Regressforderung zu einer besonders sorgfältigen Ermessensausübung hätten Anlass geben müssen. Schon aus diesem Grund dürften die angefochtenen Bescheide des Antragsgegners als insgesamt rechtswidrig zu beurteilen sein. Der Antragsgegner mag sich daher die Frage stellen, ob er nicht die angefochtenen Bescheide insgesamt aufheben und durch neue eine sorgfältige Ermessensausübung erkennen lassende Bescheide ersetzen will.
Im Rahmen einer solchen Ermessensausübung wird sich der Antragsgegner, soweit er weiterhin von einer objektiv fehlenden Verordnungsfähigkeit der Tumorzellvakzine ausgeht, insbesondere prüfen müssen, inwieweit dem Antragsteller diesbezüglich ein Schuldvorwurf zu machen ist. Auch wenn die Geltendmachung eines Arzneikostenregresses nicht von vornherein ein Verschulden des Vertragsarztes voraussetzt, so bildet doch das Ausmaß des Verschuldens einen entscheidenden bei der Ermessensausübung zu berücksichtigenden Faktor. Gerade in Fällen eines Systemversagens in Form des Fehlens einer an sich gebotenen Entscheidung des Bundesausschusses über die Anerkennung einer neuen Behandlungsmethode sieht sich der Vertragsarzt in einer schwierigen Entscheidungslage. Einerseits muss er sicherstellen, dass ausreichend erprobte und bewährte Methoden seinen Patienten zur Verfügung stehen, andererseits kann er vielfach die vorstehend erläuterten in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht oftmals nur sehr schwierig zu beantwortenden Fragen zu den Rechtsfolgen eines Systemversagens nicht abschließend beurteilen. Erst recht können von ihm keine hellseherischen Fähigkeiten bezüglich des künftigen Inhaltes höchstrichterlicher Entscheidungen erwartet werden. Da die Rechtsprechung zum Systemversagen nach der eigenen Einschätzung des BSG sicherstellen soll, dass eine ausreichend erprobte bzw. bewährte Methode auch dann dem Versicherten zur Verfügung steht, wenn sie - aus Gründen, die in den Verantwortungsbereich der Ärzte und Krankenkassen fallen - noch nicht in die BUB-RL aufgenommen worden sind (vgl. ebenfalls Urteil vom 28. März 2000 a. a. O. S. 72), ist im Rahmen der im vorliegenden Eilverfahren allein möglichen summarischen Beurteilung der Rechtslage jedenfalls nicht davon auszugehen, dass der Arzt von vornherein die Erbringung solcher neuen Methoden als Sachleistung verweigern und den Versicherten auf die Geltendmachung von Kostenerstattungsansprüchen gegen die Krankenkassen verweisen darf. Schon deshalb, weil viele Versicherte zur Erbringung entsprechender Vorschüsse finanziell gar nicht in der Lage sind und die gesetzliche Krankenversicherung eine umfassende, den medizinischen Fortschritt berücksichtigende medizinische Behandlung (im Rahmen des Notwendigen (vgl § 2 Abs. 1 Satz 3 und Abs 4 SGB V) gerade unabhängig von den Einkommensverhältnisses der Versicherten sicherstellen soll, dürfte ein Arzt zur Erbringung entsprechender Sachleistungen sogar verpflichtet sein, wenn er unter Berücksichtigung der vorstehend erläuterten Rechtsprechung des BSG zum Systemversagen berechtigterweise zu der Einschätzung einer dem Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung unterfallenden Leistung gelangt ist.
Andererseits darf ein Vertragsarzt in den Fällen, in denen der Bundesausschuss nicht rechtzeitig die gebotene Entscheidung über die Anerkennung einer neuen Behandlungsmethode getroffen hat, nicht leichtfertig entsprechende Arzneimittel zu Lasten der Krankenkassen verordnen, ohne sich im Einzelnen mit den medizinischen Erkenntnissen zur Wirksamkeit und Effektivität der neuen Methode auseinander zu setzen. Der Antragsgegner wird daher im Rahmen einer ordnungsgemäßen Ermessensausübung sich im Einzelnen damit auseinander zu setzen haben, von welchen Erkenntnissen sich der Antragsteller bei den beanstandeten Verordnungsentscheidungen hat leiten lassen, wobei es naturgemäß zunächst dem Antragsteller im Rahmen der ihm obliegenden Mitwirkungslast obliegt, dem Antragsgegner sein damaliges Erkenntnismaterial zur Verfügung zu stellen.
Auch wenn der Antragsgegner kein Verschulden feststellen können sollte, könnte es sachgerecht sein, einen aus einer wirtschaftlichen Beteiligung an der Arzneimittelherstellung beim Arzt verbliebenen Gewinn abzuschöpfen, sofern sich im Nachhinein die mangelnde Verordnungsfähigkeit herausstellt. Sollte von Seiten des betroffenen Arztes zur Ermittlung eines solchen Gewinnes im Fall einer entsprechenden wirtschaftlichen Beteiligung an der Arzneimittelherstellung keine aussagekräftigen Unterlagen vorgelegt werden, ist der Ausschuss auch berechtigt, diesen Anteil überschlägig zu schätzen.
Soweit der Antrag der U. vom 27. September 2000 zwei Rezepte vom 13. April und 10. Mai 2000 betrifft, die erst nach Fassung des Beschlusses des Bundesausschusses vom 10. April 2000 ausgestellt worden sind, gilt die vorstehende Beurteilung entsprechend, da im Rahmen der im vorliegenden Verfahren allein möglichen summarischen Prüfung nicht davon auszugehen ist, dass der Antragsteller vor der Veröffentlichung des Beschlusses des Bundesausschusses im Bundesanzeiger vom 25. Juli 2000 von diesem Kenntnis haben musste.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).