Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 13.12.2001, Az.: 6 A 188/01
Abstinenz; Betäubungsmittel; Cannabis; Drogen; Ecstasy; Fahreignung; Fahrerlaubnisentziehung; MDMA; medizinisch-psychologisches Gutachten
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 13.12.2001
- Aktenzeichen
- 6 A 188/01
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2001, 39564
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 3 Abs 1 StVG
- § 14 FeV
- § 11 FeV
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Ausschluss der Fahreignung nach dem Konsum von Cannabis und Ecstasy (MDMA) bis zu dem Nachweis eines drogenfreien Zeitraums von regelmäßig einem Jahr und der Beibringung eines med.-psychol. Gutachtens.
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann eine Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des festgesetzten Vollstreckungsbetrages abwenden, sofern nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 8.000,00 DM festgesetzt.
Tatbestand:
Der am 12. Januar 1975 geborene Kläger erhielt im September 1993 eine Fahrerlaubnis der Klasse 3. Mit der in diesem Verfahren angefochtenen Verfügung der Beklagten vom 29. März 2001 wurde ihm diese Fahrerlaubnis entzogen.
Durch eine Mitteilung des Hessischen Polizeiverkehrsamtes Petersberg vom 10. Oktober 2000 erhielt die Beklagte davon Kenntnis, dass gegen den Kläger wegen des Verdachts des Fahrens unter Drogeneinfluss ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden war. Der Kläger war am 10. September 2000 (9.40 Uhr) auf der Autobahn A7 überprüft worden. Hierbei waren dem kontrollierenden Polizeibeamten die wässrig-glänzenden Augen sowie eine träge Reaktion der Pupillen aufgefallen. Der Kläger hatte angegeben, soeben aus einer Diskothek in Kassel gekommen zu sein und Drogen nicht konsumiert zu haben. Eine Überprüfung auf den Wirkstoff THC und Amphetamine war positiv verlaufen. Daraufhin wurde eine Blutentnahme angeordnet.
In seinem Gutachten vom 2. Oktober 2000 führte der Leiter des Rechtsmedizinischen Zentrums der Universität Frankfurt (Prof. Dr. Dr. K.) aus, dass die Blutprobe positive Reaktionen auf Amphetamine und Cannabinoide sowie schwach positive Reaktionen auf Kokain und Opiate aufgewiesen habe. Damit wiesen die Untersuchungsergebnisse auf eine vorausgegangene Aufnahme von Betäubungsmitteln wie Haschisch oder Marihuana. Die Konzentration der im Blut vorhandenen Abbauprodukte habe einen hohen Wert gehabt, was auf einen regelmäßigen Cannabiskonsum hinweise. Außerdem sei Ecstasy (MDMA) konsumiert worden. Die Angaben des Betreffenden, keine Drogen zu konsumieren, sei damit widerlegt. Infolge der Aufnahme von Cannabis und Ecstasy sei mit einer Verminderung der Fahrtüchtigkeit zu rechnen. Im Zeitpunkt der Blutentnahme habe der Kläger unter dem Einfluss von Ecstasy und Cannabis gestanden.
Mit Verfügung vom 13. November 2000 gab die Beklagte dem Kläger auf, zur Klärung der an seiner Fahreignung entstandenen Zweifel innerhalb von zwei Monaten sich einer amtsärztlichen Begutachtung zu unterziehen. In dem Gutachten vom 11. Januar 2001 kam der Amtsarzt des Gesundheitsamtes Wolfsburg nach einer Untersuchung vom 8. Januar 2001 zu dem Ergebnis, dass von einer fehlenden Eignung des Untersuchten zum Führen von Kraftfahrzeugen auszugehen sei. In dem mit ihm geführten Gespräch habe der Untersuchte eine deutliche Abwehr gegenüber dem Thema Drogen gezeigt. Nach dem Untersuchungsergebnis sei davon auszugehen, dass der Kläger seit 1995 mehrmals wöchentlich Cannabis konsumiert habe. Zusätzlich sei gelegentlich Ecstasy genommen worden. Eine strikte Trennung vom Drogenkonsum und dem Führen von Kraftfahrzeugen sei nicht eingehalten worden. Nur wenige Stunden vor der polizeilichen Kontrolle habe der Untersuchte eine Ecstasy-Tablette eingenommen. Außerdem habe er nach seinen eigenen Angaben am Vortag Cannabis konsumiert gehabt. Der Zeitpunkt der letzten Cannabis-Einnahme sei widersprüchlich geblieben. Zunächst habe der Untersuchte von einem Zeitpunkt von vor zwei Monaten, dann von einem zwei Wochen zurückliegenden Zeitpunkt gesprochen.
Nach einer vorherigen Anhörung entzog die Beklagte daraufhin dem Kläger mit Verfügung vom 29. März 2001 die Fahrerlaubnis. Hiergegen erhob der Kläger am 5. April 2001 Widerspruch, den die Bezirksregierung Braunschweig durch Widerspruchsbescheid vom 7. August 2001 als unbegründet zurückwies. Zur Begründung seines Rechtsbehelfs hatte der Kläger im Wesentlichen ausgeführt, dass das Gutachten des Amtsarztes vom 11. Januar 2001 nicht überzeuge. Die darin enthaltenen Ausführungen ließen nicht erkennen, aufgrund welcher wissenschaftlicher Grundlagen der Arzt zu dem Ergebnis gekommen sei. Außerdem sei das Untersuchungsgespräch nicht hinreichend dokumentiert worden. Er lebe seit längerer Zeit drogenfrei und werde ein Fahrzeug unter Drogeneinfluss nicht wieder führen. Es werde anheim gestellt, die Drogenabstinenz durch kontinuierliche Urinkontrollen zu dokumentieren. Wie sich aus einem Untersuchungsbefund des Jugend- und Drogenberatungszentrums Wolfsburg (drobs) vom 31. Mai 2001 ergebe, sei er in allen relevanten Untersuchungspunkten drogenfrei.
Am 5. September 2001 hat der Kläger den Verwaltungsrechtsweg beschritten. Zur Begründung seiner Klage trägt er vor:
Die Entziehung der Fahrerlaubnis sei fehlerhaft erfolgt. Soweit diese Entscheidung auf das Gutachten des Amtsarztes gestützt worden sei, erreiche diese Stellungnahme nicht die Qualität, die man von einem solchen Gutachten erwarten könne. Er sei zudem völlig missinterpretiert worden, indem in dem Gutachten ein regelmäßiger Cannabis-Konsum seit 1995 dargestellt worden sei. Er habe lediglich wahrheitsgemäß eingeräumt, hin und wieder nach der Spätschicht mit Arbeitskollegen Cannabis geraucht zu haben. Dies sei aber eher sehr selten gewesen. Überdies habe er in der Vergangenheit schon mehrfach nachgewiesen, dass er drogenfrei lebe. Die vom Gesundheitsamt abgenommene Urinprobe sei ebenso negativ ausgefallen wie eine weitere Untersuchung, die er am 31. Mai 2001 habe durchführen lassen. Jedenfalls seit dem Vorfall vom September 2000 sei er völlig drogenfrei und nehme am Straßenverkehr teil, ohne dass es zu irgendwelchen Auffälligkeiten gekommen sei. Es bestehe deshalb kein Grund, ihm jetzt noch die Fahrerlaubnis zu entziehen.
Der Kläger beantragt,
die Fahrerlaubnis-Entziehungsverfügung der Beklagten vom 29. März 2001 i.d.F. des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Braunschweig vom 7. August 2001 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie entgegnet:
Soweit der Kläger behaupte, in der Vergangenheit nicht regelmäßig Cannabis konsumiert zu haben, werde diese Angabe sowohl durch seine Schilderungen gegenüber dem Amtsarzt als auch durch das toxikologische Gutachten des Prof. Dr. Dr. K. vom 2. Oktober 2000 widerlegt. Die diesem Gutachten zugrunde liegenden Blutuntersuchungen hätten Blutwerte ergeben, die auf einen regelmäßigen Cannabis-Konsum hingewiesen hätten. Das Ergebnis des toxikologischen Gutachtens vom 2. Oktober 2000 sei durch das Gutachten des Gesundheitsamtes der Stadt Wolfsburg vom 11. Januar 2001 bestätigt worden. Hiernach fehle es dem Kläger an einer Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen. Eine solche Eignung könne erst dann wieder angenommen werden, wenn der Kläger eine einjährige Drogenabstinenz nachgewiesen und sich einer medizinisch-psychologischen Untersuchung unterzogen habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen waren ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist nicht begründet.
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG hat die Straßenverkehrsbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich der Inhaber dieser Fahrerlaubnis als zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet erwiesen hat. Von einer fehlenden Fahreignung ist insbesondere dann auszugehen, wenn ein Mangel nach Anlage 4 oder 5 zur Fahrerlaubnisverordnung (FeV) vorliegt, durch den die Eignung oder die bedingte Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen wird (§ 11 As. 1 Satz 1 FeV). Ein solcher Mangel ist die Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (Nr. 9.1 der Anlage 4 zu den §§ 11 f. FeV), ohne dass bereits eine Abhängigkeit von diesen Stoffen bestehen muss. Im Anschluss an den Nachweis der Einnahme von Betäubungsmitteln der genannten Art ist in aller Regel eine Abstinenz von einem Jahr nachzuweisen, bevor von einer Dauerhaftigkeit der Entwöhnung oder von einer Abkehr vom Drogenkonsum ausgegangen werden kann. Soweit es um die Einnahme von Cannabis geht, kann selbst bei einer nur gelegentlichen Einnahme dieser Droge die Fahreignung grundsätzlich nur dann (als fortbestehend) angenommen werden, wenn nicht zusätzlich Alkohol oder andere psycho-aktiv wirkende Stoffe eingenommen werden, sonstige Ausschlussgründe nicht bestehen und der Konsum und die Teilnahme am Straßenverkehr getrennt bleiben (Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zu den §§ 11 f. FeV). Diese in den §§ 11 Abs. 1 und 46 Abs. 1 Satz 2 FeV i.V.m. Anlage 4 normierten Eignungskriterien entsprechen den wissenschaftlichen Erkenntnissen zu den Auswirkungen eines Drogengenusses auf die Fahreignung, wie sie in die vom Bundesminister für Verkehr herausgegebenen Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahrereignung (Heft M 115 vom Februar 2000) Eingang gefunden haben. Diesen Vorgaben entspricht die getroffene Maßnahme der Beklagten, die nicht nach ihrem Ermessen zu treffen war und auch sonst den rechtlichen Erfordernissen für die Entziehung der Fahrerlaubnis genügt.
Bei dem Kläger sind anlässlich einer toxikologischen Untersuchung auf Betäubungsmittel nach der im September 2000 durchgeführten polizeilichen Überprüfung u.a. positive Reaktionen auf Amphetamin-Derivate (MDMA) und Cannabinoide im Blut gefunden worden. Nach dem Untersuchungsbefund des Rechtsmedizinischen Instituts der Universität Frankfurt vom 2. Oktober 2000 hatten die im Blut festgestellten Abbauprodukte einen derart hohen Wert, wie er nur bei einem regelmäßigen Cannabis-Konsum vorzufinden ist. Zusätzlich zu dem Konsum von Cannabis hat der Kläger außerdem Ecstasy (MDMA) eingenommen und unter dem Einfluss einer solchen Drogenkombination ein Kraftfahrzeug geführt. Im Hinblick auf die damit verbundenen Auswirkungen auf die psychische und physische Verfassung des Betreffenden ist die Annahme seiner Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen aller Art begründet, wie sie für einen derartigen Fall in Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zu § 11 f. FeV selbst dann angenommen wird, wenn der Betreffende Cannabis nur gelegentlich konsumiert.
Im Hinblick auf die nach dieser Sachlage deutlich gewordene Neigung des Klägers, nicht nur Cannabis, sondern auch eine sogenannte harte Droge im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes zu konsumieren und außerdem noch unter dem Einfluss solcher Drogen ein Kraftfahrzeug zu führen, hätte es der von der Beklagten angeordneten Maßnahme einer amtsärztlichen Untersuchung zu den Auswirkungen des Drogenkonsums auf die Fahreignung des Klägers eigentlich nicht mehr bedurft. Denn die fehlende Fahreignung stand zu diesem Zeitpunkt bereits fest. Es ist daher auch aus diesem Grunde unerheblich, ob der Kläger anlässlich der amtsärztlichen Untersuchung lediglich einen gelegentlichen Haschisch-Konsum oder - wofür die hohen Werte von Abbauprodukten im Blut sprechen - einen mehrmaligen wöchentlichen Drogenkonsum eingeräumt hat. Dahinstehen kann ebenfalls, welche Bedeutung dem Umstand zukommt, dass bei der toxikologischen Untersuchung vom 2. Oktober 2000 außerdem Reaktionen auf Kokain und Opiate festgestellt worden waren. Zur Wiedererlangung der im hier maßgeblichen Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung vom 7. August 2001 dem Kläger fehlenden Fahreignung bedarf es des Nachweises, dass sich der Betreffende dauerhaft und in seiner Einstellung gefestigt von der Drogeneinnahme gelöst hat. Dies erfordert den Nachweis eines drogenfreien Zeitraums von regelmäßig einem Jahr und außerdem die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens, worauf die Beklagte zutreffend hingewiesen hat. Allein die Durchführung von Urin-Untersuchungen ist schon im Hinblick auf die zeitlich begrenzte Nachweisdauer von Drogen im Urin nur eine bedingt geeignete Untersuchungsmethode.
Die Klage ist deshalb mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Die Nebenentscheidungen im Übrigen beruhen auf den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 13 Abs. 1 GKG und entspricht in dieser Höhe der ständigen verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, wenn eine Fahrerlaubnis der Klasse 3 im Streit ist.