Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 13.12.2001, Az.: 6 A 116/01

Aktenübersendung; Ermittlung; Fahrtenbuch; Fahrtenbuchauflage; Fahrzeugführer; Frontfoto; Messgenauigkeit; Radarmessung; Sachverhalt; Sachverhaltsermittlung

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
13.12.2001
Aktenzeichen
6 A 116/01
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2001, 40373
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Ein unsubstantiiertes Bestreiten der Messgenauigkeit eines Radargerätes erfordert keine weiteren diesbezüglichen Ermittlungen der Ordnungsbehörde.

2. Eine unterbliebene Aktenübersendung zur Einsichtnahme im Ordnungswidrigkeitenverfahren rechtfertigt jedenfalls dann nicht die Annahme unzureichender Ermittlungen zur Feststellung des Fahrzeugführers, wenn ein deutliches Frontfoto vorliegt.

Tatbestand:

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Der Kläger ist Halter eines Kraftfahrzeugs des Typs Daimler Benz mit dem amtlichen Kennzeichen GF-.... Am 30. April 2000 (10.36 Uhr) überschritt der Fahrer des Fahrzeugs in der Gemarkung Salzgitter-Thiede auf der Bundesautobahn A 39 in Richtung Kassel die dort vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h um 21 km/h. Diese Ordnungswidrigkeit wurde durch ein Geschwindigkeitsmessgerät und ein Frontfoto aufgezeichnet.

2

Unter dem 22. Mai 2000 wurde dem Kläger mit einem ihm übersandten Anhörungsbogen Gelegenheit gegeben, sich zu dem Vorfall zu äußern, worauf mit Schriftsatz vom 30. Mai 2000 die Prozessbevollmächtigten des Klägers ihre Bevollmächtigung anzeigten und um Akteneinsicht baten. Die Bußgeldakte, deren Übersendung die Stadt Salzgitter als die zuständige Ordnungswidrigkeitenbehörde von der Vorlage einer Prozessvollmacht abhängig machte, wurde bis zu der am 6. Juli 2000 bei der Behörde eingegangenen Vollmachtserklärung und auch danach bis zur Einstellung des Bußgeldverfahrens nicht übersandt.

3

Am 3. Juli 2000 ersuchte die Stadt Salzgitter das Polizeikommissariat Meinersen um weitere Ermittlungen. Ausweislich eines Aktenvermerks vom 6. Juli 2000 stellte der ermittelnde Polizeibeamte bei einer Befragung des Klägers anhand des Tatfotos fest, dass dieser augenscheinlich nicht der Fahrer gewesen sei. Nach den polizeilichen Aufzeichnungen hat der Kläger zu der auf dem Foto abgebildeten Person keine Angaben machen wollen. Die Bußgeldbehörde stellte daraufhin mit Verfügung vom 12. Juli 2000 das Ordnungswidrigkeitenverfahren ein und setzte den Beklagten über den Verkehrsverstoß in Kenntnis.

4

Der Beklagte gab dem Kläger mit Verfügung vom 25. Juli 2000 auf, für den Pkw mit dem Kennzeichen GF-... oder ein Ersatzfahrzeug für die Dauer von sechs Monaten ab Bestandskraft des Bescheides ein Fahrtenbuch zu führen. Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch mit der Begründung, dass ihm die Möglichkeit der Prüfung des Frontfotos nicht gewährt und ein Ermittlungsverfahren nicht durchgeführt worden sei. Diesen Rechtsbehelf wies die Bezirksregierung Braunschweig durch Widerspruchsbescheid vom 18. April 2001 - zugestellt am 23. April 2001 - als unbegründet zurück.

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Am 25. Mai 2001 hat der Kläger den Verwaltungsrechtsweg beschritten. Zur Begründung der Klage trägt er vor:

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Er habe keine ausreichende Gelegenheit gehabt, im Ordnungswidrigkeitenverfahren die Anschuldigung zu überprüfen. Am 6. Juli 2000 sei er von einem Polizeibeamten des Polizeikommissariats Meinersen aufgesucht worden. Ein Vergleich mit der auf dem Tatfoto abgebildeten Person habe ergeben, dass nicht er der Fahrer gewesen sei. Weitere Nachforschungen habe er nicht ohne seinen Anwalt machen wollen. Das Verfahren sei aber schon sechs Tage später eingestellt worden. Er nehme an, dass nicht ausreichend ermittelt worden sei. Außerdem stelle sich die Frage, ob vielleicht die Radarmessung falsch und dies der Grund für die Einstellung des Bußgeldverfahrens gewesen sei. Überdies habe er vor der Einstellung des Verfahrens keine Akteneinsicht erhalten.

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Der Kläger beantragt,

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die Fahrtenbuchanordnung des Beklagten vom 25. Juli 2000 i.d.F. des Widerspruchsbescheids der Bezirksregierung Braunschweig vom 18. April 2001 aufzuheben.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Er entgegnet:

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Im Rahmen der polizeilichen Ermittlungen im Bußgeldverfahren sei anhand des Tatfotos festgestellt worden, dass der Kläger nicht die dort abgebildete Person gewesen sei. Zu der Person auf dem Foto habe der Kläger keine Angaben machen wollen. Hieraus sei auf eine fehlende Bereitschaft geschlossen worden, an der Aufklärung des Verstoßes mitzuwirken. Weitergehende Ermittlungen seien nicht erfolgversprechend gewesen.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen waren ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist nicht zulässig.

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Nachdem der Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Braunschweig den Prozessbevollmächtigten des Klägers am 23. April 2001 zugestellt worden ist, hätte die Klage bis zum 23. Mai 2001 (Mittwoch) beim Verwaltungsgericht eingehen müssen. Die Klage ist jedoch erst am 25. Mai 2001 bei Gericht eingegangen und wahrt damit die einmonatige Klagefrist (§ 74 Abs. 1 Satz 1 VwGO) nicht. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Klagefrist kommt nicht in Betracht. Weder hat der Kläger Gründe, die eine Wiedereinsetzung rechtfertigen könnten, vorgetragen, noch sind solche Gründe sonst ersichtlich. Derartige Gründe könnten auch nicht mehr rechtswirksam vorgetragen werden, weil dies innerhalb von zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses für die Einhaltung der Klagefrist hätte erfolgen müssen (§ 60 Abs. 2 VwGO). Spätestens mit dem Zugang der gerichtlichen Eingangsbestätigung, mit der der Klageeingang als am 25. Mai 2001 erfolgt mitgeteilt worden ist, hatte die Frist des § 60 Abs. 2 VwGO zu laufen begonnen. Ab diesem Zeitpunkt hätten die Prozessbevollmächtigten des Klägers erkennen können und müssen, dass die Klagefrist mit der Klageschrift vom 18. Mai 2001 nicht gewahrt worden war.

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Die Klage wäre überdies nicht begründet.

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Rechtsgrundlage für die für den Kläger als Fahrzeughalter angeordnete Maßnahme des Beklagten ist § 31a Satz 1 StVZO. Nach dieser Vorschrift kann die Verwaltungsbehörde einem Fahrzeughalter für ein oder mehrere Fahrzeuge das Führen eines Fahrtenbuches auferlegen, wenn die Feststellung des Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich war. Das ist hier der Fall.

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Eine Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften in dem genannten Sinne ist darin zu sehen, dass am 30. April 2000 mit dem fraglichen Kraftfahrzeug auf der Bundesautobahn A 39 in der Gemarkung Salzgitter-Thiede die dort zulässige Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h um 21 km/h überschritten wurde. In einer Geschwindigkeitsübertretung dieser Größenordnung liegt ein erheblicher Verkehrsverstoß, der bereits nach einem erstmaligen Vorfall die Anordnung rechtfertigt, ein Fahrtenbuch zu führen (BVerwG, Urt. vom 17.12.1982 - BayVBl 1983, 310; Nds. OVG Lüneburg, Beschl. vom 09.12.1998, 12 M 5283/98). Des Nachweises einer konkreten Gefährdung durch diesen zu den Hauptunfallursachen rechnenden Verkehrsverstoß bedarf es nicht.

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Die Feststellung des Fahrzeugführers, der bei dem Verkehrsverstoß das Fahrzeug gefahren hat, war der zuständigen Ordnungsbehörde darüber hinaus i.S.d. § 31a StVZO nicht möglich. Eine solche Sachlage ist gegeben, wenn die Behörde nach den Umständen des Einzelfalles nicht in der Lage war, den Täter zu ermitteln, obwohl sie alle angemessenen und zumutbaren Maßnahmen getroffen hat. Ob die Aufklärung angemessen war, richtet sich insoweit danach, ob die Behörde in sachgerechtem und rationellem Einsatz der ihr zur Verfügung stehenden Mittel nach pflichtgemäßem Ermessen die Maßnahmen getroffen hat, die der Bedeutung des aufzuklärenden Verkehrsverstoßes gerecht werden und erfahrungsgemäß Erfolg haben können. Dabei können sich Art und Umfang der Tätigkeit der Behörde, den Fahrzeugführer nach einem Verkehrsverstoß zu ermitteln, an der Erklärung des Fahrzeughalters ausrichten. Lehnt dieser erkennbar die Mitwirkung einer Aufklärung des Verkehrsverstoßes ab, so ist es der Polizei regelmäßig nicht zuzumuten, wahllos zeitraubende und kaum Aussicht auf Erfolg bietende Ermittlungen zu betreiben (BVerwG, Urt. vom 17.12.1982 - Buchholz 442.16 § 31a StVZO Nr. 11 m.w.N.; Beschl. vom 21.10.1987 - Buchholz, aaO., Nr. 18 m.w.N.; Nds. OVG Lüneburg, Beschl. vom 09.12.1998, 12 M 5283/98).

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Ausgehend von diesen Grundsätzen war der Ermittlungsaufwand der Behörde angemessen. Insoweit wird auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Braunschweig vom 18. April 2001 Bezug genommen, die sich das Gericht zu Eigen macht (§ 117 Abs. 5 VwGO). Das Vorbringen der Beteiligten gibt zu folgenden weiteren Ausführungen Anlass:

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Soweit der Kläger in Frage stellt, ob die der Tatfeststellung zugrunde liegende Messung ordnungsgemäß erfolgt ist und ein erheblicher Verkehrsverstoß überhaupt vorliegt, erfordert ein solches unsubstantiiertes Bezweifeln der Messgenauigkeit keine weiteren Ermittlungen (OVG Lüneburg, Urt. vom 06.11.1996, 12 L 2664/96; VG Braunschweig, Urt. vom 08.02.2001, 6 A 312/99). Die unterbliebene Aktenübersendung im Ordnungswidrigkeitenverfahren an die Bevollmächtigten des Klägers führt ebenfalls nicht zu der Annahme, dass die Bußgeldbehörde bei der Feststellung des Fahrzeugführers unzulänglich ermittelt hat. Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob die Bußgeldbehörde wegen der sich aus ihrer Sicht abzeichnenden Einstellung des Ermittlungsverfahrens sachrichtig gehandelt hat, auch nach einer Vorlage der Prozessvollmacht die Ermittlungsakten den Prozessbevollmächtigten des Klägers nicht mehr zur Einsichtnahme zu übersenden. Die Bußgeldstelle hatte, nachdem die Prozessbevollmächtigten zeitnah zu dem von ihnen für den Kläger erhobenen Widerspruch Ausführungen zu dem Verkehrsverstoß nicht gemacht haben, zu Recht unter Zuhilfenahme der Polizei weitere Ermittlungen angestellt. Nach der Konfrontation des Klägers mit dem Tatfoto stand fest, dass dieser Angaben darüber ablehnte, wer das Fahrzeug im maßgeblichen Zeitpunkt geführt hatte. Bei dieser Sachlage hatten weitere Ermittlungen aus der Sicht der Bußgeldbehörde keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Insbesondere bedurfte es - auch im Hinblick auf den bevorstehenden Ablauf der Verfolgungsverjährung - keines Zuwartens bis zu einer Akteneinsicht durch die Prozessbevollmächtigten des Klägers. Denn die Ermittlungsakten enthielten über das Messfoto hinaus keine Unterlagen, die im Hinblick auf eine Identifizierung des betreffenden Fahrers von Bedeutung hätten sein können. Das Foto ist indessen dem Kläger vorgelegt worden, so dass die unterbliebene Akteneinsicht für die Nichtidentifizierung des Fahrers nicht ursächlich gewesen ist (vgl. hierzu: VGH Mannheim, Beschl. vom 23.08.1996, NZV 1996, 270; Beschl. vom 01.10.1992, NZV 1993, 47 [VGH Bayern 06.04.1992 - 11 B 91.3646]). Schließlich ist auch der seit dem Verkehrsverstoß vom 30. April 2000 bis zur Übersendung des Anhörungsbogens am 22. Mai 2000 verstrichene Zeitraum nicht ursächlich für die unterbliebene Ermittlung des Täters. Das Foto lässt den Fahrer noch mit einer solchen Deutlichkeit erkennen, dass die Möglichkeit zur Identifizierung jedenfalls durch den Kläger als Halter anzunehmen ist, weil davon auszugehen ist, dass er die Personen kennt, denen er als Fahrer das abgebildete Fahrzeug überlassen hat. Da eine Identifizierung des Fahrers anhand des Geschwindigkeitsmessfotos keine Anforderungen an das Erinnerungsvermögen, sondern an das Erkenntnisvermögen des Fahrzeughalters stellt, das von einer zeitlichen Nähe zum Verkehrsverstoß grundsätzlich unabhängig ist, ist eine verspätete Benachrichtigung des Klägers im Ordnungswidrigkeitenverfahren für die unterbliebene Ermittlung rechtlich unbeachtlich.

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Die Klage ist deshalb mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Nebenentscheidungen im Übrigen beruhen auf den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 13 Abs. 1 GKG und beläuft sich auf 500,-- DM je Monat der angeordneten Dauer zum Führen eines Fahrtenbuchs (Nr. 45.6 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit/NVwZ 1996, 563).