Verwaltungsgericht Braunschweig
Beschl. v. 14.12.2001, Az.: 6 B 261/01

Lärmschutzwand; passiver Lärmschutz; Rechtsverletzung; Straßenbau; Verkehrsübergabe; Widmung

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
14.12.2001
Aktenzeichen
6 B 261/01
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2001, 40179
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Zur Rechtsbetroffenheit von Anliegern eines Straßenneubauteils, das vor der endgültigen Fertigstellung einer Lärmschutzwand bestimmungsgemäß dem Verkehr übergeben wird.

Tenor:

Die Anträge werden abgelehnt.

Der Antragsteller tragen die Kosten ihres jeweiligen Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für jedes Verfahren auf 5.000,-- DM festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Antragsteller sind Eigentümer der Grundstück H. 12 bzw. S.76 in Wolfsburg. Diese Grundstücke liegen im Bereich des im Jahre 1972 beschlossenen und am 15. Juni 1987 rechtsverbindlich geänderten Bebauungsplans Nr. 1/72 für das Gebiet „H.“. Unter dem 17. Dezember 1997 hatte der Rat der Antragsgegnerin beschlossen, eine zweite Änderung des Bebauungsplans einzuleiten, mit der die Straße „K. R.“ in östlicher Richtung über eine im Bebauungsplan vorgesehene öffentliche Verkehrsfläche an die B. S. angebunden wird. Am 30. Mai 2001 wurde die zweite Änderung des Bebauungsplans vom Rat der Antragsgegnerin beschlossen. Sie ist seit dem 2. Juli 2001 nach der Veröffentlichung im Amtsblatt für den Regierungsbezirk Braunschweig rechtswirksam.

2

Im Rahmen der Aufstellung dieser Bebauungsplanänderung wurde u.a. eine schalltechnische Untersuchung durchgeführt, mit der die Auswirkungen des von dem Verkehr auf dem Straßenneubau ausgehenden Lärms auf die umliegende Bebauung ermittelt wurde. Diese Untersuchung führte zu dem Ergebnis, dass infolge des zu erwartenden Verkehrs auf dem Verbindungsstück des „K. R.“ zwar eine Zunahme der Lärmpegel zu erwarten sei, diese Lärmimmissionen aber bei der vorhandenen Bebauung, insbesondere auf den Grundstücken der Straßen „H.“ und „S.“, die zulässigen Grenzwerte nicht überschritten. Lediglich auf den für eine Bebauung vorgesehenen, aber derzeit noch nicht bebauten rückwärtigen und zum Straßenneubau ausgerichteten Grundstücksteilen der Grundstücke H. 10 bis 20 und S. 37 bis 43 würden in den oberen Stockwerken die Immissionsgrenzwerte nicht eingehalten werden. Im Bebauungsplan wurde deshalb für diese Grundstücksteile (Hinterliegerbebauung) ein passiver Schallschutz ausgewiesen und nördlich des „K. R.“ ein Lärmschutzwall sowie am südlichen Fahrbahnrand eine Lärmschutzwand vorgesehen.

3

Nachdem die Neubaustrecke des „K. R.“ inzwischen weitgehend fertiggestellt ist, soll nach den Planungen der Antragsgegnerin am 17. Dezember 2001 die Verkehrsübergabe erfolgen. Infolge eines Mangels bei der Bauausführung ist an der Südseite des „K. R.“ die Lärmschutzwand noch nicht fertiggestellt. Dort sind vorerst nur die Träger für die Lärmschutzplatten und die untere Betonkante, welche die Mängel aufweist, vorhanden. Hierdurch wird sich das Einfügen der Lärmschutzplatten voraussichtlich um mehrere Monate verzögern.

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Am 10. Dezember 2001 haben die Antragsteller zu 1. und am 13. Dezember 2001 die Antragsteller zu 2. um die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nachgesucht. Sie tragen vor:

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Das Neubaustück des „K. R.“ sei bautechnisch bis auf die Lärmschutzwand am Südrand der Straße fertiggestellt. Im Falle der für den 17. Dezember 2001 beabsichtigten Freigabe für den öffentlichen Verkehr werde es zu Lärmimmissionen kommen, die ihnen nicht zuzumuten seien. Diese Situation werde sich voraussichtlich länger als ein Vierteljahr bis zur Klärung der Baumängel hinziehen. Zudem fehle es an einer förmlichen Widmung, so dass auch aus diesem Grunde die Übergabe der Straße an den öffentlichen Verkehr rechtswidrig sei. Auf einem der für die Hinterliegerbebauung vorgesehenen Grundstück hätten die Eheleute S. ein Wohnhaus errichtet, in das das Ehepaar in Kürze einziehen wolle. In diesem Bereich fehle die Lärmschutzwand. Zudem sei in Teilbereichen des neuen Straßenstücks die Verkehrssicherheit vornehmlich für die Grundschüler der L. noch nicht gegeben. So fehle es an dem Gitter im Bereich des Zugangs zur Straße „S.“, und die Beleuchtung sei zu schwach. Der Durchgang weise noch eine Breite von sieben Metern auf, obwohl lediglich drei Meter vorgesehen seien. Entsprechend hoch sei die Lärmbelästigung durch den Verkehr für die dahinter liegenden Häuser. Das Haus der Antragsteller zu 2. sei nur etwa 20 Meter hiervon entfernt. Ein Zebrastreifen sei dort nicht vorhanden. Schließlich nehme die Dränage im Straßenbereich das Oberflächenwasser der neuen Straße nur teilweise auf, so dass eine Nachbesserung notwendig sei. Das Wasser sammele sich an den Rändern der angrenzenden Grundstücke.

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Die Antragsteller beantragen,

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der Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu untersagen, das im Bebauungsplan H. (2. Änderung) ausgewiesene Straßenstück des „K. R.“ vor einer Fertigstellung der am südlichen Rand dieser Straße vorgesehenen Lärmschutzwand für den öffentlichen Verkehr freizugeben.

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Die Antragsgegnerin beantragt,

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den Antrag abzulehnen.

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Sie entgegnet:

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Es treffe zu, dass die Lärmschutzwand am südlichen Fahrbahnrand des neuen Teilstücks des „K. R.“ noch nicht errichtet worden sei und sich die Fertigstellung wegen Baumängel voraussichtlich noch etwa drei Monate verzögern werde. Gleichwohl solle am 17. Dezember 2001 die Freigabe für den öffentlichen Verkehr erfolgen. Hierdurch würden die Antragsteller nicht in ihren Rechten betroffen. Der Verkehr führe auch ohne die Lärmschutzwand in Bezug auf die vorhandene Wohnbebauung nicht zu Lärmimmissionen, die oberhalb der zulässigen Grenzwerte lägen. Dies ergebe sich aus der Begründung des Bebauungsplans, aus der zu entnehmen sei, dass die Lärmschutzmaßnahmen nur zum Schutz der auf einigen Hinterliegergrundstücken zulässigen Bebauung bestimmt seien. Die Wohnhäuser der Antragsteller lägen außerhalb dieser vor einem Verkehrslärm zu schützenden Zonen. Im Übrigen werde sich die Fertigstellung der Lärmschutzwand nur um eine relativ kurze Zeit verzögern. Auch soweit die Antragsteller eine Rechtsverletzung darin sähen, dass die Verkehrsübergabe vor der förmlichen Widmung erfolge, sei eine Rechtsbetroffenheit nicht ersichtlich. Es sei zulässig, eine Straße dem Verkehr zu übergeben, obwohl sie noch nicht förmlich dem öffentlichen Verkehr gewidmet sei. Der von den Eheleuten S. errichtete Rohbau befinde sich nicht auf dem Grundstück eines der Antragsteller. Hinsichtlich der übrigen von den Antragstellern vorgetragenen und noch fehlenden Einrichtungen wie die Barriere für die Radfahrer, ein Zebrastreifen und die Dränage seien die Antragsteller ebenfalls nicht in ihren Rechten verletzt. Am Durchgang zur Straße „S.“ müssten beiderseits noch spezielle Wandstützen angebracht werden, die als Sonderkonstruktionen angefertigt würden. Die Höhe der Lärmschutzwand werde schließlich, wie eine nochmalige Messung ergeben hat, die vorgeschehene Höhe von drei Metern betragen.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie auf die Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin Bezug genommen.

II.

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Die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung haben keinen Erfolg.

14

Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht in Bezug auf den Streitgegenstand eine einstweilige Anordnung treffen, wenn die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers durch eine für ihn nachteilige Veränderung des bestehenden Zustandes derart erheblich gefährdet wird, dass ihm ein vollständiger oder weitgehende Rechtsverlust droht, wenn er auf den Ausgang des Hauptsacheverfahrens verwiesen wird (Sicherungsanordnung). Sowohl der Anordnungsanspruch als auch die Dringlichkeit der begehrten vorläufigen Sicherung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§§ 123 Abs. 3 VwGO, 920 Abs. 2 ZPO).

15

Nach Maßgabe dieser Grundsätze kann dem Begehren der Antragsteller nicht entsprochen werden.

16

Es ist bereits zweifelhaft, ob für die von den Antragstellern angestrebte zustandssichernde gerichtliche Entscheidung die erforderliche Dringlichkeit gegeben ist. Die von den Antragstellern als unzureichend beanstandeten Baumaßnahmen werden in einem überschaubaren Zeitraum von mehreren Monaten abgeschlossen sein. Durch die Übergabe des Straßenneubauteils an den öffentlichen Verkehr wird die Fertigstellung nicht in einer Weise behindert, dass die hiervon vorübergehend ausgehenden Auswirkungen auf die angrenzenden Grundstücke als unerträglich und nicht hinnehmbar angesehen werden müssten. Dies kann aber letztlich dahingestellt bleiben, weil ein den Antragstellern durch die Freigabe des „K. R.“ drohende Rechtsverletzung nicht ersichtlich ist.

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Soweit die Antragsteller rügen, dass die erforderliche förmliche Widmung der Straße nach § 6 NStrG noch nicht vorliege, wird von ihnen verkannt, dass auch schon vor einer solchen Widmung die Verkehrsfläche unter Voraussetzungen, die hier nicht zweifelhaft sind (vgl. hierzu: § 6 Abs. 2 NStrG), für den Verkehr freigegeben werden kann (Wendrich, Nds. Straßengesetz, 3. Aufl., § 6 Rn 2; Kochal/Krämer, Straßenrecht, 6. Aufl., S. 219 f).

18

Dass die bestimmungsmäßige Verkehrsübergabe zu einer Beeinträchtigung von Rechten der Antragsteller führen wird, ist nicht zu erwarten. Insbesondere steht das Fehlen von Lärmschutzeinrichtungen am südlichen Straßenrand in Bezug auf die Antragsteller der für den 17. Dezember 2001 vorgesehenen Übergabe nicht entgegen. Die im Bebauungsplan „H. - 2. Änd.“ festgesetzte Lärmschutzwand dient nicht der vorhandenen Bebauung der südlich des „K. R.“ gelegenen Grundstücke als Schutzeinrichtung. Die Anlage soll vielmehr - wie die Antragsgegnerin zutreffend ausgeführt hat - einen Lärmschutz für die nunmehr zugelassene „Hinterliegerbebauung“ auf den an den Straßenneubau angrenzenden (unbebauten) Flächen der Wohngrundstücke H. 10 bis 20 darstellen. Dies ergibt sich aus der Begründung des Bebauungsplans sowie aus den darin enthaltenen Festsetzungen entsprechender Lärmschutzflächen, in denen eine Bebauung lediglich unter Beachtung der festgesetzten passiven Lärmschutzmaßnahmen zugelassen ist. Nur für diese Bereiche einer künftigen, derzeit noch nicht realisierten Bebauung käme in Betracht, aus dem Fehlen der Lärmschutzwand eine Rechtsbeeinträchtigung herzuleiten. Die Eheleute S., die in diesem Bereich einen Neubau errichten, haben einen Antrag nicht gestellt. Die Antragsteller indessen sind nicht befugt, die Rechte dieser Anlieger als eigene Rechte geltend zu machen. In Bezug auf die vorhandene Bebauung, um die es in den Verfahren allein geht, ist eine Rechtsverletzung nicht ersichtlich. Das der Planung zugrunde liegende Lärmschutzgutachten hatte ergeben, dass die vorhandene Bebauung (WA-Gebiet) durch den Verkehrslärm auf dem Straßenstück zwar stärker, nicht aber über das zulässige Maß hinaus belastet wird. Weder das Fehlen der Lärmschutzwand noch von Teilen der Einrichtung seitlich des Durchgangs zur Straße „S.“ vermag deshalb zu einer Rechtsbeeinträchtigung zu führen.

19

Soweit die Antragsteller außerdem geltend machen, die neue Straße sei im Durchgangsbereich zur Straße „S.“ vornehmlich für die Grundschüler noch nicht hinreichend verkehrssicher, da vorgesehene Absperrungen (Zangengitter) nicht angebracht und die derzeit vorhandene Beleuchtung nicht ausreichend sei, sind subjektive Rechte der Antragsteller, die hierdurch gefährdet sein könnten, ebenfalls nicht ersichtlich. Ein Zusammenhang zwischen der Verkehrsübergabe und den Auswirkungen einer möglicherweise unzureichend dimensionierten Dränage entlang der neugeschaffenen Verkehrsfläche ist schließlich ebenfalls nicht zu erkennen.

20

Die Anträge sind deshalb mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf den §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 GKG und beläuft sich auf die Hälfte des in einem Verfahren zur Hauptsache festzusetzenden Wertes (Nr. 42.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, abgedr. bei: Kopp/Schenke, VwGO, 12. Aufl., § 189).