Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 14.12.2001, Az.: 6 A 177/01
DOG; Fahreignung; Fahrerlaubnis; Fahrgastbeförderung; Innenschielen; Mikrostrabismus; Mindestanforderungen; Schielen; Sehvermögen
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 14.12.2001
- Aktenzeichen
- 6 A 177/01
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2001, 39563
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 12 Abs 6 FeV
- § 48 Abs 5 FeV
- § 76 Nr 9 FeV
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Keine Verlängerung der Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung, wenn die Mindestanforderung an das Sehvermögen nach Anlage 6 FeV nicht erfüllt werden (Innenschielen).
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann eine vorläufige Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 8.000 DM festgesetzt.
Tatbestand:
Der Kläger will den Beklagten verpflichtet wissen, ihm trotz einer Sehschwäche die Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung zu erteilen.
Der Beklagte erteilte dem im Jahre 1968 geborenen Kläger, dem eine frühere Fahrerlaubnis entzogen worden war, im Jahre 1994 die Fahrerlaubnis der Klasse 3 und im April 1995 auch die Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung, deren Geltung er im Jahre 1998 bis zum 23.04.2001 verlängerte.
Unter dem 12.04.2001 stellte der Kläger den Antrag auf Verlängerung seiner Fahrerlaubnis zu Fahrgastbeförderung und legte dabei u.a. das augenärztliche Gutachten vom 27.03.2001 vor, aus dem sich (ebenso wie bereits aus dem bei der letzten Verlängerung berücksichtigten Gutachten desselben Augenarztes) ergibt, dass er mit dem linken Auge schielt ("Mikroesotropie links").
Unter Hinweis auf diese Einschränkung lehnte der Beklage den Antrag mit Bescheid vom 25.05.2001 ab.
Den dagegen eingelegten Widerspruch des Klägers wies die Bezirksregierung Braunschweig mit Widerspruchsbescheid vom 03.08.2001 ab.
Mit der dagegen am 16.08.2001 erhobenen Klage macht der Kläger im Wesentlichen geltend:
Das festgestellte geringe Innenschielen auf dem linken Auge beeinträchtige ihn nicht. Er fahre seit 1995 völlig problemlos und unfallfrei. Mit Blick auf die erstmalige Bewilligung der Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung im Jahre 1995 und deren Verlängerung im Jahre 1998 könne er nicht nachvollziehen, weshalb eine weitere Verlängerung bei unverändertem Zustand seines Sehvermögens abgelehnt worden sei.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 25.05.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids der Bezirksregierung Braunschweig vom 03.08.2001 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, seine Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung zu verlängern.
Der Beklagte verteidigt die ergangenen Entscheidungen und beantragt,
die Klage abzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie des Verwaltungsvorgangs des Beklagten Bezug genommen.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erteilt.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage, über die das Gericht mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann (§101 Abs. 2 VwGO), ist nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzten den Kläger nicht in seinen Rechten; ihm steht ein Anspruch auf Verlängerung der Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung nicht zu, da er die dafür erforderliche Augenbeweglichkeit nicht hat, sondern - wenngleich in geringem Umfang - schielt.
Nach § 48 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 der Fahrerlaubnis-Verordnung vom 18.08.1998 (BGBl. I S. 2214, zuletzt geändert durch VO vom 11.12.2000, BGBl. I S. 1690 - FeV) wird eine Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung auf Antrag des Inhabers bis zu fünf Jahren verlängert, wenn er unter anderem nachweist, dass er die in § 12 Abs. 6 FeV i.V.m. Anlage 6 Nr. 2.2 festgesetzten Anforderungen an das Sehvermögen erfüllt. Nach § 12 Abs. 6 FeV ist die Sehfähigkeit mit einer augenärztlichen Untersuchung abzuklären, über deren Ergebnis vom Augenarzt ein Zeugnis oder Gutachten zu erstellen ist, das darüber Auskunft gibt, ob die Anforderungen an das Sehvermögen erfüllt werden. Bewerber um die (Verlängerung einer) Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung müssen nach Ziff. 2.2.2 der ab dem 1. Januar 1999 geltenden Anlage 6 zu den §§ 12 und 48 FeV folgende Mindestanforderungen an die zu den übrigen Sehfunktionen zählende "Beweglichkeit" erfüllen: "Keine Diplopie (= Doppelsehen), Schielen - auch zeitweilig - unzulässig."
Da der Kläger zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Regelungen bereits Inhaber einer Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung war, gelten für ihn gemäß § 76 Nr. 9 letzter Abs. FeV weiterhin die nach früherem Recht maßgeblichen Anforderungen an das Sehvermögen, die in der Anlage XVII zur StVZO bestimmt sind. Diese Regelungen erforderten für die Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung u.a. eine "normale Beweglichkeit beider Augen; zeitweises Schielen unzulässig."
Der Kläger erfüllt die für die Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung erforderlichen Mindestvoraussetzungen nicht, da er (nicht nur zeitweise) schielt. Insoweit macht es keinen Unterschied, ob die bis zum 31. Dezember 1998 geltenden Vorschriften oder die neueren Bestimmungen in Anlage 6 zu den §§ 12 und 48 FeV zur Anwendung gelangen. Nach jeder der genannten Regelungen dürfte die vom Kläger begehrte Fahrerlaubnis nicht erteilt bzw. verlängert werden. Mit der (und sei es geringen) Innenschielstellung links, die von Dr. S. festgestellt worden ist, gilt der Antragsteller als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen zur Fahrgastbeförderung. Hierfür würde bereits ein zeitweises Schielen genügen, ohne dass es darauf ankommt, ob daraus resultierende weitere Sehstörungen (etwa Doppelbilder) vom begutachtenden Augenarzt festgestellt wurden oder dieser die Erteilung der begehrten Fahrerlaubnis deshalb befürwortet, weil die Fähigkeit zum räumlichen Sehen im konkreten Einzelfall nicht eingeschränkt ist.
Rechtliche Bedenken gegen die in den genannten Vorschriften festgesetzten Mindestanforderungen an das Sehvermögen bestehen nicht. Die Ausführungsbestimmungen konkretisieren in zulässiger Weise den in der gesetzlichen Ermächtigung - dem Straßenverkehrsgesetz - normierten Eignungsbegriff (§§ 2, 3 StVG); die darin enthaltenen Festsetzungen beruhen im Wesentlichen auf dem Gutachten des Bundesgesundheitsamtes "Sehvermögen und Kraftverkehr" (Heft 38 der Schriftenreihe des Bundesministers für Verkehr) sowie auf den "Richtlinien der Deutschen Opthalmologischen Gesellschaft für die Beurteilung der Fahreignung durch den Augenarzt" (vgl. hierzu: BVerwG, Urt. vom 28.12.1992, BVerwGE 91, 117 m.w.N. und Nds. OVG, Urt. vom 11.12.1995 - 12 L 609/95) bzw. der insoweit aktualisierten Fassung "Empfehlung der DOG zur Fahreignungsbegutachtung für den Straßenverkehr (2. Auflage, 1999)" und entsprechen den in der EU-Richtlinie 91/437/EWG festgelegten Mindestanforderungen hinsichtlich der körperlichen und geistigen Tauglichkeit für das Führen eines Kraftfahrzeugs (Amtsblatt EG Nr. 237/20 vom 24.08.1991; vgl. dazu: Beschl. der Kammer vom 30.08.1999 - 6 B 201/99 -; vom 15.12.2000 - 6 B 526/00 - und vom 27.07.2001 - 6 B 127/01 -).
Auf der Grundlage dieser Regelungen hat der Beklagte den Antrag auf Verlängerung der Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung zu Recht abgelehnt. Dem steht nicht entgegen, dass die Empfehlungen der DOG insoweit abweichende Anforderungen stellen. Danach solle bei den Fahrerlaubnissen für Kleinbusse und Omnibusse mit Personenbeförderung die Definition "Schielen unzulässig" erweitert werden, indem ein Stereosehen von mindestens 100 Winkelsekunden vorhanden sein müsse, das mit subnormalem Binokularsehen oder mit kleinwinkligem Schielen (Mikrostrabismus) einhergehen könne. Bei der Fahrerlaubnisklasse B mit Personenbeförderung empfiehlt die DOG u.a., Anforderungen an das Binokularsehen (räumliches Sehen) nicht zu stellen, d.h. auch beidäugige Fahrer ohne Binokularsehen und mit Strabismus ohne Doppelbilder zuzulassen, wenn langjährige Fahrerfahrung ohne Unfall für die Fahrerlaubnisklasse B vorliegt. Soweit diese Empfehlungen der DOG nicht in geltendes Recht umgesetzt sind, kann der Kläger für sich daraus nichts herleiten. Deshalb kann auch dahingestellt bleiben, ob der Kläger den Kriterien der DOG genügen würde. Dies ist bereits angesichts der Tatsache, dass er seine Fahrerlaubnis erst im Jahre 1994 wiedererhalten hat, nachdem sie ihm zuvor entzogen worden war, zumindest nicht unproblematisch.
Zu Gunsten des Klägers kann auch nicht berücksichtigt werden, dass ihm 1995 die Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung erteilt und 1998 auch für weitere drei Jahre verlängert worden ist, obgleich sich bereits aus augenärztlichen Bescheinigung des Dr. S. vom 18.03.1998 (nicht auch der vorherigen) ergab, dass er eine "Mikroesotropie links" hat, also schielt. Dem Kläger hätte danach bereits in Jahre 1998 die Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung nicht verlängert werden dürfen, weil er die "Mindestanforderungen an die übrigen Sehfunktionen" nach Ziff. 2.1 der Anlage XVII zur StVZO nicht erfüllte. Allein das Vertrauen des Klägers darauf, der Beklagte werde ihm entsprechend seiner bisherigen Praxis die Fahrgastbeförderungserlaubnis verlängern, weil sich bei ihm Änderungen - insbesondere hinsichtlich des Sehvermögens - nicht ergeben haben, rechtfertigt angesichts der Gefahren für die Fahrgäste und die übrigen Verkehrsteilnehmer, die von einem für die in Rede stehende Fahrerlaubnis ungeeigneten Fahrer ausgehen, nicht eine rechtswidrige Verlängerung der Erlaubnis.
Unerheblich ist ferner, dass der Kläger seit 1994 - soweit ersichtlich - keinen Verkehrsunfall verursacht hat. Dieser Umstand kann auf zahlreichen Gründen beruhen und beweist jedenfalls nicht, dass die Gefahren, der die Eignungsanforderungen an das Sehvermögen vorbeugen sollen, bei ihm nicht bestehen. Überdies ist eine zur Gefahrenabwehr im Straßenverkehr festgesetzte abstrakt-generelle Eignungsanforderung nicht schon deshalb sachwidrig oder unverhältnismäßig und damit verfassungswidrig, weil Einzelfälle denkbar sein können, in denen die Verkehrssicherheit aus besonderen Gründen - etwa wegen außergewöhnlicher Vorsichtigkeit des Kraftfahrers - auch ohne diese Anforderungen hinreichend gewahrt wäre (BVerwG, Urt. vom 28.12.1992, aaO.). Sollte es tatsächlich solche Sonderfälle geben, kommt allenfalls die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 74 FeV in Betracht, was jedoch nicht Gegenstand dieses, gegen den Beklagten gerichteten Verfahrens ist und daher keiner Vertiefung bedarf, zumal der Kläger den dafür erforderlichen Antrag nicht gestellt hat.
Nach alledem muss das persönliche Interesse des Klägers an der Verlängerung seiner Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung gegenüber der allgemeinen Verkehrssicherheit zurücktreten.
Die Klage ist deshalb mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit und zur Abwendungsbefugnis folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708, 711 Nr. 11 ZPO.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 13 Abs. 1 GKG.