Verwaltungsgericht Braunschweig
Beschl. v. 04.12.2001, Az.: 6 B 228/01

Abstinenz; Cannabis; Droge; Drogenscreening; Fahreignung; Fahrerlaubnis; Kokain; Therapie

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
04.12.2001
Aktenzeichen
6 B 228/01
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2001, 39572
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Fehlende Fahreignung bei der Einnahme von Cannabis und sogennannten "harten" Drogen iSd. Betäubungsmittelgesetzes.

Tenor:

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 4.000,-- DM festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der Antragsteller erhielt im Juni 1992 eine Fahrerlaubnis der Klasse 3, die ihm zunächst für die Dauer von zwei Jahren auf Probe erteilt worden war. Nachdem der Antragsteller während der Probezeit einen Geschwindigkeitsverstoß begangen hatte, musste er sich einem Nachschulungskurs für verkehrsauffällig gewordene Fahranfänger unterziehen. In der darauffolgenden Zeit von August 1995 bis Februar 1999 wurde der Antragsteller mit drei weiteren erheblichen Geschwindigkeitsüberschreitungen, die in einem Fall neben der Geldbuße zur Verhängung eines Fahrverbotes führte, im Verkehrszentralregister des Kraftfahrt-Bundesamtes eingetragen.

2

Weil der Antragsteller während der Zeit des Fahrverbotes gleichwohl in zwei Fällen ein Kraftfahrzeug geführt hatte, wurde er mit Strafbefehl des Amtsgerichts Helmstedt vom 12. Mai 1999 zu einer Geldstrafe von 1.800,-- DM und einem Fahrverbot von einem weiteren Monat verurteilt. Dieses Verfahren wurde sodann gemäß § 154 Abs. 2 StPO vorläufig eingestellt im Hinblick auf ein außerdem gegen ihn eingeleitetes Verfahren wegen des Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz.

3

In diesem Verfahren wurde der Antragsteller durch Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 7. Juni 1999 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 26 Fällen sowie wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Haschisch und Kokain) in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. In dem Urteil ist u.a. ausgeführt, dass der Antragsteller bereits seit 1990 Haschisch konsumiert habe, wobei der tägliche Verbrauch zunächst ein Gramm betragen habe. Ab 1998 habe er mit dem Handel von Betäubungsmitteln begonnen, um seinen Eigenbedarf und den Lebensunterhalt zu finanzieren. Außerdem habe er gelegentlich Kokain konsumiert. Bei der Strafzumessung sei berücksichtigt worden, dass er seit der Festnahme keine Drogen mehr genommen habe und ernsthaft zu einer Änderung des Lebenswandels bereit sei.

4

Nachdem der Antragsgegner hiervon Kenntnis erhielt, gab er mit Verfügung vom 7. März 2000 dem Antragsteller auf, sich zur Klärung der an seiner Fahreignung bestehenden Zweifel einer medizinisch-psychologischen Untersuchung zu unterziehen. In dem Gutachten vom 6. Juni 2000 stellten die Sachverständigen des TÜV-Nord fest, dass eine Abhängigkeit von Betäubungsmitteln oder anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen nicht habe festgestellt werden können und eine Missbrauchsproblematik als überwunden angesehen werde. Die Lebenssituation habe sich erkennbar verändert. Im Hinblick auf die Distanzierung vom Drogenkonsum und den drogenfreien Zeitraum von nunmehr 15 Monaten könne davon ausgegangen werden, dass die Änderung des Verhaltens dauerhaft sei.

5

Der Antragsgegner sah deshalb im Juni 2000 von weiteren Maßnahmen gegen den Antragsteller ab.

6

Im Dezember 2000 wurde dem Antragsgegner durch eine Mitteilung der Polizeiinspektion H. bekannt, dass gegen den Antragsteller erneut ein Verfahren wegen des Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz eingeleitet worden sei. Durch Urteil des Amtsgerichts vom 7. Mai 2001 wurde der Antragsteller wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln in 14 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. In dieser Entscheidung ist u.a. ausgeführt, dass der Antragsteller, nachdem über ein Jahr lang keinen Kontakt mit Drogen gehabt habe, wieder mit dem Konsum von Haschisch begonnen habe. Zunächst habe er von April bis August 2000 an zehn verschiedenen Tagen Mengen zwischen zwei und fünf Gramm erworben; von September bis Dezember 2000 habe er dreimal jeweils 25 bis 30 Gramm angekauft. Außerdem habe der Antragsteller im Oktober 2000 zwei Gramm Kokaingemisch zum Eigenkonsum erworben. Reste dieser Mengen seien bei der polizeilichen Durchsuchung der Wohnung aufgefunden worden. Der Antragsteller habe sich dann entschlossen, ab Ende Januar 2001 eine Therapie durchzuführen; die Urinkontrollen seien bislang negativ ausgefallen.

7

Mit Verfügung vom 26. September 2001 entzog der Antragsgegner dem Antragsteller unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die Fahrerlaubnis. Hiergegen erhob der Antragsteller am 11. Oktober 2001 Widerspruch, über den noch nicht entschieden worden ist.

8

Am 11. Oktober 2001 hat der Antragsteller außerdem beim Verwaltungsgericht um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht. Zur Begründung trägt er vor:

9

Zwar habe er in der Vergangenheit in geringem Umfang Betäubungsmittel, vornehmlich Cannabisprodukte, konsumiert; seit Ende des letzten Jahres habe er jedoch jeglichen Betäubungsmittelkonsum eingestellt und befinde sich seit Januar 2001 in einer ambulanten Therapie bei der Jugend- und Drogenberatung in Braunschweig bzw. Wolfsburg. Die im Rahmen der Therapie durchgeführten Urinproben seien sämtlich negativ getestet worden. Hieraus ergebe sich, dass er seit nahezu einem Jahr nachweislich keine Drogen mehr konsumiert habe. Die Maßnahme des Antragsgegners erscheine deshalb als unverhältnismäßig. Stattdessen hätte es als milderes Mittel ausgereicht, zunächst eine medizinisch-psychologische Untersuchung zur Klärung der Fahreignung zu veranlassen. Da er sich nachweislich und ohne Rückfälle vom Betäubungsmittelkonsum abgewendet habe, müsse eine Abwägung seiner privaten Interessen mit den öffentlichen Interessen am Sofortvollzug der Fahrerlaubnisentziehung zu seinen Gunsten ausgehen. Bedeutsam hierfür sei insbesondere, dass er sich einer Therapiemaßnahme unterziehe, obgleich eine Abhängigkeit von Drogen bei ihm nicht festgestellt worden sei. Aus der Sicht der Drogenberatungsstelle bestünden ebenfalls keine Fahreignungsmängel.

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Der Antragsteller beantragt,

11

die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen die Fahrerlaubnisentziehungsverfügung des Antragsgegners vom 26. September 2001 wiederherzustellen.

12

Der Antragsgegner beantragt,

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den Antrag abzulehnen.

14

Er entgegnet:

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Der Antragsteller sei ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, weil er regelmäßig Cannabis konsumiert und zusätzlich auch eine harte Droge eingenommen habe. Da er sich erst seit Januar 2001 einer Therapie unterziehe, könne er derzeit noch nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen als geeignet angesehen werden. Im Hinblick darauf, dass der Antragsteller nicht nur regelmäßig Cannabis konsumiert, sondern auch Kokain eingenommen habe, habe auf einer Anordnung zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens verzichtet werden können. Zu berücksichtigen sei insoweit auch, dass es sich nicht um einen erstmaligen Konsum von Betäubungsmitteln gehandelt habe, sondern der Antragsteller bereits wiederholt mit dem Betäubungsmittelgesetz in Konflikt geraten sei. Während der Therapiemaßnahme sei ein erneuter Rückfall nicht ausgeschlossen.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners Bezug genommen.

II.

17

Der nach § 80 Abs. 5 VwGO statthafte Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat keinen Erfolg.

18

Der Antragsgegner hat die sofortige Vollziehung der Fahrerlaubnisentziehung in formell ordnungsgemäßer Weise angeordnet (§ 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) und in ausreichender Weise schriftlich begründet, warum das besondere Interesse an dem Sofortvollzug als gegeben erachtet wird (§ 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO).

19

Auch aus materiell-rechtlichen Gründen besteht keine Veranlassung, die aufschiebende Wirkung des gegen den Bescheid erhobenen Rechtsbehelfs wiederherzustellen. Nach § 80 Abs. 1 VwGO haben Widerspruch und Anfechtungsklage grundsätzlich aufschiebende Wirkung, sofern nicht die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde besonders angeordnet wird. Eine derartige Vollziehungsanordnung setzt zu ihrer Rechtswirksamkeit voraus, dass ohne sie das öffentliche Interesse in schwerwiegender Weise beeinträchtigt würde, so dass demgegenüber die privaten Interessen des von der Vollziehungsanordnung Betroffenen zurücktreten.

20

Ein überwiegendes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung, mit der die Fahrerlaubnis nach § 3 Abs. 1 StVG entzogen worden ist, ist regelmäßig anzunehmen, wenn sich die an der Fahreignung des Betroffenen bestehenden Zweifel so weit verdichtet haben, dass die ernste Besorgnis gerechtfertigt erscheint, er werde andere Verkehrsteilnehmer in ihrer körperlichen Unversehrtheit oder in ihrem Vermögen ernstlich gefährden, wenn er bis zur endgültigen gerichtlichen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Entziehungsverfügung weiterhin am motorisierten Straßenverkehr teilnimmt (Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 4. Aufl., Rn 1273 m.w.N.). Eine solche Gefahr für die Allgemeinheit ist insbesondere dann anzunehmen, wenn besondere Umstände eine Gefährlichkeit gegenwärtig begründen, die im Wege der Abwägung zu Lasten der Allgemeinheit und damit im öffentlichen Interesse nicht hingenommen werden kann.

21

Nach der in diesem Verfahren gebotenen summarischen Prüfung der Sachlage und dem gegenwärtigen Erkenntnisstand hat der Rechtsbehelf des Antragstellers keine Aussicht auf Erfolg. Es überwiegen außerdem die Gesichtspunkte, die dafür sprechen, den Antragsteller mit sofortiger Wirkung von der Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr auszuschließen.

22

Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG hat die Straßenverkehrsbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich der Inhaber dieser Fahrerlaubnis als zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet erwiesen hat. Von einer fehlenden Fahreignung ist insbesondere dann auszugehen, wenn ein Mangel nach Anlage 4 oder 5 zur Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) vorliegt, durch den die Eignung oder die bedingte Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen wird (§ 11 Abs. 1 Satz 1 FeV). Ein solcher Mangel ist die Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (Nr. 9.1 der Anl. 4 zu den §§ 11 f. FeV), ohne dass bereits eine Abhängigkeit von diesen Stoffen bestehen muss. Im Anschluss an den Nachweis der Einnahme von Betäubungsmitteln der genannten Art ist in aller Regel eine Abstinenz von einem Jahr nachzuweisen, bevor von einer Dauerhaftigkeit der Entwöhnung oder von einer Abkehr vom Drogenkonsum ausgegangen werden kann. Selbst bei einer nur gelegentlichen Einnahme von Cannabis kann die Fahreignung regelmäßig nur dann (als fortbestehend) angenommen werden, wenn nicht zusätzlich Alkohol oder andere psychoaktiv wirkende Stoffe eingenommen werden, sonstige Ausschlussgründe nicht bestehen und der Konsum und die Teilnahme am Straßenverkehr getrennt bleiben (Nr. 9.1 der Anl. 4 zu den §§ 11 f. FeV). Diese in den §§ 11 Abs. 1 und 46 Abs. 1 Satz 2 FeV i.V.m. Anl. 4 normierten Eignungskriterien entsprechen den wissenschaftlichen Erkenntnissen zu den Auswirkungen eines Drogengenusses auf die Fahreignung, wie sie in die vom Bundesminister für Verkehr herausgegebenen Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahrereignung (Heft M 115 vom Februar 2000) Eingang gefunden haben. Diesen Vorgaben entspricht die getroffene Maßnahme des Antragsgegners, die nicht nach dessen Ermessen zu treffen war und auch sonst den rechtlichen Erfordernissen für eine sofortige Entziehung der Fahrerlaubnis genügt.

23

Der Antragsteller, der bereits in der Vergangenheit jahrelang regelmäßig Cannabis konsumiert sowie auch Kokain ("ein- bis zweimal im Monat") genommen hatte, ist, nachdem er mehr als ein Jahr drogenfrei war, erneut rückfällig geworden und hatte bereits zu dem Zeitpunkt, als er sich der medizinisch-psychologischen Untersuchung zur Klärung seiner Fahreignung zu stellen hatte, erneut Haschisch zum Eigenkonsum erworben. Entgegen der von ihm behaupteten Abkehr vom Drogenkonsum hat er den Drogenkonsum zumindest bis Dezember 2000 fortgesetzt. Außerdem hat der Antragsteller erneut zusätzlich Kokain und damit eine sog. harte Droge im Sinne der Nr. 9.1 der Anlage 4 zu den §§ 11 f. FeV zu sich genommen.

24

In Anbetracht dieser Sachlage ist seit dem erneuten Rückfall in einen Konsum von Cannabis, vor allem auch in der Kombination mit der "harten" Droge Kokain, die Fahreignung des Antragstellers ausgeschlossen, ohne dass dies noch einer besonderen Überprüfung bedurft hätte. Zur Wiedererlangung der Fahreignung bedarf es in einem solchen Fall des Nachweises, dass sich der Betreffende dauerhaft und in seiner Einstellung gefestigt von der Drogeneinnahme gelöst hat. Dies erfordert den Nachweis eines drogenfreien Zeitraumes von regelmäßig einem Jahr und außerdem die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens. Allein die Durchführung von Urinuntersuchungen ist schon im Hinblick auf die zeitlich begrenzte Nachweisdauer von Drogen im Urin nur eine bedingt geeignete Untersuchungsmethode. Der Antragsteller ist infolgedessen schon im Hinblick darauf, dass seit der Ende Januar dieses Jahres begonnenen ambulanten Therapie ein Zeitraum von mindestens einem Jahr noch nicht verstrichen ist, derzeit als noch nicht wieder geeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen. Außerdem wird er sich zu gegebener Zeit einer medizinisch-psychologischen Untersuchung zu stellen haben, in deren Rahmen die innere Festigung der von ihm behaupteten Abkehr vom Drogenkonsum zu prüfen sein wird. Im Rahmen einer solchen Untersuchung wird ein besonderes Augenmerk darauf zu verwenden sein, welches Gewicht den Angaben des Antragstellers in Anbetracht dessen beigemessen werden kann, dass dieser bereits im Zeitpunkt der ersten medizinisch-psychologischen Untersuchung, die für ihn ein positives Ergebnis hatte, wieder rückfällig geworden war, hierzu jedoch unzutreffende Angaben gemacht hatte.

25

Wegen der bei einer Verkehrsteilnahme von dem Antragsteller ausgehenden Gefährdung für andere Personen ist im öffentlichen Interesse an einer sofortigen Vollziehung der angefochtenen Maßnahme der Vorrang einzuräumen vor dem persönlichen und wirtschaftlichen Interesse des Antragstellers, bis zu einer rechtskräftigen Klärung der Fahrerlaubnisentziehung vorerst weiterhin Kraftfahrzeuge führen zu dürfen.

26

Der Antrag ist deshalb mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.

27

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf den §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 GKG und beläuft sich auf die Hälfte des Wertes, der in einem Verfahren zur Hauptsache festzusetzen wäre.