Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 17.09.2010, Az.: 7 U 62/10
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 17.09.2010
- Aktenzeichen
- 7 U 62/10
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2010, 39879
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2010:0917.7U62.10.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Stade - 01.02.2010 - AZ: 2 O 101/09
Fundstellen
- Info M 2011, 7
- MDR 2011, 152
- MietRB 2011, 5-6
- ZMR 2011, 2
- ZMR 2011, 379-380
In dem Rechtsstreit
...
hat der 7. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die mündliche Verhandlung vom 2. September 2010 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht K., den Richter am Oberlandesgericht V. und den Richter am Landgericht P. für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Einzelrichters der 2. Zivilkammer des Landgerichts Stade vom 01. Februar 2010 unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels teilweise geändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, der Auszahlung der beim Amtsgericht Tostedt zum Hinterlegungsgeschäftszeichen 10 HL 3/08 hinterlegten Beträge oberhalb 1.650,00 € nebst gesetzlicher Hinterlegungszinsen auf einen am 01.04.2008 eingezahlten Hinterlegungsteilbetrag in Höhe von 450,00 € und auf die weiteren ab dem 02.05.2008 eingezahlten Hinterlegungsbeträge zuzustimmen.
Die Beklagte wird weiterhin verurteilt, an die Klägerin Zinsen in Höhe von 3,8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf 450,00 € ab dem 01.04.2008, auf jeweils 700,00 € ab dem 02.05., 02.06., 01.07., 04.08., 02.09., 07.10., 03.11., 02.12.2008, 05.01., 02.02., 06.03., 04.05. und 02.06.2009 sowie auf 672,59 € ab dem 03.04.2009 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage hinsichtlich der weitergehenden Zinsforderung abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Beschwer für die Beklagte: unter 20. 000 €
Gründe
I.
Von der Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil und die Darstellung etwaiger Änderungen und Ergänzungen wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO i. V. m. § 26 Nr. 8 EGZPO abgesehen.
Die zulässige Berufung der Klägerin hat bis auf einen geringen Teil des geltend gemachten Zinsanspruchs Erfolg.
1. Die Klägerin kann von der Beklagten nach § 812 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. BGB zum Nachweis ihrer Berechtigung gemäß § 13 der Hinterlegungsordnung (HinterlO) die Zustimmung zur Herausgabe der beim Amtsgericht Tostedt hinterlegten Mieten verlangen soweit diese einen Betrag in Höhe von 1.650,00 € übersteigen.
Im Streit zweier Forderungsprätendenten über die Auszahlung hinterlegten Geldes steht dem wirklichen Rechtsinhaber gegen den anderen Prätendenten ein bereicherungsrechtlicher Anspruch auf Einwilligung in die Herausgabe zu, denn letzterer hat auf Kosten des wahren Gläubigers rechtsgrundlos die Stellung eines Hinterlegungsbeteiligten erlangt (BGH NJW 2008, 2702 [BGH 21.05.2008 - IV ZR 238/06]; 2000, 291) . Wer wirklicher Rechtsinhaber ist, entscheidet das materielle Recht. Für die Frage der Freigabepflicht ist die Gläubigerstellung gegenüber dem hinterlegenden Schuldner und nicht das Innenverhältnis zwischen den Prätendenten maßgebend. Von entscheidender Bedeutung ist daher, ob dem klagenden Prätendenten tatsächlich eine Forderung gegen den hinterlegenden Schuldner - hier den Mietern des Steuerschuldners - zusteht (vgl. BGH NJW 2000, 291 [BGH 15.10.1999 - V ZR 141/98]).
Dies ist hier entgegen den Feststellungen des Landgerichts - hinsichtlich des über 1.650,00 € hinausgehenden Betrages - der Fall, da die Ansprüche des Steuerschuldners gegen seine Mieter aus dem Mietvertrag über die Dachgeschosswohnung H Straße 14, ...8 H. nicht wirksam an die Beklagte abgetreten sind.
Es kann dahinstehen, ob - wie die Berufungsklägerin rügt - die in § 30 des Mietvertrages vereinbarte Abtretung ohnehin nur Mietzinsansprüche des Steuerschuldners gegen seine Mieter W. und H. in Höhe der vereinbarten Kaution und damit lediglich drei Nettokaltmieten (1. 650 €) umfasst (1.1.). Sofern die Abtretung nämlich weitere Monatsmieten erfasst, wäre sie jedenfalls nach §§ 551 Abs., 4, 139 BGB unwirksam (1.2.). Ob die Abtretung darüber hinaus auch nach § 3 AnfG wegen vorsätzlicher Gläubigerbenachteiligung wirksam angefochten werden kann, kann danach offen bleiben (1.3.).
1.1. Entgegen der Ansicht der Klägerin ist nicht schon nach dem Wortlaut des § 30 des Mietvertrages eindeutig, dass ohnehin nur der Anspruch des Steuerschuldners auf - die nicht streitgegenständlichen - drei Monatsmieten (1.650,00 €) an die Beklagte abgetreten ist.
In § 30 des Mietvertrages heißt es nämlich:
"§ 30 Sonstige Vereinbarungen:
Zu § 12 Mietsicherheit
Anstelle der Hinterlegung einer Kaution tritt der Mieter (M. S.) als Sicherheit für sämtliche Verpflichtungen aus diesem Mietvertrag seine Ansprüche auf Zahlung der Netto-Kaltmiete aus dem Mietvertrag S. / W., H. über die Dachgeschosswohnung des Hauses H Straße 14 in ...8 H. an K. P. [Vermieterin] ab. Diese nimmt die Abtretung an. Die Vermieterin ist jederzeit berechtigt, diese Abtretung anzuzeigen und die Mieter anzuweisen, die Miete aus dem Vertrag S. / W., H. direkt auf das in § 11 dieses Vertrages genannte Konto der Vermieterin zu zahlen."
Eine Beschränkung der Abtretung auf nur drei Monatsmieten ist dieser Vereinbarung nicht zu entnehmen. Allenfalls könnte sich eine solche Beschränkung aus der Formulierung "Anstelle der Hinterlegung einer Kaution" und dem Verweis in der Überschrift "Zu § 12 Mietsicherheit" ergeben. In § 12 des Mietvertrages haben die Vertragsparteien insofern vereinbart:
"Der Mieter leistet bei Abschluss des Mietvertrages eine Mietsicherheit in Höhe von Siehe § 30 EUR, höchstens jedoch in Höhe der dreifachen Monatsmiete. ..."
Danach begrenzt § 12 des Mietvertrages die Mietsicherheit zwar auf drei Monatsmieten. Gegen eine Auslegung des § 30 des Mietvertrages dahingehend, dass auch nur in diesem Umfang eine Abtretung der Mieten vereinbart werden sollte, spricht allerdings das Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme, nach der beide Vertragsparteien von einer unbeschränkten Abtretung ausgegangen sein wollen.
1.2. Es kann jedoch dahinstehen, ob die Abtretung auch die Mieten über einen Zeitraum von drei Monaten hinaus erfassen sollte. Wenn sich der Mieter der Beklagten, der Steuerschuldner der Klägerin, durch die Regelung in § 30 des Mietvertrages verpflichten sollte, mehr als nur drei Monatskaltmieten als Sicherheit abzutreten, ist die Vereinbarung nach § 551 Abs. 1, 4 BGB insoweit jedenfalls unwirksam. Die Beklagte ist danach in diesem Umfang nicht Inhaberin der Mietforderungen des Steuerschuldners geworden, so dass die Klägerin diese Mieten wirksam pfänden konnte.
Gemäß § 551 Abs. 1 BGB darf die Mietsicherheit höchstens das Dreifache der auf einen Monat entfallenden Miete ohne die als Pauschale oder als Vorauszahlung ausgewiesenen Betriebskosten betragen; nach Abs. 4 ist eine zum Nachteil des Mieters abweichende Vereinbarung unwirksam. Die Vereinbarung über die Sicherheitsleistung ist insoweit unwirksam, als sie das nach § 551 Abs. 1 BGB höchstzulässige Maß überschreitet (vgl. BGH NJW 2004, 3045 [BGH 30.06.2004 - VIII ZR 243/03]). Insofern kommt es nicht darauf an, durch wen die unwirksame Klausel veranlasst war, da hieran die Unwirksamkeitsregelung des § 551 Abs. 4 BGB gerade nicht anknüpft.
Der nicht nachgelassene Schriftsatz der Beklagten vom 06.09.2010 gab daher auch keine Veranlassung zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung (§ 156 ZPO).
Die nach § 551 Abs. 4 BGB unwirksame Verpflichtung, sämtliche Mietzinsansprüche als Sicherheit abzutreten, hat auch die Unwirksamkeit der Abtretung selbst zur Folge. Zwar betrifft § 551 BGB nur das Verpflichtungsgeschäft, während die Abtretung als Verfügungsgeschäft von dem schuldrechtlichen Grundgeschäft zu unterscheiden ist. Mängel des Kausalgeschäfts lassen die Wirksamkeit der Abtretung nach dem Abstraktionsprinzip grundsätzlich unberührt (vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, 68. Aufl., § 398 Rn. 2). Allerdings können Kausalgeschäft und Abtretung von den Parteien zu einer Einheit i. S. d. § 139 BGB zusammengefasst sein mit der Folge, dass sich die Unwirksamkeit des Grundgeschäfts auch auf die Abtretung erstreckt. So verhält es sich hier, da die Sicherungsabtretung selbst von der zugrundeliegenden Sicherungsabrede nicht zu trennen ist (vgl. Palandt/Ellenberger, a. a. O., § 139 Rn. 8 m. w. N.; BGH NJW 1982, 275). Die Abtretung erfolgte in Erfüllung der Verpflichtung, sämtliche Mietansprüche der Beklagten umfassend zu sichern. Diese Verpflichtung ist aber nach § 551 Abs 4 BGB unwirksam und führt daher nach § 139 BGB auch zur Unwirksamkeit der Abtretung selbst.
Gegenteiliges ergibt sich entgegen der Ansicht der Beklagten auch nicht aus den Gesetzesmaterialien zu § 551 Abs. 4 BGB (BT-Drucks. 14/4553 S. 49). Dort findet sich allein der Satz: "Absatz 4 regelt die Unabdingbarkeit". Auch die von der Beklagten zitierte Rechtsprechung (BGH NJW 1989, 1853, [BGH 20.04.1989 - IX ZR 212/88] OLG Hamburg NZM 2001, 375 [OLG Hamburg 31.01.2001 - 4 U 197/00]) besagt nichts anderes, da es in diesen Entscheidungen auf die Wirksamkeit des Verfügungsgeschäfts nicht ankam und diese auch nicht geprüft wurde.
Dahinstehen konnte, ob die Abtretung wirksam gewesen wäre, wenn sie nicht lediglich zur Sicherung von Ansprüchen aus dem Mietvertrag dienen sollte, sondern die Parteien sie an Erfüllungs statt oder erfüllungshalber für die laufenden Mietzinsansprüche vereinbart hätten. Dahingehend lässt sich die Vereinbarung nämlich nicht auslegen. Dagegen spricht sowohl der Wortlaut des § 30, nach der die Abtretung "als Sicherheit für sämtliche Verpflichtungen" vereinbart wurde, als auch die Bestimmung in § 11 des Mietvertrages, nach der die Miete trotz der Abtretung von dem Steuerschuldner weiterhin auf ein Konto der Beklagten eingezahlt werden sollte. Auch die tatsächliche Übung war im Übrigen eine andere. Unstreitig hat der Steuerschuldner bis zur Pfändung seiner Mietzinsansprüche die Miete unmittelbar an die Beklagte gezahlt und auch die Mieter des Steuerschuldners haben die von ihnen geschuldeten Mieten ebenfalls unmittelbar an diesen entrichtet. Auch die erstinstanzlich vernommenen Zeugen haben insofern bestätigt, dass die Vereinbarung nur der Absicherung der Mietzinsansprüche dienen sollte. Soweit die Beklagte nunmehr mit der Berufungserwiderung erstmals behauptet, der Steuerschuldner habe die abgetretenen Mieten für sie quasi nur als Zahlstelle in ihrem Auftrag für sie entgegengenommen und weitergereicht, ist dies nicht nur lebensfremd sondern entspricht auch nicht dem Inhalt des § 30 des Mietvertrages.
1.3. Offen bleiben kann danach, ob die Abtretung auch nach § 3 Abs. 2 AnfG wegen vorsätzlicher Gläubigerbenachteiligung anfechtbar ist. Allerdings ist die Abtretung geeignet die weiteren Gläubiger unmittelbar zu benachteiligen, da sie der Beklagten für den Fall der Zahlungsunfähigkeit ihres Mieters eine gegenüber anderen Gläubigern vorrangige Befriedigungsmöglichkeit aus dessen Mietansprüchen eröffnet. Dafür, dass der Steuerschuldner insoweit mit dem Vorsatz, andere Gläubigerer zu benachteiligen, gehandelt hat und der Beklagten dies bewusst war, spricht zumindest, dass sich zum Zeitpunkt der Abtretung bereits beide Wohnungen (die von dem Schuldner selbst bewohnte wie auch die vermietete) bereits in der Zwangsversteigerung befanden und die Beklagte das von dem Steuerschuldners bewohnte Objekt selbst im Wege der Zwangsversteigerung erworben hatte. Im Ergebnis kam es hierauf jedoch nicht an, da die Abtretung - wie unter 1.2ausgeführt - bereits nach § 551 Abs. 1, 4 BGB unwirksam ist.
2. Soweit die Klägerin Anspruch auf Zustimmung zur Freigabe der hinterlegten Mieten hat, erfasst dieser Anspruch auch die nach § 8 HinterlO entstandenen Hinterlegungszinsen. Insoweit war der Anspruch aber nicht - wie von der Klägerin beantragt - jeweils ab Einzahlung der hinterlegten Beträge zuzusprechen, da die Verzinsung jeweils nur für volle Monate erfolgt und erst drei Monate nach Ablauf des Monats beginnt, in dem der Betrag eingezahlt worden ist (§ 8 Nr. 1 HinterlO).
Neben den Hinterlegungszinsen kann die Klägerin nach § 288 Abs. 1 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB auch die Differenz zum gesetzlichen Verzugzinssatz verlangen. Insofern war allerdings zu berücksichtigen, dass der Hinterlegungszinssatz monatlich 0,1 % - jährlich also 1,2 % - beträgt. Verzugszinsen kann die Klägerin daher nicht - wie beantragt - in Höhe von 4,9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz, sondern nur in Höhe von 3,8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz verlangen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.
Die übrigen Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 708 Nr. 10, 713, 543 Abs. 1 ZPO i. V. m. § 26 EGZPO.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO sind nicht gegeben.