Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 29.09.2010, Az.: 14 U 27/10

Blaulicht; Martinshorn; Einsatzfahrt; Sonderrecht

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
29.09.2010
Aktenzeichen
14 U 27/10
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2010, 47944
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG - 10.02.2010 - AZ: 12 O 292/08

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Das Vorliegen einer Einsatzfahrt allein gibt einem Rettungswagen noch kein Vorfahrtsrecht.

2. Allein durch die Betätigung des Blaulichts wird für andere Verkehrsteilnehmer keine Verpflichtung geschaffen, gemäß § 38 Abs. 1 Satz 2 StVO sofort freie Bahn zu schaffen.

3. Ein Rettungswagen darf bei Rotlicht nur in eine Kreuzung einfahren, wenn sein Fahrer sich hinreichend vergewissert hat, dass sämtliche Fahrbahnen des Querverkehrs frei sind oder die darauf befindlichen Fahrzeuge ihm Vorrang einräumen.

4. Auch wenn Verkehrsteilnehmer nicht von vornherein damit rechnen müssen, dass ein Einsatzfahrzeug nur mit blauem Blinklicht und ohne Betätigung des Einsatzhorns bei Rotlicht durchfährt, ist das blaue Blinklicht eines Rettungswagens schon für sich genommen ein Warnsignal, das zu gesteigerter Aufmerksamkeit und Vorsicht mahnt.

Tenor:

1. Auf die Berufung des Beklagten zu 2 wird das am 10. Februar 2010 verkündete Urteil des Einzelrichters der 12. Zivilkammer des Landgerichts Hannover in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses des Senats vom 7. September 2010 teilweise abgeändert.

Auf die Widerklage werden die Klägerin und die Drittwiderbeklagte zu 3 verurteilt, als Gesamtschuldner an den Beklagten zu 2 weitere 2.137,66 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 11. Oktober 2008 sowie vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 402,82 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu zahlen, wobei die Verzinsung für die Klägerin ab 14. Februar 2009 und für die Drittwiderbeklagte zu 3 ab 17. Februar 2009 beginnt.

Die hinsichtlich der Zinsforderung geringfügig weitergehende Berufung des Beklagten zu 2 wird zurückgewiesen.

2. Aufgrund der in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erklärten Rücknahmen der Berufungen der Klägerin gegen die Beklagten zu 1 und 2 (betreffend die Klage) und der Drittwiderbeklagten zu 3 (betreffend die Widerklage) sowie der Beklagten zu 1 und 2 gegen die Drittwiderbeklagte zu 3 (betreffend die Klage) sind die Rechtsmittelführer ihrer jeweiligen Rechtsmittel verlustig gegangen (§ 516 Abs. 3 ZPO); die Anschlussberufung der Beklagten zu 1 und 2 gegen die Klägerin (betreffend die Klage) hat ihre Wirkung verloren (§ 524 Abs. 4 ZPO).

3. Die Kosten des Rechtsstreits werden wie folgt verteilt:

a) Kosten des ersten Rechtszugs:

Von den Gerichtskosten tragen die Klägerin 32 %, die Klägerin und die Drittwiderbeklagte zu 3 als Gesamtschuldner weitere 10 %, der Beklagte zu 2 10 % und die Beklagten zu 1 und 2 als Gesamtschuldner weitere 48 %.

Von den außergerichtlichen Kosten der Klägerin tragen die Beklagten zu 1 und 2 als Gesamtschuldner 53 %; 47 % trägt die Klägerin selbst.

Die außergerichtlichen Kosten des Drittwiderbeklagten zu 2 trägt der Beklagte zu 2 zu 100 %.

Die Drittwiderbeklagte zu 3 trägt ihre außergerichtlichen Kosten in voller Höhe selbst.

Von den außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1 trägt die Klägerin 40 %; 60 % trägt die Beklagte zu 1 selbst.

Von den außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 2 tragen 32 % die Klägerin, weitere 10 % die Klägerin und die Drittwiderbeklagte zu 3 als Gesamtschuldner sowie 58 % der Beklagte zu 2 selbst.

b) Kosten des Berufungsverfahrens:

Von den Gerichtskosten und den außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 2 tragen 88 % die Klägerin, weitere 5 % die Drittwiderbeklagte zu 3 und weitere 7 % die Klägerin und die Drittwiderbeklagte zu 3 als Gesamtschuldner.

Die Klägerin trägt ferner 100 % der außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1.

Ihre eigenen außergerichtlichen Kosten tragen die Klägerin und die Drittwiderbeklagte zu 3 jeweils selbst.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

5. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Aufgrund der Rücknahmen der Berufungen der Klägerin und der Drittwiderbeklagten zu 3 sowie der Anschlussberufung der Beklagten zu 1 und 2 gegen die Drittwiderbeklagte zu 3 war vom Senat nur noch über die Berufung des Beklagten zu 2 gegen die Klägerin und die Drittwiderbeklagte zu 3 hinsichtlich der Widerklage zu entscheiden. Dieses Rechtsmittel hat mit Ausnahme eines Teils der Zinsen auf die zuerkannten außergerichtlichen Anwaltskosten Erfolg und führt zur Abänderung der angefochtenen landgerichtlichen Entscheidung in dem aus dem Tenor dieses Urteils ersichtlichen Umfang.

1. Fahrzeugschäden des Beklagten zu 2:

Der Beklagte zu 2 kann von der Klägerin und der Drittwiderbeklagten zu 3 gemäß § 7 Abs. 1, § 17 Abs. 2, Abs. 1 StVG i. V. m. § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VVG Ersatz seines vollen, der Höhe nach zwischen den Parteien unstreitigen Sachschadens von 3.562,76 € wegen der Beschädigung seines Pkw Fiat durch den Rettungswagen (RTW) der Klägerin bei der Kollision am 3. Mai 2008 in Hannover verlangen. Denn nach dem Ergebnis der vom Senat durchgeführten ergänzenden Beweisaufnahme hat die Klägerin für die Unfallfolgen zu 100 % allein einzustehen. Deshalb waren dem Beklagten zu 2 über die vom Landgericht bereits ausgeurteilten 1.425,10 € weitere 2.137,66 € nebst anteiliger Verzugszinsen zuzusprechen.

Die Alleinhaftung der Klägerin ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

a) Im ersten Rechtszug war zwischen den Parteien unstreitig, dass der Rettungswagen der Klägerin bei Rotlicht in den Kreuzungsbereich eingefahren war, während die für den Beklagten zu 2 geltende Ampelanlage Grünlicht zeigte. Dies ist auch vom Landgericht im angefochtenen Urteil (Seite 8 oben LGU) entsprechend festgestellt worden. Soweit die Klägerin nunmehr im Schriftsatz vom 24. August 2010 geltend macht, es spreche alles dafür, die Grünphase für den Beklagten zu 2 sei bereits beendet gewesen, bevor dieser die Ampelanlage überfahren habe, widerspricht dies dem eigenen Klägervorbringen in der Klagschrift (dort Seite 6) und ist im Übrigen gemäß § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO unbeachtlich.

Nach den im Berufungsverfahren nicht angegriffenen Feststellungen des Sachverständigen M. aus dessen Gutachten vom 21. September 2009 ist im Übrigen davon auszugehen, dass es zu der Kollision mit einer Kollisionsgeschwindigkeit des Pkw Fiat von ca. 40 bis maximal 45 km/h und des Rettungswagens der Klägerin von ca. 20 bis maximal 25 km/h gekommen ist.

Der Sachverständige hat in seinem Gutachten ferner ausgeführt, aufgrund der Auslaufwege der beiden Fahrzeuge nach der Kollision könne nicht von einer gebremsten Annäherung eines oder beider Fahrzeuge an die Kollision ausgegangen werden. Er hat ferner bei seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erläutert, dass der RTW nur vor dem Einfahren in den Kreuzungsbereich, nicht aber ein zweites Mal in der Kreuzungsmitte angehalten hat.

b) Auch die Würdigung des Landgerichts, die Klägerin habe ein Einschalten des Martinshorns des Rettungswagens beim Befahren der Kreuzung nicht bewiesen, ist nicht zu beanstanden. Der Senat ist aufgrund der Aussagen der vom Landgericht vernommenen Zeugen darüber hinausgehend zu der Überzeugung gelangt, dass das Martinshorn im Kreuzungsbereich abgeschaltet war.

aa) Die Aussage der Zeugin Z. (Beifahrerin des Rettungswagens) ist insoweit unergiebig. Denn die Zeugin hat ausdrücklich erklärt, sie sei sich nicht sicher, ob der Rettungswagen mit Martinshorn und Blaulicht gefahren sei.

bb) Auch der Zeuge H. (Fahrer des Rettungswagens) war sich hinsichtlich des Zuschaltens des Martinshorns im unmittelbaren Kreuzungsbereich nur „ziemlich sicher“. Insbesondere wusste er nicht mehr, wann er das Martinshorn, das nach dem eigenen Klägervortrag zunächst nach Querung der P.-Straße ausgeschaltet worden war, wieder angeschaltet habe. Der von ihm erinnerte Griff nach oben zum Ausschalten nach der Kollision kann durchaus auch reflexhaft erfolgt sein und belegt nicht zwingend, dass dem „Ausschalten“ überhaupt ein aktives Einsatzhorn zugrunde lag.

Im Übrigen bestehen hinsichtlich der Glaubhaftigkeit der Aussage des Zeugen H. insgesamt Zweifel. Denn dieser Zeuge bekundet als einziger ein zweites Anhalten in der Kreuzungsmitte an der Verkehrsinsel, wogegen der Sachverständige dies aus technischer Sicht ausgeschlossen hat und die Zeugen Z. und Hen. übereinstimmend lediglich ein einmaliges Anhalten des Rettungswagens vor der ersten Einfahrt in den Kreuzungsbereich bekundet haben. Hinzu kommt, dass der Zeuge H. bei seiner Vernehmung durch die Polizeistation Altwarmbüchen am 30. Mai 2008 (Bl. 56 der Ermittlungsakte) erklärt hat, er habe „durch den Unfall einen regelrechten Blackout“ gehabt und habe „auch kein Erinnerungsvermögen mehr, was nach dem Unfall geschehen“ sei. Vor diesem Hintergrund ist die Angabe des Zeugen vor dem Landgericht, er sei sich sicher, nach der Kollision nach oben zwecks Ausschaltens des Martinshorns gegriffen zu haben, nicht überzeugend.

cc) Demgegenüber spricht die Aussage des Zeugen Hen. (Fahrer eines auf der Linksabbiegespur der Marktstraße anhaltenden Mercedes) dafür, dass das Martinshorn am Rettungswagen beim Einfahren in den Kreuzungsbereich nicht eingeschaltet war. Der Zeuge hat trotz Grünlichts an der Linksabbiegerampel angehalten, weil er das Blaulicht des von links heranfahrenden Rettungswagens gesehen hatte. Er hat hingegen nach seiner Bekundung nicht auf das Martinshorn reagiert. Dieses sei ihm gar nicht ins Bewusstsein getreten, wie sich seiner Bekundung entnehmen lässt, ein Martinshorn habe er „nicht bewusst gehört“. Das ist jedoch nur verständlich, wenn das Einsatzhorn nicht angeschaltet war, weil es anderenfalls wegen des engen Abstandes beider Fahrzeuge für den Zeugen hätte vernehmbar sein müssen. Bei seiner Befragung durch die Polizei am Unfallort hatte der Zeuge dementsprechend auch noch ausdrücklich angegeben, dass er kein Martinshorn gehört habe (vgl. den Unfallbericht vom 4. Mai 2008, Seite 2 unten, Bl. 8 der Ermittlungsakte).

dd) Auch die Aussage des Zeugen R. (Ohrenzeuge auf dem Balkon eines direkt an der Kreuzung belegenen Wohnhauses) stützt die Feststellung, dass das Martinshorn des Rettungswagens vor dem Einfahren in die Kreuzung nicht eingeschaltet war. Denn dieser Zeuge war gerade durch das - zu einem früheren Zeitpunkt noch eingeschaltete - Signalhorn auf den Rettungswagen aufmerksam geworden. Das vernommene Geräusch hat er dem Bereich „P.-Straße“ zugeordnet, was mit dem eigenen Vortrag der Klägerin (siehe oben) korrespondiert. Dies konnte der Zeuge als gänzlich Unbeteiligter ohne Akteneinsicht indessen nicht wissen. Schon das spricht für ein zutreffendes Erinnerungsvermögen des Zeugen und die Glaubhaftigkeit seiner Aussage. Die Klägerin hat zudem ebenfalls selbst vorgetragen, nach Querung der P.-Straße sei das Martinshorn am Rettungswagen zunächst wieder ausgestellt worden. Auch das deckt sich mit der Aussage des Zeugen R., der bekundet hat, nichts mehr gehört zu haben, obwohl bei einer Fortdauer des Signals das Geräusch sonst noch weiter vernehmbar gewesen wäre (nämlich „bis zur LVA“). Der Zeuge hörte dann anschließend nach seiner Bekundung erst wieder das Knallgeräusch des Unfalls. Wenn er dieses vernahm, hätte er aber auch ein fortlaufend weiter eingeschaltetes Martinshorn des Rettungswagens akustisch wahrnehmen müssen, da es ebenfalls sehr laut ist. Dafür spricht zudem der lediglich geringe Abstand des Aufenthaltsorts des Zeugen (auf dem Balkon seiner Wohnung) zum Unfallort, den er in seinem Zeugenfragebogen vom 20. Mai 2008 im Ermittlungsverfahren (Bl. 46 der Ermittlungsakte) mit etwa 30 m Luftlinie angegeben hat. Der Zeuge war sich außerdem bei seiner Vernehmung vor dem Landgericht sicher, dass es vor dem Knallgeräusch durch den Unfall kein Signal des Martinshorns gegeben hatte. Eine gleichlautende Aussage hatte er auch schon vor der Polizei gemacht (vgl. Seite 2 unten des Unfallberichts vom 4. Mai 2008 - Bl. 8 der Ermittlungsakte - und die bereits zitierte schriftliche Zeugenaussage - Bl. 46 der Ermittlungsakte -).

ee) Deshalb ist es ohne weiteres vertretbar, dass sich das Landgericht die Überzeugung gebildet hat, die Klägerin habe ein Einfahren des Rettungswagens in die Kreuzung mit eingeschaltetem Martinshorn nicht bewiesen. Vielmehr ist der Senat vom Gegenteil überzeugt.

c) Daraus folgt, dass die insoweit beweispflichtige Klägerin einen Verstoß des Beklagten zu 2 gegen die Vorschrift des § 38 Abs. 1 Satz 2 StVO (Verkehrsteilnehmer haben Einsatzfahrzeugen sofort freie Bahn zu schaffen), nicht bewiesen hat.

d) Auch der Beweis eines Verstoßes des Beklagten zu 2 gegen § 1 Abs. 2 StVO ist der Klägerin nicht gelungen.

aa) Ein entsprechendes verkehrswidriges Verhalten des Beklagten zu 2 war hier zwar grundsätzlich in Betracht zu ziehen. Auch wenn Verkehrsteilnehmer nicht von vornherein damit rechnen müssen, dass ein Einsatzfahrzeug nur mit blauem Blinklicht und ohne Betätigung des Einsatzhorns bei Rotlicht durchfährt (vgl. Burmann/Heß/Jahnke/Janker, a. a. O., § 38 StVO, Rdnr. 6 a. E.; KG, VM 79, 26), ist jedoch ein blaues Blinklicht eines Rettungswagens schon für sich genommen ein Warnsignal, welches zu gesteigerter Aufmerksamkeit und zur Vorsicht mahnt (Burmann/Heß/Jahnke/Janker, a. a. O., § 38 StVO, Rdnr. 6; KG, VersR 2007, 413). Demnach hätte der Beklagte zu 2 abbremsen müssen, wenn er den mit Blaulicht fahrenden Rettungswagen der Klägerin so rechtzeitig hätte erkennen können, dass ihm noch eine Reaktion möglich gewesen wäre. Ein Nüchterner hätte dann auch in dieser Weise reagiert, wie schon das tatsächliche Verhalten des Zeugen Hennig zeigt.

Bei einer nach den räumlichen und zeitlichen Verhältnissen noch möglichen rechtzeitigen Bremsreaktion lägen dann auch die Voraussetzungen eines Anscheinsbeweises für die Unfallursächlichkeit der Alkoholisierung des Beklagten zu 2 vor (vgl. dazu Burmann/Heß/Jahnke/Janker, a. a. O., Einf. Rdnr. 154 m. w. N.). Denn das Fehlen von Ausfallerscheinungen (die beim Beklagten zu 2 nicht feststellbar waren) spricht nicht gegen eine Leistungsbeeinträchtigung durch Alkohol, sofern - wie hier - die Grenze der absoluten Fahruntüchtigkeit überschritten ist (Burmann/Heß/Jahnke/Janker, a. a. O., § 316 StGB, Rdnr. 21).

bb) Die vom Senat veranlasste ergänzende Beweisaufnahme zur Frage der Vermeidbarkeit der Kollision für den Pkw Fiat hat indessen ergeben, dass nicht auszuschließen ist, dass selbst ein nüchterner Fahrzeugführer bei sofortiger Reaktion nach erstmaliger sicherer Erkennbarkeit der Gefahrenlage den Pkw nicht mehr vor dem Rettungswagen hätte zum Stillstand bringen können. Denn der Sachverständige M. hat bei seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nachvollziehbar und schlüssig dargelegt, dass bei einer (mit den Schadensbildern an den Fahrzeugen und ihren Endstellungen nach der Kollision vereinbaren) Annäherungsgeschwindigkeit des Pkw Fiat von 45 km/h und des RTW von 20 km/h der dann nur noch zur Verfügung stehende Zeitraum von 1,7 Sekunden für ein Abbremsen in den Stillstand nicht ausgereicht hätte; gleiches gelte erst recht bei einer (auch möglichen) Annäherungsgeschwindigkeit des RTW von 25 km/h. Dass eine Vermeidbarkeit für den Fahrer des Pkw Fiat bei Annäherungsgeschwindigkeiten von 40 km/h für den Pkw und 20 km/h für den RTW nach den im schriftlichen Gutachten des Sachverständigen M. dargelegten Berechnungen zu bejahen gewesen wäre, reicht für die Annahme eines Verschuldens des Beklagten zu 2 nicht aus. Denn wegen der Darlegungs- und Beweislast der Klägerin ist im Rahmen der Verschuldensprüfung zu seinen Gunsten die eine Vermeidbarkeit ausschließende höhere Annäherungsgeschwindigkeit zugrunde zu legen.

Zu Lasten des Beklagten zu 2 kann damit - weil ihm wegen der verbleibenden Unsicherheiten zur Annäherungsgeschwindigkeit seinerseits der Unabwendbarkeitsbeweis nicht gelungen ist - nur die Betriebsgefahr des Pkw Fiat in die Haftungsabwägung eingestellt werden.

e) Dem steht auf Seiten der Klägerin die Betriebsgefahr ihres RTW entgegen, die ohnehin wegen des Befahrens einer eigentlich durch Rotlicht abgeschirmten Fahrspur erhöht ist. Hinzu tritt außerdem ein Verstoß des Fahrers ihres Rettungswagens gegen § 35 Abs. 5 a i. V. m. Abs. 8 StVO. Danach dürfen Sonderrechte nur unter gebührender Berücksichtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgeübt werden. Zwar wird das Vorliegen einer Einsatzfahrt seitens der Beklagten im zweiten Rechtszug nicht mehr bestritten. Dies allein gibt einem Rettungswagen aber noch kein Vorfahrtsrecht. Selbst wenn neben dem Blaulicht auch das Martinshorn eingeschaltet gewesen wäre (was allerdings hier nicht angenommen werden kann, s. o.), hätte der Rettungswagen nur dann trotz Rotlichts weiter in die Kreuzung einfahren dürfen, wenn er sich hinreichend vergewissert hätte, dass sämtliche Fahrbahnen des Querverkehrs frei sind oder die darauf befindlichen Fahrzeuge ihm Vorrang einräumen. Der Fahrer des Rettungswagens hat indessen nach seiner eigenen Aussage nur die Verständigung mit dem Linksabbieger Hen. gesucht. Nach den - zusätzlich von den Feststellungen des Sachverständigen M. gestützten - Aussagen der Zeugen Z. und Hen. hat er vor Erreichen der Geradeausspur der Marktstraße (die der Beklagte zu 2 befuhr) nicht mehr erneut angehalten oder auch nur verlangsamt, sondern hat vom erstmaligen Einfahren in den Kreuzungsbereich an kontinuierlich beschleunigt (bis auf die vom Sachverständigen ermittelten etwa 20 - 25 km/h). Das entspricht im Übrigen auch der eigenen Darstellung des Fahrers des Rettungswagens bei seiner polizeilichen Vernehmung am Unfallort (vgl. Bl. 7 der Ermittlungsakte). Dort hat er noch von einem Anhalten lediglich an der Haltelinie am Kreuzungsbeginn berichtet, von wo ab er sich anschließend vorsichtig in die Kreuzung hineingetastet und nach dem Anhalten des Zeugen Hen. langsam weiter in die Kreuzung hineinbewegt haben will. Von einem zweiten Anhalten an der Mittellinie nach dem Blickkontakt mit dem Zeugen Hen. hat der Fahrer des Rettungswagens seinerzeit noch nichts berichtet. Seine dahingehende Aussage vor dem Landgericht kann deshalb auch in dieser Hinsicht nicht als glaubhaft erachtet werden.

Damit liegt ein gravierender Verstoß gegen § 35 Abs. 8 StVO vor. Dieser wiegt noch schwerer dadurch, dass nach der vorstehenden Beweiswürdigung bei dem Befahren der Kreuzung das Martinshorn des Rettungswagens nicht zugeschaltet war. Denn allein durch die Betätigung des Blaulichts wird für andere Verkehrsteilnehmer keine Verpflichtung geschaffen, gemäß § 38 Abs. 1 Satz 2 StVO sofort freie Bahn zu schaffen (vgl. Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 21. Aufl., § 35 StVO, Rdnr. 21; OLG Köln, NJW 1996, 1972; KG, KGR 2000, 297; KG, NZV 2008, 149 [KG Berlin 07.05.2007 - 12 U 129/06]).

f) Bei dieser Sachlage tritt indessen die Betriebsgefahr des Pkw Fiat hinter den Verursachungsbeitrag auf Klägerseite vollständig zurück (vgl. dazu Grüneberg, Haftungsquoten bei Verkehrsunfällen, 10. Aufl., Rdnr. 79 m. w. N.).

2. Vorgerichtliche Anwaltskosten:

Entgegen der Auffassung des Landgerichts kann der Beklagte zu 2 gemäß § 249 BGB auch Erstattung seiner vorgerichtlichen, zur Durchsetzung seiner berechtigten Widerklageforderung angefallenen Anwaltskosten verlangen. Die zur Abweisung dieses Anspruchs vom Landgericht angeführte Begründung überzeugt nicht. Denn zu dem Zeitpunkt, als die Klägerin ihre auf einer ihrerseits angenommenen 100 %-igen Haftung der Gegenseite beruhenden Ansprüche gegen die Beklagte zu 1 geltend machte, waren die Beklagten noch nicht anwaltlich vertreten. Es erschien deshalb aus Sicht des Beklagten zu 2 (an den die Klägerin zudem noch gar nicht herangetreten war) nicht von vornherein ausgeschlossen, dass die Klägerin auf eine mit anwaltlicher Unterstützung erhobene Gegenforderung des Beklagten zu 2 unter gleichzeitiger Klagandrohung doch noch zu einer vorgerichtlichen Einigung bereit gewesen wäre. Das gilt umso mehr, als das vom Landgericht zitierte Schreiben der Klägerin an die Beklagte zu 1 vom 4. Juni 2008 ohne Kenntnis der polizeilichen Ermittlungsakte - und damit der Zeugenaussagen vom nicht zugeschalteten Martinshorn - gefertigt worden ist, und der klägerische Anwalt damals nur die Klägerin, nicht aber auch die letztlich für diese einstandspflichtige Drittwiderbeklagte zu 3 vertrat.

Der Beklagte zu 2 kann wegen der Rückabtretung seines Rechtsschutzversicherers (vgl. Schreiben vom 19. Februar 2009, Anlagenband) im Übrigen auch Zahlung an sich verlangen.

Der Höhe nach berechnet sich der Anspruch auf 402,82 € (1,3-Gebühr aus 3.562,76 € zzgl. Auslagenpauschale und Umsatzsteuer). Dieser Anspruch ist von beiden Schuldnern antragsgemäß jeweils seit Rechtshängigkeit zu verzinsen (§ 291 BGB), wobei zu berücksichtigen war, dass die Zustellung der Widerklage an die Drittwiderbeklagte zu 3 erst drei Tage später erfolgt ist.

II.

1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1, § 100 Abs. 2, Abs. 3, Abs. 4, § 269 Abs. 3 Satz 2, § 516 Abs. 3 Satz 1 ZPO. Dabei führt der Erfolg der Berufung des Beklagten zu 2 zur Widerklage auch zu einer entsprechenden Abänderung der landgerichtlichen Kostenentscheidung für den ersten Rechtszug.

2. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10, § 713 ZPO.

3. Die Revision war nicht zuzulassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen dafür (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO) nicht vorliegen.