Verwaltungsgericht Lüneburg
Beschl. v. 03.11.2006, Az.: 9 B 1/06

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
03.11.2006
Aktenzeichen
9 B 1/06
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2006, 44571
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGLUENE:2006:1103.9B1.06.0A

Tatbestand:

1

Der Antragsteller begehrt im Wege der einstweiligen Verfügung die Beteiligte zu verpflichten, bei der Anordnung von Bereitschaftsdienst im Rahmen des sog. Castor-Transports im November 2006 das Mitbestimmungsverfahren durchzuführen.

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Die Beteiligte ordnete zur Sicherung des sogenannten Castortransports für die ihr unterstellten Polizeikräfte im Jahre 2005 in ihrem Einsatzbefehl einerseits die erforderliche Mehrarbeit bzw. die erforderlichen Überstunden an. Andererseits führte sie unter Nr. 6.39 unter Hinweis auf den Runderlass des Ministers des Innern zur Arbeitszeitregelung für den Polizeivollzugsdienst u.a. an: "Der bevorstehende Einsatz ist als mehrtägiger Dauereinsatz angelegt. Der gewählte Kräfteeinsatz bedingt während des gesamten Einsatzes eine permanente Einsatzbereitschaft. Von daher wird für Zeiten, die nicht Einsatzzeit sind, Bereitschaftsdienst angeordnet. Bei der Arbeitszeitberechnung ist zwischen Einsatzzeiten und Bereitschaftsdienst zu unterscheiden. Die Einsatzzeit umfasst die Dauer des jeweiligen Einsatzes im Einsatzrahmen und beinhaltet darüber hinaus Zeiten für An- und Abreise oder Einsatzbesprechungen. Die Einsatzzeit wird als Vollzeit, der angeordnete Bereitschaftsdienst zu 25 % angerechnet. Beginn und Ende der Einsatzzeiten sowie des Bereitschaftsdienstes sind von den .... zu dokumentieren und der .... täglich bis 8.00 Uhr für den Zeitraum der zurückliegenden 24 Stunden zu übersenden."

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Während die Beteiligte die Anordnung der Mehrarbeit bzw. der Überstunden für mitbestimmungspflichtig hielt und hierfür die Zustimmung des Bezirkspersonalrats bei der Polizeidirektion Lüneburg erbat, hielt sie die Anordnung und Regelung hinsichtlich des Bereitschaftsdienstes für nicht mitbestimmungspflichtig.

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An dieser Auffassung hielt die Beteiligte, die wiederum mit der Gesamteinsatzleitung für den Castor-Einsatz 2006 beauftragt wurde, trotz Einwendungen des Antragstellers mit Schreiben vom 4. Mai und 6. Juli 2006 fest und hat inzwischen einen entsprechenden Einsatzbefehl für den bevorstehenden Castortransport im November 2006 erlassen. Der angeordnete Bereitschaftsdienst wird nunmehr zu 33 % angerechnet.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beteiligten Bezug genommen

Gründe

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II.

Der Antrag ist zulässig und begründet.

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Nach § 83 Abs. 2 NPersVG i.V.m. § 85 Abs. 2 Arbeitsgerichtsgesetz sowie den §§ 935 ff. ZPO kann zur Sicherung von Rechten des Personalrats im Mitbestimmungsverfahren (vgl. § 83 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 NPersVG) im personalvertretungsrechtlichen Beschlussverfahren eine Regelung in Gestalt einer einstweiligen Verfügung nach § 940 ZPO ergehen, wobei in dringenden Fällen der Vorsitzende der Fachkammer entscheidet (§ 944 ZPO). Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Verfügung ist nach § 936 i.V.m. mit den §§ 916 ff. und 920 Abs. 2 ZPO, dass die den vorläufigen Rechtsschutz beanspruchende Personalvertretung einen aus ihrer rechtlichen Stellung abgeleiteten Anspruch auf die begehrte Regelung (sogenannter Verfügungsanspruch) sowie einen durch die Dringlichkeit der Sicherung des gefährdeten rechtsgekennzeichneten Anlass für den vorläufigen Rechtsschutz (sogenannter Verfügungsgrund) glaubhaft macht.

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Der Antrag ist zulässig. Der Antragsteller durfte, nachdem die Beteiligte durch Schreiben vom 4. Mai und 6. Juli 2006 deutlich gemacht hat, dass sie an ihrer Auffassung, die Anordnung vom Bereitschaftsdienst im Rahmen des Castortransports sei nicht mitbestimmungspflichtig, festhalte, unmittelbar gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch nehmen, ohne verpflichtet zu sein, vorher ihrerseits nochmals an die Beteiligte heranzutreten. Es liegt auch ein Verfügungsgrund vor, da der Castortransport Anfang November 2006 stattfinden soll und der in diesem Rahmen erforderliche Einsatzbefehl für die Polizeikräfte dementsprechend inzwischen bereits ergangen ist und in ihm der erforderliche Bereitschaftsdienst angeordnet wurde, ohne das von dem Antragsteller begehrte Mitbestimmungsverfahren durchzuführen.

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Die begehrte einstweilige Verfügung ist auch begründet. Der Antragsteller hat einen Verfahrensanspruch auf die begehrte Verpflichtung. Denn die ergangene Anordnung von Bereitschaftsdienst für die Zeit des Castortransportes unterliegt der Mitbestimmung nach § 66 Abs. 1 Nr. 1 a NPersVG.

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Nach § 66 Abs. 1 Nr. 1 a NPersVG bestimmt der Personalrat mit bei der Festlegung von Dauer, Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit einschließlich der Pausen; ausgenommen bleibt die für die Dienststelle nicht vorhersehbare, aufgrund besonderer Erfordernisse kurzfristig und unregelmäßig festzusetzende tägliche Arbeitszeit für bestimmte Gruppen von Beschäftigten. Dieser Mitbestimmungstatbestand liegt hier bei der Anordnung von Bereitschaftsdienst im Zusammenhang mit dem Castortransport im November 2006 vor.

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Bei dem Bereitschaftsdienst handelt es sich um Arbeitszeit im Sinne der Vorschrift. Die bisher herrschende Meinung nahm zwar an, Bereitschaftsdienst sei keine Arbeitszeit, sondern Ruhezeit, so dass seine Anordnung schon nicht den Tatbestand des Absatzes 1 Nr. 1 a erfülle. Diese Rechtslage hat sich jedoch aufgrund EG-Rechts geändert. Denn nach der Richtlinie 93/104/EG bzw. jetzt 2003/88/EG ist in vollem Umfang Arbeitszeit - als Gegensatz zur Ruhezeit - (auch) jeder Bereitschaftsdienst, während der ein Arbeitnehmer dem Arbeitgeber in Form persönlicher Anwesenheit an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort zur Verfügung steht (vgl. EUGH, Urt. v. 9.9.2003 - C-151/02 -, PersV 2003,453 und Beschl. v. 14.7.2005 - C-52/04 -, NVwZ 2005, 1049; OVG Münster, Urt. v. 18.8.2005 - 1 A 2722/04; VG Göttingen, Urt. v. 1.2.2006 - 3 A 172/04; LAG Niedersachsen, Beschl. v. 17.5.2002 - 10 TaBV 22/02 - ). Der Gesetzgeber hat auf die entsprechenden Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs inzwischen reagiert und das Arbeitszeitgesetz richtlinienkonform dahingehend geändert, dass auch Bereitschaftsdienste künftig Arbeitszeit sind.

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Danach unterliegt jetzt auch die Festlegung von Bereitschaftsdiensten der Mitbestimmung nach § 66 Abs. 1 Nr. 1 a NPersVG, soweit dadurch die zeitliche Lage und die Dauer der Arbeitszeit geregelt wird (ebenso Dembowski/Ladwig/Sellmann, Das Personalvertretungsrecht in Niedersachsen, Loseblatt-Kommentar, Stand: Mai 2006, § 66 Rn 16 a und § 67 Rn 74). Mit der im Einsatzbefehl vorgesehenen bzw. inzwischen getroffenen Regelung, für Zeiten, die nicht Einsatzzeiten sind, wird Bereitschaftsdienst angeordnet, wird die zeitliche Lage und Dauer der täglichen Arbeitszeit geregelt. Unschädlich ist, dass die Lage der verschiedenen Arbeitszeiten nicht nach Uhrzeit bestimmt wird sondern von tatsächlichen Umständen abhängig gemacht wird, wenn diese tatsächlichen Umstände - wie hier - eine hinreichend klare Abgrenzung ermöglichen. Entgegen der Auffassung der Beteiligten handelt es sich bei dieser Anordnung ersichtlich nicht nur um eine Regelung, die die arbeitszeitlichen Vorschriften auf besondere betriebliche Verhältnisse anwendet, ohne selbst Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit und der Pausen festzulegen. Dies ist bei der hier getroffenen Anordnung vom Bereitschaftsdienst im Verhältnis zu Abschnitt 5 des Runderlasses des Ministers des Inneren betreffend die Arbeitszeitregelung für den Polizeivollzugsdienst vom 25. Mai 1992 (Nds.MBl. S. 857) in der Fassung des Runderlasses vom 1. Dezember 1997 (Nds.MBl. 1998 S. 120) nicht der Fall. Soweit in dem Einsatzbefehl weiter geregelt werden soll und ist, wie der Bereitschaftsdienst arbeitszeitmäßig zu erfassen und "abzurechnen ist" handelt es sich dann allerdings um eine Umsetzung der Arbeitszeitregelung für den Polizeivollzugsdienst. Insoweit liegt in der Tat dann eine Mitbestimmungspflicht nicht mehr vor (ebenso Dembowski/Ladwig/Sellmann, a.a.O., § 66 Rn. 16 a).

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Die Mitbestimmungspflicht entfällt hier auch nicht im Hinblick auf § 66 Abs. 1 Nr. 1 a 2. Halbsatz NPersVG, wonach die für die Dienststelle nicht vorhersehbare, aufgrund besonderer Erfordernisse kurzfristig und unregelmäßig festzusetzende tägliche Arbeitszeit für bestimmte Gruppen und Beschäftigten von der Mitbestimmungspflicht ausgenommen ist. Diese Ausnahme greift nur, wenn die Dienststelle durch objektiv unvorhersehbare Umstände gezwungen ist, für eine Mehrheit von Beschäftigten kurzfristig Arbeitszeitregelung zu treffen, die von den regelmäßigen Festsetzungen abweichen. Die Kurzfristigkeit meint dabei sowohl die nur vorübergehende Geltungsdauer der Maßnahme als auch ihre Eilbedürftigkeit, die in einem solchen Fall eine wirksame Ausübung des Mitbestimmungsrecht praktisch nicht zulassen; Unregelmäßigkeit und Kurzfristigkeit der Festsetzung müssen gerade auf der mangelnden Voraussehbarkeit der dienstlichen Erfordernissen beruhen (vgl. Dembowski/Ladwig/Sellmann aaO., § 66 Rn 28 m.w.N.). Bei dem Castortransport 2006 handelt es sich nicht um ein Ereignis, das nicht vorhersehbar war und deshalb kurzfristig eine Abweichung von bestehenden Arbeitszeitregelungen erforderte und die Ausübung des Mitbestimmungsrechts praktisch nicht zuließ. Im Grunde ist für jeden Castortransport von vornherein klar, dass für die Zeit des konkreten Transportes für jeden Tag Bereitschaftsdienst für 24 Stunden angeordnet werden muss und dieser Bereitschaftsdienst quasi nur durch den konkreten Einsatz vor Ort unterbrochen wird. Der Umstand, dass nicht von vornherein feststeht, wie lang der konkrete Einsatz dauert und wie lang der "bloße" Bereitschaftsdienst, ändert an der grundsätzlichen Vorhersehbarkeit des Bereitschaftsdienstes nichts. Die Dokumentation die durchzuführen ist und worauf die Beteiligte hinweist, hat nur Auswirkungen für die "Abrechnung" der geleisteten Dienstzeiten.

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Handelt es sich mithin bei dem für den Castortransport 2006 durch den Einsatzbefehl der Beteiligten angeordneten Bereitschaftsdienst um die Festlegung von Dauer, Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit, ist hierfür auch das Mitbestimmungsverfahren durchzuführen und die Beteiligte dazu zu verpflichten.

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Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht, weil im personalvertretungsrechtlichen Beschlussverfahren nach dem Niedersächsischen Personalvertretungsgesetz Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) nicht erhoben werden (§ 83 Abs. 2 NPersVG i.V.m. §§ 12 Abs. 5, 2 a Abs. 1 ArbGG) und eine Erstattung der Beteiligtenaufwendungen nicht vorgesehen (BVerwG, Beschluss vom 2.5.1957 - II C 2.56 - BVerwGE 4, 357/359) sowie im Hinblick auf die in § 37 Abs. 1 NPersVG vorgesehene allgemeine Kostenerstattungspflicht auch nicht erforderlich ist.

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Die Festsetzung des Gegenstandswertes beruht auf § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG.