Verwaltungsgericht Lüneburg
Beschl. v. 10.11.2006, Az.: 3 B 44/06
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 10.11.2006
- Aktenzeichen
- 3 B 44/06
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2006, 44581
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGLUENE:2006:1110.3B44.06.0A
In der Verwaltungsrechtssache
der Bürgerinitiative Umweltschutz ... e.V.,
vertr. d. d. Vors. ...
gegen
Polizeidirektion Lüneburg
Streitgegenstand: Versammlungsrecht,
hat das Verwaltungsgericht Lüneburg - 3. Kammer - am 10. November 2006 beschlossen:
Tenor:
- 1.
Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen das Verbot der Versammlung "Stuhlprobe" auf der Ortsverbindungsstraße Breese i.d.M. - Dannenberg am Verladekran am Sonntag, den 12. November 2006, wird wiederhergestellt.
Im Übrigen wird der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abgelehnt.
Von den Kosten des Verfahrens haben die Beteiligten je die Hälfte zu tragen.
- 2.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 10.000,- EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen Versammlungsverbote der Antragsgegnerin.
Sie hat am 17. Oktober 2006 eine Kundgebung bei Nebenstedt am Friedhofsweg hinter der B 191 "eine Stunde nach Eintreffen des Zuges in Dannenberg" und am 6. November 2006 eine "Stuhlprobe" gegen den Castor-Transport in Breese/Marsch am Verladekran für Sonntag den 12. November 2006, 11:00 Uhr-13:00 Uhr angemeldet. Die Antragsgegnerin hat mit Bescheid vom 5. November 2006 die Kundgebung bei Nebenstedt und mit Bescheid vom 7. November 2006 die "Stuhlprobe" unter Anordnung der sofortigen Vollziehung verboten.
Die Antragstellerin hat gegen die Verbote Klage erhoben und vorläufigen Rechtsschutz beantragt.
II.
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
1. Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist nach § 80 VwGO zulässig.
Nach § 80 Abs. 1 VwGO hat eine Klage gegen einen Verwaltungsakt aufschiebende Wirkung, so dass er in seiner Vollziehbarkeit gehemmt ist. Die Vollzugshemmung bedeutet, dass aus den Regelungen des Verwaltungsaktes während dieser Zeit keine rechtlichen und tatsächlichen Folgerungen gezogen werden dürfen, dass der Bescheid vorläufig also nicht zwangsweise durchgesetzt werden darf. Ein Verwaltungsakt darf jedoch trotz einer eingelegten Klage etwa dann sofort vollzogen werden, wenn die Behörde die sofortige Vollziehung des Verwaltungsaktes im öffentlichen Interesse besonders anordnet (§ 80 Abs. 2 Nr. 4 und Abs. 3 Satz 1 VwGO). Die Antragsgegnerin hat die sofortige Vollziehung der hier streitigen Versammlungsverbote angeordnet und dies schriftlich begründet (§ 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO).
2. Der Antrag ist nur teilweise begründet.
Das Gericht kann gem. § 80 Abs. 5 VwGO die aufschiebende Wirkung in den Fällen des § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO ganz oder teilweise wiederherstellen.
Bei dieser vom Gericht zu treffenden Entscheidung sind die einander widerstreitenden beiderseitigen Interessen gegeneinander abzuwägen. Dabei sind der Zweck des Gesetzes und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen. Im Rahmen der Abwägung kommt dem voraussichtlichen Ausgang des Hauptsacheverfahrens besondere Bedeutung zu. Je größer die Erfolgsaussichten in einem (noch durchzuführenden) Hauptsacheverfahren sind, desto geringer sind die an das Aussetzungsinteresse des Antragstellers zu stellenden Anforderungen. Das öffentliche Interesse wiegt dem gemäß umso schwerer je größer die Wahrscheinlichkeit ist, dass der angefochtene Verwaltungsakt rechtmäßig ist (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, Kommentar, 14. Aufl. 2005, § 80 Randnr. 158 m. w. N.).
Danach hat der Antrag nur hinsichtlich der Verbotsverfügung vom 7. November 2006, betreffend die "Stuhlprobe" Erfolg. Die Verbotsverfügung vom 5. November 2006 hinsichtlich der Kundgebung bei Nebenstedt eine Stunde nach Eintreffen des Zuges in Dannenberg ist offensichtlich rechtmäßig und es besteht auch ein besonderes öffentliches Interesse an dem Sofortvollzug der Verfügung.
a) Nach § 15 Abs. 1 VersG kann die zuständige Behörde die Versammlung oder den Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzugs unmittelbar gefährdet ist. Durch diese Vorschrift wird das Grundrecht des Art. 8 GG, wonach alle Deutschen das Recht haben, sich friedlich und ohne Waffen zu versammeln, beschränkt. Die Möglichkeit der Beschränkung der Versammlungsfreiheit ist in Art. 8 Abs. 2 GG ausdrücklich vorgesehen.
Das Verbot einer Versammlung unter freiem Himmel kommt allerdings nur als ultima ratio in Betracht (BVerfG, Beschl. v. 14.05.1985 - 1 BvR 233, 341/81 -, BVerfGE 69, 315, -Brockdorf-), denn das Versammlungs- und Demonstrationsrecht gehört zu den fundamentalen Grundrechten eines freiheitlichen Staatswesens, dem die Bedeutung eines grundlegenden und unentbehrlichen Funktionselementes zukommt und das damit insbesondere auch dem Minderheitenschutz dient. Art. 8 GG gewährleistet Grundrechtsträgern demnach auch das Selbstbestimmungsrecht über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Veranstaltung und untersagt zugleich staatlichen Zwang, an einer öffentlichen Versammlung teilzunehmen oder ihr fernzubleiben.
aa) Ob die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzugs unmittelbar gefährdet ist, unterliegt als polizeiliche Gefahrenprognose der vollständigen gerichtlichen Überprüfung. Die Gefahrenprognose hat sich dabei gemäß § 15 Abs. 1 VersG auf die zur Zeit des Erlasses der Verfügung "erkennbaren Umstände" zu beziehen. Es dürfen nach dem oben Gesagten keine zu geringen Anforderungen an die Prognose gestellt werden, bloße Verdachtsmomente oder Vermutungen reichen nicht aus (BVerfG, Beschl. v. 14. 5. 1985 a. a. O.). Die Versammlungsfreiheit hat nur dann zurückzutreten, wenn eine Abwägung unter Berücksichtigung der Bedeutung des Freiheitsrechts ergibt, dass dies zum Schutz anderer, mindestens gleichwertiger Rechtsgüter notwendig ist. Zwischen der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und der Durchführung der Versammlung muss ein hinreichend bestimmter Kausalzusammenhang bestehen. Die "unmittelbare Gefährdung" setzt eine konkrete Sachlage voraus, die bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die der Versammlungsfreiheit entgegenstehenden Rechtsgüter führt (BVerfG, Beschl. v. 21.4.1998 -1 BvR 2311/94 -, NVwZ 1998, 834). Dabei können an die Wahrscheinlichkeit um so geringere Anforderungen gestellt werden, je größer und folgenschwerer der drohende Schaden ist (Dietel/Gintzel/Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, 14. Aufl. 2005, § 15 Rdnr. 30). Andererseits sind Anforderungen an die Gefahrenprognose umso höher, je größer der (Verbots-) Korridor und je länger der demonstrationsfreie Zeitraum ist (Kniesel/ Poscher, Die Entwicklung des Versammlungsrechts 2000 - 2003, NJW 2004, 422, 429).
Die öffentliche Sicherheit und Ordnung kann auch dann gefährdet sein, wenn Rechtsgütergefährdungen nicht von der Versammlung insgesamt ausgehen, sondern von einer Minderheit oder von Dritten, die aus Anlass der Versammlung und gegebenenfalls parallel zu deren Zielsetzung zu Störern werden. Gehen die Gefahren von einer Minderheit oder außenstehenden Dritten aus, müssen sich behördliche Maßnahmen aber primär gegen die Störer richten. Nur unter den besonderen Voraussetzungen des polizeilichen Notstandes kann gegen die Versammlung als ganze eingeschritten werden, anderenfalls könnte unfriedliches Verhalten Einzelner für die gesamte Veranstaltung und nicht nur für die Täter zum Fortfall des Grundrechtsschutzes führen und sie hätten es in der Hand, Demonstrationen "umzufunktionieren" und entgegen dem Willen der anderen Teilnehmer rechtswidrig werden zu lassen; jede Großdemonstration könnte dann verboten werden, da sich nahezu immer "Erkenntnisse" über unfriedliche Absichten eines Teiles der Teilnehmer beibringen lassen (BVerfG, Beschl. v 14.5.1985, a. a. O.).
bb) Die Annahme eines polizeilichen Notstandes setzt im Versammlungsrecht voraus, dass die von störenden Dritten oder von einer störenden Minderheit ausgehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit auf andere Weise - als durch das Vorgehen gegen "Nichtstörer" - nicht oder nicht rechtzeitig abgewehrt werden kann, oder Maßnahmen gegen Störer keinen Erfolg versprechen, und die Behörde nicht über ausreichende eigene Mittel verfügt, um die gefährdeten Rechtsgüter wirksam schützen zu können. Das Gebot, vor der Inanspruchnahme von Nichtstörern und einer Einschränkung ihres Versammlungsrechtes eigene Kräfte der Polizei gegen die Störer einzusetzen, steht indes unter dem Vorbehalt der Verfügbarkeit solcher Kräfte. Da beim Castor-Transport eine lange Transportstrecke zu überwachen ist und jedes mal eine große Zahl von Demonstranten anreist, von denen ein erheblicher Teil nach Einschätzung der Behörde auch zu gewaltsamen Aktionen bereit ist, muss eine sehr komplexe polizeiliche Aufgabe bewältigt werden (Urt. der Kammer v. 16.03. 2002 - 3 A 143/04). Wie diese Aufgabe bewältigt wird, liegt in der Entscheidung der Polizeibehörde (BVerfG, Beschl. v. 26.3.2001 -1 BvQ 15/01 -, NJW 2001, 1411).
b) Bei Anwendung dieser Maßstäbe erweist sich das Verbot der Veranstaltung "Stuhlprobe" als rechtswidrig.
aa) Bereits die von der Antragsgegnerin angestellte Gefahrenprognose begegnet Bedenken.
Die Antragstellerin hat die "Stuhlprobe" für Sonntag, den 12. November 2006 in der Zeit von 11:00 Uhr -13:00 Uhr angemeldet. Zwar wird der Castortransport für diesen Tag in Dannenberg erwartet, dass die geplante Versammlung mit der Einfahrt des Transportes in die Umladestation oder mit der Fortsetzung des Transportes auf der Straße zeitlich zusammenfällt und diese damit verhindert, hat aber die Antragsgegnerin selbst nicht angenommen. Zweifel daran bestehen im Übrigen, weil die Antragstellerin - insoweit unwidersprochen - vorgetragen hat, der Zug werde nach Fahrplan erst am frühen Nachmittag in Dannenberg erwartet. Aufgrund welcher Umstände die Antragsgegnerin annimmt, das Herausfahren des Transportes aus der Umladestation werde durch die für zwei Stunden geplante "Stuhlprobe" dauerhaft verzögert, hat sie nicht dargelegt. Sie hat selbst eingeräumt, dass es bei den bisherigen "Stuhlproben" keine Probleme gegeben habe. Besonderheiten, welche die Annahme rechtfertigen könnten, von der für Sonntag geplanten Veranstaltung werde eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehen, sind für die Zeit der geplanten Versammlung nicht ausreichend vorgetragen worden. Die im Zusammenhang mit dem Eintreffen des Transportzuges erwartete Zuspitzung der Situation wegen des Zustroms einer Vielzahl von Teilnehmern weiterer Veranstaltungen in der Nähe der Umladestation ist für den Vormittag noch nicht wahrscheinlich. Die Teilnahme an der Veranstaltung mit Stühlen führt überdies zu einer Einschränkung der Mobilität der Versammlungsteilnehmer, so dass die Gefahr schwerwiegender Störungen der öffentlichen Sicherheit im Schutze der Versammlung geringer erscheint, als das bei anderen Versammlungen der Fall ist.
bb) Soweit die Antragsgegnerin mit einer Gefahr durch störende Dritte rechnet, hat sie nicht in dem nach den oben gemachten Ausführungen erforderlichen Umfang dargelegt, warum dieser Gefahr nicht, nicht rechtzeitig oder nicht wirksam durch die Polizei oder von ihr Beauftragten begegnet werden kann. Die von der Antragstellerin angemeldete Veranstaltung ist mit einer Teilnehmerzahl von ca. 100 angegeben worden. Die Antragstellerin hat auf den Teilnehmerkreis und die Erkennbarkeit der Teilnehmer durch die mitgebrachten Stühle hingewiesen. Ein Zustrom weiterer Teilnehmer mit Stühlen, der nicht zu übersehen ist und der zur Unübersichtlichkeit der Lage führt und die Polizei deshalb bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben in einem Umfang bindet, dass die sonstige Erfüllung zumindest gleichwertiger polizeilicher Aufgaben in Frage gestellt wird, ist nicht ersichtlich. Die von der Antragsgegnerin verbotene Versammlung in Nebenstedt am Friedhofsweg kann für die Beurteilung des polizeilichen Notstandes im Hinblick auf das Verbot der "Stuhlprobe" keine Berücksichtigung finden, weil die Antragsgegnerin diese verboten hat und dieses Verbot rechtlich nicht zu beanstanden ist (s. unten).
Die Antragstellerin kann nicht darauf verwiesen werden, dass dem Versammlungsrecht durch die in der Verbotsverfügung im Einzelnen aufgeführten weiteren Versammlungen am 12. November 2006 und die Möglichkeit an diesen teilzunehmen, ausreichend Rechnung getragen sei. Diese Veranstaltungen finden an anderen Orten, unter anderen Bedingungen und in anderem Zusammenhang statt.
cc) Auf die Frage der Rechtmäßigkeit der Allgemeinverfügung vom 28. Oktober 2006 kommt es vorliegend nicht an. Zwar liegt die geplante Versammlung in dem zeitlichen und örtlichen Geltungsbereich der Allgemeinverfügung, die Antragsgegnerin hat das hier fragliche Verbot jedoch nicht auf die Allgemeinverfügung gestützt, sondern sich ausschließlich auf individuelle Verbotsgründe berufen. Das hat die Antragsgegnerin am Anfang ihrer Antragserwiderung ausdrücklich bestätigt. Da ein Verbot nach § 15 VersG eine Ermessensentscheidung ist, kann das Gericht nicht prüfen, ob ein Verbot, das aus individuellen Gründen unzureichend ist, aus Gründen der Allgemeinverfügung gehalten werden kann. Damit würde das Gericht seine Befugnisse überschreiten (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, Kommentar, 14. Aufl. 2005, § 114 Randnr. 5f). Ein Rückgriff auf die Allgemeinverfügung zur Rechtfertigung des Verbotes ist dem Gericht somit versagt.
c) Das Versammlungsverbot der Antragsgegnerin vom 5. November 2006 betreffend die Kundgebung bei Nebenstedt am Friedhofsweg hinter der B 191 "eine Stunde nach Eintreffen des Zuges in Dannenberg" ist offensichtlich rechtmäßig und es besteht ein besonderes öffentliches Interesse am sofortigen Vollzug der Verfügung.
aa) Die Prognose der Antragsgegnerin über die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit ist nicht zu beanstanden. Sie hat dargetan und durch hinreichende Umstände belegt, dass durch die geplante Kundgebung eine Stunde nach Eintreffen des Zuges in Dannenberg die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet wird.
Der Veranstaltungsort befindet sich in unmittelbarer Nähe zur Umladestation, auf die sich die Protestaktionen insbesondere mit dem Eintreffen des Transportzuges bei der Umladestation konzentrieren. Aufgrund beachtlicher Indizien ist mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass die Teilnehmer der von der Antragstellerin geplanten Versammlung gemeinsam mit anderen - unter anderem auch gewaltbereiten Personen - die Straße vor dem Verladekran möglichst lange blockieren wollen. Die Initiativen "widersetzen" und "x-tausenmal-quer" haben zu einer großen Sitzblockade vor der Umladestation aufgerufen und zwar unter Hinweis auf die Illegalität dieses Verhaltens. Der Pressesprecher der Initiative "x-tausendmal-quer", ..., hat in einer im Internet veröffentlichten Presseinformation vom 9. November 2006 die Bereitschaft, Ordnungswidrigkeiten zu begehen, begrüßt und ausgeführt: "Es ist gute wendländische Tradition, dass sich niemand an dieses Versammlungsverbot hält."
Die dauerhafte Blockade von Straßen ist rechtswidrig und nicht von der Versammlungsfreiheit gedeckt. Verhinderungsblockaden, die nicht nur Protest ausdrücken wollten, sondern das realisieren wollen, was missbilligt wird, unterfallen nicht dem Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG (BVerfG, Beschl. v. 24.10.2001 -1 BvR 1190/90 u.a. -, BVerfGE 104, 92). Unterhöhlungen von Straßen sind ebenfalls vom Versammlungsrecht nicht gedeckt (Dietel/Gintzel/Kniesel, a.a.O., § 15 Rdnr. 148). Auch im Hinblick auf zu erwartende Unterhöhlungen von Straßen hat die Antragsgegnerin aber unter Hinweis auf Geschehnisse der letzten zwei Wochen Tatsachen benannt, die derartige Aktivitäten zur Verhinderung des Castor-Transportes auf der Straße mit hoher Wahrscheinlichkeit erwarten lassen. Es ist danach von der Gefahr einer Unterbrechung bzw. Verhinderung des Castor-Transportes aufgrund der genannten Umstände und somit von einer konkreten Gefahrenlage auszugehen.
In dieser Situation wäre die Antragstellerin als Veranstalterin der geplanten Kundgebung wegen der genannten Äußerungen und Aktionen Dritter zur Förderung von Blockaden verpflichtet gewesen, deutliche "Signale" auszusenden, dass gewaltsame Aktionen von ihr nicht geduldet werden (BVerfG, Beschl. v. 14.7.2000 - 1 BvR 1245/00). Dabei reicht es nicht aus, dass sie und möglicherweise ein Großteil der Demonstranten sich der Gewaltlosigkeit verpflichtet fühlen, weil sie damit rechnen muss, dass die genannten Aufrufe Einfluss auf die Teilnehmer an der geplanten Veranstaltung und deren Verhalten haben werden (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 11.11.2001 -11 MA 3674/01 m.w.N.). Die Antragstellerin hat sich von den genannten Aufrufen und Aktionen jedoch nicht in ausreichendem Maße distanziert. In dem Rundbrief Heft 7 der Initiative "x-tausendmal-quer" vom Herbst 2006 (Seite 3) sind die Vorsitzenden der Antragstellerin ... und ... Wegbegleiterinnen der Initiative zitiert, die auf die im Jahre 1997 von "x-tausendmal-quer" organisierte und mehr als 48 Stunden dauernde Blockade des Straßentransportes vor dem Verladekran verweisen und den Wunsch äußern, dass "in Zukunft alle an einem Strang ziehen". Einen Hinweis auf Differenzen zwischen "x-tausendmal-quer" und der Antragstellerin im Hinblick auf Blockadeaktionen lassen sich weder dieser Äußerung noch den Statements des langjährigen Sprechers der Antragstellerin, ... oder der frühren Vorsitzenden entnehmen.
bb.) Das vollständige Verbot der Versammlung ist auch aufgrund eines polizeilichen Notstandes gerechtfertigt.
Die Antragsgegnerin hat dargelegt und anhand des von ihr vorgelegten Kartenmaterials verdeutlicht, dass am Sonntag in unmittelbarer Nähe der Umladestation mehrere angemeldete und unangemeldete Versammlungen stattfinden. Da der Transport voraussichtlich an diesem Tag in Dannenberg eintrifft, ist mit besonders vielen Teilnehmern zu rechnen. Nach den Erfahrungen aus den vergangenen Jahren verschärft sich die Situation mit dem Eintreffen des Transports um die Umladestation herum, weil dann die verschiedenen Gruppen von Atomkraftgegnern sich auf die Umladestation zu bewegen. Die durch das Zusammentreffen mehrerer Gruppen entstehende große Menschenmenge und die unterschiedlichen Aufgabenstellungen der Polizei mit dem Eintreffen des Transportzuges, wie Begleitung des Transportes, Sicherung der Umladestation und Begleitung (bestätigter) Versammlungen, binden nach Einschätzung der Antragsgegnerin die Kräfte der Polizei in einem Umfang, dass sie voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, Störungen der öffentlichen Sicherheit zu verhindern. Diese Prognose ist nicht erkennbar fehlerhaft.
Der Zeitpunkt der Kundgebung "eine Stunde nach Eintreffen" des Zuges und die Größe der Veranstaltung von mit voraussichtlich 1.000 Teilnehmern sind maßgebliche Umstände, die im Vergleich zu der Veranstaltung "Stuhlprobe" erhebliche Unterschiede ausmachen, und die hier getroffene Entscheidung der Antragsgegnerin rechtfertigen.
cc.) Modifikationen oder Auflagen sind zur Gefahrenabwehr nicht ausreichend.
Eine Verlegung der Versammlung "eine Stunde nach Eintreffen des Zuges in Dannenberg" an einen anderen Ort hat die Antragstellerin nach dem Vorbringen der Antragsgegnerin abgelehnt, die Verlegung auf einen anderen Termin kommt schon nach dem Ziel der Veranstaltung nicht in Betracht.
dd) Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Versammlungsverbotes ist ebenfalls gegeben. Ohne den Sofortvollzug hätte eine Klage aufschiebende Wirkung, aus den Regelungen der Verbotsverfügung dürfte dann keine tatsächlichen und rechtlichen Folgen gezogen werden. Die Durchführung der Versammlung würde zu einer Gefährdung bzw. Störung der öffentlichen Sicherheit führen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 53 Abs. 3, 52 Abs. 1 und 2 GKG.