Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 20.11.2006, Az.: 2 A 458/05

Annahme; Anspruch; Befreiung; Einkommen; Einzelfall; Empfänger; Gebühr; Hilfe; Härte; Härtefall; Jugend; Jugendhilfe; Rundfunk; Rundfunkgebührenbefreiung; Situation; Sozialleistung; Tatbestand; Umstand; Vergleichbarkeit; wirtschaftliche Jugendhilfe; Zumutbarkeit

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
20.11.2006
Aktenzeichen
2 A 458/05
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2006, 53339
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Die Gewährung von wirtschaftlicher Jugendhilfe nach dem SGB VIII führt nicht ohne Weiteres dazu, dass die Härtefallregelung des § 6 Abs. 3 RGebStV anzuwenden ist.

Tatbestand:

1

Die am … geborene Klägerin befand sich im Jahre 2005 in einer Jugendhilfemaßnahme für junge Volljährige gem. §§ 41, 34 SGB VIII. Ihr wurde wirtschaftliche Jugendhilfe gewährt, weshalb sie Einnahmen in Höhe von monatlich 659,00 EUR hatte. Dieser Betrag setzt sich aus einem Teilbetrag in Höhe von 369,00 EUR zur Sicherstellung des allg. Lebensunterhaltes und einem Teilbetrag in Höhe von 290,16 EUR für Unterkunftskosten zusammen.

2

Am 23.August 2005 stellte sie bei der G. einen Rundfunkgebührenbefreiungsantrag und kreuzte in dem von der G. bereitgehaltenen Formblatt das vorgesehene Kästchen für den Befreiungstatbestand „Sozialhilfe“ an. Sie fügte ihrem Antrag eine Einkommensbescheinigung der Jugendhilfe Südniedersachsen e.V. (JSN) vom 18.03.2005 bei.

3

Mit Bescheid vom 21.09.2005 lehnte der Beklagte den Befreiungsantrag der Klägerin mit der Begründung ab, sie erfülle nicht die Befreiungsvoraussetzungen des § 6 Abs 1 Nr. 1 des Rundfunkgebührenstaatsvertrages - RGebStV -.

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Dagegen hat die Klägerin am 14.10.2005 Klage erhoben.

5

Zu deren Begründung beruft sie sich im Wesentlichen auf ihre schlechte wirtschaftliche Situation und sinngemäß auf die Härtefallregelung in § 6 Abs. 3 RGebStV und meint, in ihrem Fall läge eine besondere Härte vor. Ihre Einnahmen seien so gering, dass sie nach Abzug aller Kosten die Rundfunkgebühr nicht mehr entrichten könne.

6

Die Klägerin beantragt,

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den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 21.09.2005 zu verpflichten, ihr auf ihren Antrag vom 23.08.2005 Rundfunkgebührenbefreiung zu erteilen..

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

10

Zur Begründung verweist er auf die ab 01.05.2005 geltende Rechtslage und meint, eine finanzielle Bedürftigkeit reiche für die Annahme einer besonderen Härte im Sinne von § 6 Abs. 3 RGebStV nicht aus.

11

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und die Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

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Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Befreiung von den Rundfunkgebühren gemäß § 6 Abs. 1 RGebStV in der Fassung des Achten Rundfunkänderungsstaatsvertrages vom 8./15. Oktober 2004 (Gesetz zum Achten Rundfunkänderungsstaatsvertrages vom 25. Februar 2005, Nds. GVBl. S. 61, 66), weil sie keine der dort in Ziffern 1 bis 10 genannten Voraussetzungen erfüllt.

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Sie hat auch einen Anspruch darauf, dass der Beklagte sie im Wege der sog. „Härtefallregelung“ gemäß § 6 Abs. 3 RGebStV ab September 2005 von der Rundfunkgebührenpflicht befreit, nicht.

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Gemäß § 6 Abs. 3 RGebStV kann die Rundfunkanstalt unbeschadet der Gebührenbefreiung nach Absatz 1 in besonderen Härtefällen auf Antrag von der Rundfunkgebührenpflicht befreien. Zwar hat die Klägerin keinen ausdrücklichen entsprechenden Härtefallantrag gestellt; doch selbst dann - wenn man das als unschädlich ansehen würde - liegt in der Sache jedoch kein besonderer Härtefall im Sinne der Vorschrift vor.

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Das erklärte Ziel der grundlegenden Neuregelung der Befreiungstatbestände mit dem Achten Rundfunkänderungsstaatsvertrag ist eine deutliche Erleichterung des Verfahrens. Während bisher außer Sonderfürsorgeberechtigten nach dem BVG, bestimmten Behinderten und Empfängern von Hilfe zur Pflege sowie Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz auch Personen befreit wurden, deren Einkommen eine bestimmte Einkommensgrenze (die höher lag als der Sozialhilferegelsatz) nicht überstieg (§ 1 Abs. 7 und 8 der bis zum 31. März 2004 gültig gewesenen Verordnung über die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht vom 3. September 1992 - Nds. GVBl. S. 239 -), knüpfen nunmehr sämtliche Befreiungstatbestände des § 6 Abs. 1 RGebStV an bestehende soziale Leistungen an. Dadurch können insbesondere die bei der Befreiung wegen geringen Einkommens erforderlichen Berechnungen entfallen (vgl. die Begründung des Entwurfes eines Gesetzes zum Achten Rundfunkänderungsstaatsvertrag, Nds. Landtag, Ds 15/1485, S. 36 f.). Da die Antragsteller die Befreiungsvoraussetzungen durch Vorlage des entsprechenden Bescheides im Original oder in beglaubigter Kopie nachzuweisen haben (§ 6 Abs. 2 RGebStV), sind komplizierte Einkommensberechnungen nicht mehr erforderlich, sondern kann die Entscheidung relativ schematisch erfolgen. Diese Gesetzesänderung trägt dem Umstand Rechnung, dass die Landesrundfunkanstalten anders als früher nicht mehr auf die Amtshilfe der für die Antragsteller zuständigen Sozialhilfeträger zurückgreifen können. Der Gesetzgeber ist nicht von Verfassungs wegen gehindert, die Rundfunkgebührenbefreiungstatbestände zu schematisieren. Zum einen bleibt die Befreiungsmöglichkeit für Empfänger von SGB II oder SGB XII Leistungen erhalten, so dass dieser als sozial bedürftig anerkannte Personenkreis weiterhin begünstigt wird; zum anderen ist die Belastung mit Rundfunkgebühren in Höhe von maximal 17,03 Euro monatlich (vgl. § 8 Rundfunkfinanzierungsstaatsvertrag) vergleichsweise gering, so dass eine verfassungswidrige Ausgestaltung der Befreiungstatbestände gerade auch in Ansehung der besonderen Härteregel in § 6 Abs. 3 RGebStV nicht vorliegt.

17

Mit der Härtefallregelung in § 6 Abs. 3 RGebStV hat der Gesetzgeber allerdings trotz der grundsätzliche beabsichtigten Verfahrensvereinfachung bewusst die Möglichkeit einer Ermessensentscheidung bei der Befreiung in besonderen Härtefällen ergänzend offen gelassen. Ein solcher soll nach der Gesetzesbegründung (a.a.O. S. 37) insbesondere dann vorliegen, wenn, ohne dass die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 erfüllt sind, eine vergleichbare Bedürftigkeit nachgewiesen werden kann. Allerdings führt dies nicht dazu, dass jeder, der eine der in § 6 Abs. 1 RGebStV enumerativ aufgeführten Sozialleistungen nicht erhält, aber ein Einkommen nachweist, das nicht höher ist als die Sozialleistung, die er - wenn denn deren Voraussetzungen vorlägen - in seiner Lebenssituation maximal erhalten könnte, ohne Weiteres von der Gebührenpflicht zu befreien ist. Vielmehr ist dem Begriff der Härte immanent, dass im Einzelfall zu prüfen ist, ob tatsächlich eine vergleichbare „Notlage“ besteht und ob der Ausschluss von der Vergünstigung - bezogen auf die konkrete Situation des Antragstellers - unzumutbar ist (vgl. zu der rechtsähnlichen Vorschrift des § 26 Abs. 1 Satz 2 BSHG - jetzt: § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB XII -, etwa Brühl in: LPK-BSHG, 6. Aufl., § 26 Rn. 22 m.w.N.). Deshalb ist dann, wenn die Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 RGebStV nicht vorliegen, im Einzelfall auf Antrag durchaus zu prüfen, ob dennoch nach § 6 Abs. 3 RGebStV wegen eines besonderen Härtefalles Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht zu gewähren ist (ebenso, OVG Lüneburg, Beschluss vom 22. März 2006 -4 PA 38/06-, zitiert nach der Rechtsprechungsdatenbank des Gerichts).

18

Die wirtschaftliche Situation der Klägerin und der geltend gemachte Umstand, dass sie nach ihrem Vorbringen nur 369,00 Euro monatlich zur Verfügung hat, rechtfertigen allein die Annahme einer besonderen Härte nicht.

19

Von der Überprüfung des konkret zur Verfügung stehenden Einkommens des Rundfunkteilnehmers sollten die mit dem Achten Rundfunkänderungsstaatsvertrag vorgenommenen Neuregelungen den Beklagten gerade entlasten. Dieses Ziel würde verfehlt, wenn diese Prüfung in den Anwendungsbereich des § 6 Abs. 3 RGebStV verlagert würde. Allein ein geringes Einkommen kann daher nie eine besondere Härte im Sinne dieser Vorschrift begründen (anders offenbar VG Oldenburg, Urteil vom 25.1.2006 -3 A 3050/05-, zitiert nach der Rechtsprechungsdatenbank des Nds. OVG).

20

Soweit sich die Klägerin darauf beruft, in einer den Sozialhilfeempfängern vergleichbaren wirtschaftlichen Lage sich zu befinden, teilt das Gericht diese Ansicht nicht. Ein Härtefall liegt bei der Klägerin in der Sache schon deshalb nicht vor, weil ihr Einkommen - wenn auch nur geringfügig - höher ist als dasjenige von vergleichbaren Sozialhilfeempfängerinnen. Denknotwendigerweise kann eine Härte im Rundfunkgebührenrecht immer nur dann angenommen werden, wenn ein Antragsteller wirtschaftlich nicht besser dasteht als die entsprechende Vergleichsgruppe, auf die er sich beruft, hier also die Bezieher von Sozialhilfeleistungen. Ein Sozialhilfeempfänger kann als Haushaltsvorstand einen Regelsatz in Höhe von monatlich 345,00 EUR beanspruchen. Demgegenüber verfügt die Klägerin über einen höheren monatlichen Betrag, nämlich über 369,00 EUR, also über 24,00 EUR monatlich mehr. Da die Rundfunkgebühren monatlich 17,03 EUR betragen, ist es der Klägerin zuzumuten, sie vom „überschießenden“ Betrag zu bezahlen.

21

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO.

22

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.