Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 23.11.2006, Az.: 2 A 77/05
Ausbildung; Ausbildungsförderung; auswärtige Unterbringung; BAföG; Eltern; Förderung; Grundförderung; Hochschule; Mietkosten; Ortsabwesenheit; Praktikum; Praktikumssemester; Praxissemester; Student; Studentenwohnheim; Studium; Studium; Unterkunft; Wohnen; Wohnheim; Wohnort; Wohnsitz
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 23.11.2006
- Aktenzeichen
- 2 A 77/05
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2006, 53246
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 13 Abs 2 Nr 2 BAföG
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Höhe von BAföG-Leistungen.
Der Kläger ist als Student an der Fakultät für Forstwissenschaften und Waldökologie der Beklagten eingeschrieben. Derzeit befindet er sich im sechsten Fachsemester. Seine Eltern wohnen in K. bei L. (M.). Das Studentenwerk E., das im Auftrag der Beklagten als Amt für Ausbildungsförderung (im Folgenden: Studentenwerk) handelte, gewährte dem Kläger zunächst mit Bescheid vom 28.11.2003 mtl. Ausbildungsförderung in Höhe von 466,00 €. Dieser Betrag setzte sich zusammen aus der Grundförderung gem. § 13 Abs. 1 Nr. 2 BAföG in Höhe von 333,00 € sowie 133,00 € für seine auswärtige Unterbringung. Der Kläger ist seit dem 01.10.2003 Mieter eines möblierten Einzelzimmers in der Studentensiedlung N. des Studentenwerkes, wofür er mtl. 209,00 € zahlt.
Mit am 29.07.2004 bei dem Studentenwerk eingegangenem Antrag begehrte der Kläger erneut Ausbildungsförderung. Als ständigen (ersten) Wohnsitz gab er weiterhin die Wohnung seiner Eltern in K. und als Anschrift während der Ausbildung die Studentensiedlung im N. in E. an. In der Zeit vom 03.01. bis 25.03.2005 hatte er ein Praktikum abzuleisten, Ausbildungsstelle war das Forstamt O. in M., was er der Beklagten mitgeteilt hatte. Für die Dauer des Praktikums bewohnte der Kläger in der elterlichen Wohnung ein Zimmer. Der Mietvertrag über das Zimmer im N. bestand während dieser Zeit unverändert fort.
Mit Bescheid vom 30.09.2004 gewährte ihm das Studentenwerk weiterhin Ausbildungsförderung für den Zeitraum Oktober 2004 bis September 2005, ging aber bei der Bedarfsberechnung von einer Unterbringung des Klägers in dieser Zeit bei seinen Eltern aus und leistete nur noch mtl. 377,00 €. Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 26.10.2004 Widerspruch ein und wies darauf hin, dass er auch im vierten Semester noch das Zimmer im Studentenwohnheim im N. nutzen werde. In einem Telefonat zwischen dem Sachbearbeiter des Studentenwerkes und dem Kläger am 22.11.2004 erklärte der Kläger, im Januar 2005 das dreimonatige Praktikum zu beginnen und nach wie vor noch in der Studentensiedlung im N. zu wohnen. In einem weiteren Telefonat vom 24.11.2004 gab der Kläger an, in den Monaten Oktober bis Dezember 2004 zunächst noch an einigen Prüfungen teilzunehmen und deshalb die Hochschule von seiner Wohnung aus zu besuchen.
Mit Bescheid vom 04.01.2005 hob die das Studentenwerk daraufhin seinen Bescheid vom 30.09.2004 auf und bewilligte dem Kläger für den Zeitraum Oktober 2004 bis Dezember 2004 Ausbildungsförderung in Höhe von mtl. 466,00 € (also einschließlich der 133,00 EUR für auswärtige Unterbringung) sowie ab Januar 2005 bis September 2005 weiterhin Leistungen nur in Höhe von mtl. 377,00 €. Mit Schreiben vom 31.01.2005 bat der Kläger um Korrektur des Bescheides vom „31.12.2005“ (gemeint ist der Bescheid vom 04.01.2005), da er ab April 2005 wieder „vollständig in E.“ sei, das Praktikumssemester im März 2005 beendet habe und nun wieder den „Vollbezug von 466,00 €/Monat“ benötige.
Am 02.02.2005 hat der Kläger Klage erhoben. Zur Begründung weist er darauf hin, dass sich an seiner persönlichen und wirtschaftlichen Lage nichts geändert habe und auch in der Bewilligungszeit vom Januar bis September 2005 weiterhin die Kosten für das Zimmer im Wohnheim, das er es weiterhin nutzen werde, anfielen. Mithin fehlten ihm mtl. 89,00 €. Er müsse auch im 3. Semester, also in der Zeit des Praktikums, ab und an in E. sein, um sein Studium ordnungsgemäß fortzusetzen. So besuche er Veranstaltungen, um sich auf anstehende Prüfungen vorzubereiten.
Der Kläger hatte bei Klageerhebung beantragt,
unter Änderung des Bescheides der Beklagten vom 04.01.2005 ihm für den Bewilligungszeitraum Januar bis einschließlich September 2005 Ausbildungsförderung in Höhe von mtl. 466,00 € zu bewilligen.
Die Beklagte ist der Klage zunächst in vollem Umfang entgegen getreten und meint, dass der Kläger in der Zeit von Januar bis März 2005 in häuslicher Gemeinschaft mit seinen Eltern gelebt, also im Sinne von § 13 Abs. 2 Nr. 1 BAföG bei ihnen „gewohnt“ habe. Maßgeblich sei nach § 13 Abs. 2 BAföG, von welcher Unterkunft aus der Auszubildende die Ausbildungsstätte besuche. Die Richtigkeit dieser Auffassung ergebe sich zum einen im Umkehrschluss aus der Ziffer 13.2.2 der allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum BAföG, zum anderen auch aus der Natur der Sache heraus. Die Festsetzung des Gesamtbedarfs des Klägers ab Januar 2005 unter Berücksichtigung des Wohnens bei seinen Eltern sei somit nicht zu beanstanden.
Nachdem der Kläger mit Schriftsatz vom 09.05.2005 erneut darauf hingewiesen hatte, dass er seit April 2005 wieder in E. studiere, und eine Bescheinigung der Wohnheimverwaltung vorgelegt hatte, dass er von Oktober 2003 bis einschließlich April 2005 regelmäßige Mietzahlungen geleistet hätte, änderte die Beklagte mit Schriftsatz vom 06.06.2005 den Bewilligungsbescheid vom 04.01.2005 insoweit, als sie für den Zeitraum von April bis September 2005 den mtl. Bedarf für die Unterkunft gem. § 13 Abs. 1 Nr. 2 BAföG auf 133,00 € und den mtl. Gesamtbedarf in dieser Zeit somit auf 466,00 € festsetzte. Für den Zeitraum Januar bis März 2005 blieb die Beklagte bei ihrer Auffassung, dass der Kläger in dieser Zeit die Ausbildungsstätte von der Wohnung seiner Eltern aus besucht hätte und deshalb gem. § 13 Abs. 2 Nr. 1 der Verwaltungsvorschrift lediglich Unterkunftskosten in Höhe von mtl. 44,00 € zu bewilligen seien.
Mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 04.04.2006 hat der Kläger den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt, soweit die Klage die Monate April bis September 2005 betrifft. Für den verbleibenden Zeitraum - Januar bis März 2005 - hätte er ebenfalls einen erhöhten Unterkunftsbedarf gem. § 13 Abs. 2 Nr. 2 BAföG, also Anspruch auf Ausbildungsförderung in Höhe von mtl. insgesamt 466,00 €. Für die Dauer des Praktikums hätte er zwar sein ursprüngliches Zimmer bei seinen Eltern zwecks Übernachtung bezogen, aber nicht nach dort seinen Wohnsitz verlegt. Es werde nicht bestritten, dass er sich während dieser Zeit in häuslicher Gemeinschaft mit seinen Eltern aufgehalten hätte, aber Sinn und Zweck der Vorschrift geböten hier ihre Nichtanwendung. Die Differenzierung in § 13 Abs. 2 Nr. 1 BAföG solle die typischerweise höheren Kosten bei einer auswärtigen Unterbringung des Studenten berücksichtigen. Er habe auch während des Praktikums weiterhin Miete für das Zimmer im Studentenwohnheim N. zahlen müssen und deshalb keinen geringeren Unterkunftsbedarf gehabt. Die Zeiten des Praktikums seien nicht anders als Semesterferien zu behandeln, also als eine nur vorübergehende, förderungsrechtlich unbeachtliche Ortsabwesenheit.
Der Kläger beantragt nunmehr,
ihm unter Änderung des Bescheides der Beklagten vom 04.01.2005 in der Fassung des Bescheides vom 06.06.2005 für die Monate Januar bis März 2005 Ausbildungsförderung in Höhe von mtl. 466,00 € zu bewilligen.
Die Beklagte hat sich mit Schriftsatz vom 15.05.2006 der Hauptsacheerledigungserklärung angeschlossen und im Übrigen beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie führt aus, dass § 13 Abs. 2 BAföG im Gegensatz zu § 12 Abs. 2 BAföG ausschließlich auf die Erfüllung des Tatbestandsmerkmals „Wohnen bei den Eltern“ abstelle. Raum für eine weitere Auslegung des Gesetzeswortlauts sei nicht. Zudem habe der Kläger während der drei Praktikumsmonate die Ausbildungsstätte von der Wohnung seiner Eltern aus aufgesucht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Soweit sich der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt hat, ist das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen.
Die im Übrigen zulässige Klage ist begründet. Der Kläger hatte auch in den Monaten Januar bis März 2005, also während der Dauer seines Praktikums im Forsthaus O. bei P. einen erhöhten Unterkunftsbedarf gem. § 13 Abs. 2 Nr. 2 BAföG in Höhe von mtl. 133,00 €, mithin stehen ihm auch im noch streitigen Zeitraum mtl. 466,00 € BAföG-Leistungen zu.
Der Beklagten ist zwar zuzugestehen, dass der Wortlaut der Vorschrift des § 13 Abs. 2 BAföG hinsichtlich der Höhe des Bedarfs des Studierenden allein darauf abstellt, ob der Betreffende bei seinen Eltern oder nicht bei seinen Eltern wohnt. Allerdings wendet sie den unbestimmten Rechtsbegriff des „Wohnen“ nicht so an, wie es Sinn und Zweck dieser Norm erfordern.
Eine Legaldefinition des Begriffs „Wohnen“ findet sich im Bundesausbildungsförderungsgesetz - BAföG - nicht. Abs. 3 a des § 13 des Gesetzes erläutert lediglich, dass ein Auszubildender auch dann bei seinen Eltern wohnt, wenn der von ihm bewohnte Raum im Eigentum der Eltern steht. Dies ist vorliegend zwar nicht Gegenstand des Rechtsstreits, gleichwohl spiegelt Abs. 3 a die Intention des Gesetzgebers wider, dass Grund für die Differenzierung der verschiedenen Bedarfe in Abs. 2 der Norm die Annahme ist, dass derjenige Student, der bei seinen Eltern wohnt, weniger Aufwendungen (= Bedarf) hat als sein Kommilitone, der eine externe Unterkunft anmieten muss. Diese Überlegung ist auch für die Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs „Wohnen“ heranzuziehen. Im vorliegenden Fall hat der Kläger auch während der Zeit des Praktikums das Zimmer im Studentenwohnheim N. weiter genutzt - er hatte Praktika und musste sich auf Prüfungen vorbereiten - und bezahlen müssen. Der Kläger hatte deshalb während der Zeit des Praktikums keinen geringeren Unterkunftsbedarf als in der übrigen Zeit, in der er an der Universität E. seiner Ausbildung nachging. Ersparnisse durch das Wohnen bei seinen Eltern während des Praktikums sind daher für den Kläger nicht festzustellen. Hiergegen kann auch nicht mit Erfolg eingewandt werden, dass die Studierenden für die Zeit der Absolvierung eines Praktikums durch Kündigung der Wohnung am Studienort ihre Unterkunftskosten und somit ihren Bedarf senken könnten. Dies erscheint der Kammer im Hinblick auf die kurze Dauer des Praktikums unpraktikabel, unverhältnismäßig und unzumutbar.
Ausweislich Ziffer V 1 der allgemeinen Mietbedingungen für Studentenwohnheime des Studentenwerks E. hat der Kläger als Mieter (nur) das Recht, das Mietverhältnis spätestens am dritten Werktag eines Kalendermonats für den Ablauf des übernächsten Monats durch schriftliche Erklärung zu kündigen. Würde man also eine Kündigung des Zimmers im Studentenwohnheim vom Kläger verlangen, hätte er „auf Verdacht“ weit vor Beginn des Praktikums seinen Platz im Studentenwohnheim kündigen müssen. Er hätte dann das Risiko allein zu tragen, dass das Praktikum dann auch tatsächlich durchgeführt wird. Wenn er erkranken würde oder auf Seiten des Ausbilders Hindernisse an der Durchführung des Praktikums entstehen, wäre das Zimmer gekündigt und der Kläger stünde ohne Wohnraum da. Ein solches Ansinnen der Kündigung „auf Verdacht“ ist unter Berücksichtigung des auch im Öffentlichen Recht anzuwendenden Grundsatzes von Treu und Glauben dem Studenten unzumutbar. Dem Studierenden darf auch nicht abverlangt werden, sein Zimmer oder seine Wohnung für die Zeit eines Praktikums untervermieten zu müssen. Abgesehen davon, dass es allgemein bekannt ist, dass Untermietverhältnisse, die für eine kürzere Zeit als ein Semester angeboten werden, selbst in Studentenstädten wie E. kaum nachgefragt werden, wäre es unzumutbar, das wirtschaftliche Risiko, einen angemessenen Untermieter zu finden, dem BAföG-Empfänger aufzubürden. Hinzu kommt im vorliegenden Fall, dass der Kläger sein Zimmer im N. noch drei Tage im Januar und dann fünf Tage im März benötigt hatte, da das Praktikum nicht volle drei Monate dauerte. Der Kläger hätte also kündigen müssen, obgleich er - selbst aus Sicht der Beklagten - nur einen vollen Monat verringerten Bedarf gehabt hat. Schließlich kommt hinzu, dass er auch während des Praktikums zeitweilig das Zimmer zur Prüfungsvorbereitung nutzen musste. Letztlich weist die Kammer auf die instruktive Kommentierung bei Rothe/Blanke (BAföG, 5. Aufl., Stand: April 2002, Rn. 1.1 zu § 13) hin, wonach der Unterschied zwischen den Bedarfssätzen in Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 den unterschiedlichen individuellen Ausbildungskosten Rechnung tragen solle. Dabei sei vom Gesetzgeber der Teilbedarf in Nr. 1 der Norm für den Auszubildenden, der bei seinen Eltern wohne, relativ niedrig angesetzt worden, da hier ein Vermietergewinn nicht zu berücksichtigen sei (so auch die Begründung des BAföG-RegE, BT-Drucksache VI/1975 zu § 13). Um einen solche Gewinnabschöpfung der Eltern eines BAföG-Empfängers zu Lasten der Allgemeinheit geht es im Vorliegenden nicht.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 161 Abs. 2,188 S. 2 VwGO. Soweit sich der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt hat, berücksichtigt das Gericht bei der insoweit nach Ermessen zu treffenden Kostenverteilung, dass die Beklagte durch Nachgeben die Erledigung herbeigeführt hat.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 167 VwGO i.V.m. 708 Nr. 11, 711 ZPO.