Verwaltungsgericht Göttingen
Beschl. v. 16.11.2006, Az.: 3 B 344/06

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
16.11.2006
Aktenzeichen
3 B 344/06
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2006, 44435
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGGOETT:2006:1116.3B344.06.0A

Amtlicher Leitsatz

Die vorrangige Bedeutung von aktueller Beurteilung und Leistungsentwicklung (Vorbeurteilungen) darf bei Beförderungen nicht dadurch umgangen werden, dass trotz Abweichung um eine ganze Notenstufe Konkurrenten durch weite Auslegung des Kriteriums "Leistungskontinuität" noch als "im Wesentlichen gleich" beurteilt angesehen werden und deshalb bereits auf nicht mehr unmittelbar leistungsbezogene Hilfskriterien (hier: Standzeit im Statusamt) zurückgegriffen wird (wie Nds. OVG, Beschl. v. 08.09.2006 2 ME 1138/06).

Tatbestand:

1

Der Antragsteller wendet sich gegen die Besetzung einer der beiden der Polizeiinspektion F. für den Monat September 2006 zugewiesenen Beförderungsdienstposten der Besoldungsgruppe A 10 BBesO mit einem der Beigeladenen.

2

Dem Stellenbesetzungsverfahren liegen die "Grundsätze der Beförderungsplanung für den mittleren, gehobenen und höheren Polizeivollzugsdienst bis einschließlich A 14 BBesO" der Polizeidirektion F. vom 7. April 2005 zugrunde. Unter Ziffer 2.1 "Beförderungsplanung" heißt es u. a., die Behörde treffe die Beförderungsentscheidung für alle Statusämter auf Grundlage der anzuwendenden Kriterien und der daraus gebildeten Orientierungslisten. Für Beförderungen in die Ämter der Besoldungsgruppen bis A 11 BBesO würden den Dienststellen Beförderungsplanstellen grundsätzlich kontingentiert zugewiesen. Die Dienststellen erarbeiteten nach den Kriterien gemäß Ziffern 3.4 bis 3.6 und den daraus resultierenden Orientierungslisten Auswahlvorschläge und stimmten diese mit den örtlichen Personalvertretungen und der Behörde ab. Weiter heißt es in diesen Grundsätzen:

3

"2.3 Orientierungsliste

4

Die Behörde und die ihr unmittelbar nachgeordneten Dienststellen führen zur Beförderungsvorauswahl für die Schutz- und Kriminalpolizei gemeinsame Orientierungslisten. Die Übersichten sind quartalsweise zu aktualisieren.

5

Die Orientierungslisten sind Hilfsmittel zur Vorbereitung der Auswahlentscheidung und stellen keine bindenden Rangfolgelisten dar.

6

In jedem Einzelfall ist eine Auswahl zu treffen, die sich an den Grundsätzen des Leistungsprinzips aus Art. 33 GG und § 8 NBG (Eignung, Befähigung, fachliche Leistung) zu orientieren hat. Darüber hinaus sind die Regelungen des Sozialgesetzbuches IX und des Nds. Gleichberechtigungsgesetzes zu beachten.

7

2.4 Ermittlung der Beförderungsreihenfolge

8

Die Reihenfolge der zu befördernden Beamtinnen oder Beamten wird auf der Grundlage einer Orientierungsliste ermittelt. Dabei werden die nachfolgend aufgeführten Kriterien, die jeweils eine Auswahlebene darstellen, berücksichtigt. Ergibt das Kriterium einer Auswahlebene keine ausreichende Differenzierung unter allen in Betracht kommenden Konkurrentinnen und Konkurrenten, wird die jeweils nächste Auswahlebene für eine weitere Differenzierung herangezogen.

9

Die Reihenfolge der anzuwendenden Kriterien ist durch die jeweiligen Auswahlebenen in den einzelnen Statusämtern ab Ziff. 3 dieser Richtlinie festgelegt.

10

2.5 Auswahlkriterien

11

2.5.1 Wertungsstufe der aktuellen dienstlichen Beurteilungen

12

Die Wertungsstufe der dienstlichen Beurteilungen bildet in jeder Vergleichsgruppe das erste entscheidungserhebliche Auswahlkriterium.

13

2.5.2 Berücksichtigung der Vorbeurteilung

14

Bei gleicher Wertungsstufe in der aktuellen Beurteilung wird als nächstes Kriterium die Wertungsstufe der Vorbeurteilung unter dem Aspekt der Leistungskontinuität betrachtet. Dabei sind unterschiedliche statusrechtliche Ämter, Laufbahnen oder Beurteilungszeiträume zu berücksichtigen.

15

...

16

2.5.5 Dienstzeiten

17

Die in dem Kriterium Dienstzeit zum Ausdruck kommende Berufserfahrung enthält als Leistungskomponente das "Erfahrungswissen" und ist in unterschiedlicher Ausprägung als leistungsbezogenes Hilfskriterium anerkannt.

18

Der Berechnungszeitraum der Dienstzeit beginnt ab dem Monat/Jahr des Eintritts in den Polizeivollzugsdienst des Bundes oder der Länder.

19

Bei der Berechnung der Dienstzeit im Statusamt wird der Zeitraum in Jahren/Monaten seit der Übertragung des Amtes herangezogen.

20

Die Dienstzeit auf dem höherwertigen Dienstposten beginnt mit der Übertragung.

21

...

22

3.5 A 10 g. D.

23

Bewerberkreis

24

KK/PK (A 9)

25

1. Auswahlebene

26

Wertungsstufe der dienstlichen Beurteilung

27

2. Auswahlebene

28

Vorbeurteilung

29

3. Auswahlebene

30

Dienstzeit auf einem nach A 13 g. D. bewerteten Dienstposten

31

4. Auswahlebene

32

Dienstzeit auf einem nach A 12 bewerteten Dienstposten

33

5. Auswahlebene

34

Dienstzeit im Statusamt

35

6. Auswahlebene

36

Datum Laufbahnprüfung/Zulassung Bewährungsaufstieg

37

7. Auswahlebene

38

Lehrgangsergebnis

39

8. Auswahlebene

40

SGB IX/NGG/Lebensalter

41

..."

42

Dieser Verfügung haben der Übergangsbezirkspersonalrat, der Übergangspolizeipersonalrat und die Frauenbeauftragte bei der Polizeidirektion F. zugestimmt; sie trat mit sofortiger Wirkung in Kraft.

43

Der am .......... geborene Antragsteller trat am 1. Oktober 1975 seinen Dienst zunächst bei der hessischen Bereitschaftspolizei an und wechselte zum 1. September 1985 in den Bereich der damaligen Bezirksregierung Braunschweig zur Kriminalpolizeiinspektion F.. Der Antragsteller absolvierte 1999 den Aufstiegslehrgang zum gehobenen Dienst beim Bildungsinstitut der Polizei in P. mit der Note gut (11,37 Punkte). Zum 1. Oktober 1999 wurde er zum Kriminalkommissar ernannt. Seit August 2004 ist er im Bereich der Polizeiinspektion F. als Sachbearbeiter tätig.

44

Der Antragsteller wurde zum Stichtag 1. September 2002 für den Beurteilungszeitraum vom 1. September 2000 bis zum 31. August 2002 als Kriminalkommissar (BesGr. A 9 BBesO) auf einem nach der Besoldungsgruppe A 11 BBesO bewerteten Dienstposten, den er zum damaligen Zeitpunkt seit dem 1. Juni 1991 innehatte, dienstlich mit der Wertungsstufe 4 (übertrifft erheblich die Anforderungen) beurteilt. Zum Stichtag 1. September 2005 erhielt der Antragsteller seine aktuelle Regelbeurteilung als Kriminalkommissar bzgl. eines ihm seit dem 1. Dezember 2004 übertragenen Dienstpostens, dessen Bewertung sich aus der Beurteilung vom 10. Oktober 2005 nicht ergibt. Diese Beurteilung schloss für den Antragsteller mit der Wertungsstufe 4 (übertrifft erheblich die Anforderungen).

45

Der am ........ geborene Beigeladene zu 1) ist seit dem 5. April 1972 im Dienst der niedersächsischen Polizei. Er wurde nach dem Bewährungsaufstieg vom mittleren zum gehobenen Dienst am 18. Februar 1998 zum Polizeikommissar (BesGr. A 9 BBesO) ernannt.

46

Zum Stichtag 1. September 2002 für den Beurteilungszeitraum vom 1. November 1999 bis zum 31. August 2002 erhielt er in der Regelbeurteilung die Wertungsstufe 3 (entspricht voll den Anforderungen). Aus der Beurteilung ist nicht ersichtlich, wie sein im 2. Polizeikommissariat F. im Kriminalermittlungsdienst angesiedelter Dienstposten als Sachbearbeiter bewertet war. Zum Stichtag 1. September 2005 wurde der Beigeladene zu 1) erneut dienstlich beurteilt, diesmal mit der Wertungsstufe 4 (übertrifft erheblich die Anforderungen). Angaben zur Bewertung seines Dienstpostens im Bereich der Polizeiinspektion F. (Verkehrsunfalldienst) als Sachbearbeiter enthält diese Beurteilung nicht.

47

Der am ....... geborene Beigeladene zu 2) ist seit dem 1. Oktober 1968 Angehöriger des niedersächsischen Polizeidienstes. Nach seinem Bewährungsaufstieg vom mittleren zum gehobenen Dienst wurde er am 18. Februar 1998 zum Polizeikommissar (BesGr. A 9 BBesO) ernannt.

48

Zum Stichtag 1. September 2002 wurde der Beigeladene zu 2) für den Beurteilungszeitraum vom 1. November 1999 bis zum 31. August 2002 auf seinem bei der Polizeistelle O. im Bereich des Polizeikommissariats P. nach der Besoldungsgruppe A 9 bewerteten Sachbearbeiterdienstposten mit der Wertungsstufe 3 (entspricht voll den Anforderungen) beurteilt. Zum Stichtag 1. September 2005 wurde der Beigeladene zu 2) auf dem selben Dienstposten mit der Wertungsstufe 4 (übertrifft erheblich die Anforderungen) beurteilt.

49

Gemäß einem Vermerk (ohne Datum) führte Polizeihauptkommissar Q. vom Dezernat 13 der Antragsgegnerin in einer "Beschreibung der Vergabe von Planstellen" im Wesentlichen aus, dass bei der Beförderungsauswahl für die Vergabe von Planstellen die in Zusammenarbeit mit der Dienststellenleitung und den Personalräten erstellten Richtlinien vom 7. April 2005 zur Anwendung kämen. Unter Berücksichtigung der unter Ziffer 3.6 aufgeführten Kriterien könnten die 3. und 4. Auswahlebene unberücksichtigt bleiben, da es in der Vergleichsgruppe der Besoldungsgruppe A 9 keine Beamten auf Dienstposten gebe, die nach A 12 oder A 13 bewertet seien. Die letzte aktuelle dienstliche Beurteilung sei das wesentliche Leistungskriterium und gehe bei Beförderungsauswahlentscheidungen allen anderen Kriterien vor. Die vorletzte Beurteilung in der gleichen Laufbahngruppe sei das nach der aktuellen Beurteilung nächste Kriterium, welches im Rahmen einer Beförderungsauswahl zu beachten sei. Die Berücksichtigung erfolge im Hinblick auf Leistungskontinuität. Die Beamtinnen und Beamten, die Leistungskontinuität zeigten, gingen denen vor, die diese nicht aufwiesen. Ein Bruch in der Leistungskontinuität sei insbesondere dann gegeben, wenn sich die aktuelle und vorletzte Beurteilung im gleichen statusrechtlichen Amt um mehr als eine Wertstufe unterschieden.

50

In der PI F. gebe es derzeit keine mit der Wertstufe 5 beurteilten Angehörigen der Besoldungsgruppe A 9. Die Beigeladenen seien aktuell mit der Wertstufe 4 beurteilt. Bei der vorletzten Beurteilung hätten beide die Wertstufe 3 erhalten. Damit sei Leistungskontinuität gegeben. Da eine Beförderungsauswahl aufgrund der Größe der Vergleichsgruppen anhand der beiden letzten Beurteilungen nicht möglich sei, seien die nachfolgenden Auswahlebenen zu berücksichtigen. Das sei zunächst die Dienstzeit im Statusamt A 9. Die Beigeladenen seien im Februar 1998 zu Polizeikommissaren ernannt worden. Die nächsten in der Beförderungsorientierungsliste aufgeführten Beamtinnen und Beamten seien im April 1998 ernannt worden. Somit könne in der 5. Auswahlebene eine Unterscheidung getroffen werden, so dass die Beigeladenen zu 1) und 2) auszuwählen gewesen seien.

51

In der vorgelegten "Orientierungsliste" belegen die ersten 8 Plätze mit der Wertungsstufe 3 beurteilte Bewährungsaufsteiger, dann folgen zwei Aufsteiger über die Laufbahnprüfung und dann zwei weitere mit Bewährungsaufstieg. Auf Platz 14 folgt der Antragsteller nach einem weiteren Absolventen der Laufbahnprüfung. Von den genannten Bewährungsaufsteigern haben 9 von 10 in der Vorbeurteilung die Wertstufe 3 erhalten. Einer ist mit Wertstufe 4 beurteilt worden. Auch auf Platz 46 findet sich ein Bewährungsaufsteiger mit der Wertstufe 4.

52

Unter dem 29. August 2006 führte die PI F. aus, sie habe sich bei der Auswahlentscheidung strikt an die Verfügung der Antragsgegnerin gehalten und die Auswahlliste mit dem örtlichen Personalrat einvernehmlich abgestimmt. Der Dienstposten des Antragstellers sei im Bereich der Planstellen von A 9 bis A 11 BBesO bewertet.

53

Der Antragsteller hat am 12. September 2006 bei Gericht um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht. Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus, die Bewerberauswahl verstoße gegen den Leistungsgrundsatz. Die Aufstellung und Anwendung der so genannten Orientierungsliste verletzte das Leistungsprinzip nach Art. 33 GG und § 8 Nds. Beamtengesetz (NBG). Die Leistungskontinuität sei nicht hinreichend berücksichtigt worden. Im Gegensatz zu ihm hätten die Beigeladenen in der Vorbeurteilung lediglich die Wertungsstufe 3 erhalten. Das verstoße gegen seine Rechte. Die zweite Auswahlebene der Grundsätze zur Beförderungsauswahl sei nicht zutreffend angewandt worden, weil die Antragsgegnerin eine Vorbeurteilung nur dann als Auswahlkriterium heranziehe, wenn ein Bewertungssprung von 2 Wertungsebenen zu verzeichnen sei. Woraus sich die Einschränkung auf den Bewertungssprung von mehr als einer Stufe ergeben solle, lasse die Antragsgegnerin offen. Daraus werde deutlich, dass die Beförderungsentscheidung ermessensfehlerhaft zustande gekommen sei. Die erfolgte Auslegung finde keine Stütze in den gesetzlichen Bestimmungen. In der Vergangenheit sei die Orientierungsliste von der Antragsgegnerin ständig für Beförderungen herangezogen worden. Somit ergebe sich ein Anspruch auf Anwendung der Grundsätze im Hinblick auf Art. 3 GG und den Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung.

54

Die Hinweise der Antragsgegnerin, die Vorbeurteilungen könnten nicht herangezogen werden, weil diese nicht unter den gleichen Rahmenbedingungen zustande gekommen seien, träfen nicht zu. Alle Beurteilungen seien anhand der Beurteilungsrichtlinien vorzunehmen gewesen. Das habe auch vor der Polizeireform gegolten. Ebenfalls fehl gehe der Hinweis der Antragsgegnerin, dass zwei unterschiedliche Dienstherren die Beurteilungen gefertigt hätten. Sowohl er als auch die Beigeladenen seien ältere Beamte, die aus der Bezirksregierung Braunschweig stammten.

55

Es sei nicht nachvollziehbar, wenn die Antragsgegnerin ausführe, die Vorbeurteilung der Beigeladenen zum Stichtag 1. September 2002 sei nur mit der Gesamtnote 3 erfolgt, da hier ein landesweit strengerer Beurteilungsmaßstab angelegt worden sei. Es habe einen einheitlichen landesweiten Beurteilungsmaßstab gegeben. Sowohl die Beigeladenen als auch er befänden sich in ein und derselben Vergleichsgruppe. Warum unterschiedliche Beurteilungspraxis und strengere Maßstabsbildung erfolgt sein sollten, erschließe sich nicht. Ein einheitliches Bewertungssystem solle gerade einheitliche Bewertungen ermöglichen und die Bewertungen transparent gestalten.

56

Auch die Antragsgegnerin habe sich an die Beförderungsrichtlinien zu halten und damit auch an die Wertungsstufen. Wie diese Beurteilungen im Einzelnen innerhalb der einzelnen Polizeiinspektionen zustande gekommen seien, welche Zusagen, Versprechungen und sonstige Aussagen dem einzelnen Beamten gemacht worden seien, um angeblich die Quotierung halten zu können, sei Sache der jeweiligen Polizeiinspektion und des beurteilten Beamten. Die jeweils beurteilten Beamten seien mit der Beurteilung zum damaligen Zeitpunkt im Übrigen einverstanden gewesen. Hätte die Beurteilung nicht dem tatsächlichen Leistungsstand entsprochen, hätten Widerspruch und ggf. Klage eingelegt werden müssen. Im Nachhinein zu behaupten, dass die tatsächlichen Leistungen eigentlich besser gewesen wären, entbehre einer rechtlichen Grundlage. Auch der Beigeladene zu 2) habe die ihm bekannt gemachte Beurteilung widerspruchs- und klaglos hingenommen.

57

Insgesamt werde deutlich, dass die Antragsgegnerin ihre Grundsätze der Beförderungsplanung ignoriere, da sie offensichtlich dienstältere Beamte bevorzugen wolle. Deshalb wende sie eigene Grundsätze an und setze sich damit über die verbindlichen Dienstanweisungen hinweg. Durch die Verwaltungsreform der Polizeibehörden würden zur Zeit viele ältere Beamte auf Beförderung warten. Es gebe offensichtlich die Vorgabe, ältere Beamte mit längeren Stehzeiten vorrangig zu behandeln. Das verstoße jedoch gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz und sei eine rechtswidrige Beförderungspraxis.

58

Der Antragsteller beantragt,

der Antragsgegnerin im Wege einstweiliger Anordnung zu untersagen, eine der beiden der Polizeiinspektion F. für den Monat September 2006 zugewiesenen Beförderungsstellen der Besoldungsgruppe A 10 BBesO mit einem der Beigeladenen zu besetzen, bis über die Stellenbesetzung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut entschieden worden ist.

59

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

60

Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus, weder Anordnungsgrund noch Anordnungsanspruch lägen vor. Der Antragsteller besetze einen Dienstposten, der im Bereich der Planstellen von A 9 bis A 11 BBesO bewertungsfähig sei. Einen Anspruch auf Beförderung habe der Antragsteller nicht. Sie habe die Grundsätze zur Beförderungsplanung angewendet. Die Ermittlung der Reihenfolge der zu befördernden Beamten sei mittels der Orientierungsliste als Hilfsmittel zur Vorbereitung der Auswahlentscheidung erfolgt. Diese Liste stelle keine bindende Rangfolgeliste dar. Sie bezwecke, bei einer großen Anzahl potenzieller Bewerber, die zum überwiegenden Teil jeweils im Wesentlichen gleich gut beurteilt worden seien, eine Rangfolge durch Gewichtung vergleichbarer Hilfskriterien zu ermitteln. Auch Dienst- und Lebensalter seien hinreichend leistungsbezogene Hilfskriterien. Diese hätten vorliegend zur Anwendung kommen dürfen, denn der Antragsteller und die Beigeladenen seien im Wesentlichen gleich beurteilt; deshalb sei auf der Grundlage der Gesamturteile keine weitere Differenzierung mehr möglich. Sie habe auch keineswegs die Vorgabe der Rechtsprechung missachtet, vorrangig die die Leistungsentwicklung wiedergebenden älteren dienstlichen Beurteilungen heranzuziehen. Der unter Nr. 2.5.2 genannte Aspekt der Leistungskontinuität setzte voraus, dass die Vorbeurteilungen unter gleichen Rahmenbedingungen zustande gekommen seien. Das sei bei ihr nicht der Fall. Reformbedingt hätten z. B. nach Versetzungen innerhalb der Behörde Beurteilungen von Polizeiinspektionen aus zwei unterschiedlichen Bezirksregierungen herangezogen werden müssen, die unter gänzlich verschiedenen Bedingungen, insbesondere auch mit Auswirkungen auf die Maßstabsbildung, entstanden und nicht vergleichbar seien. Diesem Umstand sei in Bezug auf die Beförderungspraxis innerhalb der Antragsgegnerin Rechnung getragen worden. Sie habe sich an das Prinzip der Bestenauslese gehalten, wobei jedoch berücksichtigt worden sei, dass die Gewichtung der Vorbeurteilung unter dem Aspekt der Leistungskontinuität betrachtet worden sei. Ein Bruch in der Leistungskontinuität sei angenommen worden, wenn sich aktuelle und vorletzte Beurteilung im statusrechtlichen Amt um mehr als eine Wertungsstufe unterschieden. Diese Sichtweise sei in der Vergangenheit und in der Gegenwart maßgebend für die Beförderungspraxis. Die Vorbeurteilungen der Beigeladenen mit der Gesamtnote 3 seien durch das Anlegen eines landesweit strengeren Beurteilungsmaßstabes erfolgt. Aufgrund der unterschiedlichen Beurteilungspraxis und des strengeren Maßstabsbildung sei sie gezwungen, durch die Heranziehung zusätzlicher Hilfskriterien wie der Dienstzeit im Statusamt eine Beförderungsauswahl zu treffen. Allein auf die Gesamtnote in der Vorbeurteilung abzustellen, hätte zur Folge gehabt, dass bezogen auf das Statusamt dienstältere Beamte niemals eine Beförderungsmöglichkeit hätten und die dienstjüngeren, im Statusamt der Besoldungsstufe A 9 angesiedelten Beamten mit besseren Beurteilungen immer an ihnen vorbeiziehen würden. In einem solchen Fall müsse es dem Dienstherrn möglich sein, weitere, den Leistungsgrundsatz wahrende Kriterien oder Auswahlmethoden heranzuziehen. Danach sei die Wahl auf die Beigeladenen gefallen.

61

Allerdings könne die an Eides Statt von den Beigeladenen getroffene Aussage, für Bewährungsaufsteiger sei ohne Ansehung der jeweiligen Leistungen im Rahmen der Maßstabsbildung die Wertungsstufe 3 festgelegt worden, nicht bestätigt werden. Richtig sei, dass diese Beamten bei der Beförderungsauswahl gesondert betrachtet worden seien und daher bei den Beurteilungen ein strenger Maßstab angelegt worden sei.

62

Im Gegensatz zur Erklärung der Beigeladenen habe es keine Beförderungsranglisten gegeben. In der Bezirksregierung Braunschweig seien Orientierungslisten erstellt worden, die lediglich ein Hilfsmittel der Beförderungsauswahl und daher keine Rangfolgelisten dargestellt hätten. Eine "gesonderte Beförderungsliste" für Bewährungsaufsteiger habe es nicht gegeben. Zwischen dem 1997 zuständigen Direktor der Polizei und dem damaligen Vorsitzenden des Bezirkspersonalrates bei der Bezirksregierung Braunschweig sei seinerzeit eine Vereinbarung getroffen worden. Diese habe den Anspruch beschrieben, dass Beamte aus der Laufbahn des gehobenen Dienstes grundsätzlich versorgungswirksam aus dem Amt A 10 in den Ruhestand eintreten sollten. Eine vergleichbare Vereinbarung gebe es bei ihr nicht.

63

Die Beigeladenen stellen keinen Antrag und treten im Wesentlichen den Ausführungen der Antragsgegnerin bei. Ergänzend führen sie aus, es sei nicht unzulässig, bei gleicher Eignung eine "Standzeit" als Hilfskriterium heranzuziehen. Entgegen der Annahme des Antragstellers gebe es keinen Anspruch auf Beförderung. Bei der Bezirksregierung Braunschweig habe es Beförderungsrichtlinien für den mittleren und gehobenen Polizeivollzugsdienst gegeben. Auswahlkriterium sei unter anderem die Wertungsstufe der dienstlichen Beurteilung gewesen. Durch die Bewertung der Diensterfahrung sei aber auch eine Beförderung derjenigen Beamten möglich gewesen, die eine schlechtere Wertstufe aufgewiesen hätten. Diese Beförderungspraxis sei allerdings nur für Aufsteiger nach Maßgabe der §§ 17, 17 a PolNLVO angewandt worden. Für die Bewährungsaufsteiger habe eine gesonderte Beförderungsliste bestanden. Diese habe vorgesehen, dass die Beförderung nach der Besoldungsstufe A 10 BBesO spätestens vor Erreichen des 57. Lebensjahres erfolgen solle. Das Beurteilungsverfahren 2002 habe für die Beamten Differenzierungen für die Vergabe von Wertungsstufen vorgesehen. In den Beurteilerkonferenzen seien durch die jeweiligen Zweitbeurteiler mit den Erstbeurteilern einheitliche Wertmaßstäbe für die PI F. festgelegt worden. Danach sollten alle Bewährungsaufsteiger ohne Ansehung der jeweiligen Leistungen die Wertstufe 3 erhalten, weil diese für die Beförderungsrangfolgeliste dann keine Rolle spiele. Da der so festgelegte Maßstab nur für den Bereich der PI F. gegolten habe, habe dies zur Folge gehabt, dass Beamte, die den Aufstieg über den Laufbahnlehrgang II oder den ALgD genommen hätten, vermehrt mit der Wertstufe 4 hätten beurteilt werden können, ohne dass damit ein direkter Leistungsvergleich zwischen den Bewährungsaufsteigern einerseits und den anderen Aufsteigern stattgefunden hätte. Bei der Polizeireform seien unterschiedliche Systeme im Bereich der Antragsgegnerin im Hinblick auf Beförderung und Orientierungslisten zusammengeführt worden. Das insgesamt habe zur Folge gehabt, dass die Bewährungsaufsteiger in eine Orientierungsliste der Polizeiinspektion F. aufgenommen worden seien. Das bedeute, dass keineswegs einheitliche Beurteilungsmaßstäbe zugrundegelegen hätten, so dass eben nicht die Vorbeurteilungen ohne Weiteres zugrundegelegt werden könnten. Die erste vergleichbare Beurteilung nach Gründung der Antragsgegnerin sei erst 2005 erfolgt. Der Beigeladene zu 2) habe im Übrigen zum Ausdruck gebracht, dass er mit seiner 2002 erhaltenen Bewertung nicht einverstanden gewesen sei. In einem Vermerk sei dazu ausgeführt, dass diese Wertstufe nur durch Anlegung eines strengeren Beurteilungsmaßstabes zustande gekommen sei. Deshalb sei zwischen den sogenannten Bewährungsaufsteigern und den Teilnehmern des ALgD zu differenzieren. Während die Bewährungsaufsteiger seinerzeit in dem Vorbeurteilungszeitraum mit der Wertstufe 3 pauschal bewertet worden seien, sei diese Pauschalbewertung für die ALgD-Teilnehmer und Laufbahnbewerber nicht so pauschal erfolgt. Wenn seinerzeit die Vorgesetzten der Bewährungsaufsteiger (also auch von ihnen) gewusst hätten, dass, wie vorliegend, der Vorbeurteilungszeitraum noch maßgebliche Bedeutung erlangen könnte, wäre eine Bewertung nicht nur mit der Wertungsstufe 3, sondern mit einer höheren Wertungsstufe erfolgt. Dies versicherten sie auch an Eides statt. Die gleiche Praxis gebe es auch für Bewerber aus der Besoldungsstufe A 10 für ein Amt der Besoldungsstufe A 11. Insgesamt seien die Grundlagen der Bewertung in den Vorbeurteilungen bei ihnen und dem Antragsteller gerade nicht vergleichbar.

64

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze und den Inhalt der Gerichtsakte sowie die Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin (insbesondere die Personalakten des Antragstellers und der Beigeladenen) Bezug genommen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

Gründe

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II.

Der zulässige Antrag ist begründet.

66

Der Antragsteller hat gemäß § 123 Abs. 1 und 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO glaubhaft gemacht, dass die streitbefangene Besetzungsentscheidung ermessensfehlerhaft erfolgt ist. Der Glaubhaftmachung einer realistischen, nicht nur entfernten Möglichkeit einer für ihn positiven neuen Auswahlentscheidung bedurfte es nicht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24.09.2002 - 2 BvR 857/02 -, NVwZ 2003, 200 f., und Beschluss vom 29.07.2003 - 2 BvR 311/03 -, DVBl. 2003, 1524 f.).

67

Die der Übertragung eines höherwertigen Dienstpostens oder Verleihung eines entsprechenden Amtes vorangehende Auswahlentscheidung ist ein Akt wertender Erkenntnis, der nur in eingeschränktem Maße einer gerichtlichen Kontrolle unterliegt. Die verwaltungsgerichtliche Nachprüfung beschränkt sich darauf, ob die Verwaltung den anzuwendenden Begriff oder den gesetzlichen Rahmen, in dem sie sich frei bewegen kann, verkannt hat, ob sie von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, allgemein gültige Wertmaßstäbe nicht beachtet hat, sachfremde Erwägungen angestellt oder gegen Verfahrensvorschriften oder mit höherrangigem Recht vereinbare Richtlinien (Verwaltungsvorschriften) verstoßen hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 21.08.2003 - 2 C 14.02 -, NVwZ 2003, 1397; OVG Lüneburg, Beschluss vom 24.08.2004 - 5 ME 92/04 -, jeweils m. w. N.).

68

Vorliegend hat die Antragsgegnerin die angefochtene Auswahlentscheidung ermessenfehlerhaft getroffen. Sie hat den gesetzlichen Rahmen des Art. 33 Abs. 2 GG i. V. m. § 8 NBG verkannt.

69

Wenn unter mehreren Bewerbern eine Auswahl für die Besetzung eines Beförderungsdienstpostens zu treffen ist, so sind nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. umfassend: Urteil vom 27.02.2003 - 2 C 16.02 -, NVwZ 2003, 1397 f.), Feststellungen über Eignung, Befähigung und Leistung in erster Linie auf dienstliche Beurteilungen zu stützen; dabei kommt auch zurückliegenden Beurteilungen Erkenntniswert zu. Erst wenn alle unmittelbar leistungsbezogenen Erkenntnisquellen ausgeschöpft und die Bewerber (dann noch) "im Wesentlichen gleich" einzustufen sind, sind Hilfskriterien heranzuziehen. Vor allem dann, wenn eine Stichentscheidung unter zwei oder mehr Beamten zu treffen ist, deren Leistungsstand in den aktuellen Beurteilungen im Wesentlichen gleich beurteilt ist, ist es mit Blick auf Art. 33 Abs. 2 GG geboten, die früheren Beurteilungen bei der Auswahl zu berücksichtigen (vgl. BVerwG, Urteil vom 19.12.2002 - 2 C 31.01 -, NVwZ 2003, 1398 f.; OVG Lüneburg, Beschluss vom 08.09.2006 - 2 ME 1138/06 -). Ebenso können sich, ohne dass insoweit ein Rückgriff auf ältere dienstliche Beurteilungen geboten wäre, leistungsbezogene Auswahlkriterien allein aus den aktuellen dienstlichen Beurteilungen ergeben, wenn sich im Rahmen einer sogenannten Binnendifferenzierung aus innerhalb einer Notenstufe vergebenen Punktzahlen oder Bewertungszusätzen wie "oberer Bereich", "mittlerer Bereich" oder "unterer Bereich" eine Differenzierung hinsichtlich Eignung, Befähigung oder fachlicher Leistung ergibt (BVerwG, Urteil vom 27.02.2003 aaO.) oder eine solche Differenzierung aus den Bewertungen der Einzelmerkmale hergeleitet werden kann (vgl. zsfd.: OVG Lüneburg, Beschluss 08.09.2006, aaO.).

70

Vorliegend geht die Antragsgegnerin zu Unrecht davon aus, dass sich der Erkenntniswert von Beurteilungen für eine beamtenrechtliche Auswahlentscheidung in einem Vergleich des Gesamturteils erschöpft (vgl. Schriftsatz vom 20.09.2006, S. 4, Bl. 42 Gerichtsakte). Sie hat demgemäß ungerechtfertigt bereits auf nicht mehr unmittelbar leistungsbezogene Erkenntnisquellen in Gestalt von Hilfskriterien (hier: Standzeit im Statusamt) zurückgegriffen.

71

Vorrangig hätte sie in betracht ziehen müssen, eine Binnendifferenzierung der einzelnen Beurteilungsmerkmale der Bewerber in den aktuellen dienstlichen Beurteilungen durchzuführen. Dem kann die Antragsgegnerin nicht mit Erfolg entgegenhalten, eine Auswertung der einzelnen Beurteilungsmerkmale sei bei den Massenbeförderungen zur Besoldungsgruppe A 10 BBesO unpraktikabel und nicht durchführbar. Der Umstand, dass der Antragsgegnerin eine Vielzahl derartiger Beförderungsstellen zur Verfügung steht, befreit sie nicht davon, in jedem Einzelfall den sich aus Art. 33 Abs. 2 GG, § 7 Beamtenrechtrahmengesetz und § 8 Abs. 1 NBG ergebende Grundsatz der Bestenauslese zu beachten und den damit ggf. verbundenen Verwaltungsaufwand zu erbringen (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 08.09.2006, aaO.).

72

Aus dem Vorstehenden folgt zugleich, dass die angefochtene Auswahlentscheidung auf einem weiteren Ermessensfehler beruht, denn die nach der im verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren lediglich möglichen und erforderlichen summarischen Prüfung ihrem Wortlaut nach rechtlich nicht zu beanstandenden "Grundsätze der Beförderungsplanung für den mittleren, gehobenen und höheren Polizeivollzugsdienst bis einschließlich A 14 BBesO" in der Polizeidirektion F." vom 7. April 2005 hat die Antragsgegnerin unter Verkennung des vorgegebenen gesetzlichen Rahmens ausgelegt und angewandt. Die in dem Vermerk über die Auswahl der Beamten für die Besetzung der für September 2006 zur Verfügung stehenden Beförderungsdienstposten zum Ausdruck kommende Praxis verletzt höherrangiges Recht. Unter Beachtung der vorgenannten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 27.02.2003, aaO.) liegt auf der Hand, dass im Verhältnis der Gesamtnoten der Vorbeurteilungen des Antragstellers zu den Beigeladenen gerade keine "im Wesentlichen gleichen" Bewertungen vorliegen. Die Beurteilung des Antragstellers zum Stichtag 1. September 2002 im Statusamt A 9 BBesO kommt zu der Wertungsstufe 4, wohingegen die Beigeladenen zum selben Stichtag ebenfalls in dem selben Statusamt lediglich mit Wertungsstufe 3 beurteilt worden sind.

73

Doch auch dann, wenn die Wertungsstufen des Gesamturteils der Vorbeurteilungen nicht unterschiedlich wären, ist den (aktuellen und älteren) Beurteilungen bei einer Auswahlentscheidung zur Differenzierung zwischen den Bewerbern der Vorrang vor Hilfskriterien zu geben. Es handelt sich nämlich um Erkenntnisse, die über Eignung, Befähigung und fachliche Leistung des Beurteilten Aufschluss geben. Zwar verhalten sie sich nicht zu dessen nunmehr erreichtem Leistungsstand in seinem derzeitigen statusrechtlichen Amt. Gleichwohl können sie vor allem bei einem Vergleich von Bewerbern bedeutsame Rückschlüsse und Prognosen über die künftige Bewährung in einem Beförderungsamt ermöglichen. Das kommt namentlich dann in Betracht, wenn frühere Beurteilungen positive oder negative Aussagen über Charaktereigenschaften, Kenntnisse, Fähigkeiten, Verwendungen und Leistungen sowie deren voraussichtliche weitere Entwicklung enthalten. Derartige Äußerungen, insbesondere bei einer Gesamtwürdigung der vorhandenen dienstlichen Beurteilungen erkennbare positive oder negative Entwicklungstendenzen, können vor allem bei gleichwertigen aktuellen Beurteilungen von Bewerbern den Ausschlag geben. Ihre zusätzliche Berücksichtigung bei der Auswahl ist deswegen mit Blick auf Art. 33 Abs. 2 GG geboten, wenn eine Stichentscheidung unter zwei oder mehr aktuell im Wesentlichen gleich beurteilten Beamten zu treffen ist (vgl. BVerwG, Urt. v. vom 27.02.2003, aaO., Rn. 15).

74

Diesen Anforderungen wird die Auslegung und Anwendung der Ziffer 2.5.2 der vorgenannten Grundsätze der Beförderungsplanung der Antragsgegnerin nicht gerecht. Der bloße Wortlaut genügt zwar den rechtlichen Anforderungen, jedoch führt die Einengung des Anwendungsbereichs dieser Vorschrift auf solche Sachverhalte, in denen zwischen der Vorbeurteilung und der aktuellen Beurteilung mehr als eine Wertungsstufe Unterschied besteht, dazu, dass dieses Kriterium (nach Berücksichtigung der aktuellen Beurteilung) lediglich formal an zweiter Stelle steht. Inhaltlich wird nämlich die Bedeutung, die den in der Vorbeurteilung enthaltenen Bewertungen sowohl im Gesamturteil als auch bei den Einzelmerkmalen als unmittelbar leistungsbezogenen Auswahlkriterien zukommt, nahezu vollständig negiert.

75

Damit hat die Antragsgegnerin die Erkenntnismöglichkeiten, die sich aus der Leistungsentwicklung und damit aus unmittelbar leistungsbezogenen Kriterien für die Auswahlentscheidung ergeben, nicht hinreichend ausgeschöpft. Sie hat weder eine Differenzierung vorgenommen, noch hat sie den bereits sich aus der Gesamtbeurteilung in den vorletzten dienstlichen Beurteilungen ergebenden Leistungsvorsprung des Antragstellers hinreichend berücksichtigt, so dass die auf diesen ermessenfehlerhaften Erwägungen beruhende Auswahlentscheidung rechtswidrig ist.

76

Entgegen der Auffassung der Beigeladenen und (wohl) auch der Antragsgegnerin lassen sich nicht nur die von der Antragsgegnerin nach der Polizeiorganisationsreform in Niedersachsen zum Stichtag 1. September 2005 erstellten dienstlichen Beurteilungen miteinander vergleichen, sondern jedenfalls auch noch die zum Stichtag 1. September 2002 erstellten dienstlichen Beurteilungen. Sie sind sämtlich nach Maßgabe der vom niedersächsischen Innenministerium erlassenen und landesweit geltenden Beurteilungsrichtlinien für den Polizeivollzugsdienst (BRLPol) vom 29. Dezember 1999 (Nds. MBl. 2000 S. 127, zuvor Runderlass vom 04.01.1996, Nds. MBl. S. 169) gefertigt worden. Die in dieser Richtlinie getroffenen Regelungen stellen (weitgehend) sicher, dass sich aus den dienstlichen Beurteilungen ein aussagekräftiges, objektives und vergleichbares Bild der Leistungen und Befähigungen der Polizeivollzugsbeamtinnen und Polizeivollzugsbeamten des Landes Niedersachsen gewinnen lässt.

77

Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich mithin, dass der Antragsteller hinreichend glaubhaft gemacht hat, dass sein Anspruch auf beurteilungs- und ermessenfehlerfreie Entscheidung über seine Bewerbung verletzt ist, so dass es in seinem Falle insgesamt an einer tragfähigen, dem Gebot der Bestenauslese entsprechenden Grundlage für die Auswahlentscheidung fehlt.

78

Aus der der Kammer vorgelegten "Orientierungsliste" ergibt sich im Übrigen, dass die Behauptung der Beigeladenen, sämtliche Bewährungsaufsteiger seien zum Stichtag 1. September 2002 mit der Wertungsstufe 3 beurteilt worden, nicht zutrifft. Die in der (insoweit anonymisierten) Liste an 12. und 46. Stelle geführten Bewährungsaufsteiger haben auch in der Vorbeurteilung, der ersten im gehobenen Dienst, die Wertungsstufe 4 erhalten. Zwar wäre der Antragsteller allein nach der Betrachtung der Wertungsstufen der aktuellen und der Vorbeurteilungen bei Zugrundelegung der Orientierungsliste der Antragsteller lediglich der dritte auf der Liste, jedoch ergibt sich aus dem Vorstehenden, dass die Antragsgegnerin bei der neu zu treffenden Auswahlentscheidung bei den Bewerbern anhand der Beurteilungen eine Binnendifferenzierung der aktuellen oder aber auch der vorletzten Beurteilung vorzunehmen oder auch auf die noch davor liegende Leistungsentwicklung abzustellen hat, so dass im Ergebnis eine Vorhersage über die Rangfolge einer dann zu erstellenden Orientierungsliste nicht möglich ist.

79

Das im Tatbestand wiedergegebene Vorbringen der Beigeladenen zu möglichen gesonderten Beförderungs- oder Orientierungslisten für Bewährungsaufsteiger und zu möglicherweise getroffenen Absprachen bzw. gegebenen Zusagen oder Versprechungen von Beurteilern oder anderen Vorgesetzten zur Rechtfertigung der Ergebnisse der Beurteilungsrunde von 2002 für die Bewährungsaufsteiger im gehobenen Dienst rechtfertigt keine abweichende rechtliche Beurteilung, sondern bestärkt - würde es sich so wie behauptet verhalten - sogar noch die Zweifel der Kammer am rechtmäßigen Zustandekommen der streitbefangenen Auswahlentscheidung. Entsprechendes gilt für das Bestehen einer "Zielvereinbarung", alle Bewährungsaufsteiger spätestens vor Ablauf des 57. Lebensjahres nach der Besoldungsgruppe A 10 BBesO zu befördern.

80

Die Beigeladenen müssen sich daran festhalten lassen, dass die ihnen zum Stichtag 1. September 2002 erteilten Beurteilungen mit dem vorliegend maßgeblichen Ergebnis Bestand haben und nicht etwa mit Erfolg von ihnen angefochten worden sind.

81

Soweit die Antragsgegnerin darauf hinweist, dass dann, wenn - abweichend von ihrer bisherigen Praxis - die Auswahlentscheidung unter vorrangiger Berücksichtigung der Beurteilungen zu treffen sei, die meisten Bewährungsaufsteiger keine Chance mehr hätten, noch versorgungswirksam nach der Besoldungsgruppe A 10 BBesO befördert zu werden, gibt dies die Situation zutreffend wieder, ändert jedoch nichts daran, dass die überragende Bedeutung der dienstlichen Beurteilung gegenüber nachrangigen Hilfskriterien wie etwa Stehzeit im Amt oder Dienstzeit insgesamt zwecks Wahrung der gesetzlichen Vorgaben diese Folgen hat.

82

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO; die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die keinen Antrag gestellt und damit kein Kostenrisiko auf sich genommen haben (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO), sind nicht erstattungsfähig (§ 162 Abs. 3 VwGO).

83

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 3 Nr. 1, 52 Abs. 5 S. 2 i. V. m. S. 1 Nr. 2 GKG (Endgrundgehalt der Besoldungsgruppe A 10 x 3,25).