Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 27.01.2022, Az.: 5 B 5976/21

Aufenthaltserlaubnis; Beteiligungserfordernis; Syrien; Zielstaatsbestimmung

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
27.01.2022
Aktenzeichen
5 B 5976/21
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2022, 59489
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Vor dem Erlass einer Abschiebungsandrohung mit dem Zielstaat Syrien muss die Ausländerbehörde unter Beteiligung des Bundesamtes Abschiebungsverbote prüfen.
2. Kein Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG, wenn der Antragsteller nicht in familiärer Lebensgemeinschaft mit einem Kind lebt, das im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG ist, und die Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft von der Kindesmutter aufgrund massiver Misshandlungen des Kindesvaters ablehnt.
3. Art. 8 EMRK gebietet keinen vorläufigen Verbleib im Bundesgebiet, wenn der Antragsteller ein familienrechtliches Verfahren zur Klärung des Umgangs und der Personensorge nicht mehr betreibt.

Tenor:

Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers vom 28. Oktober 2021 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 28. September 2021 wird angeordnet, soweit in der dort ausgesprochenen Abschiebungsandrohung dem Antragsteller die Abschiebung in die Arabische Republik Syrien angedroht worden ist.

Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Wahrung der Familieneinheit und wendet sich gegen die Beendigung seines Aufenthalts im Bundesgebiet.

Er ist syrischer Staatsangehöriger und am 13. März 2019 mit einem bis zum 25. September 2019 gültigen dänischen Aufenthaltstitel und einem vom Königreich Dänemark am 14. Januar 2015 ausgestellten, bis zum 25. März 2020 gültigen Reisedokument für Flüchtlinge in das Bundesgebiet eingereist.

Am 1. Oktober 2019 gab er eine notariell beglaubigte Vaterschaftsanerkennung für das Kind einer im Bundesgebiet lebenden syrischen Staatsangehörigen ab, die im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis gem. § 25 Abs. 2 AufenthG ist. Zugleich gaben er und die werdende Mutter eine notariell beglaubigte Erklärung über die gemeinsame Ausübung des Sorgerechts ab. Die Mutter des Kindes zog nach Einreise des Antragstellers aus Dortmund zu ihm nach A-Stadt und war vom 14. März 2019 bis 15. April 2019 unter einer gemeinsamen Anschrift gemeldet. Am 29. Januar 2020 wurde in A-Stadt das Kind des Antragstellers geboren, das die syrische Staatsangehörigkeit durch Abstammung erworben hat.

Seit Sommer 2019 kam es nach Angaben der Lebensgefährtin des Antragstellers zu schweren Übergriffen des Antragstellers ihr und dem Kind gegenüber. Bei einem Übergriff am 16. März 2020 soll der Antragsteller seine Lebensgefährtin mit einer Eisenstange geschlagen haben. Bei dem letzten Übergriff am 22. Juni 2020 erlitt die Lebensgefährtin des Antragstellers eine kleine Platzwunde an der Lippe, einen Zahnabbruch sowie Schwellungen und Rötungen der Wangen. Das wenige Monate alte Baby erlitt ein flächiges Hämatom links stirn- bis scheitelbeinseitig, fleckförmige blau-rötliche Hämatome im Bereich der Wangen links, eine Einblutung am linken Augenunterlid, petechiale Einblutungen am linken Oberlid und im seitlichen, linken Augenweiß sowie subdurale Hämatome. Diese photographisch dokumentierten Verletzungen waren nach einem rechtsmedizinischen Konsil am ehesten Folge mehrfacher Schläge gegen die linke Gesichtshälfte. Die Lebensgefährtin verließ noch in der Nacht mit dem Kind die gemeinsame Wohnung und verbrachte die Nacht im Hotel eines Bruders des Antragstellers. Am Folgetag fuhr sie mit dem Kind erst zu ihrem Bruder nach Dortmund; von dort wurde das Kind mit einem Rettungswagen in eine Kinderklinik gebracht und bis zum 30. Juni 2020 stationär versorgt.

Bereits mit Schreiben vom 20. April 2020 hatte der Antragsteller die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft mit der Mutter seines Kindes beantragt, die seine Lebensgefährtin sei. Auf Nachfrage der Antragsgegnerin teilte die Kindesmutter nun mit, dass sie seit dem 22. Juni 2020 keinen Kontakt mehr zu dem Antragsteller habe. Vor dem Amtsgericht Dortmund – Familiengericht – schloss der Antragsteller mit der Kindesmutter am 18. Mai 2021 einen gerichtlichen Vergleich über die Ausübung der Personensorge. Darin verzichtete der Antragsteller bis zum Ausgang des zwischenzeitlich wegen der Misshandlungen gegen ihn eingeleiteten Strafverfahrens auf die Ausübung der Umgangskontakte. Am 13. August 2021 wurde gegen den Antragsteller wegen Körperverletzung in vier Fällen, darunter schwere Körperverletzung mittels eines gefährlichen Werkzeug und mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung zum Nachteil seines Kindes und der Kindesmutter erhoben.

Dem Kind des Antragstellers ist zwischenzeitlich die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt und ein Aufenthaltstitel gem. § 25 Abs. 2 AufenthG erteilt worden.

Mit Bescheid vom 28. September 2021, zugestellt am 1. Oktober 2021, lehnte die Antragsgegnerin die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis ab, weil der Antragsteller nicht mit dem erforderlichen Visum eingereist sei. Er sei zwar bei seiner Einreise für Kurzaufenthalte von der Visumpflicht befreit gewesen, strebe jetzt aber einen längerfristigen Aufenthalt an, für den ein nationales Visum erforderlich sei. Dies einzuholen könne dem Antragsteller auch zugemutet werden, weil er keinen Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels habe.

Der Antragsteller hat am 28. Oktober 2021 Klage erhoben, über die noch nicht entschieden ist, und um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Er macht geltend, dass die familiäre Lebensgemeinschaft derzeit nicht bestehe, dies aber von der Kindesmutter zu vertreten sei, die ihm den Umgang verwehre. Insoweit habe er rechtliche Schritte eingeleitet.

Auf Aufforderung des Gerichts, diese Schritte näher darzulegen, hat der Bevollmächtigte des Antragstellers mitgeteilt, dass er keinen Kontakt zu dem Antragsteller mehr habe.

Der Antragsteller beantragt,

die aufschiebende Wirkung seiner Klage vom 28. Oktober 2021 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 28. September 2021 anzuordnen.

Die Antragsgegnerin beantragt unter weitgehender Bezugnahme auf den angefochtenen Bescheid,

den Antrag abzulehnen.

Dem Umstand, dass der Antragsteller im Besitz eines Reisedokumentes für Flüchtlinge gewesen sei, sei dadurch Rechnung getragen, dass auch eine Abschiebung nach Dänemark angedroht worden sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen. Der Inhalt sämtlicher Akten war Gegenstand der Entscheidungsfindung.

II.

Die Entscheidung ergeht durch den Einzelrichter, dem die Kammer den Rechtsstreit mit Beschluss vom 24. Januar 2022 zur Entscheidung übertragen hat (§ 6 Abs. 1 VwGO).

1. Der Antrag ist unstatthaft und deshalb unzulässig, soweit er die Ablehnung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis betrifft.

Die vorläufige Sicherung des Aufenthaltsrechts während eines anhängigen Verwaltungs- und auch Gerichtsverfahrens um die Verlängerung oder Erteilung eines Aufenthaltstitels erfolgt in einem Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO, wenn der Antrag auf Erteilung oder Verlängerung des Titels zum Entstehen einer Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 3 oder 4 AufenthG geführt hat und diese Wirkung durch die Entscheidung der Ausländerbehörde über den Antrag wieder erloschen ist (VGH Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 16.2.2021 – 11 S 3852/20 –, juris Rn. 6 und vom 7.7.2020 – 11 S 2426/19 –, juris Rn. 13).

Zwar hat die Antragsgegnerin hier eine Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 3 AufenthG ausgestellt. Diese hat aber rein deklaratorische Wirkung und begründet aus sich heraus keine rechtlichen Wirkungen. Im Falle ihrer Unrichtigkeit kann jederzeit auf die wahre, durch das Gesetz vermittelte Rechtslage zurückgegriffen werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 19.11.2019 – BVerwG 1 C 22.18 –, BeckRS 2019, 36255 Rn. 12; Kluth, in: BeckOK AuslR, Stand 1.10.2020, § 81 AufenthG Rn. 44 m. w. N.).

Tatsächlich hat der Antrag des Antragstellers auf erstmalige Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis die hier allein in Betracht kommende Erlaubnisfiktion des § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nicht ausgelöst. Nach dieser Bestimmung gilt der Aufenthalt bis zu einer Entscheidung der Ausländerbehörde über den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis (nur) dann als erlaubt, wenn der Ausländer sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, ohne einen Aufenthaltstitel zu besitzen.

Hier hielt und hält sich der Antragsteller nicht rechtmäßig im Bundesgebiet auf, da er nicht über einen nach § 4 Abs. 1 AufenthG erforderlichen Aufenthaltstitel verfügt. Der Antragsteller hat vor seiner Einreise in das Bundesgebiet nicht das erforderliche Visum eingeholt. Welches Visum erforderlich ist, ergibt sich aus § 6 AufenthG. Gemäß § 6 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ist für längerfristige Aufenthalte ein Visum für das Bundesgebiet (nationales Visum) erforderlich, das vor der Einreise erteilt wird. Ein solches Visum hat der Antragsteller nicht. Er war vielmehr am 13. März 2019 mit einem bis zum 25. September 2019 befristeten dänischen Aufenthaltstitel und einem Reisedokument für Flüchtlinge ins Bundesgebiet eingereist. Der dänische Aufenthaltstitel vermittelt seinem Inhaber zwar gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 AufenthG i. V. m. Art. 1, 21 SDÜ das Recht, sich aufgrund dieses Dokuments und eines gültigen Reisedokuments bis zu 90 Tage je Zeitraum von 180 Tagen frei im Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten zu bewegen, sofern er die in Art. 6 Abs. 1 a, c, und e SGK aufgeführten Einreisevoraussetzungen erfüllt und nicht auf der nationalen Ausschreibungsliste des betroffenen Mitgliedstaats steht. Dies gilt jedoch nicht für eine von vornherein beabsichtigte Überschreitung des kurzfristigen Aufenthalts, der sich hier aus der beabsichtigten Familienzusammenführung ergibt (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 12.7.2012 – 8 ME 94/12 –, juris Rn. 5).

2. Der Antrag ist weder hilfsweise als (statthafter) Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gem. § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO gestellt, noch als solcher umzudeuten.

Zwar ist das Gericht aufgrund von § 88 VwGO gehalten, das tatsächliche Begehren des Klägers zu ermitteln und dabei an die Fassung des Antrags nicht gebunden. Grenze der Auslegung eines Klagantrags ist aber die Hinweispflicht nach § 86 Abs. 3 VwGO. Sind danach ein rechtlicher Hinweis und eine rechtliche Erörterung erforderlich, besteht keine Legitimation des Richters, ohne vorherige Erörterung die Wesensgrenzen der Auslegung zu überschreiten und an die Stelle dessen, was eine Partei erklärtermaßen will, das zu setzen, was sie – nach Meinung des Richters – zur Verwirklichung ihres Bestrebens wollen sollte (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28.9.1989 – BVerwG 8 B 9.89 –; Buchholz 310 § 88 VwGO Nr. 17; juris). Insoweit hatte der Antragsteller Gelegenheit zur Stellungnahme auf den Schriftsatz der Antragsgegnerin, mit dem diese ausführlich zur Unzulässigkeit des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO ausgeführt hat, ohne dass er sich zur Sache weiter geäußert hätte. Weitere Hinweise waren insoweit nicht veranlasst.

3. Darüber hinaus besteht kein Anlass zur Umdeutung in einen Antrag, der zwar statthaft, aber absehbar unbegründet wäre. Auch das ist hier der Fall.

Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung). Voraussetzung hierfür ist, dass sowohl ein Anordnungsanspruch, d. h. der materielle Anspruch, für den der Antragsteller um vorläufigen Rechtsschutz nachsucht, als auch ein Anordnungsgrund, der insbesondere die Eilbedürftigkeit einer vorläufigen Regelung begründet, glaubhaft gemacht werden, § 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO. Maßgebend sind dabei die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.

Hier ist schon zweifelhaft, ob ein Anordnungsgrund noch besteht, nachdem der Bevollmächtigte des Antragstellers mitgeteilt hat, dass er keinen Kontakt mehr zu dem Antragsteller habe, was darauf deutet, dass ihm der Ausgang auch des Verfahrens um vorläufigen Rechtsschutz gleichgültig ist.

Auch einen Anordnungsanspruch hat der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht. Die Voraussetzungen des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG liegen nicht vor. Nach dieser Vorschrift ist die Abschiebung eines Ausländers auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird.

Die Abschiebung kann nicht allein deshalb für die Dauer des Aufenthaltserlaubniserteilungsverfahrens ausgesetzt werden, weil der Ausländer den Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis im Klageverfahren geltend macht und ihn im Bundesgebiet durchsetzen will (Nds. OVG, Beschluss vom 22.8.2017 – 13 ME 213/17 –, juris Rn. 3; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 11.1.2016 – 17 B 890/15 –, juris Rn. 6; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 24.2.2010 – 2 M 2/10 –, juris Rn. 7). Ein verfahrensbezogenes Bleiberecht in Form einer Erlaubnis-, Duldungs- oder Fortgeltungsfiktion hat der Bundesgesetzgeber nur für die in § 81 Abs. 3 und 4 AufenthG genannten Fälle bestimmt, die hier gerade nicht gegeben sind.

Zwar kann darüber hinaus ein Duldungsanspruch zur Sicherung eines effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG) in Betracht kommen, wenn sich aus den aufenthaltsrechtlichen Regelungen (vgl. etwa §§ 39ff. AufenthV, § 5 Abs. 2 Satz 2, § 25b, § 25 Abs. 2 und 5 AufenthG) ergibt, dass der angestrebte aufenthaltsrechtliche Status aus dem Inland verfolgt werden kann und zugleich feststeht, dass ein bindender Anspruch auf Erteilung der begehrten Aufenthaltserlaubnis besteht oder die Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG erfüllt sind (Nds. OVG, Beschluss vom 20.1.2021 – 8 ME 136/20 –, juris Rn. 5 m. w. N.). Das ist hier nicht der Fall.

Der Antragsteller hat schon deshalb keinen Anspruch auf die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 25 Abs. 5 AufenthG, weil weder die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 AufenthG noch die besonderen Voraussetzungen dieses Titels vorliegen.

a. Gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG setzt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis voraus, dass der Ausländer (Nr. 1) mit dem erforderlichen Visum eingereist ist und (Nr. 2) die für die Erteilung maßgeblichen Angaben bereits im Visumantrag gemacht hat. Dies ist hier nicht der Fall, weil der Antragsteller mit einem dänischen Aufenthaltstitel eingereist ist, der ihm nur einen vorübergehenden Aufenthalt erlaubte. Er kann deshalb auch nicht die Ausnahme des § 39 Satz 1 Nr. 6 AufenthV für sich in Anspruch nehmen.

Es ist auch nicht nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG von der Erfüllung der Visumpflicht abzusehen. Denn weder sind die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erfüllt, noch hat sich das Ermessen der Antragsgegnerin dahingehend verdichtet, dass es auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar wäre, das Visumverfahren nachzuholen.

Grundsätzlich ist – auch in Fällen des Familiennachzugs und auch im Lichte des Art. 6 Abs. 1 GG – die Durchführung eines Visumverfahrens zumutbar (Maor, in: BeckOK AuslR, 30. Ed. 1.7.2021, § 5 AufenthG Rn. 37.1). Weder Art. 6 Abs. 1 und 2 GG noch Art. 8 Abs. 1 EMRK gewährleisten ein Recht auf Einreise und Aufenthalt. Hat der Nachziehende – wie hier – ohne rechtfertigende Gründe das nationale Visumverfahren umgehen wollen, ist es auch regelmäßig nicht zu beanstanden, wenn die Behörde ihr Ermessen nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG zulasten des Betroffenen ausübt (Bay. VGH Beschluss vom 24.1.2019 – 10 C 18.1874 –, BeckRS 2019, 982 Rn. 27, beck-online).

Bei aufenthaltsrechtlichen Entscheidungen, die den Umgang mit einem Kind berühren, ist maßgeblich auch auf die Sicht des Kindes abzustellen und im Einzelfall zu untersuchen, ob tatsächlich eine persönliche Verbundenheit besteht, auf deren Aufrechterhaltung das Kind zu seinem Wohl angewiesen ist. Dabei sind die Belange des Elternteils und des Kindes im Einzelfall umfassend zu berücksichtigen (BVerfG, Beschluss vom 1.12.2008 – 2 BvR 1830/08 –, juris Rn. 31). Eine auch nur vorübergehende Trennung kann unzumutbar sein, wenn noch sehr kleine Kinder betroffen sind, die den nur vorübergehenden Charakter einer räumlichen Trennung möglicherweise nicht begreifen können und diese rasch als endgültigen Verlust erfahren. Dabei ist es Aufgabe des Tatsachengerichts, eine Vorstellung davon zu entwickeln, welchen Trennungszeitraum es für zumutbar erachtet und welcher Trennungszeitraum realistisch zu erwarten ist (BVerfG, Beschluss vom 1.12.2008 – 2 BvR 1830/08 –, juris Rn. 33).

Hier lebt das Kind des Antragstellers auch im Bundesgebiet schon seit Juni 2020 dauerhaft und räumlich von ihm getrennt, so dass das Verhältnis des Antragstellers zu seinem Kind durch die Durchführung des Visumverfahrens nicht beeinträchtigt wird.

b. Aus dem gleichen Grund sind auch die materiellen Voraussetzungen einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG nicht erfüllt.

Eine freiwillige Ausreise im Sinne von § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG ist aus rechtlichen Gründen unmöglich, wenn ihr rechtliche Hindernisse die Ausreise ausschließen oder als unzumutbar erscheinen lassen. Derartige Hindernisse können sich insbesondere aus inlandsbezogenen Abschiebungsverboten ergeben, zu denen u. a. auch diejenigen Verbote zählen, die aus Verfassungsrecht (etwa mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 GG) oder aus Völkervertragsrecht (etwa aus Art. 8 EMRK) in Bezug auf das Inland herzuleiten sind. Bei Bestehen solcher Abschiebungsverbote hat nach dem Gesetzeskonzept die zwangsweise Rückführung des betroffenen Ausländers zu unterbleiben. Dann aber ist ihm in aller Regel auch eine freiwillige Ausreise aus denselben rechtlichen Gründen nicht zuzumuten und damit unmöglich i. S. v. § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.6.2006 – BVerwG 1 C 14.05 –, beck-online; VGH Baden-Württemberg Urteil vom 18.4.2007 – 11 S 1035/06 –, BeckRS 2007, 24121, beck-online).

Nach diesem Maßstab wäre einem Antragsteller die freiwillige Ausreise unmöglich, der eine bestehende familiäre Lebensgemeinschaft pflegt, die er nur im Inland fortsetzen kann. Die familiäre Lebensgemeinschaft kann nur im Bundesgebiet geführt werden, wenn einem Mitglied der Lebensgemeinschaft das Verlassen der Bundesrepublik nicht zumutbar ist. Das wäre hier der Fall, solange das Kind des Antragstellers Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG ist (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 8.12.2008 – 8 LA 72/08 –, Rn. 6, juris; VG Hannover, Beschluss vom 28.5.2021 – 5 B 1365/21 –).

Der Antragsteller führt eine solche familiäre Lebensgemeinschaft aber nicht (mehr), weil seine Lebensgefährtin mit dem gemeinsamen Kind aus der Wohnung ausgezogen ist und keinen Kontakt zu dem Antragsteller mehr wünscht.

Ein Ausreisehindernis ergibt sich auch nicht aus dem laufenden Umgangsrechtsstreit. Zwar begründen Art. 6 GG und Art. 8 EMRK rechtliche Schutzwirkungen zugunsten eines Ausländers, der sich ernsthaft um die Erlangung eines Umgangsrechts bemüht, wenn die Ausreise des Ausländers oder eine Abschiebung den Ausgang des Verfahrens über das Umgangsrecht vorwegnimmt und / oder eine prozessual gebotene Verfahrensbeteiligung vereiteln würde (vgl. EGMR, Urteil vom 11.7.2020 – 29192/95 – juris; Haedicke, HTK-AuslR / § 60a AufenthG / zu Abs. 2 Satz 1 – familiäre Gründe, Rn. 68 m. w. N.). Die Personensorge übt der Antragsteller infolge des vor dem Familiengericht Dortmund geschlossenen Vergleichs bis zum Ende des Strafverfahrens nicht aus. Er hat zwar in der Antragsschrift vortragen lassen, dass er rechtliche Schritte eingeleitet habe, um die vergleichsweise zugesagten regelmäßigen Auskünfte über das Wohlergehen seines Kindes zu erhalten. Auf die Aufforderung des Gerichts, diese Schritte näher zu konkretisieren, hat der Bevollmächtigte des Antragstellers nurmehr mitgeteilt, dass er keinen Kontakt zu dem Antragsteller mehr habe. Angesichts dessen geht das Gericht davon aus, dass der Antragsteller auch das familiengerichtliche Verfahren nicht mehr ernsthaft betreibt und eine Beendigung seines Aufenthalts vor dessen Abschluss die Wahrnehmung seiner rechtlichen Interessen in diesem Verfahren nicht wesentlich beeinträchtigen und damit auch den Schutzbereich des Art. 6 GG und des Art. 8 EMRK nicht verletzen würde.

4. Soweit sich die Klage gegen die Abschiebungsandrohung richtet, ist der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO statthaft (§ 80 Abs. 2 Satz 2 VwGO i. V. m. § 64 Abs. 4 NPOG), aber nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Die Abschiebungsandrohung selbst ist voraussichtlich nicht zu beanstanden. Sie entspricht den gesetzlichen Anforderungen der §§ 58, 59 AufenthG. Bereits seit dem Ablauf der Frist für einen kurzfristigen Aufenthalt infolge der visumfreien Einreise, spätestens jedoch seit der Ablehnung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ist der Antragsteller vollziehbar ausreisepflichtig (§ 50 Abs. 1 AufenthG). Grundsätzlich steht auch das Vorhandensein von Abschiebungsverboten dem Erlass der Abschiebungsandrohung nicht entgegen, § 59 Abs. 3 Satz 1 AufenthG, woraus folgt, dass sich die Prüfung von Abschiebungsverboten in der Regel auf die Ebene des Vollzugs verlagert.

Auch wenn ein Abschiebungsverbot vorliegt, ist zwar der Staat, in den der Ausländer aufgrund des Abschiebungshindernisses nicht abgeschoben werden darf, gemäß § 59 Abs. 3 Satz 2 AufenthG ausdrücklich im Bescheid zu bezeichnen, die Abschiebungsandrohung aber nur insoweit rechtswidrig, wenn dies nicht erfolgt ist (Kluth, in: BeckOK Ausländerrecht, Kluth/Heusch, 31. Ed., Stand: 1.10.2021, § 59 Rn. 33; VG München, Urteil vom 25.2.2021 – M 10 K 18.2153 –, juris Rn. 67; OVG Münster, Beschluss vom 27.7.2007 – 19 E 269/07 –, juris Rn. 6; VG Schleswig, Beschluss vom 19.7.2007 – 14 B 35/07 –, juris Rn. 15).

Insbesondere bei einem zwingenden (und nicht nur vorübergehenden) zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbot, wie es bei Vorliegen der Voraussetzungen nach § 60 Abs. 5 AufenthG besteht, ist allerdings die Bezeichnung des betroffenen Staates als Zielstaat in der Abschiebungsandrohung rechtswidrig, weil bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen eine Abschiebung in den betreffenden Staat ausnahmslos ausgeschlossen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 11.9.2007 – BVerwG 10 C 8.07 –, juris Rn. 20).

Ein solches Abschiebungsverbot im Hinblick auf die Arabische Republik Syrien ergibt sich nach der im Verfahren um vorläufigen Rechtsschutz gebotenen Prüfung nicht schon daraus, dass der Antragsteller bei seiner Einreise im Besitz eines dänischen Reisedokuments für Flüchtlinge war und dementsprechend zu irgendeinem Zeitpunkt die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt bekommen hat. Denn er hat am 26. September 2019 – nach der Einreise in das Bundesgebiet – bei der syrischen Botschaft seinen Reisepass verlängern lassen und sich damit im Sinne von § 73a, § 72 AsylG freiwillig durch Annahme oder Erneuerung eines Nationalpasses oder durch sonstige Handlungen erneut dem Schutz des Staates, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, unterstellt. Auf eine frühere Anerkennung als Flüchtling allein wird er sich angesichts dessen voraussichtlich nicht mehr berufen können. Die frühere Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist allerdings ein Indiz für ein möglicherweise bestehendes Abschiebungshindernis, das die Antragsgegnerin als solches auch wahrgenommen hat.

Über ein sich danach andeutendes zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot hat die Antragsgegnerin mangels eines vorangegangenen oder laufenden Asylverfahrens unter Beteiligung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge selbst zu entscheiden (§ 72 Abs. 2 AufenthG). Nur in teleologischer Reduktion dieser Vorschrift wird die Beteiligung des BAMF dann nicht für erforderlich gehalten, wenn ein die Verhältnisse im Zielstaat betreffendes Vorbringen des Ausländers nicht ein Mindestmaß an Plausibilität bezüglich der vorgetragenen Gefahr oder der Relevanz dieser für den Betroffenen aufweist (Kluth, in: BeckOK Ausländerrecht, Kluth/Heusch, 31. Ed., Stand: 1.10.2021, § 72 Rn. 6). Auch davon geht die Antragsgegnerin hier zutreffend aus.

Hinsichtlich des konkret bezeichneten Zielstaats Syrien gibt es allerdings auch ohne konkretes Vorbringen des Antragstellers hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass Abschiebungsverbote der näheren Prüfung unter Beteiligung des Bundesamts bedürfen. Insoweit ist es in der obergerichtlichen Rechtsprechung nicht nur nach wie vor umstritten, ob syrischen Staatsangehörigen bei einer Rückführung nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine flüchtlingsrechtlich beachtliche Behandlung gerade in Anknüpfung an eine (zugeschriebene) oppositionelle Gesinnung oder einen anderen Verfolgungsgrund droht, ob syrische Sicherheitskräfte bei der Einreise Personen, die sich durch Ausreise nach Europa faktisch einer Einziehung zum Reservedienst in der syrischen Armee entzogen haben, wahllos oder allein wegen der Nichterfüllung einer alle militärdienstfähigen Männer gleichermaßen treffenden staatsbürgerlichen Pflicht Maßnahmen unterziehen oder ob sie ihnen durchweg oder zumindest beim Hinzutreten gefahrerhöhender Umstände eine illoyale, politisch oppositionelle Haltung unterstellen (vgl. EuGH, Urteil vom 19.11.2020 – C-238/19 –, juris; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 29.1.2021 – 3 B 109.18 –, juris Rn. 24 ff.). Auch soweit dies verneint wird, bleiben vielmehr hinreichende Anhaltspunkte für das Vorliegen von zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten. Insofern hat etwa das Nds. Oberverwaltungsgericht zwar angenommen, dass es jedenfalls an der gemäß § 3a Abs. 3 AsylG erforderlichen Verknüpfung zwischen einer etwaigen Verfolgungshandlung und einem Verfolgungsgrund i. S. v. § 3 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 3b AsylG fehlt, zugleich aber weiterhin offengelassen, ob angesichts der nicht von der Hand zu weisenden Möglichkeit, bei der Einreise Opfer willkürlicher Gewaltanwendung zu werden, eine Verfolgungshandlung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht:

Es besteht allerdings die bei Kontakten mit syrischen Sicherheitsbehörden generell existierende Gefahr, Opfer einer willkürlichen Festnahme, Misshandlung und Folter zu werden. Es kann als belegt gelten, dass derartige Praktiken in Syrien systemisch sind. Die Sicherheitskräfte verfügen über eine „carte blanche“, um zu tun, was immer sie möchten, wenn sie irgendjemanden aus irgendeinem Grund verdächtigen. Alles kann passieren; es gibt dementsprechend keinerlei Garantien. Misshandlungen kann es auch ohne triftigen Grund geben. Auch Personen, die nichts mit der Opposition zu tun haben, und sogar regimenahe Personen können verhaftet und misshandelt werden. Der Umgang ist maßgeblich von der Entscheidung des jeweils diensthabenden Beamten der Sicherheitskräfte und seiner persönlichen Einstellung abhängig. Das Vorgehen der Sicherheitskräfte ist generell von Brutalität und Willkür geprägt (vgl. Nds. OVG, Urteil vom 22.4.2021 – 2 LB 408/20 –, juris).

Schon diese Zusammenfassung begründet hinreichende Anhaltspunkte für die Beteiligung des Bundesamtes, die die Antragsgegnerin hier im Hauptsacheverfahren nachzuholen haben wird, soweit sie an der Zielstaatsbestimmung festhält.

5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG. Die Höhe des Streitwertes folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 GKG und entspricht Nr. 8.1, 1.5 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (vgl. NordÖR 2014, 11).