Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 31.01.2022, Az.: 7 B 6223/21

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
31.01.2022
Aktenzeichen
7 B 6223/21
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2022, 59437
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Der Sachantrag wird abgelehnt.

Die Antragsteller tragen die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens; Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Gründe

Die sinngemäß gestellten Anträge,

1. die aufschiebende Wirkung der von den Antragstellern am 19.11.2021 erhobenen Klage (7 A 6222/21) gegen die in Ziffer 3 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge -Bundesamt- vom 16.09.2021, Az.: 8483054 – 423, angeordnete Abschiebung der Antragsteller nach Kroatien anzuordnen,

2. den Antragstellern für die Durchführung des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin Starke, B-Stadt zu bewilligen,

haben keinen Erfolg.

1. Der Sachantrag ist statthaft und zulässig, insbesondere ist er - entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin - fristgemäß gestellt. Die Antragsteller müssen sich nicht gemäß § 10 Abs. 2 Asylgesetz -AsylG- den erfolglosen Versuch der Zustellung des angegriffenen Bescheides des Bundesamtes per Postzustellungsurkunde am 23. September 2021 an die Anschrift I. zurechnen lassen, denn dort haben sie nach dem Inhalt des vom Bundesamt übersandten Verwaltungsvorgangs zu keinem Zeitpunkt ihre - nach § 10 Abs. 1 AsylG dem Bundesamt mitzuteilende - Anschrift gehabt. Vielmehr handelt es sich um die Adresse des Sitzes der Verwaltung der Zuweisungsbehörde, der Stadt A-Stadt (vgl. die Zuweisungsentscheidung vom 26. August 2021, beim Bundesamt eingegangen am 27. August 2021).

2. Der Antrag ist jedoch unbegründet.

Für die Entscheidung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ist eine Abwägung des öffentlichen Vollzugsinteresses mit dem privaten Aussetzungsinteresse des Antragstellers vorzunehmen. Diese Abwägung orientiert sich in der Regel an den Erfolgsaussichten in der Hauptsache, soweit diese sich bei summarischer Prüfung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes abschätzen lassen.

Vorliegend überwiegt das Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin das Aussetzungsinteresse der Antragsteller, denn deren Klage bleibt in der Hauptsache voraussichtlich erfolglos, weil die angefochtene Abschiebungsanordnung nach summarischer Prüfung zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. § 77 Abs. 1 AsylG; EuGH, Urt. v. 25.01.2018, Rs. C- 360/16) wohl rechtmäßig ist.

Gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens gem. § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (Abl. L 180 vom 29.06.2013, S. 31, im Folgenden: Dublin III-VO) für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist.

Nach Art. 3 Abs. 1 Satz 1 der Dublin III- VO prüfen die Mitgliedstaaten jeden Antrag auf internationalen Schutz, den ein Drittstaatsangehöriger im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats stellt. Nach Art. 3 Abs. 1 Satz 2 der Dublin III-VO wird der Antrag von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III der Dublin III-VO als zuständiger Staat bestimmt wird. Lässt sich anhand dieser Kriterien nicht bestimmen, welcher Mitgliedsstaat zuständig ist, so ist dies erste Mitgliedstaat, in dem ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde (Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 1 Dublin III-VO). In einem Wiederaufnahmeverfahren - wie vorliegend nach Art. 23 Dublin III-VO - wird die Zuständigkeit des ersuchten Mitgliedstaats jedoch - anders als im Aufnahmeverfahren - nicht anhand der Kriterien des Kapitels III geprüft. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (vgl. dessen Urteil vom 02.04.2019, C-582/17, Celex-Nr. 62017CJ0582 -) ist vielmehr entscheidend, dass der um Wiederaufnahme ersuchte Mitgliedstaat die Voraussetzungen des Art. 20 Abs. 5 Dublin III-VO bzw. des Art. 18 Abs. 1 Buchst. b) bis d) Dublin II-VO erfüllt (vgl. VG Minden, Beschl. v. 29.10.2021 - 12 L 683/21.A -, juris 20 ff.).

Dies ist hier der Fall. Die Zuständigkeit Kroatiens folgt aus Art. 18 Abs. 1 Buchst. b) Dublin III-VO. Danach ist der betreffende Mitgliedstaat verpflichtet, einen Antragsteller, der während der Prüfung seines Antrags in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats ohne Aufenthaltstitel aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen. Die Antragsteller haben in Kroatien unzweifelhaft jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt, was sich daraus ergibt, dass für sie in Bezug auf Kroatien ein Eurodac-Treffer der Kategorie 1 vorliegt. Dieser Treffer besteht aus der Länderkennung "HR" für Kroatien und einer Zahlenkombination. Die Ziffer unmittelbar nach der Länderkennung - im vorliegenden Fall eine 1 - gibt den Grund für die Abnahme von Fingerabdrücken an, wobei eine 1 für "Asylbewerber" und damit für die Stellung eines Antrags auf internationalen Schutz. Es ist auch weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass die Antragsteller das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten zwischenzeitlich verlassen haben.

Kroatien hat dem fristgemäß gestellten (Art. 23 Abs. 2 Dublin III- VO) Wiederaufnahmegesuch des Bundesamtes vom 01. September 2021 - das Bundesamt hatte am 23. Juli 2021 Kenntnis von dem in Deutschland gestellten Asylantrag der Antragsteller erlangt - am 14. September 2021 auf der Grundlage von Art. 18 Abs. 1 lit. b) Dublin III-VO zugestimmt.

Die Zuständigkeit Kroatiens ist auch nicht aus verfahrensbezogenen Gründen auf die Bundesrepublik Deutschland übergegangen. Die Antragsteller sind im Hinblick auf ihre Rücküberstellung an den für die Bearbeitung ihrer Asylanträge zuständigen Mitgliedstaat hinsichtlich des dortigen Asylsystems auf den Einwand beschränkt, dass in dem zuständigen Mitgliedsstaat systemische Mängel im Asylverfahren bestehen.

Das gemeinsame Europäische Asylsystem gründet sich auf das Prinzip gegenseitigen Vertrauens, dass alle daran beteiligten Staaten die Grundrechte sowie die Rechte beachten, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll von 1967 sowie in der Europäischen Menschenrechtskonvention finden (EuGH, Urt. v. 21.12.2011 – C-411/10 und C-493/10). Daraus leitet sich die Vermutung ab, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Europäischen Grundrechtecharta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention steht (EuGH, Urt. v. 21.12.2011, 2011 – C-411/10 und C-493/10 – Rn. 80). Die diesem „Prinzip des gegenseitigen Vertrauens“ (vgl. EuGH, Urt. v. 21.12.2011, – C-411/10 und C-493/10) bzw. dem „Konzept der normativen Vergewisserung“ (vgl. BVerfG, Urt. v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93 und 2 BvR 2315/93 – juris) zugrundeliegende Vermutung ist jedoch nicht unwiderlegbar. An die Widerlegung sind wegen der gewichtigen Zwecke des gemeinsamen Europäischen Asylsystems indes hohe Anforderungen zu stellen. Nicht jede drohende Grundrechtsverletzung oder geringste Verstöße gegen die sekundärrechtlichen Gewährleistungen für Asylsuchende genügen, um die Überstellung an den zuständigen Mitgliedstaat zu vereiteln (EuGH, Urt. v. 21.12.2011, – C-411/10 und C-493/10 – Rn. 84). Erst wenn ernsthaft zu befürchten ist, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 der Grundrechtecharta implizieren, so wäre eine Überstellung mit dieser Bestimmung unvereinbar (EuGH, Urt. v. 21.12.2011, – C-411/10 und C-493/10 – Rn. 86). Es obliegt den nationalen Gerichten zu prüfen, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für den Antragsteller führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 der Grundrechtscharta ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH, Urt. v. 21.12.2011, – C-411/10 und C-493/10 – Rn. 94). Die systemischen Schwachstellen müssen, um unter Art. 4 der Grundrechtecharta bzw. Art. EMRK zu fallen, eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreichen, die von sämtlichen Umständen des Falles abhängt. Diese besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit wäre erreicht, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (vgl. in diesem Sinne EGMR, Urt. v. 21.01.2011, Nr. 30696/09, M.S.S./Belgien und Griechenland, §§ 252-263). Diese Schwelle ist selbst in durch große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person gekennzeichneten Situationen nicht erreicht, sofern sie nicht mit extremer materieller Not verbunden sind, aufgrund deren sich diese Person in einer solch schwerwiegenden Lage befindet, dass sie einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichgestellt werden kann.

Der Umstand, dass die Formen familiärer Solidarität, die Angehörige des normalerweise für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständigen Mitgliedstaats in Anspruch nehmen, um den Mängeln des Sozialsystems dieses Mitgliedstaats zu begegnen, bei den Personen, die in diesem Mitgliedstaat einen Asylantrag stellen, im Allgemeinen fehlen, ist keine ausreichende Grundlage für die Feststellung, dass sich eine Person, die internationalen Schutz beantragt hat, im Fall ihrer Überstellung in diesen Mitgliedstaat in einer Situation extremer materieller Not befände. Dennoch lässt sich nicht völlig ausschließen, dass eine Person, die internationalen Schutz beantragt hat, nachweisen kann, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen, die ihr eigen sind und im Fall ihrer Überstellung in den normalerweise für die Bearbeitung ihres Antrags auf internationalen Schutz zuständigen Mitgliedstaat bedeuten würden, dass sie sich aufgrund ihrer besonderen Verletzbarkeit unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die mit einer Verletzung von Art. 4 der Grundrechtecharta einhergehen. Der bloße Umstand, dass im ersuchenden Mitgliedstaat die Sozialhilfeleistungen oder die Lebensverhältnisse günstiger sind als im normalerweise für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständigen Mitgliedstaat, rechtfertigt nicht die Annahme, dass eine Person im Fall ihrer Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat tatsächlich der Gefahr ausgesetzt wäre, eine gegen Art. 4 der Charta verstoßende Behandlung zu erfahren. (EuGH, Rs. C-163/17 Rn. 91-97, Jawo). Diese Voraussetzungen sind für die Bedingungen, denen Asylantragsteller und anerkannte Schutzberechtigte in Kroatien ausgesetzt sind, derzeit nicht allgemein erfüllt. Dies ergibt sich aus Folgendem:

In der Länderinformation der Staatendokumentation des österreichischen Bundesamtes für Fremdenwesen aus dem Mai 2020 heißt es:

„Es existiert ein rechtsstaatliches Asylverfahren mit gerichtlicher Beschwerdemöglichkeit.

Dublin-Rückkehrer

Personen, die im Rahmen der Dublin-VO nach Kroatien zurückkehren (dies waren im Jahr 2019 insgesamt 99 Personen), haben prinzipiell vollen Zugang zum kroatischen Asylsystem. Wenn Rückkehrer Kroatien vor dem Ende ihres ursprünglichen Verfahrens verlassen haben und das Verfahren daher suspendiert wurde, müssen sie bei Rückkehr gemäß Art. 18(2) der Dublin-III-VO neuerlich einen Asylantrag stellen. Wer hingegen vor Verlassen des Landes seinen Antrag explizit zurückgezogen hat bzw. eine Zurückweisung erhalten hat, gilt in solch einem Fall als Folgeantragsteller (AIDA 22.4.2020). Die Überstellung von Dublin-Rückkehrern nach Kroatien wurde von europäischen nationalen Gerichten nicht infrage gestellt. Dies wurde vom Gerichtshof der Europäischen Union bestätigt (AIDA 22.4.2020). In einer im Februar 2019 veröffentlichten Studie der Organisation "Médecins du Monde" wird festgestellt, dass es Dublin-Rückkehrern in Kroatien an psychosozialer Unterstützung fehle (MdM 2.2019). (Siehe dazu auch Abschnitt 6.3. Medizinische Versorgung, Anm.)

Non-Refoulement

Seit 2016 gibt es eine Liste von zehn sicheren Herkunftsstaaten. Diese sind Albanien, Bosnien und Herzegowina, Nordmazedonien, Kosovo, Montenegro, Serbien, Marokko, Algerien, Tunesien und die Türkei. Auf letztere wird das Konzept des sicheren Herkunftsstaates in der Praxis nicht angewandt. Im Jahr 2018 wurde das Konzept in insgesamt 76 Fällen umgesetzt, die sich wie folgt verteilen: bei Algeriern (39), Marokkanern (13), Tunesiern (13), Kosovaren (5), Serben (4) und Bosniern (2). Entsprechende Zahlen für 2019 liegen nicht vor. Laut Gesetz kann ein Land dann als sicherer Drittstaat eingestuft werden, wenn ein Antragsteller dort sicher ist vor Verfolgung oder dem Risiko, ernsten Schaden zu erleiden, wenn das Non-Refoulement-Prinzip beachtet und effektiver Zugang zum Asylverfahren gewährt wird. Ob dies zutrifft, ist eine Einzelfallentscheidung. Wenn ein Antragsteller bereits in einem anderen Staat Schutz erhalten hat oder RefoulementSchutz genießt, kann sein Antrag in Kroatien als unzulässig zurückgewiesen werden (AIDA 22.4.2020). Eines der zentralen Themen in Kroatien war in den vergangenen Jahren der eingeschränkte Zugang zum Asylsystem für Personen, die via Serbien oder Bosnien und Herzegowina einreisen wollten (AIDA 22.4.2020). Internationale und kroatische NGOs sowie internationale Organisationen außerhalb des Landes wie das Amt des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) berichteten über polizeiliche Pushbacks von Migranten, die versuchten, über die Grenze zu Serbien und insbesondere zu Bosnien und Herzegowina illegal in das Land einzureisen (USDOS 11.3.2020; vgl. HRW 8.11.2019, SRF 28.9.2019; AI 2019). Es gab auch Berichte über Polizeigewalt (FH 4.2.2019). Durch die erwähnten Pushbacks werden die Migranten von materieller und medizinischer Hilfe ausgeschlossen bzw. sogar ihre Besitztümer (Kleidung, Schlafsäcke, Rucksäcke, Zelte) verbrannt bzw. auch andere Gegenstände wie Mobiltelefone, Powerbanks oder persönliche Dokumente ins Visier genommen (ECRE 30.8.2019). Es gibt Berichte über einen fortgesetzten und unverhältnismäßigen Einsatz von Gewalt und eine erniedrigende und unmenschliche Behandlung von Asylwerbern (ECRE 31.1.2020). Seitens der Ombudsperson wurde nach Eingang einer anonymen Beschwerde eines Grenzpolizisten, wonach die illegale Misshandlung von Migranten von den Vorgesetzten der Polizei angeordnet worden sei, schließlich das Parlament informiert. Das Innenministerium wies diese Behauptungen als unbegründet und ungenau zurück. Die Regierung arbeitete in den meisten Fällen mit dem UNHCR und anderen humanitären Organisationen zusammen, um Flüchtlingen, Asylsuchenden, Staatenlosen und anderen Betroffenen Schutz und Hilfe zu gewähren. Die Regierung hat bedeutende Schritte unternommen, um Personen, die Menschenrechtsverletzungen begangen haben, strafrechtlich zu verfolgen und zu bestrafen (USDOS 11.3.2020). Auch die Europäische Kommission beurteilt die Einrichtung eines Kontrollregimes für das Verhalten der kroatischen Grenzbeamten sowie das Versprechen der kroatischen Regierung, allen Vorwürfen nachzugehen, positiv. Es gebe ausreichende Belege dafür, dass das Land bemüht ist, seine Verpflichtungen zum Schutze der Menschenrechte zu erfüllen (HRW 8.11.2019).

Versorgung

Asylwerber in Kroatien haben das Recht auf materielle Versorgung während des Asylverfahrens. Dieses Recht gilt ab dem Zeitpunkt, an dem die betreffenden Personen den Willen zur Asylantragsstellung erkennen lassen und umfasst Unterbringung in einem Aufnahmezentrum (BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 10 von 18) Verpflegung, Kleidung und finanzielle Unterstützung sowie Refundierung der Fahrtkosten in öffentlichen Verkehrsmitteln. Die monatliche finanzielle Unterstützung wird ab der Unterbringung in einem Aufnahmezentrum gewährt und beläuft sich per 31.12.2019 auf 100 Kuna (EUR 13,40) pro Person. Auch wenn sich der Betrag bei abhängigen Familienmitgliedern erhöht, gilt er doch als sehr gering bemessen. Asylwerber, deren Verfahren nach neun Monaten noch nicht entschieden ist, haben das Recht zu arbeiten. Der faktische Zugang zum Arbeitsmarkt für Asylwerber wird jedoch durch die Sprachbarriere und die hohe Arbeitslosigkeit behindert. Asylwerber haben keinen Zugang zu Jobtrainings, sie können aber auf freiwilliger Basis innerhalb der Aufnahmezentren mitarbeiten. Auch können sie bei gemeinnützigen Tätigkeiten oder bei der Arbeit humanitärer Organisationen mitwirken (AIDA 22.4.2020).

Unterbringung

Gemäß Asylgesetz haben Asylwerber während des Asylverfahrens das Recht auf Unterbringung in entsprechenden Aufnahmezentren. Auf Antrag können sie auf eigene Kosten außerhalb eines Zentrums wohnen. Kroatien verfügt über zwei offene Aufnahmezentren für Asylwerber, in Zagreb im „Hotel Porin“ (Kapazität: 600 Plätze) und in Kutina (Kapazität: 100 Plätze). Beide Zentren werden vom kroatischen Innenministerium geführt. Das Zentrum in Kutina zielt auf die Unterbringung vulnerabler Antragsteller ab, auch wenn 2019 dort hauptsächlich umgesiedelte Personen beherbergt wurden, bis diese am Ende des Jahres in anderen Städten mit bezahlten Wohnungen ausgestattet wurden. Der Plan, in Mala Gorica ein neues Aufnahmezentrum zu bauen, wurde nach Protesten der lokalen Bevölkerung wieder verworfen und das veranschlagte Geld in die Renovierung der bestehenden Zentren investiert (AIDA 22.4.2020). Das „Hotel Porin“, offizielle Bezeichnung „Reception Center for Asylum Seekers Zagreb“, ist ein ehemaliges Hotel, das nach der Schließung nunmehr im Eigentum der Polizei steht. Das Zentrum wird von Polizei und Regierung mit Unterstützung zahlreicher NGOs wie Croatian Baptist Aid, MSF, dem Roten Kreuz und IOM betrieben (BGAV 13.5.2019). Eine umfassende Renovierung 2019 hat die Lebensbedingungen für die Asylwerber wesentlich verbessert (AIDA 22.4.2020). Die Bewohner können sich frei bewegen, müssen aber – sofern keine Sondergenehmigung vorliegt – bis 23 Uhr wieder im Haus sein. In Kutina teilen sich Familien ein Zimmer, unbegleitete Minderjährige und alleinstehende Frauen werden getrennt untergebracht. In Zagreb werden maximal vier Personen pro Zimmer untergebracht; Familien mit mehr als fünf Mitgliedern werden nach Möglichkeit zwei Zimmer zur Verfügung gestellt. Die Ausstattung mit Duschen und Toiletten ist ausreichend und die Einrichtungen werden regelmäßig gereinigt (AIDA 22.4.2020). In beiden Zentren erhalten die Bewohner drei Mahlzeiten pro Tag und schwangere Frauen, Wöchnerinnen und Minderjährige bis 16 Jahre erhalten zusätzlich eine Nachmittagsjause. In vom Roten Kreuz ausgestatteten Küchen können sich die Asylwerber außerdem selbst Mahlzeiten zubereiten (AIDA 22.4.2020). Das Personal des Innenministeriums in den Aufnahmezentren ist ausreichend. Es werden soziale und pädagogische Aktivitäten organisiert wie etwa Sportaktivitäten, Sprach- und EDV-Kurse und verschiedenste Workshops beispielsweise über kroatische Kultur und über Sitten und Gebräuche. Auch Kinderspielzimmer, Bibliothek, Friseur und ähnliches stehen zur Verfügung. Die meisten Asylwerber bleiben nicht lange in den Aufnahmezentren, da sie sich auf der Durchreise befinden (AIDA 22.4.2020). Der Jesuitische Flüchtlingsdienst JRS organisiert zahlreiche Freizeitaktivitäten und Sprachkurse. Zudem können die Bewohner der Aufnahmezentren eine asylrechtliche Beratung und psychosoziale Unterstützung in Anspruch nehmen (JRS o.D.). UNICEF setzt sich besonders dafür ein, dass bei der Organisation und Planung der Dienste in den Aufnahmezentren den Bedürfnissen der Kinder besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird (AIDA 22.4.2020). Für Familien mit Kindern stellt UNICEF die medizinische Versorgung von Müttern und Kindern sowie Unterstützung für schwangere und stillende Mütter bereit. Weiters organisiert UNICEF abgeschlossene Bereiche, in denen die Kinder spielen und informell lernen können (UNICEF o.D.). Antragsteller können bis zum Ende ihres Verfahrens in den Unterbringungszentren bleiben. Wenn eine rechtskräftig negative Entscheidung vorliegt und die postulierte Frist zur freiwilligen Ausreise verstrichen ist, muss das Zentrum verlassen werden (AIDA 22.4.2020). Kroatien verfügt zurzeit über drei Schubhaftzentren mit einer Gesamtkapazität von insgesamt 219 Personen: das geschlossene (Schubhaft-) Zentrum (Center for Foreigners) in Jezevo mit 95 Plätzen und die Transitzentren in Trilj und in Torvarnik mit jeweils 62 Plätzen. 2018 wurden gemäß kroatischen Innenministerium insgesamt 928 Migranten inhaftiert, davon 535 in Jezevo, 109 in Tovarnik und 284 in Trilj. Diese Zahl umfasst nicht die von der Polizei angeordneten Inhaftierungen, sondern nur jene, die von Aufnahmezentren für Asylwerber oder den Asylbehörden angeordnet wurden. Es liegen keine Daten über die Inhaftierung von Migranten und Bewerbern um internationalen Schutz im Laufe des Jahres 2019 vor (AIDA 22.4.2020).

Medizinische Versorgung

Asylwerber haben das Recht auf medizinische Notversorgung und notwendige medizinische und psychologische Behandlung. Diese Behandlung ist in den Aufnahmezentren Zagreb und Kutina verfügbar. Zudem wurde in beiden Zentren eine Ambulanz für chronische und lebensbedrohliche Krankheiten eingerichtet. Das Kroatische Rote Kreuz bietet ein breites Spektrum verschiedenster Leistungen an. Dazu gehören eine permanente psychologische und psychosoziale Unterstützung sowie eine besondere Betreuung potentieller Opfer von Folter und Traumata (AIDA 22.4.2020). Zur spezialisierteren Behandlung werden die betroffenen Personen an das Spital in Kutina überwiesen, das unter anderem über Ambulanzen in den Bereichen Kinderheilkunde, Gynäkologie und Neuropsychiatrie verfügt. Im Spital in Zagreb sind Suchtbehandlung, eine Zahnambulanz sowie eine Psychiatrie verfügbar. Darüber hinaus werden Antragsteller an lokale Krankenhäuser überwiesen, d.h. in Sisak für diejenigen, die in Kutina untergebracht sind, und an das Krankenhaus von Zagreb. Auch wurden für die Asylwerber zuständige Apotheken, jeweils eine in Zagreb und Kutina, festgelegt. Ein Ärzteteam von MdM war jeden Werktag von 9 bis 15 Uhr im Aufnahmezentrum in Zagreb und je nach Bedarf im Aufnahmezentrum in Kutina anwesend (AIDA 22.4.2020). Vulnerable Antragsteller, insbesondere Opfer von Folter, Vergewaltigung oder sonstigen schwerwiegenden Formen psychischer, physischer oder sexueller Gewalt, sind entsprechend medizinisch zu behandeln. In der Praxis ist diese zusätzliche Gesundheitsversorgung jedoch nicht regelmäßig zugänglich. Ein Mechanismus zur Identifizierung Vulnerabler existiert nicht, sie werden oft an den Arzt im Unterbringungszentrum verwiesen. Seit 2010 betreibt das Croatian Law Centre das Projekt “Protection of Victims of Torture among Vulnerable Groups of Migrants”. 24 Personen wurden 2019 im Rahmen dieses Projekts betreut (AIDA 22.4.2020). Teams von Medecins du Monde - bestehend aus Allgemeinmedizinern, einer Krankenschwester, einem Psychologen und einem Dolmetscher - bieten bei Bedarf medizinische und psychologische Unterstützung an. MdM arbeitet täglich mit diesen Menschen, von denen die meisten Opfer von multiplen Traumata sind, zusammen und kümmert sich – sofern erforderlich - auch um den Transport und die Begleitung in Krankenhäuser. Weiters wird Asylwerbern auch eine spezialisierte Betreuung angeboten. Zweimal im Monat sind ein Psychiater, ein Kinderarzt und ein Gynäkologe bei den Konsultationen anwesend. Sie ermöglichen Frauen und Kindern eine fachärztliche Betreuung. Schließlich wird auch die Impfung von Kindern gefördert, indem diese zu den entsprechenden Einrichtungen begleitet werden (MdM o.D.; vgl. MdM 6.2018). Im Jahr 2019 führte das Ärzteteam von MdM 3.556 ärztliche Konsultationen durch, hiervon 1.360 Erstuntersuchungen neu eingetroffener Asylwerber, weiters 1.200 psychologische Einzelberatungen und 110 psychiatrische Fachuntersuchungen (AIDA 22.4.2020). Darüber hinaus bietet als Teil des MdM-Teams ein Sozialarbeiter Informationen, Anleitungen und praktische Unterstützung für Asylwerber (z.B. Begleitung von Patienten in Gesundheitseinrichtungen, Begleitung von Kindern von Asylwerbern zur Impfung). Auch Schutzberechtigte werden entsprechend unterstützt, damit sie ihre Rechte geltend machen können. Durch Workshops oder individuelle Beratung informiert das medizinische Team von MdM über Prävention von Infektionskrankheiten, Hygiene, Zugang zur Gesundheitsversorgung und Familienplanung (MdM 6.2018). Außerdem hat das "Zentrum für Kinder, Jugend und Familie“ (Modus) seit März 2015 mit der Bereitstellung von kostenloser Beratung und Psychotherapie für Antragsteller und Flüchtlinge begonnen. 2019 wurde die Beratung nicht in den Aufnahmezentren selbst, sondern in den Räumlichkeiten der Organisation angeboten und von drei Psychologen und zwei Dolmetschern für Farsi und Arabisch unterstützt. Eine Sitzung dauert zwischen 45 und 60 Minuten und beinhaltet die üblichen Regeln für die Gewährung psychologischer Unterstützung, wie z.B. Vertraulichkeit und die Möglichkeit, sich auf die zu behandelnden Themen zu einigen (AIDA 22.4.2020). MedCOI bearbeitet grundsätzlich keine medizinischen Anfragen zu EU-Mitgliedsstaaten, da die medizinischen Mitarbeiter von MedCOI (Ärzte) davon ausgehen, dass medizinische Behandlungsmöglichkeiten in der EU generell in ausreichendem Maße verfügbar sind. Ausnahmen von dieser Regel sind nur in sehr spezifischen Einzelfällen möglich (MedCOI 14.12.2016).“

Für die Unterbringung der Antragsteller als Familie - zwei Erwachsene und ein dreijähriges Kind - kommt danach das Zentrum in Kutina in Betracht.

Soweit die Antragsteller unter Bezugnahme auf einen von ihnen vorgelegten Beschluss des VG Braunschweig vom 13. Januar 2022 (- 6 B 9/22 -, V.n.b.) vortragen lassen, es sei derzeit als offen anzusehen, ob Dublin-Rückkehrer nach ihrer Ankunft in Kroatien (regelmäßig) von „Push-backs“ betroffen seien, und hierzu auf die in jenem Beschluss benannten Erkenntnismittel verweisen und ergänzen, die Antragsgegnerin habe keine Zusicherung der kroatischen Behörden vorgelegt, dass es im Fall der Antragsteller nicht zu einer Kettenabschiebung komme und deren Asylanträge - auch im Hinblick auf ein an Art. 3 EMRK gemessenes Abschiebungsverbot - in einem individuellen Verfahren geprüft werde, kann dies das gefundene Ergebnis nicht in Frage stellen.

Zwar hat sich die Menschenrechtskommissarin des Europarates in ihrer Stellungnahme vom 22. Dezember 2020 gegenüber dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte besorgt darüber geäußert, dass sogar für Migranten, die die aus anderen EU-Staaten, insbesondere aus Slowenien, nach Kroatien zurückgelangten, erhebliche Beschränkungen beim Zugang zu einem fairen Asylverfahren bestünden. So gebe es konsistente Berichte darüber, dass Personen, die aus anderen Mitgliedsstaaten nach Kroatien zurückgelangten, routinemäßig von dort nach Bosnien und Herzegowina und Serbien weitergeschoben würden, ohne dass ihnen die Möglichkeit gegeben würde, einen Asylantrag zu stellen (Coucil of Europe Commissioner for Human Rights, Third party invention, EGMR No. 18810/19).

Die Berichte vom European Council on Refugees and Exiles (ECRE) „Report on illegal Pushbacks and Border Violence in the Balkan Region, 12. März 2020“ und „Austria: Chain Pushbacks to Bosnia amid Growing Evidence of Widespread Abuse in the Balkans, 20. November 2020“, auf die sich die Menschenrechtskommissarin bei der besagten Stellungnahme berufen hat (Fn 12), verhalten sich ebenso wenig zu der Situation von Dublin-Rückkehrern wie die zum Beleg herangezogenen Berichte von Amnesty International (ebenfalls Fn 12). Vielmehr sind Pushbacks bzw. Chain-Pushbacks Gegenstand dieser Berichte.

Es sind keine belastbaren Hinweise dafür ersichtlich, dass Asylsuchende, die nach der Dublin III-VO nach Kroatien zurück überstellt werden, keinen Zugang zum dortigen Asylverfahren haben (so bereits: VG Ansbach, Beschl. v. 20.12. 2021 - AN 14 S 21.50254 -, juris Rn. 44; VG Chemnitz, Beschl. v. 10.12.2021 - 4 L 519/21.A -, juris Rn. 30 f.).

Individuelle Umstände, die vorliegend eine andere Entscheidung rechtfertigen würden, sind nicht vorgetragen oder sonst ersichtlich. Die im weiten Ermessen der Antragsgegnerin stehende Entscheidung, von ihrem Selbsteintrittsrecht keinen Gebrauch zu machen, ist nicht zu beanstanden, denn eine Verletzung von Art. 4 Grundrechtecharta droht nicht, so dass aus denselben Gründen auch kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG gegeben ist. Die Überstellung der Antragsteller nach Kroatien kann auch durchgeführt werden. Sie ist tatsächlich und auch rechtlich möglich.

Ergänzend wird auf die Ausführungen auf S. 5 f. des angefochtenen Bescheids Bezug genommen, denen der Einzelrichter folgt (§ 77 Abs. 2 AsylG).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO; gemäß § 83b AsylG werden für das Verfahren Gerichtskosten nicht erhoben.

2. Aus den vorgenannten Gründen ist der Antrag auf die Gewährung von Prozesskostenhilfe abzulehnen, weil die Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO, 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 80 AsylG).