Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 05.01.2022, Az.: 12 A 11600/17
Auserehelicher Geschlechtsverkehr; Bagdad; Bürge; DPK; Ehrverbrechen; interner Schutz; Kurdistan; Niederlassung; Niederlassung; subsidiärer Schutz
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 05.01.2022
- Aktenzeichen
- 12 A 11600/17
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2022, 59432
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Tenor:
Soweit der Kläger die Klage zurückgenommen hat, wird das Verfahren eingestellt.
Im Übrigen wird die Beklagte wird unter Aufhebung der Ziffern 3 bis 6 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 02.10.2017 verpflichtet, dem Kläger subsidiären Schutz zu gewähren.
Die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens tragen die Beklagte zu zwei Dritteln und der Kläger zu einem Drittel.
Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt nach teilweiser Klagrücknahme noch die Gewährung subsidiären Schutzes und hilfsweise die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG).
Der Kläger ist am 24. G. in H. (Irak) geboren. Er ist irakischer Staatsangehöriger kurdischer Volks- und sunnitischer Glaubenszugehörigkeit. Im Juni 2016 reiste er über den Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 16.06.2016 einen Asylantrag. Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 27.07.2017 führte er aus, er habe im Juli 2014 auf der Hochzeitsfeier eines Freundes ein Mädchen namens I. J. kennengelernt. Sie seien zusammengekommen und hätten sich alle 2 bis 3 Monate einmal gesehen und ansonsten telefoniert, da sie in verschiedenen Dörfern gelebt hätten. Im Juni 2015 habe er bei ihrer Familie um ihre Hand angehalten. Ihre Familie sei aber nicht einverstanden gewesen und habe die Eheschließung auch noch abgelehnt, nachdem ältere Verwandte des Klägers mehrfach versucht hätten, sie umzustimmen. Die Familie von I. sei wohlhabend und gehöre den Feudalen an und habe nicht gewollt, dass I. jemanden aus einer niedrigeren Kaste heirate. Ihr Vater sei das Oberhaupt in ihrem Dorf K. und Mitglied der L.. Trotz der Ablehnung durch M. Familie hätten der Kläger und sie die Beziehung fortgeführt und er habe sie entjungfert. Dies habe sie ihrer Familie ungefähr eine Woche später, Ende August 2015, mitgeteilt, um damit doch noch eine Zustimmung zur Heirat zu erreichen. Stattdessen sei ihre Familie aber sehr aufgebracht gewesen, habe sie unter Hausarrest gestellt und den Kläger noch am selben Tage mit dem Tode bedroht. Um sein Leben zu schützen, sei er am 12.10.2015 mit seinem Onkel zur Polizei gegangen und habe Anzeige erstattet. Danach sei auf sein Haus geschossen worden. Insgesamt sei zwei- bis dreimal auf sein Haus geschossen worden, das erste Mal im September 2015 und das letzte Mal zwischen dem 08. und 10.01.2016. Außerdem seien Mitglieder von M. Familie vier- oder fünfmal zu ihm nachhause gekommen und hätten seinem Onkel erklärt, dass der Kläger Schande über ihre Familie gebracht habe, die nur durch seinen Tod wieder ausgeräumt werden könne. Der Kläger sei nicht dagewesen, weil er sich aus Angst jede Nacht woanders bei Verwandten und Freunden aufgehalten habe. Seine Familie habe versucht, auf der familiären Ebene andere Lösungen zu finden, aber keinen Erfolg gehabt. Er sei auch sehr oft telefonisch vom Vater und von den Brüdern von I. mit dem Tod bedroht worden. Von seinem Onkel, der in K. wohne, habe er erfahren, dass M. Familie Leute in die Straße des Klägers geschickt hätten, um nach ihm Ausschau zu halten, und dass Leute, die ihn ausspioniert hätten, seine Aufenthaltsorte an M. Familie weitergegeben hätten. Nach der Anzeige des Klägers habe es ein Gerichtsverfahren gegen M. Vater gegeben, bei dem er in Abwesenheit zu zwei Jahren Haft verurteilt worden sei. Nach dem Beschuss seines Hauses im Januar 2016 habe sein Onkel gemeint, dass der Kläger den Irak verlassen müsse. Deshalb sei er am 20.01.2016 ausgereist. Da M. Familie politische Einfluss habe, könne sie ihn überall in Kurdistan aufspüren und umbringen. Sie würden weiterhin nach ihm suchen und hätten Bekannte ausgefragt. Ende Februar 2016 und im März oder April 2017 seien M. Familienmitglieder auch erneut zu seinem Haus gekommen. Von I. habe er nichts mehr gehört, seit sie unter Hausarrest gestellt worden sei. Aufgrund ihrer politischen Beziehungen könne M. Familie ihn überall im Irak ausfindig machen.
Mit Bescheid vom 02.10.2017 lehnte das Bundesamt es ab, den Kläger als asylberechtigt anzuerkennen und ihm die Flüchtlingseigenschaft oder subsidiären Schutz zuzuerkennen (Nrn. 1 bis 3). Es stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4). Nach Ablauf einer Ausreisefrist 30 Tagen drohte es dem Kläger die Abschiebung in den Irak oder in einen anderen aufnahmebereiten Staat an und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Nrn. 5 und 6). Zur Begründung führte das Bundesamt aus, der Kläger habe keine relevante Verfolgung erlitten. Auch bei Wahrunterstellung seines Vorbringens knüpfe die Bedrohung nicht an ein flüchtlings- oder asylrechtlich relevantes Merkmal an. Gegen eventuelle Übergriffe durch Privatpersonen müsse der Kläger sich durch eine Anzeige bei der örtlichen Strafverfolgungsbehörde schützen. Nach seiner Aussage sei es ihm bereits einmal gelungen, ein Urteil gegen den Vater der Freundin zu erwirken. Dem Kläger drohe auch kein ernsthafter Schaden im Sinne von § 4 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 Asylgesetz (AsylG). Inbesondere herrsche in der Autonomen Region Kurdistan, aus der der Kläger stamme, kein internationaler oder innerstaatlicher bewaffneter Konflikt. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) bestehe aufgrund der derzeitigen humanitären Bedingungen im Irak auch unter Berücksichtigung der individuellen Umstände des Klägers nicht. Der Kläger habe verwandtschaftliche Beziehungen im Irak und sei erwerbsfähig. Gefahren im Sinne von § 60 Abs. 7 AufenthG seien nicht ersichtlich.
Am 12.10.2017 hat der Kläger Klage erhoben. Er vertieft sein Vorbringen und teilt ergänzend mit, der einflussreiche Vater von I. habe sich von der Strafe befreien können. Zudem seien Anhörer und Entscheider beim Bundesamt nicht identisch gewesen.
In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger die Klage hinsichtlich der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zurückgenommen.
Nunmehr beantragt er,
die Beklagte unter Teilaufhebung des Bescheides vom 02.10.2017 zu verpflichten, ihm subsidiären Schutz zu gewähren,
hilfsweise, festzustellen, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Irak vorliegen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist sie auf den angefochtenen Bescheid.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 16.12.2021 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Trotz des Ausbleibens der Beklagten im Termin zur mündlichen Verhandlung kann ein Urteil ergehen, da sie gemäß § 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) mit der Ladung darauf hingewiesen worden ist, dass auch ohne sie verhandelt und entschieden werden kann.
Soweit der Kläger die Klage zurückgenommen hat, ist das Verfahren gemäß § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen.
Im Übrigen ist die Klage zulässig und begründet. Die Beklagte ist zur Gewährung subsidiären Schutzes zu verpflichten, vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. In Bezug auf die Ziffern 3 bis 6 ist der Bescheid vom 17.08.2017 daher aufzuheben, vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
I. Der Kläger ist subsidiär schutzberechtigt. Gemäß § 4 Abs. 1 Asylgesetz (AsylG) ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Maßgeblicher Bezugspunkt dafür ist die Herkunftsregion des Ausländers (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 12.10.2018 - A 11 S 316/17 - juris Rn. 100 ff. m.w.N.), für den Kläger also der Bezirk H. in der Provinz N.. Als ernsthafter Schaden gilt gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG (1.) die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, (2.) Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder (3.) eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts. § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG bestimmt, dass die §§ 3c bis 3e entsprechend gelten. Die Verfolgung kann gemäß § 3c Nr. 3 AsylG auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern der Staat oder Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, wirksamen und dauerhaften Schutz vor Verfolgung zu bieten.
Die Furcht vor Verfolgung oder dem Erleiden eines ernsthaften Schadens ist begründet, wenn dem Ausländer - bei einer hypothetisch zu unterstellenden Rückkehr - die genannten Gefahren mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Hierfür ist erforderlich, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine individuelle Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dieser Wahrscheinlichkeitsmaßstab gilt unabhängig von der Frage, ob der Ausländer vorverfolgt ausgereist ist oder nicht. Vorverfolgte werden nach den unionsrechtlichen Vorgaben nicht über einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab, sondern über die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU privilegiert. Danach besteht bei ihnen eine tatsächliche Vermutung, dass ihre Furcht vor Verfolgung oder einem ernsthaften Schaden begründet ist. Diese Vermutung kann widerlegt werden. Hierfür ist es erforderlich, dass stichhaltige Gründe dagegen sprechen, dass ihnen erneut eine derartige Verfolgung oder ein derartiger ernsthafter Schaden droht (vgl. ausführlich u. m.w.N. zum Wahrscheinlichkeitsmaßstab BVerwG, Urt. v. 04.07.2019 - 1 C 31/18 - juris Rn. 16 ff.).
Gemäß § 3e AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft allerdings nicht zuerkannt, wenn er (1.) in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d hat und (2.) sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. Bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt, sind die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Ausländers gemäß Art. 4 der Richtlinie 2011/95/EU zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag zu berücksichtigen. Zu diesem Zweck sind genaue und aktuelle Informationen aus relevanten Quellen, wie etwa Informationen des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR) oder des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen (EASO), einzuholen (vgl. ausführlich zur Zumutbarkeit der Niederlassung BVerwG, Urt. v. 18.02.2021 - 1 C 4/20 -, juris Rn. 27 ff.).
Nach diesen Maßgaben ist dem Kläger subsidiärer Schutz zu gewähren.
1. Nach der Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung ist die Einzelrichterin davon überzeugt, dass ihm im Falle seiner Rückkehr in den Bezirk H. schwere Körperverletzungen bis hin zur Tötung durch Mitglieder der Familie seiner ehemaligen Freundin drohen.
Die Einzelrichterin geht davon aus, dass die vom Kläger geschilderten Begebenheiten sich tatsächlich so zugetragen haben. Seine Darstellung der Ereignisse ist im Verlauf des Verfahrens im Wesentlichen konstant geblieben. Sofern die Schilderungen vor dem Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung voneinander abwichen, nimmt die Einzelrichterin an, dass dies auf Verständigungsprobleme zurückzuführen ist. Denn auch bei ihrer Befragung des Klägers kam es aufgrund unklarer Äußerungen oder Übersetzungen wiederholt zu Irritationen. Zudem waren dem Kläger bei der Rückübersetzung der Niederschrift beim Bundesamt offenbar Fehler entgangen. So korrigierte er den Namen des Vaters seiner Freundin erst in der mündlichen Verhandlung. Seine Darstellung der Ereignisse vor seiner Ausreise blieb zwar recht knapp, entsprach insoweit aber der Erzählstruktur, mit der er die vorangegangenen Fragen der Einzelrichterin zu seinen Lebensverhältnissen in Deutschland und im Irak beantwortet hatte. Des Weiteren konnte der Kläger seine Darstellung durch die Vorlage des Strafurteils gegen den Vater seiner Freundin untermauern.
Danach wurde der Kläger wegen des außerehelichen Geschlechtsverkehrs mit seiner Freundin von deren männlichen Familienangehörigen gesucht und mit dem Tode bedroht. Dieses Vorbringen steht im Einklang mit der Erkenntnislage, wonach im Irak weitverbreitet die voreheliche Beziehung einer Frau zu einem Mann als Schande für die ganze Familie angesehen wird, deren Ehre - sofern nicht eine schnelle Eheschließung erfolgt - durch die Tötung der Frau und gelegentlich auch des Mannes wiederhergestellt wird (EASO, Informationsbericht über das Herkunftsland Irak, Gezielte Gewalt gegen Individuen, März 2019, S. 181 ff.). Dass der Kläger in den fünf Monaten zwischen dem Beginn der Drohungen und seiner Ausreise nicht vom Vater und den Brüdern seiner Freundin verletzt oder getötet wurde, spricht nicht gegen die Ernsthaftigkeit von deren Verfolgungswillen. Denn der Kläger hielt sich während der gesamten Zeit versteckt und erschien lediglich zur Gerichtsverhandlung über seine Anzeige gegen den Vater seiner Freundin, also in einer besonders beobachteten Situation, in Begleitung in der Öffentlichkeit.
2. Der Kläger kann keinen wirksamen und dauerhaften Schutz durch den Staat erlangen. Zwar ist der Vater seiner Freundin auf seine Anzeige hin zu einer Haftstrafe verurteilt worden. Er wurde aber nicht inhaftiert und die Bedrohungen setzten sich während des Strafverfahrens und nach seinem Abschluss gesteigert fort. Verschiedene Quellen weisen darauf hin, dass in der Autonomen Region Kurdistan zwar pro forma die Privilegierung von Ehrverbrechen gestrichen worden sei, es aber nach wir vor häufig nicht zur Strafverfolgung komme oder diese nur halbherzig durchgeführt werde. Insbesondere mit Geld und Verbindungen zu den Regierungsparteien lasse sich die Justiz beeinflussen (EASO, ebenda, S. 183).
3. Der Kläger kann nicht auf eine inländische Schutzalternative nach § 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3e AsylG verwiesen werden.
a) In anderen Provinzen der Autonomen Region Kurdistan ist der Kläger nicht frei von Verfolgungsfurcht, da es dem Vater seiner Freundin als Mitglied eines einflussreichen Stammes und der DPK möglich wäre, ihn überall in Kurdistan aufzuspüren (vgl. zur Verflechtung der DPK mit den Sicherheitskräften in der Autonomen Republik Kurdistan: EASO, Irak, Sicherheitslage, Informationsbericht über das Herkunftsland, Oktober 2020, S. 174 f., 187, 200 f., 207).
b) Einer Ansiedlung in Bagdad steht bereits entgegen, dass er dafür zwei Bürgen aus der künftigen Wohngegend und einen Unterstützungsbrief des Ortsvorstehers benötigen würde (UNHCR, Relevant Country of Origin Information to Assist with the Application of UNHCR’s Country Guidance on Iraq, Ability of Persons Originating from Formerly ISIS-Held or Conflict-Affected Aresas to Legally Access an Remain in Proposed Areas of Internal Relocation, Januar 2021, S. 3). Laut UNHCR gelten diese Anforderungen für alle Personen. Ausgenommen ist lediglich, wer bereits in Bagdad gewohnt hat und eine dort ausgestellte „housing card“ vorweisen kann. Die Angabe des EASO, wonach derartige Erfordernisse nur Personen aus ehemals vom IS besetzten oder umkämpften Gebieten betreffen (EASO, Country Guidance: Iraq, Common Analysis and Guidance Note, Januar 2021, S. 168), ist überholt. Denn das EASO verweist insoweit auf seine Veröffentlichung „Irak: Zentrale sozioökonomische Indikatoren für Bagdad, Basra und Erbil“ aus September 2020, die wiederum eine Publikation des UNHCR von November 2019 zitiert (ebenda, S. 26). Es ist nicht ersichtlich, dass der Kläger diese Voraussetzungen erfüllen kann. Er hat sein gesamtes Leben bis zu seiner Ausreise in der Provinz N. verbracht, wo sich auch seine Familie befindet.
b) Eine Niederlassung in Basra ist dem Kläger nicht zumutbar, weil nicht anzunehmen ist, dass es ihm gelingen wird, dort sein Existenzminimum zu sichern. Die Beschäftigungsmöglichkeiten in Basra sind begrenzt und schon vor Beginn der Covid 19-Pandemie wurde es als außerordentlich schwer beschrieben, dort selbst als Tagelöhner Arbeit zu finden. In der Stadt Basra wird das Betteln zunehmend zu einem Problem und es gibt mehrere Hundert informelle Siedlungen (EASO, Irak: Zentrale sozioökonomische Indikatoren für Bagdad, Basra und Erbil, September 2020, S. 13 f., 52, 68 f.). Zwar ist der Kläger ein noch recht junger, gesunder, alleinstehender Mann mit beruflicher Vorerfahrung im handwerklichen Bereich im Irak. Jedoch spricht er lediglich kurdisch. Arabisch hat er nur wenige Jahre als Fremdsprache in der Schule gehabt, die er nach acht Jahren ohne Abschluss verlassen hat. Da es in Basra - anders als beispielsweise in Bagdad – keine kurdische Community gibt, wird es dem Kläger kaum gelingen, dort Fuß zu fassen. Hinzu kommt, dass er Sunnit ist und deshalb bei der mehrheitlich schiitischen und arabischen Bevölkerung auf Vorbehalte stoßen wird.
II. Nach alledem ist die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger subsidiären Schutz zu gewähren. Neben der Ablehnung der Gewährung subsidiären Schutzes in Ziffer 3 des angegriffenen Bescheides müssen folglich auch die Ablehnung der Feststellung von Abschiebungsverboten sowie die Abschiebungsandrohung und die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes (mit dem damit konkludent angeordneten Einreise- und Aufenthaltsverbot, vgl. dazu Nds. OVG, Urt. v. 06.05.2020 - 13 LB 190/19 -, juris Rn. 55 m.w.N.) in den Ziffern 4 bis 6 aufgehoben werden.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 2 VwGO, soweit der Kläger die Klage zurückgenommen hat. Im Übrigen hat die Beklagte gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten zu tragen.
Gerichtskosten werden gemäß § 83 b AsylG nicht erhoben.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 Zivilprozessordnung (ZPO).