Verwaltungsgericht Stade
Urt. v. 08.03.2002, Az.: 1 A 1496/98

Gewichtsbeschränkung; Verkehrsbeschränkung

Bibliographie

Gericht
VG Stade
Datum
08.03.2002
Aktenzeichen
1 A 1496/98
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2002, 43451
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

nachfolgend
BVerwG - 26.09.2002 - AZ: BVerwG 3 C 9/02

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

§ 45 Abs 1 StVO räumt keinen Individualanspruch auf Anordnung verkehrsbeschränkender Maßnahmen zum Schutze von baulichen Anlagen ein, die die Straße umgeben.

Tatbestand:

1

Die Klägerin begehrt die Verpflichtung des Beklagten zur Einrichtung einer Durchfahrtsbeschränkung in der Ortsdurchfahrt F., Gemeinde L..

2

Sie ist Eigentümerin des Grundstücks F. 28 in der Ortschaft F., welches mit einem 1908 errichteten und 1976 grundsanierten Gebäude bebaut ist. Die Fleetstraße ist ein Teil der örtlichen Ortsdurchgangsstraße; der andere Teil der Durchgangsstraße gehört zur K. 57. Die Straße ist mit Findlingspflaster - ausgeglichen durch Aufbringung bituminösen Mischgutes um das Jahr 1970 - befestigt und mit einer Deckschicht aus Asphaltbeton versehen. Die Fahrbahn der F. ist ca. vier Meter breit. Ein Gehweg existiert im Bereich des klägerischen Hausgrundstücks nicht. Bis 1992 war auf der F. ab Ortsmitte durch Verkehrszeichen eine Gewichtsbeschränkung von 3,5 t angeordnet; auf dem zur K. 57 gehörenden Teil der Ortsdurchfahrt galt eine Gewichtsbeschränkung von 7,5 t. Durch Anordnung des Beklagten vom 20.03.1992 wurde die Gewichtsbeschränkung von 3,5 t aufgehoben und durch eine Beschränkung auf 7,5 t für nunmehr die gesamte Ortsdurchfahrt ersetzt; gleichzeitig wurde für die gesamte Ortsdurchfahrt die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 30 km/h beschränkt. Unter dem 02.06.1993 ordnete der Beklagte die Aufhebung der Gewichtsbeschränkung für die K. 57 an und ergänzte die Gewichtsbeschränkung auf 7,5 t für die F. um das Zusatzschild "Lieferverkehr frei". 1995 wurde weiterhin das Zusatzzeichen "Landwirtschaftlicher Verkehr frei" angebracht. Vorausgegangen waren Beschwerden der Klägerin und eines weiteren Anwohners der F., bei denen darauf hingewiesen wurde, dass insbesondere Landwirte zu Erntezeiten und beim Gülletransport erheblich schneller als mit 30 km/h fahren würden.

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Mit Schreiben vom 03.04.1997 beantragte die Klägerin die Herabsetzung der Gewichtsbeschränkung von 7,5 t auf 3,5 t und die Einrichtung einer Beschilderung auch an weiteren Standorten, welche ausschließen sollte, dass die schwereren Fahrzeuge überhaupt nach F. fahren können, weil dort keine Wendemöglichkeit bestehe. Die F. sei aufgrund ihres Ausbauzustandes nicht für Fahrzeuge mit einem Gewicht von über 3,5 t geeignet. Dadurch, dass zu schwere Fahrzeuge mit häufig überhöhter Geschwindigkeit die F. passierten, sei es am Haus der Klägerin zu erheblichen Schäden gekommen. Unter dem 21.04.1997 beantragte die Klägerin weiterhin die Entfernung der Zusatzschilder, mit denen landwirtschaftlicher Verkehr und Zulieferverkehr von der Gewichtsbeschränkung ausgenommen werden.

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Nach Vornahme einer Ortsbesichtigung am 17.06.1997 lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 01.07.1997 den Antrag vom 03.04.1997 auf Herabsetzung der Gewichtsbeschränkung ab. § 45 StVO ermächtigte die Straßenverkehrsbehörden nicht zu Maßnahmen zum Schutze der baulichen Substanz von Gebäuden vor Erschütterungen, die vom Straßenverkehr ausgehen. Die Vorschrift ermächtige vielmehr nur zur Abwehr von Gefahren und zur Beseitigung von Störungen, die den Straßenverkehr selbst betreffen. Die Norm könne nicht als Generalklausel angesehen werden, die auch zur Abwehr von Gefahren außerhalb des Straßenverkehrs ermächtige. Schutzgut sei vielmehr die Sicherheit und Ordnung des Verkehrs. Mit Bescheid vom 08.08.1997 lehnte der Beklagte unter Verweis auf die Begründung seines Bescheides vom 01.07.1997 den Antrag der Klägerin vom 21.04.1997 auf Entfernung der Zusatzbeschilderung ab. Die Straße werde nach Mitteilung der Gemeinde L. von Anliegern und vorrangig von landwirtschaftlichen Fahrzeugen sowie Fahrzeugen des Lieferverkehrs genutzt. Das Polizeikommissariat L. habe mitgeteilt, dass kein Durchgangsverkehr mit Containern stattfinde. Eine Gewichtsbeschränkung von 7,5 t auch für den landwirtschaftlichen Verkehr und für den Lieferverkehr komme nicht in Betracht, da in einem solchen Falle ohnehin Ausnahmegenehmigungen aufgrund des Vorliegens berechtigter Gründe erteilt werden müssten.

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Gegen die ablehnenden Bescheide erhob die Klägerin mit Schreiben vom 17.07.1997 und vom 20.08.1997 Widerspruch. § 45 StVO sei auch bei schützenswerten Individualinteressen, insbesondere bei grundrechtlich geschützten Rechtspositionen einschlägig und räume dem Einzelnen einen Anspruch auf verkehrsregelndes Einschreiten ein. Eine notwendige Abwägung sei hier nicht durchgeführt worden. Es sei vielmehr einfach auf das Interesse der Landwirtschaft abgestellt worden. Es müsste entweder eine konsequente Verkehrsbeschränkung auf ein Gewicht von 3,5 t angeordnet werden, oder aber die F. so ausgebaut und tragfähig gemacht werden, dass sie für Schwerlastverkehr zulässig wäre.

6

Die Widersprüche wurden mit Bescheid der Bezirksregierung Lüneburg vom 04.08.1998 zurückgewiesen. Verkehrsbeschränkungen bei schützenswerten Individualinteressen könnten nur angeordnet werden, wenn der Tatbestand des § 45 StVO erfüllt sei und die anzuordnenden Verkehrszeichen zumindest teilweise auch vor Beeinträchtigungen durch den Verkehr schützen sollen; dies sei beim Schutz von Gebäuden vor Erschütterungen nicht der Fall. Der Klägerin stehe daher kein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die beantragten weitergehenden Verkehrsbeschränkungen zu.

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In einem vor dem Landgericht Stade geführten und bisher noch nicht entschiedenen Rechtsstreit der Klägerin gegen die Gemeinde L. als Trägerin der Straßenbaulast sowie einem vorangegangenen Beweissicherungsverfahren wurden gutachtliche Stellungnahmen zu der Frage eingeholt, ob und inwieweit die Schäden am Hause der Klägerin - insbesondere Risse im Mauerwerk - auf Erschütterungen beruhen, die von dem die F. passierenden Verkehr verursacht werden. Der Sachverständige D.-I. G. führt in seinem Gutachten vom 28.04.1999 und seiner ergänzenden Stellungnahme vom 25.08.1999 aus, dass die im Rahmen der Begutachtung durchgeführten Schwingungsmessungen zu dem Ergebnis geführt hätten, dass die Schwingungen des Gebäudes und der Gebäudekonstruktion - durch den Straßenverkehr verursacht - zu keinen Schäden am Gebäude geführt haben können. Weiterhin führt er aus, dass die Vorbeifahrt von Lastkraftwagen am klägerischen Grundstück im Bereich der Fundamente des Gebäudes der Klägerin im Erdboden Schwingungen auftreten können, die zu einer Veränderung wesentlicher Bodenparameter führten, wodurch die Tragfähigkeit des Bodens verschlechtert würde und es zu unterschiedlichen Setzungen des Gebäudes kommen könne. Dabei werde das Vorliegen von Kleiboden mit einer Steifeziffer von unter 10 MN/m² angenommen. Der Sachverständige P. D.. H. führt in seinem Gutachten vom 17.01.2002 aus, dass das Gebäude der Klägerin auf Kleiboden mit einer Steifeziffer von unter 1 MN/m² stehe, so dass die im Gutachten von D.-I. G. vorausgesetzte Steifeziffer um eine Größenordnung über der tatsächlich ermittelten Steifeziffer liege.

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Die Klägerin hat am 28.08.1998 Klage erhoben. § 45 StVO greife auch schützenswertem Individualinteresse, was insbesondere der Fall sei, wenn die Grundrechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit sowie das Eigentumsgrundrecht betroffen seien. Aufgrund der am Haus eingetretenen Schäden bestehe deshalb ein Anspruch auf die begehrte Verkehrsbeschränkung.

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Die Klägerin beantragt,

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den Beklagten unter Aufhebung der Bescheide des Beklagten vom 01.07.1997 und 08.08.1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Lüneburg vom 04.08.1998 zu verurteilen, die Einrichtung einer Durchfahrtsbeschränkung für Fahrzeuge mit einem zulässigen Gesamtgewicht von mehr als 3,5 t in der Ortsdurchfahrt F. anzuordnen und die Entfernung des Zusatzzeichens "Landwirtschaftlicher Verkehr und Zulieferverkehr frei" anzuordnen.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Die Klägerin habe weder einen Anspruch auf Anordnung der begehrten Gewichtsbeschränkung sowie Entfernung der Zusatzschilder noch einen diesbezüglichen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung. § 45 Absatz 1 Satz 1 StVO stelle keine allgemeine, sondern nur eine auf Verkehrsgefahren beschränkte Generalklausel dar und ermächtige nur zur Abwehr und Beseitigung von Störungen des Verkehrs. Zwar habe der Einzelne einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung, wenn die Verletzung seiner geschützten Individualinteressen in Betracht komme. Vorliegend sei jedoch schon der Tatbestand der Rechtsgrundlage nicht erfüllt. Es bestehe keine Gefahr für die Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs, die durch Maßnahmen des Beklagten beseitigt werden müsste. Straßenschäden seien nach Auskunft der Gemeinde Loxstedt ebenfalls nicht zu erwarten. Für eine Ermessensentscheidung des Beklagten sei daher kein Raum verblieben.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die Gerichtsakte, auf den beigezogenen Verwaltungsvorgang des Beklagten und der Bezirksregierung Lüneburg sowie auf die beigezogenen Akten des Landgerichts Stade (4 O 142/00, 4 OH 5/98) - insbesondere auf die in diesem Verfahren eingeholten Sachverständigengutachten - verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage hat keinen Erfolg.

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Die Ablehnungsbescheide des Beklagten vom 01.07.1997 und vom 08.08.1997 sowie der Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Lüneburg vom 04.08.1998 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin daher nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat weder einen Anspruch auf Anordnung der Aufstellung des Verkehrszeichens 262 mit einer Gewichtsbeschränkung von 3,5 t noch einen Anspruch auf Entfernung der Zusatzzeichen "Landwirtschaftlicher Verkehr und Zulieferverkehr frei". Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung des Beklagten hinsichtlich dieser begehrten (weitergehenden) Verkehrsbeschränkungen.

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Der nach den vorliegenden Sachverständigengutachten wahrscheinlich erscheinende Umstand, dass der die F. im Bereich des klägerischen Hausgrundstücks passierende Verkehr insbesondere mit schweren landwirtschaftlichen Fahrzeugen zu unterschiedlichen Setzungen im Bereich der Fundamente des klägerischen Gebäudes führen kann und damit zumindest mitursächlich für die aufgetretenen Risse im Mauerwerk sein kann, erfüllt nicht die Voraussetzungen der als Rechtsgrundlage für die begehrte Verkehrsbeschränkung allein in Betracht kommenden Norm des § 45 Abs. 1 StVO. Es ist keine der alternativen Tatbestände dieser Norm erfüllt (dazu unten 1. und 2.), der Tatbestand kann auch nicht aufgrund einer Analogiebildung als erfüllt angesehen werden (dazu unten 3.), so dass auch letztlich auch kein Anspruch der Klägerin auf ermessensfehlerfreie Entscheidung bezüglich der begehrten Verkehrsbeschränkung gegeben ist (dazu unten 4.).

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1. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO sind nicht erfüllt. Nach dieser Regelung können die Straßenverkehrsbehörden die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken aus Gründen der Sicherheit und Ordnung des Verkehrs beschränken. Zum Regelungsbereich dieser Bestimmung hat das Oberverwaltungsgericht Schleswig (Urt. v. 25.08.1992, 4 L 3/92, NJW 1993, 872) ausgeführt, dass sie nur zur Abwehr von Gefahren und zur Beseitigung von Störungen ermächtige, die den Verkehr selbst betreffen. § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO sei keine Generalklausel, die zur umfassenden Abwehr aller mit dem Verkehr verbundenen Gefahren ermächtige und auch Maßnahmen zum Schutze der Umgebung einer Straße decke. Die Norm setze vielmehr Gefahren und Störungen voraus, die sich im Straßenverkehr selbst auswirken. Demzufolge rechtfertige § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO keine verkehrsbeschränkenden Maßnahmen zum Schutz von Wohngebäuden vor Erschütterungen, die vom Straßenverkehr ausgehen und auf die Umgebung ausstrahlen. Dem folgt die Kammer, so dass auch die wahrscheinlich durch den Verkehr auf der F. ausgelösten unterschiedlichen Setzungen im Bereich der Fundamente des klägerischen Gebäudes nicht den Tatbestand des § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO erfüllen. Der Wortlaut und die Systematik des § 45 Abs. 1 StVO lassen nur das vorstehend dargestellte und vom Oberverwaltungsgericht Schleswig vertretene Verständnis der Regelung zu. Während § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO als Schutzgut ausdrücklich die Sicherheit und Ordnung des Verkehrs benennt, sind in § 45 Abs. 1 Satz 2 StVO gerade auch Gefahren benannt, die durch den Verkehr dem Umfeld der Straßen drohen, ohne ihrerseits verkehrsspezifische Auswirkungen zu haben. Aus dieser Systematik lässt sich nicht etwa ableiten, dass das Schutzgut des § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO insgesamt auf die öffentliche Sicherheit und Ordnung ohne verkehrsspezifischen Bezug auszudehnen wäre, so dass diese Regelung auch den Schutz der die Straße umgebenden baulichen Anlagen vor Erschütterungen umfassen würde. Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht (Urt. v. 13.12.1979, 7 C 46/78, NJW 1980, 1640) in einer vor der Novellierung des § 45 StVO im Jahre 1980 ergangenen Entscheidung die Auffassung vertreten, dass die seinerzeitige Regelung des § 45 Abs. 1 Alt. 4 StVO, welche Verkehrsbeschränkungen zum Schutze der Nachtruhe in Wohngebieten zuließ, die Straßenverkehrsbehörde nicht hindere, aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs eine ganztägige Geschwindigkeitsbeschränkung zum Schutze der Anwohner vor Verkehrslärm anzuordnen. Daraus ergibt sich indes nicht, dass § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO in der derzeit gültigen Fassung eine Generalklausel darstellt, der stets eine Auffangfunktion zukommt, wenn die Spezialtatbestände des § 45 Abs. 1 Satz 2 StVO im Einzelfall nicht erfüllt sind: Zum einen betraf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts eine - hier nicht gegebene - Fallkonstellation, in der ein spezielles (die Umgebung der Straße betreffendes) Schutzgut - nämlich der Schutz vor Verkehrslärm - in einem der in § 45 StVO a.F. geregelten Sondertatbestände wenigstens dem Grunde nach ("Nachtruhe") sachlich benannt war. Zum anderen wurde ein Verständnis des § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO n.F. als Generalklausel in diesem erweiterten Sinne bei der Novellierung gerade nicht aufgegriffen. Die Tatbestände des § 45 Abs. 1 Satz 2 StVO wurden bei der Novellierung gerade nicht als beispielhafte Aufzählung von Sonderfällen der Sicherheit und Ordnung des Verkehrs gekennzeichnet, sondern dem Wortlaut nach als eigenständige Sondertatbestände, aus welchen (nur) "das gleiche Recht" der Straßenverkehrsbehörden zur Vornahme von Verkehrsbeschränkungen oder - verboten resultiert. Aus dieser Formulierung wird deutlich, dass die Sondertatbestände des § 45 Abs. 1 Satz 2 StVO nach der Vorstellung des Verordnungsgebers keine bloße - beispielhafte - Konkretisierung des § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO darstellen, sondern eigenständige Schutzgüter umschreiben, so dass sich aufgrund des systematischen Verhältnisses eine Erweiterung des Schutzgutes des § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO auf nicht-verkehrsspezifische Gefahren verbietet.

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2. Auch die tatbestandlichen Voraussetzungen einer der in § 45 Abs. 1 Satz 2 StVO geregelten Sondertatbestände - die gerade nicht der Abwehr spezifischer innerverkehrlicher Gefahren dienen - sind vorliegend nicht erfüllt. Insbesondere fällt der Schutz von an die Straße angrenzenden Wohngebäuden vor durch den Verkehr hervorgerufenen Erschütterungen oder Setzungen des Untergrundes nicht unter den Regelungsbereich des § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 StVO, wonach die Straßenverkehrsbehörden Verkehrsbeschränkungen "hinsichtlich der zur Erhaltung der öffentlichen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen" vornehmen können. Diese Regelung erfasst insbesondere Verkehrsbeschränkungen, die im Rahmen der allgemeinen polizeilichen Prävention, wie z.B. bei einer Fahndung, bei Wetterkatastrophen oder zum Objektschutz erforderlich sind (vgl. etwa Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 36. Auflage, § 45 StVO, Rdn. 31). Inwieweit sich die "öffentliche Sicherheit" im Sinne dieser Bestimmung über diese beispielhaft genannten Bereiche auch auf die allgemeine ordnungsrechtliche Gefahrenabwehr erstreckt, kann hier dahinstehen. Aus der Formulierung, dass die Straßenverkehrsbehörden Verkehrsbeschränkungen "hinsichtlich der zur Erhaltung der öffentlichen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen" vornehmen können, folgt unmittelbar, dass die Bestimmung keine Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Sicherheit zulässt, sondern solche Maßnahmen ihrerseits bereits voraussetzt. Die Klägerin begehrt indessen eine verkehrsbeschränkende Maßnahme zum Schutz ihres Wohnhauses, welche die Bestimmung auch bei einem erweiterten Verständnis des Begriffs der "öffentlichen Sicherheit" nicht zulässt.

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3. Es lässt sich dem § 45 Abs. 1 Satz 2 StVO - insbesondere bei einer Betrachtung des § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und 3 StVO - auch nicht im Wege der Analogiebildung ein Rechtssatz entnehmen, der Verkehrsbeschränkungen zum Schutz der an die Straße angrenzenden baulichen Anlagen vorsehen würde. Eine vom Verordnungsgeber nicht gewollte Regelungslücke ist insoweit nicht ersichtlich. Daran ändert auch nichts, dass er nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 und Nr. 17 StVG zu einer solchen Regelung grundsätzlich ermächtigt sein mag. Den Sondertatbeständen des § 45 Abs. 1 Satz 2 StVO dürfte vielmehr die Vorstellung des Verordnungsgebers zugrunde liegen, dass der Schutz der umgebenden Gebäude gleichsam durch etwaige Maßnahmen "zur Verhütung außerordentlicher Schäden an der Straße" (§ 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StVO) gleichsam mittelbar erfolgt und im Übrigen bei einer sich im Rahmen des Üblichen bewegenden Straßenabnutzung etwaige Einflüsse durch die Straßenbenutzung auf die Bebauung der umgebenden Grundstücke aus originär verkehrsordnungsrechtlicher Sicht hinzunehmen sind. Ein anderes Verständnis hätte eine vom Verordnungsgeber ersichtlich nicht gewollte Vermischung der Zuständigkeiten der Straßenverkehrsbehörden und der Straßenbaulastträger zur Folge. Der Schutz der baulichen Substanz der Straßenumgebung wird vom Verordnungsgeber gerade aus dem Zuständigkeitsbereich der Straßenverkehrsbehörden ausgeklammert. Ein Straßenanlieger wie die Klägerin ist deshalb aber nicht etwa gänzlich schutzlos gestellt. Nach § 10 Abs. 2 NStrG haben die Straßenbaulastträger dafür einzustehen, dass ihre Bauten allen Anforderungen der Sicherheit und Ordnung genügen. Im Rahmen dieser Vorschrift wird der Begriff der Sicherheit gerade nicht - wie dies bei § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO der Fall ist - auf den verkehrsspezifischen Bereich beschränkt. Dies zeigt, dass die Konzeption des Verordnungs- und des Gesetzgebers insgesamt stimmig ist, wenn die Fragen der Auswirkungen des Straßenverkehrs auf die Umgebung nur im eingeschränkten Umfang des § 45 Abs. 1 Satz 2 StVO den Straßenverkehrsbehörden zugeordnet sind, während die Auswirkungen im Übrigen - insbesondere auch die hier geltend gemachten Schäden - in den Zuständigkeitsbereich des Straßenbaulastträgers - also hier der Gemeinde L. - fallen. Zutreffend hat die Klägerin daher auch eine Schadensersatzklage gegen die Gemeinde Loxstedt gerichtet. Die Gemeinde wird als Straßenbaulastträger zudem gehalten sein, Maßnahmen hinsichtlich der Straße zu ergreifen, welche die nach den im zivilgerichtlichen Verfahren eingeholten Sachverständigengutachten wahrscheinlichen Auswirkungen (und damit die Geltendmachung weiterer Schadensersatzansprüche) in Zukunft ausschließen. In diesem Zusammenhang könnte die Straßenverkehrsbehörde dann auch - auf Antrag des Straßenbaulastträgers - vorübergehend verkehrsbeschränkende Maßnahmen nach § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StVO - nämlich zur Durchführung von Arbeiten im Straßenraum - anordnen.

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4. Liegen mithin weder die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO noch die des § 45 Abs. 1 Satz 2 StVO aufgrund der von der Klägerin geltend gemachten Schäden an ihrem Haus vor, ist insoweit auch kein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung gegeben. Zwar ist § 45 StVO nur grundsätzlich auf den (bloßen) Schutz der Allgemeinheit gerichtet, so dass der Einzelne einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung der Behörde über ein verkehrsregelndes Einschreiten dann haben kann, wenn die Verletzung seiner geschützten Individualinteressen (insbesondere Gesundheit und Eigentum) in Betracht kommt - wobei dies nicht nur bei einer Grundrechtsverletzung, sondern auch bereits dann in Betracht kommt, wenn im Vorfeld der Grundrechtsverletzung die Einwirkungen des Straßenverkehrs das nach allgemeiner Anschauung zumutbare Maß übersteigen (vgl. insoweit BVerwG, Urt. v. 04.06.1986, 7 C 76/84, NJW 1986, 2655; Beschl. v. 02.04.1993, 11 B 11/93, zit. nach Juris). Indessen besteht ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung nicht etwa isoliert auch in Fällen, in denen - wie hier - die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 45 Abs. 1 StVO für eine Verkehrsregelung nicht gegeben sind. Vielmehr sind vom Schutzbereich des § 45 Abs. 1 StVO nur die Erscheinungsformen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung erfasst, die von der Vorschrift auf Tatbestandsseite genannt sind, so dass ein Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung nur dann bestehen kann, wenn bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen der Norm zusätzlich die Betroffenheit in einer Grundrechtsposition gegeben ist oder zusätzlich zu konstatieren ist, dass der Einzelne unzumutbaren Einwirkungen durch den Straßenverkehr ausgesetzt ist (vgl. auch OVG Schleswig, Urt. v. 25.08.1992, 4 L 3/92, NJW 1993, 872). Dieses Verständnis widerspricht entgegen der Auffassung der Klägerin auch nicht der bereits zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. In den vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Fällen stand neben der Verletzung von geschützten Individualinteressen stets auch eine tatbestandliche Modalität des § 45 Abs. 1 StVO als solche im Raum; die Erwägungen zum Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung betrafen nur die Frage, inwieweit dem Einzelnen bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen im Hinblick auf eine behördliche Entscheidung ein subjektiver Rechtsanspruch zustehen kann. Keineswegs wurde ausgeführt, dass ein Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung wegen einer möglichen Verletzung schützenswerter Individualinteressen auch besteht, wenn im konkreten Einzelfall keine der tatbestandlichen Modalitäten des § 45 StVO erfüllt ist.