Verwaltungsgericht Stade
Urt. v. 22.03.2002, Az.: 4 A 2006/00
Diabetes; Ernährung; Krankenkostzulage; Mehrbedarf; Übergewicht
Bibliographie
- Gericht
- VG Stade
- Datum
- 22.03.2002
- Aktenzeichen
- 4 A 2006/00
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2002, 41761
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 23 Abs 4 BSHG
Tatbestand:
Der am 4. Oktober 1935 geborene Kläger, der seit September 1992 ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt erhält, begehrt von dem Beklagten die Gewährung einer Krankenkostzulage.
Der Kläger, der bei einer Körpergröße von 1,80 m und einem seinerzeitigen Körpergewicht von 105 kg, an einem Diabetes mellitus Typ II b (Alterszuckerkrankheit mit Übergewicht) leidet, beantragte am 28. Juni 2000 bei der für den Beklagten handelnden Stadt B. die Bewilligung einer Krankenkostzulage.
Nachdem der Kläger am 6. Juli 2000 ein Attest der Fachärztin für Allgemeinmedizin A. B., B., in dem zwar die Notwendigkeit einer Reduktionskost bejaht, die Gewährung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwendiger Ernährung aber als nicht erforderlich angesehen wurde, eingereicht hatte, lehnte die Stadt B. durch Bescheid vom 13. Juli 2000 die Gewährung der beantragten Krankenkostzulage unter Berufung auf die Bescheinigung der Hausärztin ab.
Hiergegen erhob der Kläger am 10. August 2000 Widerspruch ein und legte zur Begründung ein Attest der Fachärzte für Innere Medizin E. B. und Dr. M. R., H., vom 23. August 2000 vor. In diesem Attest wurde durch Dr. R. einerseits bescheinigt, dass der Kläger wegen seiner Erkrankung eine kostenaufwendige Diät benötigte, andererseits hieß es in letzten Absatz dieses Attestes, dessen zunächst erfolgte Streichung Dr. R. wieder rückgängig gemacht hatte:
Der/Die o. G: ist aus meiner Sicht - nicht - in der Lage, die Krankenkostzulage zweckentsprechend anzuwenden.
Darüber hinaus nahm der Amtsarzt des Beklagten, Dr. R., unter dem 18. September 2000 wie folgt Stellung:
Grundlage dieser Stellungnahme ist der hiesige Vorgang und das ärztliche Attest vom 23. 08. 00.
Demnach handelt es sich um einen Diabetes mellitus mit Übergewicht.
Im Vordergrund der Therapie steht die Gewichtsreduzierung. Für eine Reduktionskost ist ein Mehrbedarf nach BSHG nicht mehr vorgesehen. Sollte nach Gewichtsnormalisierung der Diabetes mellitus weiterhin bestehen, so ist dies erneut zu überprüfen.
Der Beklagte lehnte den Widerspruch des Klägers durch Widerspruchsbescheid vom
5. Dezember 2000 im Wesentlichen mit der Begründung ab, dass im Falle des Klägers nach den vorliegenden ärztlichen Stellungnahmen und unter Berücksichtigung der Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge ein tatsächlicher Bedarf für eine kostenaufwendige Ernährung zum Zwecke der Genesung und Besserung bzw. Linderung von Krankheitsfolgen oder der Vermeidung der Verschlechterung des Gesundheitszustandes nicht gegeben sei.
Der Kläger hat am 29. Dezember 2000 Klage erhoben und beruft sich zur Begründung auf das ärztliche Attest vom 23. August 2000 und auf eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtes Arnsberg (5 K 1320/89), wonach sowohl bei Diabetes als auch bei Übergewicht eine kostenaufwendigere Ernährung erforderlich sei.
Der Kläger, der zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen ist, beantragt sinngemäß,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides der Stadt B. vom 13. Juli 2000 und des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 5. Dezember 2000 zu verpflichten, ihm monatlich ab dem 1. Juli 2000 eine Krankenkostzulage in Höhe von 100,-- DM (= 51,13 ¤) zu bewilligen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er nimmt Bezug auf die Ausführungen in seinem Widerspruchsbescheid vom 5. Dezember 2000.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten (Beiakten A und B) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Bescheid der für den Beklagten handelnden Stadt B. vom 13. Juli 2000 und der Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 5. Dezember 2000 erweisen sich als rechtmäßig und verletzen den Kläger daher nicht in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -), weil er für den hier allein entscheidungserheblichen Zeitraum von Juli 2000 bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides im Dezember 2000 keinen Anspruch auf Gewährung einer Krankenkostzulage gehabt hat.
Gemäß § 23 Abs. 4 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) ist für Kranke, Genesende, behinderte Menschen oder von einer Krankheit oder von einer Behinderung bedrohte Menschen, die einer kostenaufwendigen Ernährung bedürfen, ein Mehrbedarf in angemessenen Höhe anzuerkennen. Durch diesen Mehrbedarf sollen ernährungsbedingt drohende oder bestehende Gesundheitsschäden abgewendet oder gelindert werden. Voraussetzung für die Gewährung ist allerdings ein ursächlicher Zusammenhang zwischen einer drohenden oder bestehenden Erkrankung und der Notwendigkeit einer kostenaufwendigen Ernährung. Die Höhe des Mehrbedarfs richtet sich nach dem ernährungswissenschaftlich erforderlichen Ernährungsbedarf. Sie steht nicht im Ermessen des Sozialhilfeträgers, sondern sie ist abhängig von der erforderlichen Krankenkost. Dabei geht die Kammer in Übereinstimmung mit Entscheidungen des Nds. Oberverwaltungsgerichts und der ständigen Rechtsprechung der bisher für das Sozialhilferecht zuständigen 1. Kammer des erkennenden Gerichts (vgl. u. a. Urt. v. 13. 6. 1994 - 1 A 187/93 -, Beschl. v. 17. 4. 1997 - 1 B 511/97 - und v. 28. 4. 2000 - 1 B 533/00 -) davon aus, dass für die Beurteilung der Frage, bei welchen Kostformen und in welcher Höhe eine Krankenkostzulage in Betracht kommt, den Empfehlungen des Deutschen Vereins (DV) für öffentliche und private Fürsorge, die zuletzt im Jahre 1997 überarbeitet und auch wiederum in der im Januar 2000 erschienenen Auflage der Hinweise zur Sozialhilfe übernommen worden sind, zu folgen ist, weil sie den Stand der medizinischen und trophischen Wissenschaft zutreffend wiedergeben und auf einer sorgsamen Auswertung der Unterschiedsbeträge zwischen den ernährungswissenschaftlich ermittelten Warenkörben für Krankenkost und den Teilwarenkörben für Ernährung in den Regelsätzen (§ 22 BSHG) beruhen. Die Empfehlungen des DV berücksichtigen Kostformen, die bei häufiger auftretenden Erkrankungen erforderlich sind und bei denen eine pauschale Bemessung grundsätzlich möglich ist (vgl. Ziffer 23.4.3 Satz 2 der Hinweise). Nach Ziffer 23.4.4 dieser Empfehlungen wird bei einer - wie auch im Falle des Klägers gegebenen - Alterszuckerkrankheit zwischen Diabetes mellitus Typ II a und Diabetes mellitus Typ II b unterschieden. Während bei einer Alterszuckerkrankheit bei nicht übergewichtigen Patienten (Typ II a) für eine erforderliche Diabeteskost ein Mehrbedarf in Höhe von 100,-- DM (= 51,13 ¤) anzuerkennen ist, kommt bei übergewichtigen Altersdiabetikern (Typ II b), bei denen eine Gewichtsabnahme durch Reduktionskost angezeigt ist, ein Mehrbedarf nicht in Betracht. Diese unterschiedliche Handhabung bei nicht übergewichtigen und bei übergewichtigen Diabetikern ist nach Auffassung der Kammer auch nicht zu beanstanden, weil bei einem durch Übergewicht verursachten bzw. mitverursachten Diabetes mellitus grundsätzlich eine deutliche Reduzierung - bis hin zu einer Halbierung - der täglichen Kalorienmenge notwendig ist, was zugleich bedingt, dass einerseits durch die zu verringernde Nahrungsaufnahme Kosten für den Erwerb entsprechender Nahrungsmittel erspart werden und andererseits diese freiwerdenden Mittel für eine möglicherweise teuere Reduktionskost zur Verfügung stehen. Entsprechend hat auch das Nds. Oberverwaltungsgericht in mehreren Entscheidungen (vgl. Urt. v. 25. 9. 1991 - 4 L 168/89 -, Beschl. v. 12. 7. 1991 - 4 O 120/90 - und v. 17. 9. 1993 - 4 M 4544/93 -) festgestellt, dass eine ärztlich verordnete Reduktionskost bei Diabetes mellitus Typ II und Übergewicht in der Regel Mehrkosten nicht verursacht.
Gemessen an diesen Vorgaben hat der Kläger für den in dem vorliegenden Verfahren streitigen Zeitraum (Juli 2000 bis Dezember 2000) keinen Anspruch auf Gewährung einer Krankenkostzulage, weil er unstreitig an einem Diabetes mellitus Typ II b, also einer Alterszuckerkrankheit mit Übergewicht leidet und er daher für die bei ihm erforderliche Reduktionskost keinen Mehrbedarf geltend machen kann. Unter Berücksichtigung der Einsparungen durch eine verringerte Nahrungsaufnahme auf der einen Seite und der eventuell höheren Aufwendungen für die Reduktionskost auf der anderen Seite ist auch in seinem Fall grundsätzlich nicht zu erwarten, dass insgesamt für den Erwerb von Nahrungsmitteln höhere Kosten, als sie bereits in den Regelsätzen nach § 22 BSHG berücksichtigt sind, tatsächlich krankheitsbedingt entstehen. Gründe, die ausnahmsweise eine andere Einschätzung rechtfertigen könnten, sind von dem Kläger weder vorgetragen worden, noch ergeben sie sich aus den vorliegenden fachärztlichen und amtsärztlichen Stellungnahmen.
Schließlich führt auch das von dem Kläger angeführte Urteil des Verwaltungsgerichtes Arnsberg vom 7. September 1990 (5 K 1320/89, NWVBl. 1991, 177) schon deshalb zu keinem für den Kläger positiveren Ergebnis, weil die in diesem Verfahren erfolgte Kürzung der an einem Diabetes mellitus leidenden Hilfeempfänger gewährten Mehrbedarfszulage auf einer fehlerhaften Annahme der Sozialhilfebehörde, der Hilfebedürftige sei übergewichtig, beruhte und daher rechtswidrig war. Im Falle des Klägers steht dessen Übergewichtigkeit bei einer Körpergröße von 1,80 m und einem (seinerzeitigen) Körpergewicht von 105 kg aber außer Frage.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO, ihre vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 ZPO.