Verwaltungsgericht Stade
Urt. v. 21.03.2002, Az.: 1 A 1087/01

abstrakte Gefährdung; Aussageverweigerung; Fahrtenbuch; Gefährdung; Geschwindigkeitsüberschreitung

Bibliographie

Gericht
VG Stade
Datum
21.03.2002
Aktenzeichen
1 A 1087/01
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2002, 42350
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tatbestand:

1

Mit dem PKW Honda - amtliches Kennzeichen ..., dessen Halterin die Klägerin ist, wurde am 23. Januar 2001 um 19.57 Uhr in Osterholz-Scharmbeck auf der Bremer Straße in Richtung Bahnübergang die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um 38 km/h überschritten.

2

Der Klägerin wurde unter dem 22. Februar 2001 ein Zeugenfragebogen übersandt, in dem ein Foto des Fahrzeugführers eingedruckt war. Die Klägerin hat daraufhin in dem Zeugenfragebogen ihre Daten als die des verantwortlichen Fahrzeugführers mitgeteilt. Weil der Fahrzeugführer jedoch offensichtlich männlichen Geschlechts ist, wurde ein Vollzugsbeamter des Beklagten mit der weiteren Ermittlung beauftragt. Am 13. März 2001 teilte die Klägerin während des zweiten Versuchs der Kontaktaufnahme mit, dass der Fahrer ein flüchtiger Bekannter war. Sie werde sich in zwei bis drei Tagen telefonisch bei der Bußgeldstelle melden. Dies geschah jedoch nicht. Am 19. März 2001 zeigte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin seine Vertretungsbefugnis an. Nachdem ihm Akteneinsicht gewährt worden war, erfolgte keine weitere Äußerung zum Sachverhalt. Bei mehreren Versuchen konnte im Hause der Klägerin niemand angetroffen werden. Der Fahrzeugführer konnte auch nicht durch Vergleich des vorhandenen Fotos mit den weiteren männlichen Hausbewohnern ermittelt werden. Das Bußgeldverfahren wurde daraufhin eingestellt.

3

Mit Verfügung vom 23. Mai 2001 ordnete der Beklagte an, dass die Klägerin für die Dauer von 6 Monaten ein Fahrtenbuch führt. Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin durch Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 25. Juni 2001 Widerspruch ein. Die Anordnung eines Fahrtenbuches sei unverhältnismäßig. Die Klägerin sei seit 24 Jahren im Besitz der Fahrerlaubnis und verkehrsrechtlich noch nie in Erscheinung getreten. Von einer Verkehrsgefährdung könne auch nicht ausgegangen werden, da fließender Verkehr zu dem Zeitpunkt nicht vorhanden gewesen sei und die Straßenverhältnisse gut gewesen seien.

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Mit Widerspruchsbescheid vom 18. Juli 2001 wies die Bezirksregierung den Widerspruch zurück.

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Die Klägerin hat am 20. August 2001 Klage erhoben. Sie vertieft ihr Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren und meint, die Auflage sei unverhältnismäßig. Die Klägerin sei Mutter einer minderjährigen Tochter und beruflich in Lilienthal tätig. Sie müsse nicht unerhebliche Fahrstrecken zurücklegen. Der Aufwand, ein Fahrtenbuch zu führen, sei daher sehr hoch. Sie habe sich darüber hinaus um Aufklärung bemüht, wer das Fahrzeug geführt habe, habe den Fahrer jedoch tatsächlich nicht feststellen können.

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Die Klägerin beantragt,

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den Bescheid des Beklagten vom 23. Mai 2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 18. Juli 2001 aufzuheben.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Er hält die Anordnung einer Fahrtenbuchauflage im Hinblick auf die erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitung für notwendig.

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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Streitakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage hat keinen Erfolg. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Zu Recht hat der Beklagte der Klägerin aufgegeben, für die Dauer von 6 Monaten ein Fahrtenbuch zu führen.

13

Gemäß § 31 a Abs. 1 Satz 1 der Straßenverkehrszulassungsordnung (StVZO) kann die Verwaltungsbehörde gegenüber einem Fahrzeughalter für ein oder mehrere auf ihn zugelassene oder künftig zuzulassende Fahrzeuge die Führung eines Fahrtenbuches anordnen, wenn die Feststellung eines Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich war. Die tatbestandlichen Voraussetzungen, unter denen eine Fahrtenbuchauflage angeordnet werden kann, liegen vor. Dass mit dem auf sie zugelassenen Fahrzeug am 23. Januar 2001 eine Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften - Geschwindigkeitsüberschreitung - begangen wurde, bestreitet die Klägerin nicht. Die Feststellung des Fahrzeugführers war nach diesem Verstoß nicht möglich. Im Hinblick darauf, dass das in dem Zeugenfragebogen enthaltene Foto den Fahrzeugführer sehr deutlich zeigt und die Klägerin in der Befragung vom 13. März 2001 auch angegeben hat, dass es sich um einen flüchtigen Bekannten handele, erscheint offenkundig, dass es hier ohne weiteres möglich gewesen wäre, den Namen und den Aufenthaltsort des Fahrzeugführers festzustellen, um ihn der Bußgeldstelle mitzuteilen. Die Berufung der Klägerin auf ihr Aussageverweigerungsrecht ändert an dieser Auffassung nichts. Die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts steht nämlich der Anwendbarkeit des § 31 a StVZO nicht entgegen (BVerwG, Beschluss vom 22.06.1995 - 11 B 7.95 -, Verkehrsrechtliche Mitteilungen 1996, S. 35).

14

Soweit die Klägerin weiterhin geltend macht, bei dem Verkehrsverstoß sei eine Verkehrsgefährdung nicht eingetreten, führt dies nicht zu einer anderen Entscheidung. Vielmehr wird eine konkrete Gefährdung anderer am Verkehr Beteiligter nicht verlangt, weil es allein auf die abstrakte Gefährdung durch eine Verkehrsordnungswidrigkeit ankommt (OVG Lüneburg, Urteil vom 14.07.1986 - 12 OVG A 86/86 -; Beschluss vom 18.05.1994 - 12 M 2917/94 -; BVerwG, Beschluss vom 15.05.1985 - 7 B 107.85 -; Jagusch/(Hentschel, Straßenverkehrsrecht, § 31 a StVZO, Rdz. 4 m.w.N.). Im Falle des hier in Frage stehenden Verkehrsverstoßes mit einer Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um mehr als 70 v. H. steht wohl außer Frage, dass eine derartige abstrakte Gefährdung gegeben ist. Dies folgt auch daraus, dass im Falle der Ermittlung des Fahrzeugführers ein Fahrverbot von einem Monat Dauer zu verhängen gewesen wäre. Bei einem derart wesentlichen Verstoß ist die Fahrtenbuchauflage gerechtfertigt, ohne dass es zu einer Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer gekommen sein muss (BVerwG, Beschluss vom 09.09.1999, NZV 2000, 386 [BVerwG 18.10.1999 - BVerwG 3 B 105.99], m.w.N.). Hinsichtlich der Dauer der Fahrtenbuchauflage sind die angefochtenen Verfügungen ebenfalls nicht zu beanstanden. Soweit die Klägerin geltend macht, das Führen des Fahrtenbuches sei für sie unter Berücksichtigung ihrer besonderen persönlichen Umstände mit einem unverhältnismäßigen Aufwand verbunden, kann sie damit nicht gehört werden. Vielmehr wäre es ihr ohne weiteres möglich gewesen, dies durch Angabe des Fahrzeugführers zu verhindern.

15

Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.