Verwaltungsgericht Stade
Beschl. v. 12.03.2002, Az.: 4 B 317/02

Aids; Anordnungsanspruch; Anordnungsgrund; Ernährung; Haushaltsgemeinschaft; Haushaltsvorstand; HIV-Infektion; krankheitsbedingter Mehraufwand; Mischregelsatz; Regelsatz; Wohngemeinschaft

Bibliographie

Gericht
VG Stade
Datum
12.03.2002
Aktenzeichen
4 B 317/02
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2002, 41629
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Gründe

1

Die Beteiligten streiten in dem seit dem 25. Juli 2001 bei Gericht anhängigen Klageverfahren 4 A 942/01 um die Frage, ob dem Antragsteller wegen der bei ihm vorliegenden HIV-Infektion über den (nachträglich) seit dem 1. Januar 2001 von dem Beklagten bereits gewährten Betrag von monatlich 50,-- DM (= 25,56 Eur) hinaus ein weitergehender Mehrbedarf wegen kostenaufwendiger Ernährung nach § 23 Abs. 4 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) zusteht. Insoweit hat der Antragsteller am 21. Februar 2002 den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt, weil er, wie sich aus seinem Klagevorbringen ergibt, der Auffassung ist, dass ihm durch den Antragsgegner ein Mehrbedarf in Höhe von 104,-- DM(= 53,17 Eur) zu bewilligen sei. Diesen Betrag hatte ihm die Stadt H. bis zu seinem am 1. Januar 2001 erfolgten Umzug in den Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners als krankheitsbedingten Mehrbedarf gewährt. Darüber hinaus wendet sich der Antragsteller, der mit Herrn E. S. in einer Wohngemeinschaft lebt, dagegen, dass ihm der volle Regelsatzes eines Haushaltsvorstandes auf der Grundlage des sogenannten Mischregelsatzes um 56,-- DM (= 28,63 Eur) gekürzt wird, und begehrt, den Antragsgegner zur Nachzahlung des ungekürzten Regelsatzes seit dem 1. Januar 2001 zu verpflichten.

2

Gemäß § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag auch schon vor Klageerhebung eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Gemäß den §§ 123 Abs. 3 VwGO, 920 Abs. 2 ZPO hat der Antragsteller sowohl die Eilbedürftigkeit der begehrten gerichtlichen Regelung (Anordnungsgrund) als auch seine materielle Anspruchsberechtigung (Anordnungsanspruch) glaubhaft darzulegen.

3

Gemessen an diesen Vorgaben hat der Antragsteller bereits das Bestehen eines Anordnungsgrundes und damit die Eilbedürftigkeit der begehrten gerichtlichen Regelung nicht glaubhaft gemacht, soweit es um Leistungen für die Vergangenheit (hier: Auszahlung des ungekürzten Regelsatzes für die Zeit von Januar 2001 bis Februar 2002) geht. Denn mit der einstweiligen Anordnung kann regelmäßig nur eine vorläufige Entscheidung über einen aktuellen Bedarf des Hilfeempfängers getroffen werden. Soweit in der Vergangenheit liegende Zeiträume im Streit stehen, kommt insoweit grundsätzlich nur eine Entscheidung in einem Hauptsacheverfahren in Betracht.

4

Darüber hinaus hat der Antragsteller in diesem Zusammenhang aber auch das Bestehen eines Anordnungsanspruches und damit seine materielle Anspruchsberechtigung nicht glaubhaft gemacht., weil die von dem Antragsgegner vorgenommene Regelsatzkürzung um 28,63 Eur (= 56,-- DM) nicht zu beanstanden ist. Nach dem Inhalt der in dem Verfahren 4 A 942/01 vorgelegten Verwaltungsvorgänge ist der sozialhilferechtliche Regelbedarf des Antragstellers zutreffend ermittelt worden.

5

Die nach Regelsätzen zu gewährende laufende Hilfe zum Lebensunterhalt ist gemäß § 22 Abs. 1 Satz 2 BSHG abweichend von den Regelsätzen zu bemessen, soweit dies nach der Besonderheit des Einzelfalles geboten ist. Der Regelsatz für den Haushaltsvorstand nach § 2 Abs. 1 Regelsatzverordnung ist demjenigen zu gewähren, der diese Stelle im Haushalt tatsächlich einnimmt. Lässt sich bei mehreren erwachsenen Angehörigen einer Haushalts- oder - wie hier - Wohngemeinschaft nicht bestimmen, wer als Haushaltsvorstand anzusehen ist, muss nach der Rechtsprechung des Nds. Oberverwaltungsgerichts (vgl. Urt. v. 24. 6. 1996 - 4 L 3002/94, Nds. Rpfl. 1996, 313 = FEVS 47, 407) für jeden Bewohner ein Mischregelsatz in derselben Höhe zugrunde gelegt werden. Dabei darf die Summe der Mischregelsätze den Gesamtbetrag der Partner, bestehend aus dem Regelsatz für den Haushaltsvorstand und für die Haushaltsangehörigen, nicht übersteigen. Gemessen hieran ist nicht zu beanstanden, dass der Antragsgegner im vorliegenden Fall vom Ansatz eines Mischregelsatzes ausgegangen ist. Im Hinblick auf die Wohngemeinschaft des Antragstellers mit Herrn S. lässt sich gegenwärtig nicht feststellen, wer die "Generalunkosten" des Haushaltes, also die zur allgemeinen Haushaltsführung gehörenden Aufwendungen (z. B. Heizung, Strom usw.) trägt und damit als Haushaltsvorstand anzusehen ist. In einem solchen Falle ist es geboten, jedem Mitbewohner die Hälfte des Generalunkostenanteiles im Eckregelsatz zuzüglich seines Regelsatzes als sonstiges Haushaltsmitglied zuzugestehen, so dass die von dem Antragsgegner vorgenommene Berechnung [Regelsatz Haushaltsvorstand (= 286,83 Eur) - Regelsatz Haushaltsangehöriger (= 229,57 Eur) = 57,26 Eur : 2 = 28,63 Eur] zutreffend ist.

6

Hinsichtlich des geltend gemachten weitergehenden Mehrbedarfs für kostenaufwendige Ernährung in Höhe von monatlich 27,61 Eur (= 54,-- DM) fehlt dem Antragsteller ebenfalls ein Anordnungsanspruch. Der ihm durch den Antragsgegner bereits bewilligte Mehraufwand in Höhe von 25,56 Eur (= 50,-- DM) im Monat entspricht für das bei dem Antragsteller vorliegende Krankheitsbild (HIV-Infektion) den Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge, die nach Auswertung medizinischer Gutachten zustande gekommen sind und daher als Äußerungen einer sachverständigen Stelle angesehen werden können (vgl. Nds. Oberverwaltungsgericht, Urt. v. 13. 12. 2000 - 4 L 3412/01 -, n. v.), so dass für die Annahme eines über diese Empfehlungen hinausgehenden Mehrbedarfs grundsätzlich kein Raum ist, insbesondere wirkt auch eine von diesen Empfehlungen abweichenden Handhabung in einem anderen Bundesland noch nicht bedarfserhöhend. Gründe, die es im Falle des Antragstellers ausnahmsweise rechtfertigen könnten, von einem höheren Mehrbedarf auszugehen, also die Annahme belegen könnten, dass die bewilligten 25,56 Eur (= 50,-- DM) tatsächlich nicht ausreichen, seinen aufgrund der Erkrankung erhöhten Ernährungsaufwand zu decken, sind nicht gegeben. Insoweit beruft sich der Antragsteller zwar auf die Bescheinigung des ihn in dem Universitätskrankenhaus Eppendorf behandelnden Arztes D.. v. L. vom 20. August 2001, doch erschöpft sich diese Bescheinigung darin, dass wegen der fortgeschrittenen HIV-Infektion (Stadium B 2) "überhaupt" ein Mehrbedarf für Ernährung besteht, was bis zur Erhebung der Klage 4 A 942/01 zwischen den Beteiligten noch umstritten war. Darüber hinaus hat D.. v. L. gegenüber dem Gesundheitsamt des Antragsgegners, wie sich aus der vorliegenden Stellungnahme des Amtsarztes D.. R. vom 4. Dezember 2001 ergibt, bestätigt, dass im Falle des Antragstellers eine spezielle Diät (bis hin zur Notwendigkeit von Astronautenkost) zur Zeit nicht erforderlich ist, was zur Überzeugung der Kammer belegt, dass gegenwärtig krankheitsbedingte Mehraufwendungen des Antragstellers durch den ihm bereits bewilligten Betrag in ausreichendem Maße berücksichtigt werden.