Verwaltungsgericht Stade
Urt. v. 13.03.2002, Az.: 3 A 533/01
Beweisaufnahme; Beweismittel; Dienstunfall; Erstbefund; Gutachten; Heilverfahren; HWS-Trauma; Nachbegutachtung
Bibliographie
- Gericht
- VG Stade
- Datum
- 13.03.2002
- Aktenzeichen
- 3 A 533/01
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2002, 42344
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 33 BeamtVG
Tatbestand:
Die Klägerin ist Lehrerin und wehrt sich gegen die Abschlussfeststellung des Heilverfahrens nach einem Dienstunfall.
Bei einem Wegeunfall mit dem Kfz erlitt sie am 14. März 1994 ein HWS-Schleudertrauma und eine Schulterprellung, medizinisch erstversorgt im Kreiskrankenhaus G. durch Dr. T.. Die seinerzeit für sie zuständige Bezirksregierung B. erkannte das Unfallereignis mit Bescheid vom 26. April 1994 nach § 31 BeamtVG als Dienstunfall an und stellte mit Bescheid vom 28. November 1994 den Abschluss des Heilverfahrensfest. Der Stellungnahme ihres behandelnden Arztes Dr. B.(H.) vom 27. Mai 1994 folgend, dass die Erwerbsfähigkeit durch den Unfall lediglich zu 10% eingeschränkt war, wurde der Klägerin kein Unfallausgleich (§ 35 BeamtVG) gewährt.
Mit Schreiben vom 21. Dezember 1994 erkannte die Klägerin die Aussagen die erwerbsmindernden Folgen betreffend an, bat um Auskunft, was den Regelungsgehalt des Satzes "Das Heilverfahren ist abgeschlossen" anbetrifft und legte vorsorglich Widerspruch ein , da sie noch behandelt werde und gerne wüsste, wer anfallende Rechnungen, zum Beispiel die aktuell vorgelegte über 497,25 DM übernehme. Die Bezirksregierung B. teilte der Klägerin daraufhin am 29. Dezember 1994 mit, dass der formelle Abschluss des Heilverfahrens festgestellt werden müsse, damit bei verbleibenden erwerbsmindernden Unfallfolgen über den Bezug von Unfallausgleich entschieden werden könne. Die eingereichte Arztrechnung und die weiteren Rechnungen würden erstattet, sodass der Widerspruch als erledigt angesehen werden könne.
Nach Versetzung forderte die so zuständig gewordene Beklagte die Klägerin am 29. April 1998 auf, den Abschluss der Heilbehandlung mitzuteilen oder zur Fortdauer der Behandlung Stellung zu nehmen. Hierauf teilte die Klägerin mit, dass als Unfallfolge die Blockierung der HWS mit den damit verbundenen Nebenerscheinungen verblieben sei. Der Sportunterricht, den sie nun an der GS OHZ zu erteilen habe, und dabei das Heben von schweren Sportgeräten verursache ihr erhebliche Beschwerden. Sie befinde sich weiter in Behandlung des Dr. B..
Die Beklagte bat das Gesundheitsamt O. m.d.B. um Prüfung, ob der ursächliche Zusammenhang zwischen dem (anerkannten) Unfallereignis und den erlittenen Verletzungen in ärztlich-wissenschaftlicher Hinsicht erwiesen, wahrscheinlich oder ausgeschlossen ist.
Frau Dr. Z. kam für das GA OHZ am 21. August 1998 unter Einbeziehung der Stellungnahme des Dr. B.vom 26. Mai 1998 (Es verbleibt ein Dauerschaden, rezidivierende Beschwerden der HWS mit Muskeldysbalancen und Schwindelattacken. Eine weitere Behandlung ist notwendig) und vor dem Hintergrund einer Anamnese (Migräne seit 14./15.Lj, Stichverletzungen 1962, Autounfall 1963, Dienstunfälle (Autounfälle) 1984 und 1986 mit HWS-Trauma, Drehschwindel und Tinnitus, chronische Kopfschmerzen 1988, Behandlung wegen Kopfschmerzen und Tinnitus 1992 - 1994, Dienstunfall (mit Knieverletzung) am 21. Februar 1994, Dienstunfall am 14. März 1994, Treppensturz bei Glatteis mit Wirbelsäulenstauchung, Trigeminusneuralgie - Dienstunfall am 18. Dezember 1995, Autounfall am 12. Juni 1997 mit Aufprall auf einen Baum durch kurze Bewusstlosigkeit) zu der Auffassung, dass der Nachweis, der Dienstunfall vom 14. März 1994 sei wesentliche Ursache der jetzt noch geklagten Beschwerden, nicht zu erbringen sei. Wahrscheinlich sei das eine Verschlimmerung vorbestehender Schäden. Ferner sei davon auszugehen, dass die Klägerin in dauernder Behandlung bleiben werde. Eine Aufschlüsselung und Zuordnung der einzelnen Behandlungen zu bestimmten Beschwerden sei wegen deren Komplexität nicht möglich, insbesondere sei nicht begründbar, dass bestimmte Behandlungen wegen überwiegenden Folgen des einen Dienstunfalls von 1994 durchgeführt werden müssten. Das unfallbedingte Heilverfahren sei abgeschlossen.
Die Beklagte regte vor Entscheidung eine fachärztliche Zusatzbegutachtung an, erstattet vom Facharzt für Orthopädie Dr. L. (B.) am 24. Januar 2000 und zustimmend vom GA OHZ ( Dr. Z.) der Beklagten vorgelegt am 2. Februar 2000. Dr. L. kam in seinem orthopädischen Zusammenhangsgutachten nach ambulanter Untersuchung der Klägerin am 20. Mai 1999 und nach Beiziehen des Behandlungsberichtes des Dr. T. (G.) von 1994, der Untersuchungs- und Behandlungsberichte des Dr. B.(H.), des neurologischen Befundes vom 19. August 1997 nach dem durch kurze Bewusstlosigkeit verursachten Unfall vom 16. Juni 1997( durch Uni-Klinik E.-N., Prof. Dr. N.) und des Berichts der Bezirksregierung D. vom 28. Mai 1996 über den Glatteis-Dienstunfall vom 18. Dezember 1995, zusammenfassend zu dem Ergebnis:
Angesichts des Schweregrades des Verletzungsanfangsbefundes ist von einer Heilungsdauer auszugehen, die allenfalls in Wochen, jedoch nicht in Monaten zu bemessen ist. Die darüber hinaus weiterbestehenden Beschwerden sind der unfallunabhängigen Neigung von Frau G. zu Kopfschmerzen und vegetativen Störungen aller Art anzulasten.
Mit Bescheid vom 01. März 2000 stellte die Beklagte daraufhin den Abschluss des unfallbedingten Heilverfahrens fest und dass durch den anerkannten Dienstunfall keine wesentlichen erwerbsmindernden Folgen im Sinne von § 35 Abs. 1 BeamtVG hervorgerufen wurden. Ein Anspruch auf Unfallausgleich bestehe nicht. Dem widersprach die Klägerin (wohl) nur insoweit als der Abschluss des Heilverfahrens festgestellt wurde, machte von dem Angebot der Beibringung eines weiteren Gutachtens, welches das des Dr. L. widerlege, verbunden mit der Kostenzusage im Erfolgsfalle, keinen Gebrauch und nannte in ihrer Widerspruchsbegründung die zitierte Schlussfolgerung des Dr. L. eine Zumutung.
Die Beklagte wies den Widerspruch der Klägerin mit Bescheid vom 29. März 2001, zugestellt am 4. April 2001, zurück. Das unfallbedingte Heilverfahren sei bereits nach der letzten Untersuchung des Dr. T. am 20. April 1994 abgeschlossen gewesen. Aufgrund des Erstbefundes und der vorliegenden Röntgenaufnahmen sei es seinerzeit nur zu einer minderschweren Zerrungsverletzung der Halswirbelsäule gekommen. Vor diesem Hintergrund seien die Ausführungen und Schlussfolgerungen von Frau Dr. Z. wie des Dr. L. nachvollziehbar und schlüssig.
Mit der Klage vom 30. April 2001 verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Mit ihrem behandelnden Arzt Dr. B.ist sie weiter der Auffassung, dass die unfallbedingte Heilbehandlung nicht abgeschlossen sei. Dr. L. zitiere überholte Literatur von 1976. Dessen Schlussfolgerungen lehne sie als einseitige Beurteilung ab. Den von Dr. T. übernommenen Befunden fehle es ohnehin an Objektivität und Neutralität. Bei den seinerzeit kurzen Untersuchungen habe sie sich schlicht abgefertigt gefühlt. Aus den von ihr vorgelegten Fachartikeln (Dr. B. in Manuelle Medizin 1-98, S. 14 ff, Dres Bayer, Meißner, Färber in Deutsches Ärzteblatt 1995 - 36, S. 1721 ff.) folge, dass eine Chronifizierung der auf den des Unfalles vom 14. März 1994 zurückzuführenden Erkrankung möglich sei. Sie beantrage daher eine Nachbegutachtung durch Dr. O. (I.), ihr empfohlen von der Deutschen Gesellschaft für Manuelle Medizin.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 1. März 2000 und deren Widerspruchsbescheid vom 29. März 2001 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen,
und nimmt Bezug auf die Bescheidbegründung. Eine Zusatzbegutachtung hält sie in Anbetracht der nachvollziehbaren Begründungen des Dr. L. nicht für erforderlich. Vorsorglich lehnt sie den benannten Dr. O. als Chiropraktiker und nicht wissenschaftlich ausgewiesenen Sachverständigen ab.
Für das weitere Vorbringen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Die Feststellung in den ergangenen Bescheiden, dass das unfallbedingte Heilverfahren abgeschlossen ist, erweist sich als rechtmäßig und verletzt die Klägerin daher nicht in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO):
Von der weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe sieht das Gericht ab, weil es der Begründung insbesondere des Widerspruchsbescheides folgt ( § 117 Abs. 5 VwGO). Das Klagevorbringen ändert an dem Ergebnis nichts:
Vergeblich versucht die Klägerin das im Verwaltungsverfahren eingeholte orthopädische Zusammenhangsgutachten Dr. L. zu erschüttern. Weder durch den Hinweis auf überholte Literatur von 1976, auf die Dr. L. sein Gutachten stützt, noch durch Vorlage neuerer medizinischer Abhandlungen ergeben sich für die Kammer Einschränkungen an Schlüssigkeit, Widerspruchsfreiheit und Nachvollziehbarkeit zur sachverständigen Schlussfolgerung, dass die unbestrittene weitere Behandlungsbedürftigkeit der Klägerin nicht (mehr) als wesentlich unfallbedingt seit dem 14. März 1994 festgestellt werden kann.
Richtig ist zwar, dass Dr. L. sein Gutachten auf ein wissenschaftliches Zitat von 1976 abstützt (Erdmann in Mschr. F. Unfallheilk. 19976, 498 - 510, Springer Verlag 1973, siehe Gutachten S. 14). Allerdings wird einerseits kenntlich gemacht (Gutachten S. 13), dass die Feststellungen von Erdmann bezüglich der Heilung solcher Verletzungen aus unfallmedizinischer Sicht nach wie vor unbestritten sind und andererseits hat der Gutachter 3 Röntgenaufnahmen der Halswirbelsäule der Klägerin, nämlich von 1994, 1995 und 1998 ( vgl. Gutachten S. 9 - 11) nachbefundet und festgestellt, dass knöcherne Verletzungen nicht vorgelegen haben. In diesem Gesamtzusammenhang überzeugt das Blockzitat sowohl als aktuell gebliebene allgemeine Erkenntnis als auch in Anwendung auf den begutachteten Einzelfall:
Einfache Distorsionen und Kontusionen führen nicht zur Entstehung posttraumatischer Arthrosen - sie führen übrigens auch nicht zu endlos prolongierten Krankheitsabläufen klinischer Art, sondern es bleibt nach aller Regel bei kurzdauernden Episoden. Abschließend dann keine Restfolgen mehr.
Bei denjenigen Verletzungssorten, die ohne nachweisbare knöcherne Verletzungen abgelaufen sind, auch gröbere Kontinuitätstrennungen im zugehörigen Kapsel-Bandapparat, gilt darüber hinaus die nachstehende unfallmedizinische Grunderfahrung:
Die Ausheilungszeiten verhalten sich nach aller Regel proportioniert, das heißt, sie sind dem Schweregrad des Verletzungsbefundes einigermaßen angemessen (Gutachten S. 13).
Erst darauf fußt schließlich das (überzeugende) Ergebnis:
Auch im Falle von Frau G. gelten diese unfallmedizinischen Grunderfahrungen.
Angesichts des Schweregrades des Verletzungsanfangsbefundes ist von einer Heilungsdauer auszugehen, die allenfalls in Wochen, jedoch nicht in Monaten zu bemessen ist.
Als Abschluß des unfallbedingten Heilungsverfahrens kann man das Datum der letzten Untersuchung bei dem Chirurgen Dr. T. festlegen.
Die darüber hinaus weiterbestehenden Beschwerden sind der unfallunabhängigen Neigung von Frau G. zu Kopfschmerzen und vegetativen Störungen aller Art anzulasten. Dazu beitragen mögen die röntgenologisch sichtbaren unfallunabhängigen Verschleißerscheinungen an den Zwischenwirbelgelenken (Gutachten S. 14).
Wenn die Klägerin sich mit der Klagebegründung gegen die Verwertung der durch Dr. T. erhobenen Befunde durch den Gutachter Dr. L. wendet, weil sie sich seinerzeit durch Dr. T. abgefertigt gefühlt habe, übersieht sie, dass ohne den zeitnahen Erstbefund die Ursächlichkeit von Beschwerden nicht feststellbar ist und dass der objektive Röntgenbefund von 1994 durch Dr. L. nachbegutachtet wurde mit dem übereinstimmenden Ergebnis, dass keine knöchernen Verletzungen vorlagen. Das wiederum war für seine oben wiedergegebene Beurteilung und Schlussfolgerung maßgebend.
Dass die Klägerin unter rückfälligen von der Halswirbelsäule ausgehenden Beschwerden leidet und dass die Behandlung bei Dr. B.ihr weiter Erleichterungen verschafft, führt der Gutachter selbst aus (Gutachten S. 14). Die Klägerin verkennt in diesem Zusammenhang aber, dass das der Nichtfeststellbarkeit der wesentlichen Ursächlichkeit aus dem hier zu beurteilenden Dienstunfall nicht widerspricht. Denn das wiederum steht im Kontext zu den zahlreichen Unfällen, Erkrankungen, Vorschädigungen und degenerativen Veränderungen vor und nach dem Unfall vom 14. März 1994,- begutachtet aufgrund einer Untersuchung der Klägerin vom 20. Mai 1999.
Aus der so klar und einzelfallbezogen überzeugend bleibenden Gutachteraussage folgt abschließend noch zweierlei: Die allgemein formulierte Möglichkeit, dass ein chronisches Beschwerdebild nach HWS-Trauma (migränoide Kopfschmerzen) ihren Ursprung auch im Weichteiltrauma haben kann (vgl. Hinweis der Klägerin auf die zitierte Abhandlung Dr. B. aaO), widerspricht dem Gutachten, dass die Wesentlichkeit dieser einen Ursache (bei mehreren möglichen aus der Zeit vor und nach dem Unfall) nicht mehr feststellbar sei, ebenfalls nicht. . Ferner sieht die Kammer ungeachtet dessen, dass die Klägerin ihren angekündigten Beweisantrag in der mündlichen Verhandlung hat fallen lassen, auch von Amts wegen keinen Anlass zur Nachbegutachtung durch Dr. O.. Zwar lässt das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung nur unter eng begrenzten Umständen in besonders gelagerten Ausnahmefällen ein Absehen von einer angebotenen Beweisaufnahme zu. In einem Fall wie dem vorliegenden ergibt sich aber der Unwert des angebotenen Beweismittels ausnahmsweise daraus, dass unter Berücksichtigung der auch im Verwaltungsprozess verwertbaren Beweisaufnahme durch Einholung eines (orthopädischen) Sachverständigengutachtens im Verwaltungsverfahren und dass dieses die vorausgegangene allgemeine Begutachtung durch Amtsärztin vollinhaltlich bestätigte, eine zeitlich dem entscheidenden und anderen Unfallereignissen noch fernere Nachbegutachtung Sachdienliches nicht ergeben kann, was die gewonnene Überzeugung der Kammer erschüttern könnte (so schon: BVerwG U. v. 1.11. 1963 - VI C 37.61- Buchholz 310, § 138 Ziff. 3 VwGO Nr. 5 und jüngst: Nds OVG B. v. 18.2. 2002 - 12 LA 280/02 -)
Demgemäss war die Klage mit der sich aus § 154 Abs. 1 VwGO ergebenden Kostenfolge abzuweisen.