Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 20.12.2005, Az.: L 8 B 69/05 SO
Rechtmäßigkeit eines Kostenbeschlusses; Zulässigkeit einer Untätigkeitsklage in Form einer Bescheidungsklage ; Voraussetzungen für die Erhebung einer zulässigen Untätigkeitsklage
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 20.12.2005
- Aktenzeichen
- L 8 B 69/05 SO
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2005, 30078
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2005:1220.L8B69.05SO.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Oldenburg - 06.09.2005 - AZ: S 2 SO 133/05
Rechtsgrundlagen
- § 88 Abs. 2 SGG
- § 88 Abs. 1 SGG
- § 75 VwGO
Tenor:
Auf die Beschwerde der Kläger wird der Kostenbeschluss des Sozialgerichts Oldenburg vom 6. September 2005 aufgehoben. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Kläger.
Gründe
Die Beschwerde ist zulässig. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Oldenburg, durch den das Sozialgericht nach Erledigung einer Untätigkeitsklage ausgesprochen hat, dass die Beklagte die außergerichtlichen Kosten der Kläger nicht erstatten muss, ist gemäß § 172 Abs. 1 SGG statthaft und fristgemäß in der Monatsfrist des § 173 Satz 1 SGG am 9. September 2005 gegen den am 8. September 2005 zugestellten Beschluss eingelegt worden.
Die Beschwerde ist begründet. Nach § 193 Abs. 1 Satz 3 SGG hat das Gericht auf Antrag durch Beschluss zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben, wenn das Verfahren anders als durch Urteil bzw. durch Beschluss beendet wird. In diesem Fall ist unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu entscheiden; dabei sind die Erfolgsaussichten der Klage zu berücksichtigten, aber auch die Gründe für die Klageerhebung und ihre Erledigung.
Hiernach entspricht es billigem Ermessen, dass die Beklagte die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Kläger trägt. Grundlage des Rechtsstreits sind Erstattungsbescheide der Beklagten vom 2. Juni 2004, mit denen rechtswidrig zu viel gezahlter Mietzuschuss nach dem Wohngeldgesetz bzw. rechtswidrig zu viel gezahlte Sozialhilfe zurückgefordert wurden. Dagegen wurde Widerspruch mit Schreiben vom 17. Juni 2004 eingelegt und mit weiterem Schreiben vom 23. Juli 2004 begründet. Ein Widerspruchsbescheid erging zunächst nicht, vielmehr erließ die Beklagte trotz der aufschiebenden Wirkung, die dem Widerspruch gemäß § 80 Abs. 1 VwGO zukam, Mahnungen und unternahm einen Pfändungsversuch. Die Kläger haben am 7. Juni 2005 wegen der Untätigkeit der Beklagten Untätigkeitsklage beim Sozialgericht Oldenburg erhoben. Nach Erlass des (negativen) Widerspruchsbescheides vom 7. Juli 2005 haben die Prozessbeteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt. Den Kostenantrag der Kläger hat das Sozialgericht mit dem Beschluss vom 6. September 2005 beantwortet und eine Kostenerstattung durch die Beklagte abgelehnt. Zur Begründung hat es sich im Wesentlichen darauf gestützt, dass unter Anwendung des Rechtsgedanken zu § 75 VwGO eine bloße Untätigkeitsklage, die auf Bescheidung gerichtet sei, nicht zulässig sei. Dies gelte insbesondere bei einer Fallgestaltung wie der vorliegenden, in welcher die Kläger die Widerspruchsbescheide mit Klagen angegriffen hätten. Die in der sozialgerichtlichen Literatur und Rechtsprechung vertretene Auffassung , aus § 88 SGG ergäbe sich unmittelbar ein Anspruch in Form einer so genannten Bescheidungsklage auf Erlass eines Verwaltungsaktes bzw. Widerspruchsbescheides werde nicht geteilt. Eine reine Untätigkeitsklage sei nicht zulässig.
Diese Kostenentscheidung kann keinen Bestand haben. Vielmehr entspricht es billigem Ermessen, dass die Beklagte die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Kläger trägt. In der sozialgerichtlichen Rechtsprechung und Literatur ist seit langem anerkannt, dass § 88 Abs. 1 und 2 SGG eine Untätigkeitsklage in Form einer so genannten Bescheidungsklage zulassen, die nicht auf den Erlass eines Verwaltungsaktes mit bestimmtem Inhalt, sondern auf bloße Bescheidung gerichtet ist (vgl. BSGE 73, Seite 244, 247; 75, Seite 56, 58; Urteil vom 11. November 2003 - B 2 U 36/02 R - SozR 4-1500 § 88 Nr. 1; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 8. Aufl. 2005, § 88 Rdnr. 9 m.w.N.). Der Senat sieht derzeit keinen Anlass von dieser gefestigten Rechtsprechung abzuweichen.
Die Voraussetzungen für die Erhebung einer zulässigen Untätigkeitsklage gemäß § 88 Abs. 2 SGG lagen vor. Die mit Widerspruch beanstandeten Bescheide stammten vom 2. Juni 2004, der Widerspruch vom 17. Juni 2004. Als angemessene Frist für den Erlass des Widerspruchbescheides sieht § 88 Abs. 2 SGG eine Frist von drei Monaten vor. Diese Dreimonatsfrist war zum Zeitpunkt der Klageerhebung am 7. Juli 2005 bei weitem überschritten, wie selbst die Beklagte einräumt.
Streitgegenstand der Untätigkeitsklage war die Bescheidung des Widerspruchs an sich. Nach Ergehen des Widerspruchsbescheides vom 7. Juli 2005 hatte sich daher der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt, weil das zulässige Begehren auf Erlass eines Widerspruchsbescheides von der Beklagten erfüllt worden ist. Da die Beklagte keinen Grund für die verspätete Bescheidung des Widerspruchs benannt hat, ist kein zureichender Grund für die verspätete Bescheidung ersichtlich. Dieser Umstand ist im Rahmen der Kostenentscheidung, die nach billigem Ermessen ergeht, maßgeblich zu berücksichtigen. Dies führte dazu, dass die Beklagte die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Kläger tragen muss, weil sie schuldhaft den Grund für die Erhebung der zulässigen Untätigkeitsklage gemäß § 88 SGG gesetzt hat.
Der Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.